Ascencio Vásquez hat in seinem Viertel Primavera in Carabayllo (Norden Limas) einen Umweltverein ins Leben gerufen und ist Vorsitzender des Netzwerkes der Loma-Schützer. (© Hildegard Willer)

Serie Umweltheld: Zu Besuch in den Hügeln des Frühlings

Ascencio Vásquez und Mitstreiter betreiben ein Naherholungsgebiet für Lima – und bekommen dafür Todesdrohungen. Auf Tour in einem bedrohten Ökosystem.

Lima, die Zehn-Millionen-Stadt am Pazifik, scheint kein Ende zu nehmen. Seit zwei Stunden schon ruckelt der Bus über staubige Straßen. Händler schreien mit den Hupen der Autos um die Wette und bieten Säfte, Zeitungen oder Gebäck feil. Der Ausrufer des Busses steht an der Tür und sammelt Fahrgäste ein.

Je mehr sich der Bus Richtung Peripherie bewegt, desto grauer werden die Straßen, unfertiger die Häuser und desto mehr Müll liegt an den Rändern. Ganz am Ende der Stadt schnauft der Bus den trockenen Hügel hoch. Es ist hier ruhiger. Zwischen den Häusern stehen Bäume oder sogar ein kleiner Garten.

Die jüngste Siedlung im Viertel Carabayllo im äußersten Norden Limas nennt sich „Primavera“ – Frühling. Und das völlig zurecht.

Unten in Lima ist kalter Winter. Beziehungsweise das, was die Limeños so nennen: ständig Küstennebel, kein Sonnenstrahl, hohe Luftfeuchtigkeit und eine klamme Kälte, die einem nicht aus den Knochen weicht und den 14 Grad auf dem Thermometer Hohn spricht. In Primavera lässt sich die Sonne immerhin hinter einer dünnen Nebelschicht erahnen.

Ein Wanderweg in die Lomas

 Diesen Flecken Erde hat sich Ascencio Vásquez vor 14 Jahren ausgesucht, um sein Häuschen zu bauen. Nicht wegen der Aussicht auf die umgebenden Hügel und die darunterliegende Großstadt. Sondern weil die Grundstücke in Primavera die billigsten waren, ohne Strom, ohne Wasser und ohne geteerte Straße. Ein Stück Land an einem kargen Hügel.

Der 48-Jährige tritt in Wanderschuhen und Anorak vor die Tür und zeigt mit dem Finger die Hügel hinauf, die sich hinter seinem Haus erstrecken: Dort beginnen die Lomas de Primavera – die Hügel, die mitten in der Wüste im Winter zu blühen beginnen. Seit zehn Jahren hat es sich Ascencio Vásquez zum Ziel gesetzt, sie zu schützen und sie als Naherholungsgebiet bekannt zu machen.

Ascencio Vásquez und seine Schwester Rosa vor einer Schautafel am Beginn des Wanderweges. ©Hildegard Willer

Der drahtige Mann steigt behände die Stufen hinter dem Haus hoch. Seine Schwester Rosa begleitet ihn. Sie wohnt in der Nachbarschaft. „Willkommen bei den Hügeln von Primavera“ steht auf einem Holzschild. Hier beginnt der Wanderweg. In einem Buch trägt sich jeder Besucher ein und entrichtet den Eintrittspreis von umgerechnet 1,50 Euro.

In die Erde sind kleine Stufen gehauen, die den Aufstieg erleichtern. Nach zweihundert Metern steht eine Wanderkarte. Die Stadtverwaltung von Lima hat sie zusammen mit dem Ökologischen Loma-Verein von Primavera aufgestellt. Doch bisher finden nur wenige Ausflügler*innen hierher.

Die Wüste lebt

Die Küsten-Lomas sind einzigarte Ökosysteme, die an der gesamten peruanischen Pazifikküste vorkommen und den Moloch Lima wie einen Kreis umschließen.  Sie bilden kleine Inseln inmitten der kargen Küstenberge, die während weniger Wintermonate ergrünen. Dann wenn der Küstennebel, die Garua, so dicht vom Pazifik aufsteigt, dass man keinen halben Meter weit sehen kann, tritt man auf einmal auf grünes Moos und Kräuter. Vögel zirpen, Eidechsen huschen und wenn man Glück hat, findet man sogar ein paar Blumen. In Peru gibt es 67 Lomas, die 783 000 Hektar bedecken und sich von der Meereshöhe bis auf 800 Höhenmeter erstrecken.

Obwohl es in den Lomas nie regnet, nässt der feuchte Nebel den Boden und lässt Gräser, Sträucher und sogar die gelbe Amancaes-Blume während weniger Monate erblühen. Früher pilgerten die Limeños zur Amancaes-Blüte in die Lomas von Manchay, wie es die berühmte Sängerin Chabuca Granda in ihrem Lied “Jose Antonio” besingt.

Die “Flor de Amancaes” blüht nur in den Wintermonaten, wenn der Nebel dicht und feucht ist, wie hier in den Lomas de Pamplona im Juli 2019 ©Hildegard Willer

Die touristische Erschließung des Ökosystems begann 1977. Die ersten wurden in Lomas de Lachay errichtet, 80 Kilometer südlich von Lima. Das ist ein Naherholungsgebiet vor allem für Menschen der Mittelschicht – denn man kommt nur mit dem Auto dorthin. 2003 errichteten die Bewohner*innen des Dorfes Quebrada Verde einen Loma-Rundweg in dem Vorort Pachacamac. Da er gut mit dem Bus zu erreichen ist, wurde er zum Ausflugsziel für Limeños, die sich am Sonntag in der Natur bewegen wollten, anstatt in eines der beliebten Schlemmerlokale zu gehen.

Vom grünen Cajamarca in die Steinwüste von Lima

Ascencio Vásquez hatte bereits bemerkt, dass die Hügel hinter seinem Haus in den Wintermonaten von Juli bis September immer grüner werden. Er war sie des Öfteren hochgelaufen.

Ascencio Vásquez ist in der nordperuanischen Region Cajamarca geboren und liebt die Berge und die Natur. Viele Jahre hatte er als Bauer auf dem Land gearbeitet. Daneben schrieb er Gedichte und Erzählungen, die er selbst verlegte und in Schulen und Gemeinden verkaufte.

Nach Lima zog er mit seiner Familie auf der Suche nach einer besseren Arbeit. Er wurde Maurer, baute sein Häuschen in Primavera und begann, seine Nachbar*innen für den Erhalt der Lomas von Primavera zu organisieren, nachdem er bei einer Informationsveranstaltung der Stadt von der Bedeutung der Lomas gehört hatte.  Dass sie ein einzigartiges Ökosystem sind und potentieller Erholungsraum für die Bewohner*innen von Lima.

Jugendliche Besucher der Lomas de Primavera im Juli 2022. Obwohl Winter, bringt der Nebel zu wenig Feuchtigkeit, um die Wüste erblühen zu lassen. ©Hildegard Willer

Der Anfang war hart: Von14 Nachbar*innen blieben gerade mal fünf übrig. Die anderen sprangen ab, als sie merkten, dass sie mit diesem Engagement keinen Gewinn machten.

Ascencio Vásquez und seine Familie blieben dabei. 2016 gründeten sie den Ökologischen Verein Lomas von Primavera. Der hat mittlerweile zehn Mitglieder. Sie legen Wege an, stellen Hinweisschilder auf. Dabei arbeiten sie mit der Stadtverwaltung und anderen Behörden zusammen. All dies ist Freiwilligenarbeit. Sie verdienen nur etwas, wenn Gäste sie für die Führung bezahlen oder Getränke kaufen. Vom Eintrittspreis von umgerechnet 1,50 Euro halten sie die Wege instand.

Dank der Werbung auf Facebook sind nach und nach immer mehr Ausflügler*innen gekommen. Ascencio Vásquez führt gewissenhaft Buch: 450 Besucher*innen waren es im Jahr 2015; 4000 im Jahr 2019. Bis Corona kam und sie schließen mussten.

Erst 2022 läuft der Betrieb langsam wieder an – mit bisher 1000 Besucher*innen.

Wie in Primavera haben sich auch in anderen Teilen Limas Bürgerinitiativen zum Schutz der Lomas gebildet. 14 von ihnen haben sich im Netzwerk der Lomas zusammengeschlossen. Ascencio Vasquez ist dessen Vorsitzender.

Es geht um viel Geld

Doch die größten Kopfschmerzen bereiten Ascencio Vasquez die Grundstücksspekulanten. Einige Nachbar*innen unterstellen ihm, er würde sich nur für die Lomas engagieren, um sich die Grundstücke unter den Nagel zu reißen, berichtet Ascencio Vasquez. Bei seinen Besuchen in den Lomas sieht er immer wieder abgegrenzte Grundstücke, manchmal mit einer Hütte drauf.

Die Hügel gehören dem Staat und sind seit einigen Jahren sogar ein städtisches Naturschutzgebiet. Doch das stört die Grundstücksspekulanten nicht. Sie nutzen die Wohnungsnot der Menschen aus, um sich zu bereichern.

Grüne Loma de Pamplona (Süden Limas) im Juli 2019. Das Schild der Stadt warnt vor illegaler Landnahme. Foto: Hildegard Willer

Die Menschen, die dort wild siedeln, haben einer Schwindelfirma Geld bezahlt für ein Grundstück, das gar nicht im Grundbuch eingetragen ist. Oder sie haben von Spekulanten Geld erhalten, um Land zu besetzen.

Damit nutzen sie schamlos eine Besonderheit des peruanischen Gesetzes aus:  Landbesetzer*innen können nach einigen Jahren ihr Grundstück legalisieren und dann legal weiterverkaufen. Bürgermeister*innen sind oft nicht erpicht auf die negative Propaganda, wenn sie Landbesetzer*innen mit Gewalt vertreiben.

„Wir wissen, wo du wohnst“, „wir werden dich töten”: Mehrfach wurde er bei Gemeindeversammlungen bedroht.  Ascencio Vásquez bekam es mit der Angst zu tun, bat um Polizeischutz. Doch die Behörden können ihn nur begrenzt schützen. Sie haben zu wenig Mittel oder auch kein Interesse, sagt er.

Doch die Grundstückspekulanten sind nicht die einzigen, die sich die Hügel einverleiben wollen: Firmen bauen Ton und Sand ab für die nie abnehmende Bauwut in Lima.

Die Wüste blüht heuer nicht

„Da, hast du die Eidechse gesehen? Und dort ist ein wilder Tomatenstrauch.“ Ascencio und Rosa gehen schnellen Schrittes die Hügel hoch.  Sie kennen die Flora und Fauna der Lomas. Uhus gibt es dort, blaue Wespen, Wildkartoffeln und schwarze Brennnesseln.

Doch im Juli 2022 bleiben die Lomas braun. Allenfalls ein wenig dunkelgrün schimmert es da und dort, wo sonst um diese Jahreszeit grüne Büschel wachsen. „Nach 2020 ist es schon das zweite Jahr, dass die Lomas zu trocken sind“, sagt Ascencio Vásquez. Der Winternebel enthält nicht genug Feuchtigkeit, um die Wüste zum Blühen zu bringen. Noch sei die Datenlage zu gering, um sagen zu können, dass dies dem Klimawandel geschuldet ist. Besorgniserregend ist es auf jeden Fall.

Ascencio Vásquez beim Abstieg vom “Colchón de Nubes”. Im Jahr 2022 war der Nebel zu wenig dicht und feucht. Die Lomas sind nicht grün geworden. ©Hildegard Willer

Ascencio hat seinen Anorak ausgezogen. Je höher er steigt, desto kräftiger dringt die Sonne durch die nur noch hauchdünne Wolkenschicht. Noch 200 Meter und er ist am Ziel: Er hat die Wolkendecke hinter sich gelassen. Der Himmel ist blau. Ascencio Vásquez schaut hinunter auf die zum Greifen nahen Wolken.

Für diesen Moment, sagt er, lohnt sich all der Ärger, all die Mühe.

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