Der Vorstand der Kukama-Frauen. In der Mitte die Vorsitzende Mariluz Canaquiry (© Gabriel Salazar)

Umweltheldinnen: Geballte Frauenpower für einen Fluss

Mariluz Canaquiry und Mari Tello setzen sich dafür ein, dass der Fluss Marañón eigene Rechte erhält.

In den Untiefen des Flusses, den „Cochas“, lebt die Purahua, die große Schlange. Man nennt sie auch die Mutter des Flusses und allen Lebens. Von ihrem Schleim nähren sich die Fische und alle Lebewesen des Flusses. Stirbt die Purahua, die große Mutter, wird auch bald der Fluss versiegen.

Ihr Großvater und ihre Mutter haben ihr als Kind bereits von der Purahua erzählt. Mariluz Canaquiry kann sich gut daran erinnern. Die Alten haben noch ihre Sprache Kukama gesprochen – aber bereits Mariluz Canaquiry, die heute 54 Jahre alt ist, vierfache Mutter und sechsfache Großmutter, hat nicht mehr Kukama gelernt. Sie kann heute gerade noch ein paar Wörter in der Sprache ihrer Vorfahren sagen. „Meine Eltern haben sich für ihre Sprache geschämt und wollten nicht, dass wir sie lernen“, sagt sie voller Bedauern.

Die grosse Mutter Schlange ist der Grund allen Lebens im Fluss. Wandgemälde im Radio Ucamara in Nauta. (© Hildegard Willer)

In ihrem Dorf Shapajilla, eine Tagesreise mit dem Boot von der Kleinstadt Nauta am Fluss Marañón entfernt, lebt sie heute von den Bananen, dem Maniok und dem Mais, den sie anbaut. Wenn es Fische zu essen gibt, dann ist das ein Festtag. „Früher, wenn die Fische flussaufwärts zogen, auf der Suche nach Nahrung, konnten wir so viele fangen, dass wir sie einsalzen und für das ganze Jahr aufbewahren konnten“, erinnert sich Mariluz. Diese Zeit sei längst vorbei. Immer weniger Fische leben im Marañón und seinen Zuflüssen.

Eine Pipeline und eine geplante Wasser-Schnellstraße gefährden den Fluss

Schuld daran sind unter anderem das Erdöl, das immer wieder aus den Bohrlöchern und der Pipeline in den Fluss gelangt. Denn seit über 50 Jahren wird mitten im peruanischen Amazonasgebiet Erdöl gefördert. Sei langem kämpft Mariluz dagegen. Doch nichts macht sie so wütend wie der Plan der peruanischen Regierung,den Marañón auszubaggern, damit große Schiffe dort fahren können.

Der Fluss gibt Nahrung, Wasser zum Kochen und Waschen, ist Badezimmer, Waschküche, Spielplatz für die Kinder und Verkehrsweg in einem. Wo er sich mit dem Ucayali-Fluss vereint, ist er 1,7 Kilometer breit. Ab dort heißt der Fluss Amazonas. 

Wenn die Bagger kommen, dann würden sie das Leben am Fluss umkrempeln und vieles zerstören.

Das will Mariluz Canaquiry verhindern. Sie ist Vorsitzende des Verbandes der Kukama-Frauen „Federación Huaynakana Kamatahuara Kana“. Der  Verband klagte mit Hilfe der Menschenrechtsorganisation Instituto de Defensa Legal gegen die Ausbaggerung des Flusses. Eine zweite Klage richtete sich gegen die Behörden, die ihnen die Auszahlung de ihnen zustehenden Gelder aus den Erdölabgaben verweigerten oder verschlampten. 

Mariluz Canaquiry (mitte) mit zwei Frauen vom Vorstand der Kukama-Frauen (© Quisca Producciones)

Doch die wichtigste Klage reichten die Kukama-Frauen im Oktober 2021 ein. Am 7. Oktober 2021 hat Mariluz Canaquiry folgende Klageschrift  beim Gericht in Iquitos abgegeben: Der Fluss Marañón soll eine eigene Rechtspersönlichkeit bekommen und damit auf die Einhaltung folgender Rechte klagen können: auf Existenz;frei zu fließen;als Ökosystem ungehindert zu funktionieren; Freiheit von Verschmutzung; Recht, von den Zuflüssen genährt zu werden; Recht auf Biodiversität und einiges andere.

Ein Fluss klagt an

In Kolumbien, Neuseeland und Kanada haben Gerichte Flüssen bereits die Rechtsperson zugesprochen. In Peru ist die Klage der Kukama-Frauen die erste dieser Art. Mariluz Canaquiry hofft, dass mit der Anerkennung des Flusses als Rechtssubjekt der Marañón endgültig vor Eingriffen geschützt wird: seien es Staudämme, Erdölbohrungen, Goldsucher oder Holzfäller. Und vor dem Ausbau der Wasserstraße. 

Der ist zwar vorläufig gestoppt, weil die Firma sich zurückgezogen hat. Noch ist aber nicht klar, ob der Staat das Vorhaben aufgegeben habe, sagt Canaquiry. Gerade an der Mündung des Samiria-Flusses in den Marañón gebe es besonders viele Untiefen, in denen nicht nur die Große Mutterschlange wohnt, sondern auch die Toten der Gemeinden. In der Kosmovision der Kukama leben die Toten oder Verschwundenen unter Wasser in Städten. Und diese sollen nun durch Bagger zerstört werden? Ein Drama. 

Die Frauen packen an

Es ist kein Zufall, dass es vor allem die Frauen sind, die sich um die Umwelt Sorgen machen. „Wir Frauen kümmern uns um die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen, wir möchten, dass sie mehr Chancen haben“, sagt Mariluz Caniquiry. Die Männer hätten eine solche Klage  nie in die Wege geleitet, meint sie.

Vor 21 Jahren hat sie den Verband der Kukama-Frauen mitgegründet. Heute gehören dem Verband Frauen aus 29 Dörfern an. 

Mariluz Canaquiry hat beim Gericht in Iquitos die Klage auf Rechtspersönlichkeit des Flusses Maranón eingereicht (© Quisca Producciones)

Frauenrechte kamen zuerst

Es war nicht leicht, sich als Frau bei den männlichen Dorfoberen Gehör zu verschaffen, erinnert sich Mariluz. „Frauensachen seien das”, hätten die Männer gesagt, wenn sie sich zu Gesundheitsthemen oder zur Schule ihrer Kinder äußerte. Dabei war Mariluz nie schüchtern, mischte sich schon als junge Frau ein in das Dorfleben, übernahm Posten im kommunalen Glas- Milch-Programm und in der Pfarrei.  „Ich werde wütend, wenn ich sehe, dass unsere Kinder keine Bildung erhalten, oder wir bei den Behörden abgewiesen werden“, sagt Mariluz Canaquiry. Dass sie, nur weil sie ungebildete Indigene seien, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben – obwohl aus ihrem Gebiet Erdöl im Wert von Millionen von Dollar herausgeholt wurde. „Diese Ungleichheit erzürnt mich und spornt mich an, weiterzumachen“, 

Heute sei vieles besser für die Kukama-Frauen. Doch immer noch gäbe es Frauen, die auf die Bitte, mitzumachen, antworten: Da muss ich erst meinen Mann oder meinen Sohn fragen.

Dass die Frauen mit der Klage eine große Öffentlichkeit erreichten, hat einigen Männern aus den traditionellen Indigenen-Organisationen gar nicht gepasst. „Wie können Frauen dazu etwas zum Territorium sagen, wenn sie doch gar kein Land besitzen?“ sei einer der Sprüche gewesen. 

Die Frauen waschen und kochen mit dem Wasser aus dem Fluss (© Quisca Producciones)

Verstärkung vom Radio

Eine Verbündete hat Mariluz in ihrer Namensvetterin Mari(lez) Tello von Radio Ucamara in  der Kleinstadt Nauta. Nauta ist von Iquitos knapp 2 Fahrstunden entfernt, und die einzige Stadt, die von Iquitos aus mit einer Strasse verbunden ist. Mariluz ist oft Interview-Gast von Mari Tello in Radio Ucamara. Beide ziehen am selben Strang. Sie wollen, dass der Fluss Marañón besser geschützt word.

 Radio Ucamara ist eins von zwei Radios des katholischen Vikariats von Iquitos. Es ist viel mehr als nur ein Radio: Es gibt den Menschen in den Dörfern eine Stimme und setzt sich für die Bewahrung der Kukama-Kultur ein. 

Mari Tello von Radio Ucamara, Nauta (© Jose Ronal Silvano)

Auf das Thema Umweltschutz ist Radio Ucamara durch die vielen Erdölunfälle gekommen. 2010 gab es einen Schiffsunfall, bei dem Erdöl in den Fluss lief. 2014 brach in einem der Dörfer die staatliche Pipeline. Die Erdölschlieren zogen den ganzen Fluss hinunter und machten das Wasser vieler Gemeinden unbrauchbar. Seither ist die Pipeline immer wieder gebrochen – sei es wegen schlechter Wartung oder wegen Sabotage. Die Leidtragenden sind die Menschen in den Dörfern, die dann kein Wasser mehr haben.  Dass seit 2014 die Erdölverschmutzung in der Hauptstadt Lima und im Ausland wahrgenommen wird, liegt auch an der unermüdlichen Arbeit von Radio Ucamara. „In keinem anderen Radiosender hörte man etwas von den Erdölunfällen“, erinnert sich Mari. Eine Video-Reportage von Radio Ucamara  über den letzten Unfall vom 16. September 2022 kann man auf Youtube mit deutschen Untertiteln anschauenEine Kindheit mit Erdöl

Die Probleme mit dem Erdöl kennt Mari Tello seit ihrer Kindheit in einem Dorf nahe einem Bohrloch. Erdölaustritte waren Alltag, doch niemanden schien das zu kümmern. Die staatliche Erdölfirma redete den Leuten sogar ein, das Erdöl im Wasser sei unschädlich. Erst nach und nach, sagt Mari Tello,  würden die Menschen gewahr, wie gefährlich Erdöl ist, wenn es mit der Haut in Berührung kommt oder sogar geschluckt wird. 

Dass seit 2014 die Erdölverschmutzung n der Hauptstadt Lima und im Ausland wahrgenommen wird, liegt auch an der unermüdlichen Arbeit von Radio Ucamara. „In keinem anderen Radiosender hörte man etwas von den Erdölunfällen“, erinnert sich Mari. Radio Ucamara dagegen berichtet aus den Dörfern, lässt die Menschen erzählen, fragt bei den Behörden nach Hilfe nach. Radio Ucamara betreibt aber auch lokale Geschichtsforschung, schreibt z.Bsp. die Erinnerungen der alten Kukama an den Kautschuk-Boom vor fast 100 Jahren und seine Nachwirkungen auf. Neben Radio gehören auch Videos zu ihrem Reportoire. Eine Video-Reportage  von Radio Ucamara über den letzten Unfall vom 16. September 2022 kann man auf Youtube mit deutschen Untertiteln anschauen.

Vor ein paar Jahren hat ein Team von Radio Ucamara die Menschen in den Dörfern befragt, was der Fluss für sie bedeutet, und hat sie gebeten, Landkarten des Flusses zu zeichnen. Das Ergebnis war eindeutig: In den Augen der Leute, ist der Fluss sehr viel mehr als nur ein nützliches Gewässer.  Bilder aus dieser „spirituellen“ Fluss-Landkarte schmücken heute die Wände am Eingang zu Radio Ucamara in Nauta. Mari Tello möchte, dass ihre Radioarbeit vor allem den Menschen in den Dörfern zugutekommen soll, die am wenigsten Zugang zu Medien, Bildung und Informationen haben. „Denn wir alle, die im Radio arbeiten, kommen ursprünglich aus einem Dorf am Fluss.

Mari Tello und ihre Radiokollegin Rita Munoz vor dem Wandgemälde in Radio Ucamara, Nauta. (© Hildegard Willer)

Die Klage der Kukama-Frauen für den Marañón-Fluss wurde vom Gericht in Iquitos an das Gericht in Nauta weitergegeben. Einmal hat sie der zuständige Richter angehört. Während die Frauen auf einen Richterspruch warten, haben sie bereits eingereicht. Die Frauen fordern ihr Recht auf sauberes Wasser. Trinkwasserleitungen für alle 29 Gemeinden müsse der Staat bereitstellen. Die Zeiten, wo die Frauen Eimer voller – oft nicht trinktaugliches – Wasser vom Fluss hochtragen, sollen bald der Vergangenheit angehören.