Liebe Leserin, lieber Leser,
in Peru haben wir drei aufregende Monate hinter uns: zuerst der überraschende Putschversuch Pedro Castillos und dessen Absetzung durch das Parlament.
Die Amtsübernahme der Vizepräsidentin Dina Boluarte. Die Proteste, die von Südperu ausgingen, und im Januar und Februar auch die Hauptstadt erreichten. Wochenlang waren die Straßen halb Perus blockiert, Regionalflughäfen geschlossen. Die Proteste hinterließen einen Saldo von 49 von Polizei und Militär erschossenen junge Demonstrant*innen, 10 weiteren Todesopfern und 6 toten Soldaten.
In anderen Ländern hätte mindestens der/die Innenminister*in zurücktreten müssen. In Peru geschah nichts. Präsidentin Boluarte beglückwünschte stattdessen die Polizei. Offizielle Untersuchungsergebnisse der Todesfälle lassen auf sich warten.
Die Repression, die polizeiliche Verfolgung von Demonstrierenden und jedem, der sie unterstützte, und schließlich auch die Notwendigkeit der Demonstrierenden, wieder Geld verdienen zu müssen, haben die Proteste heute fast zum Erliegen gebracht. Stundenweise legen die Marktfrauen in Puno und Juliaca noch aus Protest ihre Arbeit nieder. Aber in Lima und dem Rest Perus scheint das Leben weiterzugehen wie vorher.
Auf den ersten Blick mag es erscheinen, als ob die Proteste nichts gebracht hätten: keine der Forderungen ist aufgenommen worden. Regierung und Kongress scheren sich keinen Deut um ihre negativen Umfragewerte und wollen bis 2026 im Amt bleiben. Die Regierung in Lima deutet die anscheinende Ruhe als Sieg über die aufständischen „Indios“ aus dem Süden.
Doch die Ruhe ist trügerisch. Die Wut, die Empörung, die Trauer sind weiterhin mächtig und werden sich Bahn brechen. Sei es in kleinen lokalen Protesten oder im nächsten „Marsch auf Lima“. Wahr ist aber auch, dass Puno oder Cusco alleine keinen Politikwechsel erreichen können. Für den Erfolg der Forderungen braucht es die Unterstützung anderer Regionen und der Hauptstadtbevölkerung, die ein Drittel aller Peruaner*innen ausmacht. Doch wenn die Proteste den Samen gelegt haben für eine neue politische, landesweite Kraft der indigenen Quechua und Aymara, so wäre dies ein großer Fortschritt auf dem Weg zu einer Demokratie, die die Diversität nicht mehr diskriminiert, sondern anerkennt.
Die politischen Geschehnisse der letzten Monate werfen viele Fragen auf, denen wir von der Infostelle Peru mit zwei Veranstaltungen nachgehen wollen. Im Online-Podium „Politische Krise und indigener Widerstand“ am 26. April und am Peru-Seminar vom 5. – 7. Mai in Köln (auch online-Teilnahme möglich) werden wir mit kundigen Gesprächspartner*innen eine vorläufige Bilanz der sozialen Proteste ziehen. Ich hoffe, Sie können dabei sein.
Hildegard Willer