Proteste in Las Bambas 2015 ©Juan Huayhua Condorpusa

“Koloniale Mentalität lebt in den Köpfen peruanischer Juristen weiter”

César Bazán, langjähriges Vorstandsmitglied der Infostelle Peru und Mitarbeiter des Instituto de Defensa Legal, hat ein Buch über die Nachwirkungen kolonialer Mentalität geschrieben.

Anfang Oktober vor neun Jahren fuhr der Jurist César Bazán als Mitglied eines Komitees der Menschenrechtsdelegation nach Cotabambas, Apurimac. Er sollte dort die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Die Bauerngemeinden hatten gegen die Kupfermine Las Bambas protestiert, hatten Straßen blockiert. Die Regierung schickte Polizei, um die Blockaden gewaltsam aufzulösen. Der 24-jährige Alberto wurde dabei von der Polizei getötet. César ging mit dem Vater des Ermordeten zur Staatsanwaltschaft, um Klage einzureichen. Zwei Stunden musste der betteln und streiten, bis der Staatsanwalt die Klage annahm. Ermittelt hat die Staatsanwaltschaft dennoch nicht, aber der Vater des Toten hatte wenigstens einen Nachweis, dass es eine Klage gibt. Der ermordete Alberto hatte ein Kind im gleichen Alter wie der Sohn César Bazáns. „Wenn ich nicht privilegiert zur Welt gekommen wäre, dann wäre ich jetzt wohl tot“, sagte sich César.

Dieses Erlebnis vor neun Jahren ist der Ausgangspunkt für seine Forschung darüber, wie koloniale Strukturen und Mentalitäten weiterhin die Arbeit der Justizbehörden und der Polizei in der Sierra bestimmen.  Hildegard Willer hat mit ihm über die Ergebnisse seiner Doktorarbeit gesprochen.

César, was hast Du untersucht, um Antwort zu erhalten auf Deine Fragestellung, wie die koloniale Mentalität in den Organen der Justizverwaltung weiterlebt?

Ich habe zuerst einen historischen Ansatz gewählt, um die Muster der kolonialen Ordnung darzustellen. Danach habe ich Interviews geführt und Justizakten aus der Gegenwart untersucht. Insgesamt habe ich ca. 5000 Seiten Gerichtsakten ausgewertet.

Das Ergebnis ist, dass es eine klare Kontinuität der kolonialen Mentalität im Tun von Justizbehörden, Polizei und Anwälten gibt. Ein Beispiel, das viel Symbolgehalt hat: während der Proteste gegen die Kupfermine Las Bambas, standen auf einer Seite der Schranke die Leute der Bergbaufirma und die Polizei. Und auf der anderen Seite die Demonstranten und die Leute de Ombudsstelle. Dies machte sehr klar, dass die Polizei nicht neutral, sondern im Dienst eines der Akteure war.

César Bazán Seminario ©privat

Es ist interessant, dass Du Dich selbst als Teil des Forschungsgegenstandes siehst und die Forschungsmethodologie als „braunhäutig“ bezeichnest, als „marrón“. Was willst du damit ausdrücken?

Wenn ich die Kategorie „braunhäutig“ benutze, dann in dreierlei Absicht: zum einen, um zu sagen, dass ich als Forscher nicht dem globalen Norden angehöre und meine Position die eines braunhäutigen Menschen des Südens ist, wenn auch eines privilegierten braunhäutigen Menschen.  Zum zweiten dient mir die Kategorie, um zu zeigen, dass auch im Globalen Süden Wissen produziert wird, dass dieses Wissen einen Wert hat und auch Theorien hervorbringen kann. Und zum dritten will ich damit zeigen, dass die von mir untersuchten Polizisten und Juristen auch „braunhäutig“ sind, genauso „braunhäutig“ wie die demonstrierenden Bauern, gegen die sie vorgehen. Auch wenn sie sich durch ihre Studien und ihre Fachsprache nicht mehr also solche fühlen, sondern meinen, dass sie damit „weiß“ geworden sind.

 

Ist Rasse wirklich die wichtigste Kategorie des kolonialen Denkens? Wenn es wirklich nur um die Hautfarbe ginge, dann müsste doch halb Lima sich mit den protestierenden Quechua und Aymara aus Südperu identifiziert haben, als diese vor einem Jahr in Lima protestierten. Dem war aber nicht so…

Die Hautfarbe gibt nicht alleine den Ausschlag, ob jemand diskriminiert wird. Das wichtigste sind die kulturellen Praktiken, die mit ethnischen Gruppen assoziiert sind. Ein „braunhäutiger“ Jurist, der an der Uni studiert hat, Spanisch nach den Regeln der Spanisch-Königlichen Akademie spricht und einen Anzug trägt, fühlt sich womöglich „weißer“ als andere „braunhäutige“ Leute. Als ob der Jurist kulturelle Praktiken der “höheren Gesellschaft” beherrscht. Doch Rassismus ist die zentrale Kategorie der diskriminierten Hierarchisierung.  Sie hilft, das komplexe Gefüge der Diskriminierung zu erklären.

Du sprichst oft vom Globalen Norden, der vom Fortbestand kolonialer Mentalitäten und Strukturen profitiert. Aber der Besitzer von Las Bambas ist eine chinesische Firma. Gehört die auch zum Globalen Norden?

Die Richter und Staatsanwälte in Apurimac wissen oft gar nicht, dass die Besitzer der Mine Chinesen sind. Aber was wichtig ist: dass es ein wirtschaftlich bedeutender Akteur ist, der so und soviel Prozent zum nationalen Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Es ist nicht wichtig, ob der Besitzer chinesisch oder Europäer ist.  Tatsache ist, dass China, auch wenn es nicht zum Globalen Norden gehört, eindeutig von den in Peru fortlebenden kolonialen Strukturen und Mentalitäten profitiert. China funktioniert in einer imperialen Logik und bestärkt damit die Rolle Perus als Rohstofflieferant innerhalb des globalen Kapitalismus. In einer späteren Forschung haben ein Kollege und ich den Begriff „Para-kolonialität“ geprägt, um die autoritäre Rolle von China im Globalen Süden zu erklären.

Wie haben Deine peruanischen Fachkollegen an der Universität auf Deine Forschung reagiert?

Es ist eine theoriekritische Arbeit und hinterfragt die Art, wie in Peru Recht gesprochen und Recht angewendet wird. Diese Art von rechtssoziologischer Wissenschaft ist in Peru noch recht selten. Wenn das Buch dennoch eine gewisse Resonanz erhalten hat, dann sicher, weil es an einer angesehenen Universität des Globalen Nordens als Dissertation angenommen wurde. Wäre es an einer Universität in Apurimac oder Ayacucho geschrieben worden, hätte es nicht diese Aufmerksamkeit bekommen.

In den Sozialwissenschaften trifft die Untersuchung auf größeres Interesse als bei den Juristen.

Welche Möglichkeiten siehst du, die koloniale Praxis im peruanischen Justizwesen zu durchbrechen?

Unser Jurastudium in Peru gründet vollständig auf den Rechtstheorien, die aus Europa kommen, aus Frankreich und aus Deutschland.

Unsere eigene peruanische Justizpraxis, z.Bsp. die ländlichen Bürgerwehren „Rondas Campesinas“, spielen in unserem System eine marginale Rolle. Dabei hat jedes Volk das Recht, auf seine Art Recht zu sprechen und Gerechtigkeit zu erlangen. Wir müssen dieses Recht und das vorhandene Wissen der Rechtsprechung anerkennen. Die Indigene Rechtsprechung ist ein Weg dazu. Falls es dabei zu Verstößen gegen die Menschenrechte kommt, müssen diese geahndet werden. Aber zuerst muss das indigene Recht anerkannt werden.

Wenn z.Bsp. eine Dorfgemeinde einen Dieb dazu verurteilt, auf den Berg zu laufen und wieder zurück, dann ist mir das tausendmal lieber, als wenn jemand in ein überfülltes Gefängnis geworfen wird und monatelang auf einen Richterspruch warten muss, wie dies die herrschende Rechtspraxis in Peru ist.

Das Buch “La Justicia moderna/colonial en el Sur Global. Derecho y sistema de justicia ante una minera china en los Andes quechua” von César Bazán Seminario kann hier kostenlos als e-book heruntergeladen werden. 

Hildegard Willer