Peru-Seminar: Planspiel Engergiewende und Kupfermine

Gibt es Wege aus der Dauerkrise? Bericht vom Peru-Seminar 2023

Wer schon immer mal Chefin eines Minenunternehmens oder Mitglied der deutschen Regierung sein wollte, war auf dem diesjährigen Peru-Seminar genau richtig:

Beim Planspiel „Energiewende in Deutschland und Kupferabbau in Peru“ galt es, die verschiedenen Rollen im Konflikt um eine Kupfermine möglichst authentisch auszufüllen. Trotz anfänglichen Unbehagens einiger Teilnehmenden galt das Planspiel am Ende für viele als Highlight des Seminars – ist es doch eine ganz andere Form, sich der Frage zu stellen, ob und wie die Energiewende bei uns gelingen kann, ohne dass dies auf Kosten der Menschen und der Umwelt im Umfeld der Kupferminen geht. Denn mit dem zunehmenden Strombedarf steigt die Nachfrage nach Kupfer und anderen Mineralien um ein Vielfaches an. Gibt es Lösungen, bei denen alle Interessen berücksichtigt werden können? Jedenfalls nicht in der Kürze der Zeit unseres Planspiels, so fiel das Fazit am Ende aus. Zwei Runde Tische, die eine Einigung herbeiführen sollten, gingen jedenfalls nicht über freundliche (und manchmal auch weniger freundliche…) Worte und Absichtserklärungen hinaus. Was wiederum eine recht realitätsnahe Erkenntnis sein dürfte… Dennoch bestätigten in der Auswertung alle, die mitgespielt hatten, dass es eine sehr wertvolle Erfahrung sei, dieses schwierige Thema aus den unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, und dies nicht nur theoretisch, sondern sehr praktisch in der Rolle einer Bäuerin aus Mollepampa, eines CEO des Kupferimporteurs oder einer Vertreterin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Peru-Seminar: Verhandlungsrunden beim Planspiel

„Wege aus der Krise“ war der ehrgeizige Titel und Anspruch des Seminars. Beim Planspiel wurde so leicht kein Weg gefunden. Am überzeugendsten fanden die Teilnehmenden Lösungsansätze aus indigenen Konzepten und Perspektiven. In zwei Filmen wurden diese sehr anschaulich: Einer stellte das Konzept des Tajimat Pujut (Gutes Leben) des Volks der Awajún vor (siehe Video auf unserem YouTube-Kanal). Ein anderer erzählte von der erfolgreichen Arbeit der indigenen Gesundheitsinitiative Comando Matico (ebenda zu sehen). Hierüber konnte im Anschluss Alex Shimpukat, Künstler vom Volk der Shipibo-Konibo und Mitbegründer von Comando Matico, im Gespräch mit Elke Falley-Rothkopf noch selbst weiter berichten. Aus der traditionellen Heilpflanze Matico sowie aus Ingwer, Knoblauch und Eukalyptus stellten die Mitglieder einen Sud her und gaben ihn den Erkrankten zu trinken. Dazu kam eine 24-Stunden-Betreuung mit Massagen um die Durchblutung zu verbessern und Übungen um die Lungentätigkeit anzuregen. Von den behandelten 800 Patient*innen starben nur zwei Personen. Alex Shimpukat sieht den Ansatz von Comando Matico als „interkulturelle Medizin“. Der Erfolg zeige, dass indigene Heilmethoden und moderne Medizin sich gut ergänzen können. Die Arbeit von Comando Matico geht auch nach Ende der Pandemie noch weiter. So stellte eine Dorfgemeinschaft zehn Hektar Land für den Anbau von Matico und anderen medizinischen Heilpflanzen zur Verfügung. Staatliche Unterstützung gab es bis heute keine.

Können internationale Abkommen einen Weg aus der Krise weisen? Antonio Zambrano, früher Koordinator der peruanischen Klimaschutzbewegung MOCICC, stellte das Abkommen von Escazú vor, das einzige internationale Abkommen, das verbindlich den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, Umweltschutz und Partizipation regelt (siehe Artikel in diesem InfoPeru). Ob das gerade verhandelte europäische Lieferkettengesetz zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten etwa bei Bergbauprojekten in Peru beitragen kann, hängt sehr davon ab, wie verbindlich es formuliert wird, so Mattes Tempelmann von MISEREOR. Da sich das Vorhaben gerade in der Endphase der Verhandlungen befindet, ist es wichtig, jetzt wirksame und verbindliche Regelungen einzufordern.

Am Freitagabend hatte César Bazán im Gespräch mit Pilar Arroyo vom Instituto Bartolomé de las Casas den Anfang gemacht. Da ging es zunächst darum, die aktuelle politische Krise und ihre Hintergründe zu verstehen. Einen Grund für den Ausbruch der Krise und die Gewalt sah Pilar Arroyo in zwei Gesetzesartikeln, die es dem Kongress und dem Präsidenten ermöglichen, der jeweils andere Seite mit Amtsenthebung bzw. Auflösung zu drohen und sich so gegenseitig zu blockieren.  Darüber hinaus habe der tiefsitzende Rassismus in Peru zu der Überzeugung geführt, ein Campesino aus den Anden könne nicht Präsident sein. Ein weiterer Grund sei die Krise der politischen Parteien, die keine Parteien, sondern „politische Unternehmen“ seien und für persönliche Interessen genutzt würden.

Die Proteste sind im südlichen Andengebiet besonders stark. Aus Sicht der dortigen Bevölkerung hat Präsidentin Dina Boluarte die Wahlentscheidung und Stimme der andinen Bevölkerung verraten. Gewählt als Kandidatin einer linken Partei stützt sie sich jetzt auf rechte Mehrheiten. Ein Grund dafür, dass die Proteste nicht von allen unterstützt werden, sei die Angst, meint Arroyo. Die Mittelschicht Perus glaube den Mehrheitsmedien, die die Proteste mit Terrorismus gleichsetzen. Natürlich spiele auch berechtigte Angst vor Polizeigewalt eine wichtige Rolle.

Für das Nachlassen der Proteste gebe es interne und externe Gründe, erklärte Arroyo. Die internen: Ein Großteil der Protestierenden kommt aus dem Landesinneren und lebt von der Landwirtschaft. In der Erntezeit müssen sich die Menschen um ihre Ernte und ihr Einkommen kümmern. In den südlichen Anden leben 93 Prozent der Bevölkerung von informeller Arbeit, d.h. sie haben keine feste Anstellung und damit kein Einkommen mehr, sobald sie nicht arbeiten. Ein weiterer interner Grund ist, dass keine Bündnisse und Koalitionen mit anderen Regionen des Landes gebildet wurden. Ein wichtiger externer Grund waren die schlimmen Regenfälle. Die Verwüstungen, die sie provoziert haben, sind in den Mittelpunkt der (medialen) Aufmerksamkeit gerückt und haben die Proteste in den Hintergrund rücken lassen. Die Protestierende sagen jedoch: „Wir kommen wieder.“ Dass die Regierung auf die Naturkatastrophen nicht angemessen reagiert hat, führt im Norden zu Protesten. Im restlichen Land führt die fehlende Antwort auf die enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten zu großer Unzufriedenheit.

Peru-Seminar: Arbeitsgruppe

Alexander Shimpukat vom Volk der Shipibo-Konibo ergänzte die Ausführungen von Pilar Arroyo: Die indigenen Völker im Amazonasgebiet waren eher zurückhaltend und beobachtend bei den Protesten. Das, was jetzt bei den Protesten passiert, erlebten sie jedoch schon seit langem: Morde an indigenen Anführer*innen und Straflosigkeit. Schon immer verletze der Staat die Indigenen und ihre Territorien.

In den vier Arbeitsgruppen wurden die angesprochenen Themen vertieft. Und am Sonntagmorgen konnten die Teilnehmenden beim Markt der Möglichkeiten noch Projektideen, Initiativen und Vereine kennenlernen bzw. selbst vorstellen: von einem geplanten Dokumentarkurzfilm über die Postkartenaktion der Initiative Lieferkettengesetz, Projekte der Infostelle bis hin zur Arbeit der Paulo Freire Gesellschaft Berlin, der Städtepartnerschaft Treptow-Köpenick und des Vereins Infoe.

Stimmen zum Seminar: „Ein toller Ort des Dialogs und der Diskussion! Ich gehe mit vielen Fragen, aber auch mit der Motivation, mich für eine gerechtere Welt zu engagieren.“ „Eine sehr spannende und anregende Atmosphäre, mit vielen anregenden Zwischengesprächen!“ „Es war wie eine Kurzreise nach Peru.“

Annette Brox

 Präsentationen der Referent*innen zum Download:

Präsentation Kupfer

Patient Peru_Fabiola Torres

Lieferkettengesetz_Mattes Tempelmann

Abkommen von Escazú_Antonio Zambrano