Mauricio Zavaleta Foto: privat Mauricio Zavaleta

“Que se vayan todos” – Warum es in Peru keine politischen Parteien mehr gibt

 

Ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Mauricio Zavaleta

Vor 20 Jahren begann die Dezentralisierung Perus in Regionen. Gegen 84 Prozent der Regionalgouverneure wird wegen Korruption ermittelt. Der Politikwissenschaftler Mauricio Zavaleta beschreibt in seinem Buch „Koalitionen der Unabhängigen“ (Coaliciones de independientes), wie peruanische Politiker*innen in einer Demokratie, in der es keine organisierten politischen Parteien mehr gibt, überleben und Wahlen gewinnen. Im Vorfeld der Regional- und Kommunalwahlen hat Diego Salazar von der Nachrichtenplattform OjoPúblico mit Mauricio Zavaleta gesprochen, um das Ausmaß der Krise des peruanischen politischen Systems zu verstehen und nach Lösungsmöglichkeiten zu fragen. InfoPeru hat das Interview übersetzt und gekürzt. Den kompletten Beitrag auf Spanisch können Sie hier lesen. Wir danken OjoPúblico für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Könnten Sie zunächst erklären, was „Koalitionen von Unabhängigen“ sind?

Das Buch versucht, das Verhalten der politischen Akteure seit dem Zusammenbruch des Parteiensystems Anfang der 1990er Jahre zu erklären. Die Hauptthese ist, dass die Parteien früher ideologische und programmatische Unterschiede aufwiesen, dass sie profilierte Kämpfer*innen und eine klare Identität hatten; und dass sie dann die Fähigkeit verloren haben, ein politisches Gewicht für ihre Kandidat*innen dazustellen. Was sich heute in den Regionen abspielt, ist eine Fortsetzung dessen, was in den 1990er Jahren geschah: das Auftauchen dieser Unabhängigen, weil die politischen Parteien keine Kraft mehr sind. Deshalb traten Politiker*innen aus den Parteien aus und entschieden sich für die Unabhängigkeit. Als 2002 die Regionalisierung kam, verbündeten sich die Parteien mit unabhängigen regionalen Kandidat*innen. Die Parteien erhofften sich davon mehr Einfluss, die Kandidat*innen eine bessere lokale Verankerung.  Diese Koalitionen der Unabhängigen sind nicht von Dauer, sie haben nur vorübergehenden Charakter.

War der Eintritt von Pedro Castillo in die Regierung als eingeladener Kandidat von Perú Libre eine Art Krönung des Modells der Koalitionen der Unabhängigen?

Das Beispiel von Pedro Castillo und Perú Libre veranschaulicht dieses allgemeine Phänomen auf nationaler Ebene. Die Partei hat ausschließlich in der Region ihre Basis, sie hat auch einen Anführer, der Präsident werden will, Vladimir Cerrón. Weil dieser nicht kandidieren kann, wählt sie einen Kandidaten, der in ihren Augen den Sprung über den Zaun schaffen kann. Ich würde wetten, dass Cerrón ihn nicht angerufen hätte, wenn er gewusst hätte, dass Pedro Castillo eine Chance hat, die Wahl zu gewinnen. Castillo war nur ein Mittel, um die Zulassung der Partei zu retten und Zeit bis zur nächsten Wahl zu gewinnen. Castillo wiederum wurde Parteimitglied, um kandidieren zu können. Es war ein kurzfristiger Vertrag. Wenn Castillo verloren hätte, wäre die Beziehung damit beendet gewesen. Diese Beziehung, die ihn in den Regierungspalast geführt hat, zeigt, wie in Peru Listen zustande kommen und welchen Charakter sie haben.

Ein Großteil der Probleme nach der Wahl ist auf den Übergangscharakter dieser Abkommen zurückzuführen.

Natürlich, denn wenn die Kandidat*innen erst einmal im Amt sind, sei es in der Regierung oder im Parlament, ändern sich die Motivationen. Im Kongress sehen wir das sehr deutlich. Die Parlamentarier*innen müssen schnell an Einfluss gewinnen, und deshalb ist es in ihrem Interesse, nicht in einer sehr großen Fraktion zu sein, wo ihr Standpunkt und ihre Verhandlungsmacht verwässert werden können. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft kommt ihnen entgegen. So verschaffen sie sich einen Verhandlungsspielraum, indem sie z. B. die Leitung eines Ausschusses übernehmen, Berater*innen einstellen und direkt mit den Ministerien verhandeln können.

In einem Interview haben Sie darauf hingewiesen, dass ein Teil der Kongressmitglieder Castillo im Amt halten will, weil sie wissen, dass sein Abgang auch Neuwahlen für den Kongress bedeuten würde. Glauben Sie, dass einige Parlamentarier*innen nicht bereit sind, auf die Einkünfte und Privilegien ihres Amtes zu verzichten?

Diese Kosten-Nutzen-Analyse ist von zentraler Bedeutung. In finanzieller Hinsicht, denn für einen Wahlkampf muss man persönlich Geld investieren, da die Parteien keine Mittel zur Verfügung stellen, außer vielleicht teilweise Alianza para el Progreso (APP). Wenn Sie also Kongressabgeordnete*r werden und das investierte Geld zurückgewinnen können, ist es ein sehr schlechtes Geschäft, dieses Amt aufzugeben. Und auch in politischer Hinsicht: Im derzeitigen Parlament haben 80 Prozent der Mitglieder keine politische Erfahrung. Es handelt sich also um absolute Amateurpolitiker*innen, Neulinge, die irgendwie den Jackpot geknackt haben. Sehr schnell haben sie den Zugang zu einem Amt von nationaler Bedeutung erlangt. Was wäre der Anreiz für sie, das aufzugeben, was sie gewonnen haben und was sie höchstwahrscheinlich nie wieder haben werden?

Natürlich, weil es in Peru keine sofortige Wiederwahl gibt.

Aber auch als die Wiederwahl noch möglich war, war die Anzahl der Wiedergewählten sehr gering. Die Abgeordneten, Bürgermeister und Gouverneure wissen also, dass dies ihre einzige Chance ist. Und sie wollen das Beste daraus machen, leider nicht im Sinne von “ich habe fünf Jahre Zeit, um Peru zu verändern”, sondern im Sinne dessen, was sie tun können, um politische oder wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Dies ist eines der Dramen unseres Landes.

Inwieweit hängt die Qualität des gegenwärtigen Kongresses mit der fehlenden Möglichkeit zur Wiederwahl zusammen?

In einem Parlament mit niedriger Legitimität, in dem es nur wenige Berufspolitiker*innen gibt, sorgt das Verbot der Wiederwahl dafür, dass alle Politiker Amateure sind. Dieses Verbot hat ein Problem verschlimmert, das andere, tiefer liegende Ursachen hat. Ich glaube, in Peru gibt es keine Berufspolitiker*innen mehr, und das ist problematisch. Ich weiß, dass es ziemlich unpopulär ist, Politiker*innen zu verteidigen, vor allem solche, die über große Erfahrung verfügen und lange in öffentlichen Ämtern sind. Aber gerade sie haben den größten Anreiz, ihr Image zu pflegen und nicht in Korruption verwickelt zu sein. Das heißt nicht, dass sie es nicht tun, aber sie haben eine andere Motivation als jemand, der weiß, dass er nur einmal die Chance hat, Kongressabgeordneter zu werden. Und das bringt auch eine andere Dynamik in die Verhandlungen, Vereinbarungen und Beziehungen zwischen ihnen, die die Politik und Gesetzgebung voranbringt. Das gilt auch für Regierungspositionen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Man braucht Politiker*innen, die zum Beispiel wissen, wie das Investitionssystem funktioniert. Es hat einen Wert für die Allgemeinheit, wenn es Berufspolitiker*innen gibt.

Und was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen dafür?

In Peru haben wir ein ernstes Problem mit der politischen Infrastruktur. In den 1980er Jahren zum Beispiel gab es eine etwas aktivere Zivilgesellschaft und engagierte soziale Organisationen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die 1980er Jahre eine gute Zeit waren, aber wir haben etwas verloren, das gut für die politische Kultur des Landes war. Es gab Gewerkschaften, Verbände, sogar die Kirchen hatten eine wichtige Rolle, zum Beispiel in der Politik für die kleinbäuerlichen Gemeinden.

Es gab eine organisierte Zivilgesellschaft.

Genau, und diese organisierte Zivilgesellschaft war die Grundlage für die Parteien, die sich auf diese Organisationen stützten. Das gibt es nicht mehr, aus mehreren Gründen: die Verarmung in den 1980er Jahren, die Veränderung der politischen Struktur in den 1990er Jahren. Und in den 20 Wachstumsjahren, die Peru zu Beginn dieses Jahrhunderts erlebte, ist es nicht gelungen, diese Zivilgesellschaft wieder aufzubauen.

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind sozusagen der Einstieg in einen Prozess der Reproduktion von Politiker*innen. Der Raum, der zwischen der Zivilgesellschaft und den Parteien oder Parteischulen bestand, aus denen schließlich die Kandidat*innen für politische Ämter hervorgingen, existiert nicht mehr. Jedes Mal, wenn wir sagen: “Alle sollen gehen” (Que se yayan todos), frage ich mich, wer denn dann kandidieren soll.

Wer beispielsweise einen Senat oder offene Vorwahlen vorschlägt, scheint davon auszugehen, dass es bessere Politiker*innen gibt als die aktuellen. Aber die gibt es nicht. Und das bringt mich zu der Annahme, dass es uns in Wirklichkeit schlechter geht, als diese wohlmeinenden und hoffnungsvollen Menschen denken.

Letztlich ist diese Realitätsferne wiederum ein Zeichen für das Fehlen einer organisierten Zivilgesellschaft. Die Leute, die vorschlagen, dass alle gehen sollen, nehmen zwar an der öffentlichen Debatte teil, scheinen aber das Land nicht zu verstehen und haben keinen Bezug zur peruanischen Realität.

Das soll nicht heißen, dass es in Peru keine wertvollen Menschen gibt, die Politik machen können. Diese Menschen haben aber wenig Anreiz, in die Politik zu gehen, und vor allem haben sie wenig politische Erfahrung, weil es keine Räume gibt, in denen sie Politik machen können. Sie haben kaum Anreiz, in die Politik zu gehen, weil diese mit Korruption und einem wenig angesehenen Amt in Verbindung gebracht wird und weil es keine echten Karrieremöglichkeiten gibt. Wenn Sie Parlamentarier werden wollen, müssen Sie, selbst wenn Sie gewählt werden, das Amt sehr bald wieder aufgeben, auch wenn Sie die Fähigkeit haben, wiedergewählt zu werden. Wir verbieten die Wiederwahl und schließen damit die Tür für die wenigen wertvollen Menschen, die vielleicht weiter politisch tätig sein und eine Karriere machen wollen.

Daran denken wohl die wenigsten bei der Forderung „Alle sollen gehen“.

Ich verstehe das vollkommen, auch ich finde diesen Kongress ein Ärgernis, er nervt mich. Ich denke, dass er nicht gut für Peru ist, genausowenig wie die Regierung. Paradoxerweise bin ich jedoch der Meinung, dass die Haltung des “Alle sollen gehen” genau das System stärkt, das diese Art von verhassten Politiker*innen hervorbringt. Denn was wird unternommen? Indem wir das System alle drei, vier, fünf Jahre erneuern, je nachdem, wie instabil die Lage ist, haben wir Politiker*innen, die ohne Erfahrung antreten, die ihr Glück versuchen, wie Pedro Castillo es tat, und die auch von einem Klima fehlender Legitimität in der Politik profitieren. Die Politik ist in Peru so diskreditiert, dass die einzige Möglichkeit, Politik zu machen, darin besteht, die Politik selbst zu diskreditieren.

Können Sie das näher erläutern?

Ein Beispiel dafür ist Pedro Castillo, der mit einem Diskurs an die Macht kam, den man als populistisch gegen die Eliten, aber auch gegen das politische System im Allgemeinen bezeichnen könnte. Und auch der Diskurs seines Vorgängers Martín Vizcarra wandte sich gegen die Politik. Vizcarra war nicht daran interessiert, aus der Regierung heraus politisch zu gestalten. Seine Form, sich Legitimität zu verschaffen, bestand vielmehr darin, zu sagen, dass der Kongress den Fortschritt Perus verhindert und in höchstem Maße korrupt ist. Behauptungen, die eine reale Grundlage haben, die aber nicht dabei helfen, eine tragfähige Politik zu entwickeln. Wie kann man also in einem Kontext ständiger Neuwahlen und einer extrem niedrigen Legitimität Politik machen? Und der Spruch “Alle sollen gehen” – es fällt mir schwer das zu sagen – macht das Problem nur schlimmer.

Die Haltung “Alle sollen gehen“ ist nicht neu, es gibt sie seit 2018.

Klar, „Alle sollen gehen”, um dann aus dem gleichen Pool von schlechten Politiker*innen neu zu wählen. Wir sollten längerfristig denken. Denn was wir bekämpfen wollen, sind genau diese Politiker*innen, die sehr kurzfristig denken und keine Strategie für eine nationale Regierungspolitik haben. Die aktuelle Regierung veranschaulicht dies auf bemerkenswerte Weise. Wir sollten nicht in denselben Fehler verfallen, den wir bekämpfen wollen. Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass die Schwäche der Parteien nicht darauf zurückzuführen ist, dass unsere Gesetze gut oder schlecht geschrieben sind, sondern auf die Schwäche der Zivilgesellschaft.

Wie kommt man da raus? Wie baut man gesunde politische Strukturen auf?

Leider müsste ich, wenn ich meiner Analyse folge, sagen, dass dies nicht bzw. kaum möglich ist. Meiner Meinung nach geht es darum, langfristige Ziele zu verfolgen, die ein wenig dazu beitragen können, dass die Dinge weniger schlimm sind. Ich weiß, das klingt sehr wenig ambitioniert. Aber ich denke, es ist viel schlimmer und hilft nicht weiter, einfach das Ziel “Alle sollen gehen” zu proklamieren nach dem Motto: Wir machen eine Wahlreform und nach den nächsten Wahlen sind wir bereits die Schweiz. Das wird nicht passieren. Da es in Peru keine politische Infrastruktur gibt, stellt sich die Frage, wie wir eine alternative Infrastruktur schaffen können, damit es überhaupt wieder Politiker*innen gibt, die Interesse an wirklicher Politik haben.

Wie können wir dies in konkrete Vorschläge umsetzen?

Das ist schwierig, ich habe keine vergleichbare Situation gefunden. Natürlich hat sich der Zustand der Parteien in Europa und überall auf der Welt verschlechtert, aber die Verschlechterung der politischen Situation in Peru ist beispiellos.

Gibt es nicht auch in anderen Ländern Lateinamerikas eine vergleichbare Situation? Ist der peruanische Fall so außergewöhnlich?

Die Schwäche der Parteien und der vollständige oder teilweise Zusammenbruch des Parteiensystems sind in Lateinamerika keine Seltenheit. Aber das Ausmaß des Zerfalls der politischen Organisationen in Peru entspricht nicht dem lateinamerikanischen Durchschnitt, obwohl es eine Region mit schwachen Parteien ist. Vielleicht ist Guatemala der einzige vergleichbare Fall. Wir sind die Schwächsten der Schwachen.

Auch wenn die Parteien schon seit den 1990er Jahren schwach waren, konnten wir in Peru in den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts zumindest vorhersehen, ob bestimmte Kandidat*innen antreten würden. Und wir wussten, wann und in welchem Jahr Wahlen stattfinden würden. Das ist seit dem Korruptionsskandal um Odebrecht anders, da ist das System implodiert, und wir befinden uns in einer Welt der völligen Unsicherheit. Manche zeigen jetzt mit dem Finger auf Präsident Pedro Castillo und machen ihn für unsere Probleme verantwortlich. Tatsächlich aber ist Castillo ganz offensichtlich ein Symptom unserer Probleme. In einem mehr oder weniger institutionalisierten politischen System wäre es undenkbar, dass ein völlig unbekannter Politiker, ohne Partei, ohne Programm, ohne wirkliche Regierungsabsicht, zum Präsidenten der Republik gewählt wird.

Angesichts dieser Diagnose und dieser Aussichten: Was ist das Mindeste, das getan werden kann, um die Dinge in Ordnung zu bringen oder es zunmindest zu versuchen?

Das ist die am schwierigsten zu beantwortende Frage. Lassen Sie mich zunächst sagen, was meiner Meinung nach nicht getan werden sollte. Zunächst einmal dürfen wir nicht noch mehr Unsicherheit in das System bringen. Ich beziehe mich hier beispielsweise auf das Verbot der sofortigen Wiederwahl, das die unmittelbare und entscheidende Folge hat, dass es mehr Unsicherheit schafft, indem es per Gesetz dafür sorgt, dass unsere Politiker*innen immer dilettantischer werden und dass jemand, der ernsthaft in die Politik gehen will, keine 20- oder 30-jährige Karriere planen kann. Genau diese Art von Reformen müssen wir vermeiden.

Und es geht nicht nur um das Verbot der Wiederwahl. Die Kongressabgeordnete Adriana Tudela etwa schlägt vor, das Parlament auf gewisse Art teilweise zu erneuern, zum Beispiel um ein Drittel oder um die Hälfte. Dies würde im Grunde dafür sorgen, dass das Parlament alle zwei Jahre neu gewählt wird. Dieser ständige Wechsel würde, wie bereits gesagt, Amateurpolitiker*innen begünstigen, die auf schnellen Profit aus sind, und ebenso Politiker*innen, die über finanzielle Ressourcen verfügen und eigene Vertreter*innen ins Parlament bringen.

Wie das?

Ich nenne Ihnen als Beispiel den Fall von Pepe Luna, einem Politiker, der zwar über einige Erfahrung verfügt, aber vor allem ein Geschäftsmann ist, der in die Politik geht, um Einfluss zu gewinnen und seine Geschäftsinteressen zu vertreten. Wenn er dann nicht kandidieren kann, verfügt er über die Mittel, um seinen Sohn kandidieren zu lassen, und eine Reihe von Gefolgsleuten, die in den Kongress einziehen, um diese Aufgabe für ihn zu übernehmen. Mit diesen Maßnahmen, dem Verbot der Wiederwahl oder der Verlängerung der Amtszeit in der Mitte der Legislaturperiode, werden letztlich genau die Politiker*innen herausgedrängt, die vielleicht eine höhere Qualität haben, die vielleicht Karriere machen wollen, die aber aufgrund der fehlenden Kontinuität ausscheiden.

Und was können wir tun?

Erstens wird eine Wahlrechtsreform immer begrenzt sein. Es sind nicht die Gesetze, die die Schwäche der Parteien hervorrufen und diese Art von Politiker*innen hervorbringen. Zweitens funktionieren Institutionen endogen, d. h. sie reagieren auf die Akteure, die sie reformieren wollen. Außerdem haben die Politiker*innen in Peru, selbst wenn Reformen erreicht werden, viel Übung darin, den Geist eines Gesetzes zu umgehen. Wir müssen unsere Erwartungen herunterschrauben, und wir müssen uns unserer Lage, unserer Realität und dem, was uns bevorsteht, bewusst sein. Ich bin der Meinung, dass wir über eine öffentliche Finanzierung nachdenken sollten, und ich weiß, dass es dagegen viele Widerstände gibt, die eher persönlicher Natur sind.

In welchem Sinne?

Ich habe diese Frage mit mehreren Politikwissenschaftlern diskutiert, und alle sind anderer Meinung. Aber gehen wir einmal davon aus, dass finanzielle Mittel für die Politik von grundlegender Bedeutung sind. Ich meine, wir müssen angesichts des Fehlens von Parteien akzeptieren, dass die Repräsentant*innen in Peru Einzelpersonen sind und keine politischen Parteien. Deshalb könnte ich mir ein System vorstellen, in dem Politiker*innen, die dies wünschen, freiwillig öffentliche Mittel in Anspruch nehmen können, wenn sie sich zu bestimmten grundlegenden Dingen verpflichten, wie etwa dem Verzicht auf finanzielle Unterstützung von Privatleuten. Dies ist natürlich ein sehr allgemeiner Vorschlag, der in die Praxis umgesetzt werden müsste. Aber man kann etwas tun, indem man auf private Finanzierung verzichtet und, sagen wir, sein Bankgeheimnis aufgibt. Als ich Beamter war, hatte ich mein Bankgeheimnis aufgehoben, das ist nichts, was dem Staat fremd wäre.

Nehmen wir an, Sie finden einen Weg, das umzusetzen. Wie Sie selbst eben gesagt haben, sind unsere Politiker*innen geschickt darin, die Regeln nur scheinbar einzuhalten und das System immer zu umgehen.

Meine Antwort wäre, den Staat zu stärken. Wir brauchen einen Staat, der in der Lage ist, eine wirkliche Überwachung und Sanktionen umzusetzen. Das Problem bei der öffentlichen Finanzierung von Parteien ist, dass die Verantwortung verwässert wird. Politiker*innen müssten wissen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit strafrechtlich sanktioniert werden, wenn sie staatliche Mittel erhalten und diese missbrauchen. Mein Vorschlag setzt voraus, dass wir die vollständige Personalisierung der Politik anerkennen und akzeptieren, dass wir mit diesen Anreizen dazu beitragen würden, diese Entwicklung bei der Suche nach – hoffentlich – besseren Kandidat*innen noch zu forcieren.

Das bedeutet einen Realitätsschock.

Nach 20 Jahren des Versuchs, die Parteien zu stärken, müssen wir vielleicht akzeptieren, dass diese Strategie nicht funktioniert hat. Das Gesetz über politische Parteien wurde 2003 verabschiedet, und die Parteien sind schwächer als damals. Ich denke, es ist an der Zeit, Notfallstrategien umzusetzen und natürlich langfristig zu denken. Dieses Finanzierungsmodell würde, wenn es Früchte trägt und funktioniert – was nicht garantiert ist, vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren Wirkung zeigen. Es wird sich nicht unmittelbar auf die Wahlen auswirken, wir sprechen hier von langfristigen Auswirkungen.

Welche Auswirkungen werden die Ergebnisse der bevorstehenden Regional- und Kommunalwahlen auf unser angeschlagenes politisches System haben?

Ich denke, dass wir ein sehr ähnliches Szenario wie 2018 erwarten können. In einigen Regionen sind die Parteien etwas stärker, aber das liegt nicht an den Parteien selbst, sondern daran, dass es ihnen gelungen ist, konkurrenzfähige Politiker*innen zu gewinnen. In anderen wiederum werden die regionalen Bewegungen stärker sein, wie im Fall von Puno. Aber auch hier überwiegen die unerfahrenen Politiker*innen. Trotzdem glaube ich, dass sich einige Regionen, anders als man in Lima denkt, als etwas stärker institutionalisiert erweisen werden, was das Parteiensystem betrifft.

Und in Lima?

Das Problem von Lima ist – grob ausgedrückt, dass es sehr schwer zu regieren ist. Und wenn man sich die Kandidaten anschaut, kann man vorhersagen, dass der Politiker, der gewinnt, weniger daran interessiert sein wird, die Probleme der Stadt zu lösen, was sehr viel Geld kostet. Die Chancen auf politischen Erfolg durch Verwaltungshandeln sind also sehr gering. Der einfachste Weg zum Erfolg – und wir wissen, dass sie alle Ambitionen auf das Präsidentenamt haben – ist also die Konfrontation mit der Regierung.

Interview: Diego Salazar/OjoPúblico 

Übersetzung: Annette Brox

Original: https://ojo-publico.com/3707/el-que-se-vayan-todos-refuerza-sistema-de-los-politicos-que-odiamos