Indigene Organisationen präsentieren ihren alternativen Bericht ueber die Umsetzung der ILO Konvention 169
Rund 65 Kilometer nördlich von Cusco sucht die kanadische Firma Focus Ventures Ltd. auf einem 400 Hektar grossen Gebiet nach Kupfer und Molybdän. Betroffen von dem Projekt sind die Kollektivrechte der Bauerngemeinschaft Parobamba. Anfang September 2015 einigten sich das Ministerium für Energie und Bergbau (MINEM) und die Gemeinschaft Parobamba auf den Plan für das Konsultationsverfahren zum Bergbauprojekt Aurora. Das ist – 20 Jahre nachdem Peru die ILO-Konvention 169 unterschrieben hat – das erste Konsultationsverfahren in Peru, das im Bereich Bergbau eingeleitet und inzwischen auch durchgeführt wurde.
Ende Januar veröffentlichten indigene Organisationen mit Unterstuetzung von Nichtregierungsorganisationen ihren jaehrlichen Schattenbericht (Informe Alternativo) zur ILO-Konvention 169. Darin analysieren sie Ereignisse und Gesetzgebungs-Prozesse im Zeitraum von Juli 2013 bis Juni 2015 und berichten über Fort- und Rückschritte bei der Umsetzung der ILO-Konvention. Die ILO erarbeitet ihre Empfehlungen an den peruanischen Staat auf der Grundlage beider Berichte, des offiziellen und des Schattenberichts. Die Entwicklungen bei der Umsetzung des Rechts auf vorherige informierte Konsultation ist das zentrale Thema im Bericht.
Dass seit 2015 auch bei Bergbauprojekten Konsultationsverfahren durchgeführt werden, ist grundsätzlich ein Fortschritt. Wie Javier Jahncke vom berbaukritischen Red Muqui anlässlich der Präsentation des Schattenberichts festhielt, ist es jedoch entscheidend, in welcher Etappe eines Projekts konsultiert wird und welche Dokumente Gegenstand der Konsultation sind. So lagen beim Aurora-Projekt die Bestätigung der Umweltverträglichkeit wie auch die Bewilligung für die oberflächliche Landnutzung schon vor, als die Gemeinschaft Parobamba und MINEM den Plan für den Konsultationsprozess vereinbarten. Das heisst, weder die Umweltauswirkungen des Projekts noch die Bedingungen zu denen der gemeindeeigene Boden genutzt werden darf, war Gegenstand der Konsultation. „Was wird denn überhaupt noch konsultiert, wenn anscheinend schon alles definiert ist“, fragte die Nichtregierungsorganisation Cooparacción.
Eine der Empfehlungen des Schattenberichts lautet daher, dass Konsultationsverfahren in allen Etappen eines Projekten (Planung, Vergabe von Rechten, Umweltverträglichkeitsprüfung, Schliessung der Operation) organisiert werden sollten, die mit den Rechten der indigenen Bevölkerung in Konflikt kommen können.
Verweigerte Konsultationbegehren
Allein 2014 wurden laut Daniel Sánchez, dem Ombudsmann für indigene Völker, 16 Bergbauprojekte ohne vorherige Konsultation bewilligt. In neun Fällen begründete das MINEM dies mit der Inexistenz von indigenen Völkern in der Projektgegend. Die entsprechenden Unterlagen des Kulturministeriums, auf die sich das MINEM stützte, sind nicht Teil der Projektdossiers, zudem widersprechen sie den Bevölkerungsdaten der Ombudsstelle für indigene Völker. In fünf Fällen lautete die Begründung, dass die betroffenen Gemeinschaften “freiwillig” auf ihre Kondition als indigene verzichtet hätten. In den übrigen Fällen stützte sich der Entscheid des MINEM auf Expertenberichte, die den betroffenen Gemeinschaften einen ethnischen Charakter absprechen – dies obwohl 95% der BewohnerInnen Quechua sprechen.
Auch der Bauerngemeinschaft Sajo in Puno wurde ein Konsultationsverfahren verweigert, als sie Ende 2013 verlangten, zur Vergabe der Parzelle 156 an Perupetro informiert und angehört zu werden. Ebenso erging es 73 Awajún und Wampis-Gemeinschaften in der Amazonasregion, die ein Konsultationsverfahren zur Vergabe einer Erdöllizenz (Lote 116) auf ihrem Territorium beantragten.
In beiden Fällen argumentierte das zuständige Ministerium, dass die entsprechenden Lizenzen erteilt worden waren, bevor 2012 das Gesetz zur vorherigen Konsultation in Kraft trat. Wie der Schattenbericht klarstellt, hat der peruanische Staat hier Nachhilfebedarf in internationalem Recht. Denn es stimmt zwar, dass das Gesetz keine rückwirkende Rechtskraft hat, jedoch ist nach internationalem Recht jedes Land verpflichtet, unterschriebene Übereinkommen umzusetzen, auch wenn noch keine nationalen Gesetze dafür bestehen.
Chaos beim Recht auf Land
Eine deutliche Verschlechterung der Situation stellt der Schattenericht beim Recht auf Land fest. Das Recht auf Land ist eines der wichtigsten Kollektivrechte der indigenen Völker. Die Artikel 13-19 der ILO-Konvention 169 anerkennen und schützen dieses Recht explizit.
“In den letzten 25 Jahren hat jede Regierung die Spielregeln bezüglich Vergabe der Landtitel geändert” hielt Richard Smith, Direktor des Instituto del Bien Común, anlässlich der Präsentation des Schattenberichts fest. Mit den seit 2013 im Namen der Grossinvestition verabschiedeten Gesetzespaketen, den sogenannten “paquetazos”, wurde der Schutz der kollektiven Rechte auf Land noch einmal markant abgebaut. Zudem bestehen zwischen den verschiedenen Gesetzen, Verordnungen, Reglementen etc. zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten. Gemäss Smith ist diese Unordnung Strategie. “Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele indigene und bäuerliche Gemeinschaften es in Peru gibt, wie viele schon ihre Landrechtstitel erhalten haben und wie viele Vergaben noch ausstehend sind. Das ist nicht, weil die technischen Mittel dazu fehlen oder weil die Zahl vernachlässigbar ist, es ist vielmehr Teil der Strategie des Staates, die indigene Bevölkerung unsichtbar zu machen.”
Die unklare Gesetzeslage und das Fehlen einer Politik zur Vergabe der Landrechtstitel führen zu zahlreichen Konflikten. Ein exemplarischer Fall ist die Shawi-Gemeinschaft San José im Departament San Martín: Sie kämpft gegen die Vergabe von Teilen ihres Landes an die beiden Palmöl-Firmen Onasor und Zocre sowie der Romero-Gruppe.
Staat schützt nicht sondern tötet
Ebenfalls negativ ist das Panorama in Bezug auf die interkulturelle Justiz und die Sicherheit der indigenen Bevölkerung. Zwar stellen die Autoren des Schattenberichts gewisse Fortschritte fest, wie beispielsweise die Förderung des Zugangs zur Justiz in den Sprachen der indigenen Bevölkerung. Diese sind jedoch nur ein kleines Gegengewicht zu der prekären Situation der (indigenen) Menschrechtsverteidiger. Der Bericht listet alle 44 Zivilpersonen auf, die bisher unter der Regierung von Ollanta Humala durch missbräuchlichen Einsatz von Staatsgewalt in Situationen von sozialem Protest ums Leben gekommen sind. Dazu gezählt werden müssen Alberto Cárdenas, Exaltación Huamani und Beto Chahuallo, die Ende September 2015 (nach Redaktionsschluss des Berichts) beim Konflikt um die Mine Las Bambas getötet wurden.
Die Faktoren, die gemäss Autoren zu diesen alarmierenden Zahlen führen sind: Gesetzliche Rahmenbedingungen; die von Militär und Polizei begangene Menschenrechtsverletzungen weitgehend straffrei lassen; Einsatz von tödlichen Waffen zur Kontrolle von sozialen Protesten; mangelnde Ausbildung und Ausrüstung der Polizei; Einsatz der Polizei als privater Sicherheitsdienst von (Bergbau-)Firmen; Einsatz von Militär zur Kontrolle von Protesten; Ausrufung von Ausnahmezustand in Kontexten von sozialem Protest.
Neben der erwähnten Straflosigkeit und der zunehmenden Kriminalisierung des sozialen Protests wirft der Bericht dem peruanischen Staat auch Versagen bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht vor. So ist es laut Autoren des Berichts zunehmend einfacher, unbequeme Personen “eliminieren” zu lassen. Indigene Anführer, die sich gegen die irrationale Ausbeutung ihrer Gebiete wehren, sind dabei in einer besonders verletzlichen Situation. Der 2014 ermordete Asháninka-Führer Edwin Chota und Máxima Acuña de Chaupe, die den Einschüchterungsversuchen durch die Yanacocha-Mine standhält, sind nur die beiden bekanntesten Beispiele dieser prekären Situation.
Flurina Doppler
Die Sozialanthropologin Flurina Doppler arbeitet seit September 2015 als Comundo-Fachperson bei der Nichtregierungsorganisation Forum Solidaridad Perú in Lima.