Alle paar Jahre reise ich dienstlich, als Vertreter der Infostelle, nach Peru.
Vom 24. Juli bis 15. August war ich wieder dort, um vor allem mich mit Partnerorganisationen zu treffen, mit denen wir regelmäßig oder gelegentlich im Rahmen unserer Arbeit Kontakt haben. Bei meinen Reisen außerhalb von Lima besuche ich Orte und Projekte, an denen ich Gespräche führen und Eindrücke sammeln kann über Probleme und Konflikte, die etwas mit unserer Arbeit bzw. mit Deutschland/Europa zu tun haben. Dies waren in diesem Jahr die Spargel-Exportproduktion in der Region Trujillo, die sich ausdehnende Palmöl-Produktion in der Region Yurimaguas-Barranquita und Projekte des Deutsch-Peruanischen Gegenwertfonds in der Nähe von Huamanga/Ayacucho.
Im folgenden berichte ich über einige (allgemeine) Erfahrungen aus diesen Gesprächen, aber vor allem über Eindrücke „nebenher“: aus der Zeitung, auf der Straße, unterwegs bei meinen Reisen…
Wahlkampf – wer steht zur Wahl ?
Der Regional- und Kommunalwahlkampf war in den Straßen der Städte unübersehbar: riesige Plakate mit den Gesichtern der Kandidat_innen der verschiedenen Gruppierungen – inhaltliche Aussagen beschränkten sich auf Schlagworte wie „Kraft“, „Einheit“ oder „Sicherheit“. Ich habe mich stark an deutsche Wahlkämpfe erinnert gefühlt.
Aber auch die Zeitungen waren voll von Berichten dazu. Erschrocken bin ich darüber, dass Dutzende von Kandidaten in Gerichtsverfahren wegen Drogenhandel, Korruption oder Sexualdelikten verwickelt waren. Im Lastwagen eines Bürgermeister-Kandidaten wurden (während des Wahlkampfs) 500 kg Kokain gefunden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Korruptions- und Drogenhandels-Verdächtige für Bürgermeister- und andere politische Ämter kandidieren und dann auch zum Teil gewählt werden, ist beunruhigend, „preocupante“, wie auch ein peruanischer Partner meinte.
Die peruanischen Bischöfe haben in einer Stellungnahme zur bevorstehenden Wahl gefordert, solche Kandidaten nicht zu wählen. Ob sich viele Wähler_innen an diesen Rat gehalten haben? Mir fehlt leider die Zeit, um die Wahlergebnisse genauer zu analysieren. Zufrieden mit den zur Wahl stehenden „Alternativen“ schienen aber nicht Alle zu sein. „Kein einziger Kandidat ist gut!“ („Ni un bueno!“) schimpfte ein Taxifahrer auf meine Frage, wer denn wohl in dieser Stadt die besten Wahlchancen hätte.
Korruption und Drogenhandel – (k)ein Grund zur Aufregung?
Diese Themen waren nicht nur wegen der entsprechenden Verfahren gegen Wahl-Kandidaten ein Thema in der Presse und in Gesprächen. Ständig neue Beispiele und Namen haben einen konkreten Eindruck vom Ausmaß und von der Bedeutung dieser Probleme hinterlassen. Sorgen diese Berichte in der peruanischen Bevölkerung – außer bei kritischen Organisationen und Menschen- für Empörung und Protest? Oder führt hier der Gewöhnungs-Effekt zu Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit?
Wachstums-Spuren: unterschiedlich
Gestiegene Kaufkraft und wachsender Wohlstand waren für mich in Lima-Miraflores unübersehbar. Eine große Zahl neuer 15-20stöckiger Hochhäuser wurde in den letzten Jahren und wird aktuell gebaut. Auch wenn Verkaufs- oder Vermietungs-Angebote in einigen Fenstern auf Leerstand hinweisen: es muss eine kaufkräftige (Mittel-)Schicht entstanden sein, die sich solche Wohnungen kaufen oder mieten kann. Auch wenn klar ist, dass eine 8-Millionen-Stadt sich bei der Unterbringung ihrer Bewohner_innen nicht auf zweistöckige Einfamilien-Häuschen stützen kann, geht dieser Bauboom nach meinem Eindruck ohne Plan und Vorschrift voran. Das direkte Nebeneinander von alten kleinen Häusern und riesigen Hochhäusern sieht nach „Wildwuchs“ aus. Optisch bleibt der Eindruck, dass die kleinen Häuser zwischen den großen eingequetscht und erdrückt werden.
In anderen Teilen der Stadt sind solche Wachstums-Spuren nicht oder nicht zu sehen. In vielen Außenbezirken Limas und anderer Städte hat sich nach meinem Eindruck nur wenig verändert. Die kleinen einfachen Häuser dort sehen nicht nach wohlhabenden Familien und die unbefestigten „Straßen“ nicht nach städtischer Infrastrukturförderung aus. Statt „Wohlstand“ fällt mir hier immer noch „Elend“ ein. „Das Wachstum in Peru ist bei uns nicht angekommen“, sagte mir eine Frau aus dem Team der Volksküche in Laderas de Chillon (Puente Piedra/Lima). Ich war dort vor 11 Jahren das erste Mal gewesen und hatte bei meinem jetzigen Besuch den Eindruck, dass sich wenig zum Besseren verändert hat. Die 1985 entstandene Siedlung hat erst vor wenigen Jahren den Anschluss ans Wassernetz bekommen. Viele Frauen haben keine Arbeit, sind alleinerziehend und wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Und am Rande von Laderas siedeln sich ständig neue Familien aus verschiedenen Teilen Perus an.
Partner unter finanziellem Druck
Die Gespräche mit den ca. 20 Partner-Organisationen, wichtigster Bestandteil meiner Reise, waren geprägt vom gegenseitigen Interesse an der Arbeit, an inhaltlichen „Berührungspunkten“ und Kooperation.
Ein persönlicher Kontakt ist nicht nur wichtig für die Information über aktuelle Arbeitsschwerpunkte und den Austausch über die Einschätzung der (aktuellen) Situation, sondern auch eine gute Ausgangsbasis für gemeinsame Aktionen. Aus einigen Gesprächen ergaben sich konkrete Verabredungen für die nächsten Monate.
Die Sorge um die Finanzierung ihrer Arbeit war deutlicher zu spüren als bei meinen vergangenen Reisen: vielen Nichtregierungsorganisationen sind in den letzten Jahren Gelder und Unterstützungsmöglichkeiten verloren gegangen – unter anderem dadurch, dass Hilfsorganisationen, die ihre Arbeit bisher mitfinanziert haben, sich aus Peru zurückgezogen haben. Die Konsequenz, bereits vollzogen oder angedacht: Personelle und räumliche Verkleinerung bzw. Veränderung. „Estamos buscando fondos“, sagten mir mehrere Gesprächspartner_innen. Diese Sorgen konnte ich gut nachempfinden – die Infostelle kämpft ja auch seit vielen Jahren um eine ausreichende Finanzierung ihrer minimalen personellen und sachlichen Ausstattung. Dies habe ich an dieser Stelle immer auch kurz erwähnt, das ist auch den meisten unserer Partnerorganisationen bekannt.
Überlebens-Energie
Bewundernswert und Mut machend empfinde ich immer wieder die Begegnung mit Menschen, die sich – z. B. in den Randvierteln von Lima- mutig und unbeirrt für die Veränderung und Verbesserung ihrer eigenen Situation und der ihrer Mitbewohner_innen einsetzen. Auch wenn Infrastruktur und Versorgung in den letzten Jahren verbessert wurden, einige Häuser ein zweites Stockwerk und einen Verputz bekommen haben: wenn man mit dem Bus aus den Zentren der Städte durch diese Siedlungen fährt, ist die Armut und Unterversorgung nicht zu übersehen. Vom Aufschwung und Wachstum Perus ist dort nichts oder wenig zu sehen. Es hat mich auch bei diesem Aufenthalt beeindruckt, dass Menschen in dieser Situation nicht resignieren oder verzweifeln. Dass sie bei ihren Projekten und ihrer Arbeit – politisch und finanziell- unterstützt werden und sich schließlich auch zu Gehör bringen und durchsetzen können, ist auch Anliegen unserer Arbeit.
Jimi Merk (Geschäftsführer Infostelle Peru)
3 Gedanken zu “Reisebericht: Deprimierendes und Mut-Machendes zugleich”
Su pequena hoja informativa me es muy útil para no perder el contacto con mi segunda patria de 16 anos. Quiero felicitarles por su trabajo que, me parece, es mayormente ad honorem. konrad borst
Ergänzung zu meinem Reisebericht:
Ich hatte in der Einleitung meines Berichts von Gesprächen mit Partnerorganisationen geschrieben und bin gefragt worden, um welche Organisationen es sich dabei handelt. Hier eine kurze Erklärung:
Ich habe mich mit vielen Nichtregierungs- und kirchlichen Organisationen getroffen, die zu dem gleichen Themengebieten arbeiten wie die Infostelle und deren politische Vorstellungen und Ziele mit unseren übereinstimmen.
So habe ich z. B. über das Thema Bergbau gesprochen mit der ONG Cooperacción und dem Netzwerk Red Muqui, in dem verschiedene bergbaukritische Organisationen zusammenarbeiten.
Die aktuelle wirtschaftliche Situation und die Schulden-Problematik waren Inhalt des Gesprächs mit LATINDADD, dem lateinamerikanischen Entschuldungs-Netzwerk (mit Sitz in Lima).
Mit dem Netzwerk RedGE (Red peruana para una globalización con equidad) habe ich darüber gesprochen, wie wir die Implementierung und die Auswirkungen des Freihandelsabkommens der EU mit Kolumbien und Peru kritisch begleiten können.
Verschiedene aktuelle politische Fragen und ihre/unsere Arbeit habe ich mit Vertreter_innen von Forum Solidaridad Perú (z. B. die Megaprojekte in der Selva, der „paquetazo“ der Regierung zur Ankurbelung von Investitionen), des Instituto de Defensa Legal (IDL) und der Comisión Episcopal de Acción Social –CEAS besprochen.
Über das Thema Klimawandel habe ich mit MOCICC – Movimiento Ciudadano Frente al Cambio Climatico, über das Thema Menschenrechte mit der Coordinadora Nacional de Derechos Humanos –CNDDHH und der Asociación Pro Derechos Humanos – APRODEH, über das Thema Probleme des amazonischen Regenwaldes und der Rechte der indigenen Bevölkerung mit dem Centro Amazonico de Antropología y Aplicación Práctica – CAAAAP gesprochen.
Information (für mich), Austausch und Fragen möglicher Kooperation (z. B. Veranstaltungen/Rundreisen in Deutschland, gemeinsame Kampagnen und Aufrufe waren das Ziel dieser Treffen, einige Ideen und konkrete Verabredungen waren das Ergebnis.
Konkrete Kontakte „vor Ort“ gab es in Trujillo (Thema Spargelanbau) mit dem Centro Ecuménico de Promoción y Acción Social Centro Norte, CEDEPAS Norte, der Central de Productores Organizados del Valle Jequetepeque – CEPROVAJE und der Gewerkschaft der Spargel-Exportfirma CAMPOSOL.
Gesprochen habe ich auch mit den Verantwortlichen (in Lima) von Brot für die Welt, Bethlehem-Mission Immensee, der Partnerschaftsarbeit der Erzdiözese Freiburg, des Voluntario-Programms der Erzdiözese Freiburg und des Deutsch-peruanischen Gegenwertfonds.
Soweit zur Erläuterung (nicht aller, aber der meisten) meiner Kontakte in Peru.
Jimi Merk
una apreciación muy útil para mí que parcialmente financiamos desde Alemania la escuela Sol Naciente en Yoshiyama, Pachacútec, Ventanilla. Necesitamos el apoyo financiero desde afuera porque los padres de familia no pagan regularmente y somos una escuela con ambiciones más altas que las escuelas estatales. Los impedidos por ejemplo reciben atención especial. Las clases son pequenas. Gracias por su informe. Konrad Borst