Pfarrer Luis Zambrano von Juliaca ©Franziska Schilliger

“Sie sind gekommen mit der Absicht, zu töten”

Ein Gespräch mit Pater Luis Zambrano über das Massaker vom 9. Januar 2023 in Juliaca.

Er sei ein Mestize mit der Seele eines Indigenen, sagt Lucho Zambrano von sich selbst. Der 77-jährige katholische Priester und Dichter ist in Ica, an der Küste, geboren und aufgewachsen. Doch seit 40 Jahren lebt und arbeitet er in Puno. Seit 30 Jahren ist er Pfarrer in „Pueblo de Dios“, einer Pfarrei mit 120 000 Menschen in Juliaca. Die meisten von ihnen sind formelle und informelle Händler.

Als Krankenhausseelsorger wurde er kurz nach dem Massaker vom 9. Januar 2023 von den Angehörigen der Erschossenen gerufen. Er wurde Augenzeuge der Folgen der Verletzungen, Vertrauter der Angehörigen und war einer der wenigen Priester, die sich öffentlich für die Rechte der Demonstranten aussprach und die Repression der Regierung anklagte und verurteilte.  Dafür hat ihn die peruanische Menschenrechtskoordination mit ihrem diesjährigen Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

Bekannt wurde ein Video von La Mula TV, in dem Padre Lucho Zambrano in seiner Kirche die leeren Tränengashülsen ausleerte und erzählte, was er gesehen hat.

Hildegard Willer hat ihn in Juliaca getroffen, wenige Tage bevor ihm in Lima der Preis der Menschenrechtskoordination überreicht wurde.

Pfarrer Luis Zambrano, Juliaca ©Franziska Schilliger

Infostelle Peru: Lucho, wie hast Du die Proteste, die Erschießung der Demonstranten, am 9. Januar dieses Jahres erlebt?

Luis Zambrano: Ich habe die Jahre des internen bewaffneten Konflikts erlebt, die Jahre des Terrorismus, und ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass ich jetzt, mit 77 Jahren, noch einmal dasselbe erleben würde.

Als Pedro Castillo im Dezember 2022 verhaftet wurde wegen des Selbstputsches, gab es hier in Juliaca Proteste. Aber dann kam Weihnachten, und unsere Leute sind Händler, die sagten: Lass und Pause machen und nach Weihnachten weiter protestieren. Am 4. Januar nahmen sie die Proteste wieder auf und bald hörten wir, dass es Verletzte gab. Mit Edwin, dem Verantwortlichen des Menschenrechtsbüros FEDER, sind wir dann ins Krankenhaus gegangen, um die Verletzten zu besuchen.  Ich sah junge Männer, mit Schüssen im Brustkorb. Alex Mamani hatten sie den Kiefer zerschossen. Ein anderer war im Koma. Einer hatte Schrotkugeln in den Augen. Wir gingen von Krankenzimmer zu Krankenzimmer. Ich sah auch viel Solidarität, viele Menschen hatten Essen gebracht.

Wie hast Du den 9. Januar, den Tag des Massakers erlebt?

Ich hatte morgens die Messe im Krankenhaus gelesen und kam nachmittags zurück in die Pfarrei. Gegen 14 Uhr hörte ich die Hubschrauber und dann Schüsse. Sie holten mich, der erste war erschossen worden. Der Tote war ein Bauer vom Land und hatte Getränke verkauft. Er hatte 60 Schrotkugeln im Rücken. Das Gesetz erlaubt den Polizisten, wenn sie in Gefahr sind, aus 35 Meter Entfernung Schrotgewehre abzufeuern. Aber das hier war nie im Leben aus dieser Entfernung, sondern aus nächster Nähe abgefeuert. 60 Kugeln, einige hatten das Herz durchbohrt, daran ist er gestorben.  Gabriel Lopez hieß der erste Tote, danach wurden 17 weitere ermordet. Viele waren Passanten, waren zufällig dort, ohne zu demonstrieren.

Die Regierung gab als Rechtfertigung an, dass die Demonstranten den Flughafen von Juliaca stürmen wollten und die Polizisten die Infrastruktur schützen mussten.

 Es ist nicht das erste Mal, dass Demonstranten in Juliaca den Flughafen besetzen wollen. Aber sie haben nur ein Stück Mauer vom Flughafen zerstört.  Sicher kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, einige Demonstranten hatten eine Art Feuerwerkskörper bei sich, die sie abfeuerten. Aber die Polizei hat scharf geschossen. Ich habe keinen Zweifel: den Polizisten wurde gesagt, das da sind Terroristen und ihr müsst sie unschädlich machen.

99% der Verletzten und Toten hatten Schüsse im Oberkörper. Das ist kein Zufall. Ich war jeden Tag im Krankenhaus, sprach mit den Angehörigen, gab das Sterbesakrament. Dem 15-jährige Bryan hatte eine Kugel das Gehirn zerstört, er konnte nicht mehr gerettet werden.

Du hast die Angehörigen auch danach noch begleitet…

 Einen Monat nach dem Massaker hielt ich in der Pfarrei einen Gedenkgottesdienst mit den Angehörigen . Danach haben sie ihre Opfervereinigung gegründet. Dank ihr kommt die Aufarbeitung langsam voran. Präsident der Vereinigung ist der Bruder des jungen Arztes, der getötet wurde, als er Verwundeten helfen wollte.

Lucho Zambrano erhält den Preis der Menschenrechtskoordination ©Jaime Borda

 

Wie haben der Bischof von Puno und die anderen Priester auf das Massaker reagiert?

 Die katholische Kirche von Puno hat geschwiegen. Nur ein Priester, Luis Humberto Bejar, hat die Demonstranten von Beginn an öffentlich unterstützt und wurde zur Strafe vom Bischof seines Amtes suspendiert.  Ein paar wenige Priester waren bei Versammlungen mit den Angehörigen dabei, aber nur Luis Humberto und ich haben öffentlich unsere Stimme erhoben. Die Leute haben die Kirche nicht an ihrer Seite gespürt, sondern auf der Seite der Regierung.

Wie siehst Du die Situation heute, fast ein Jahr nach dem Massaker in Juliaca?

Die Demonstranten haben einen Fehler gemacht: Sie haben die Proteste zu lange durchgeführt. Und sie hatten keinen Erfolg.  Die Menschen haben alles gegeben, haben große wirtschaftliche Einbußen in Kauf genommen und es ist nichts herausgekommen dabei. Heute sind sie müde. Sicher wird es den einen oder anderen Gedenkanlass geben, aber ich sehe nicht, dass es zu massiven Protesten kommt.

Aber was sehr wichtig war: Die Proteste gegen die Regierung waren erstmals politische Proteste. Da haben Bürger protestiert, dafür, dass ihre politische Stimme ernst genommen wird. Die Frau, die so tut, als ob sie Präsidentin Perus sei, hat immer wieder gesagt: welche Projekte wollt ihr? Wir machen das. Aber fordert nicht, dass ich das Amt niederlege. So hat Boluarte das oft geäußert.

Sie hat nicht verstanden, dass es ein politischer Protest war, ein Bürgerprotest. Das war erstmals, und ich glaube, das wird auch andauern.

 

Könnten die Proteste nicht auch der Beginn einer indigenen politischen Bewegung sein?

Ich denke, das braucht noch viel Arbeit an der Identität. Unsere Leute sind immer noch geprägt von der spanischen Eroberung, von der Verachtung durch die Republik. Die Unabhängigkeit hat nichts verändert, hat nur die Herren ausgetauscht. Die Verachtung durch die Großgrundbesitzer, die Ungerechtigkeiten, die gewaltsame Niederschlagung von Aufständen. Das alles ist noch sehr präsent.

Das Gespräch führte Hildegard Willer

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