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Peru wählt neue Bürgermeister

Am 07. Oktober werden die alle vier Jahre stattfindenden Regional- und Kommunalwahlen durchgeführt. Der Wahlkampf ist sehr spät in Gang gekommen und spiegelt die allgemeine politische Apathie wider.

Die Turbulenzen des Rücktritts von PPK (Pedro Pablo Kuczynski), die Begnadigung Fujimoris, die Politik des neuen Präsidenten Vizcarra und insbesondere die immer neuen Enthüllungen über die institutionalisierte Korruption, die von der Mafia über ParlamentarierInnen, Regionalregierungen und Institutionen bis in die allerhöchsten Justizkreise reicht, haben die Wahlvorbereitungen bislang überschattet. Und nicht zuletzt die WM-Teilnahme, die die Medien und Bevölkerung monatelang in nahezu patriotischer Hysterie gehalten hat. Insbesondere die Korruption und die selten eingehaltenen Versprechen haben zu einer inzwischen epidemischen Politikverdrossenheit geführt, die in der hunderttausendfach auf die Straßen getragenen Forderung mündete, das gesamte Parlament aufzulösen: Que se vayan todos! Die Enttäuschung über KandidatInnen, Parteien und Institutionen politischer Repräsentanz ist riesig und viel Resignation hat sich breit gemacht. Dennoch wird der größte Teil der PeruanerInnen irgendwo ein Kreuzchen setzen, denn die Wahlteilnahme ist bei Androhung einer Geldstrafe Pflicht.

Eigentlich haben die Regional- und Kommunalwahlen große Bedeutung. Die Entscheidungen der RegionalpräsidentInnen und kommunalen Vertretungen wirken sich in der Regel viel unmittelbarer auf die Alltagssituation der Menschen vor Ort aus, als viele der Parlamentsentscheidungen. Nach mehreren Anläufen und Unterbrechungen seit 1979, wurden 2002 die Regionen erneut in die Verfassung geschrieben und verfügen seither über eine relativ große politische und administrative Autonomie. Sie wurden eingeführt, um das Land zu Dezentralisieren und so den Regionen eine bessere Entwicklung zu ermöglichen. Die Regionalparlamente bewegen große Summen, was sie leider in der Vergangenheit vielfach für Korruption anfällig gemacht hat. Doch bevor ich meine Einschätzung vertiefe, möchte ich hier zunächst einige Informationen und Statistiken über den formalen Kontext anführen, in dem diese Wahlen stattfinden.

Ca. 23.370000 EinwohnerInnen sind aufgerufen, die Regional- und VizeregionalpräsidentInnen (Gobernadores y Vicegobernadores), die BürgermeisterInnen (Alcaldes) und StadträtInnen (Regidores Municipales) für die Periode Januar 2019 bis Dezember 2022 zu wählen. Die künftigen RegionalpräsidentInnen wiederum wählen die Regionalen Ratsmitglieder (Consejeros Regionales), die das Rückgrat der regionalen Verwaltung bilden. Ein Wahlschiedsgericht muss dieser Auswahl jeweils zustimmen. Erreicht ein/eine RegionalpräsidentIn nicht auf Anhieb 30%, findet im November eine Stichwahl statt.

Gewählt wird nach Regionen, Provinzen und Distrikten. Peru ist in 24 Departments und 25 Regionen eingeteilt, die bis auf eine Region deckungsgleich sind. Die Hauptstadt Lima weist gegenüber allen anderen Regionen die Besonderheit auf, aus zwei Regionen zu bestehen: Die Regionalregierung von Lima einerseits und die Hauptstadtgemeinde Lima (Municipalidad Metropolitana de Lima) andererseits, die als Provinz mit Sonderstatus sowohl über regionale als auch lokale Befugnisse verfügt. Beide sind voneinander unabhängig. So wird der/die RegionalpräsidentIn der Region Lima lediglich von ca. 724.000 WählerInnen gewählt, während ca. 7.284.000 für das Bürgermeisteramt der Provinz Lima stimmen können. Diese Zahl lässt erkennen, dass der/die BürgermeisterIn der Provinz Lima die repräsentativste Person nach dem Oberhaupt des ganzen Landes ist. In Lima leben 9,32 Millionen EinwohnerInnen, was etwa einem Drittel der gesamten peruanischen Bevölkerung entspricht.

Die Hafenstadt Callao gehört weder zu Lima noch bildet sie selbst ein Departamento. Callao ist eine eigenständige verfassungsmäßige Region mit sieben Distrikten. Hauptstadt der Region Callao ist der Distrikt gleichen Namens, Callao.

19 Kandidaten wollen Lima regieren

Noch vor den letzten möglichen Streichungen oder deren Rücknahmen durch die Wahljurys (Jurados Electorales Especiales) sind derzeit 368 Listen für die Regionalwahlen, 2.016 für Provinzwahlen und 12.197 für Distriktwahlen eingeschrieben. Auf diesen Listen gehen sage und schreibe 113.661 KandidatInnen an den Start! In manchen Provinzen ist die Teilnehmerzahl kaum noch zu über- und durchschauen. Allein in Lima kandidieren bisher 19 formell bestätigte AnwärterInnen für das höchste Bürgermeisteramt, bis auf eine Kandidatin alles Männer. In den anderen Provinzen sieht es diesbezüglich ähnlich aus.

Die strukturelle Schwäche und geringe nationale Repräsentanz der Mehrzahl der Parteien hat zur Bildung zahlreicher Regionalbündnisse geführt, die ausschließlich für diese Wahlen geschmiedet wurden. 37% der KandidatInnen stehen auf den Listen dieser oftmals sehr heterogenen Regionalbewegungen. Die inzwischen rundum erneuerte Partei des ehemaligen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski, Peruanos por el Kambio, deren Namen nach diesen Wahlen geändert werden soll, schafft es neben der Kandidatur in Lima gerade einmal auf vierKandidaturen für Regionalpräsidentschaften.

Die Wahljurys hatten einen ausgesprochen schweren Job. Tausende berechtigte und unberechtigte Einwendungen gegen KandidatInnen, Listen und Bündnisse mussten untersucht und entschieden werden. Einwendungen stellen eine beliebte Methode dar, um den politischen Gegner schon vor der Wahl aus dem Rennen zu werfen. Auch müssen die Jurys die KandidatInnen auf ihre rechtliche Unbescholtenheit überprüfen. Vorbestrafte dürfen nicht kandidieren. Korruption und gewalttätige Einflussnahme ist auf regionaler und lokaler Regierungsebene ein massives Phänomen und ein maßgebliches Hemmnis für Entwickungsfortschritte. Zur Zeit finden 2.289 Untersuchungsverfahren gegen AmsträgerInnen statt, davon 99 amtierende und ehemalige Regionalpräsidenten, 428 ProvinzbürgermeisterInnen sowie 1.742 DistriktbürgermeisterInnen. Etliche sitzen im Gefängnis oder sind untergetaucht. Man muss allerdings mit beachten, dass es sich häufig auch um politisch motivierte Verfahren gegen unliebsame Personen seitens einer von politischen und ökonomischen Interessen korrumpierten Justiz handeln kann und dass nicht alle die ihnen vorgeworfenen Delikte tatsächlich auch begangen haben. Zu guter Letzt beeinflusst ein Gesetz von März 2015 die Regionalwahlen, das eine direkte Wiederwahl von RegionalpräsidentInnen und BürgermeisterInnen untersagt. Dadurch soll der Aufbau von korrupten Macht- und Einflussbereichen erschwert werden, es hat aber den Nachteil, dass gute AmtsinhaberInnen keine Kontinuität garantieren können und dass längerfristige größere Vorhaben nicht angegangen werden. Das Gesetz treibt nun in diesem Wahlkampf seltsame Blüten, mit denen ich meine Einschätzung dieser Wahlen beginnen möchte:

Nepotismus macht Schule

Wie sichert man seinen Einfluss und seine Pfründe am besten? Mit Hilfe der Verwandtschaft und am besten noch Namensgleichheit. Der inzwischen von mehr als 60% der BürgerInnen abgelehnte Bürgermeister Limas, Luis Castañeda Lossio, schickt seinen Sohn Luis Castañeda Pardo ins Rennen. Der Distriktbürgermeister von Chorillos, Augusto Miyashiro Yamashiro, setzt ebenfalls auf seinen Sohn. Im Distrikt Breña schickt Bürgermeister Ángel Wu Huapaya gleich zwei Frauen ins Rennen: seine Ehefrau und seine Exfrau. Drei Brüder von Abgeordneten kandidieren für die Regionalpräsidentschaft. Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen. Andere bevorzugen den Wohnsitzwechsel. Allein in Lima und Callao kandidieren nun 15 amtierende BürgermeisterInnen auf Listen für andere Distrikte, in denen sie auf wundersame Weise zu angemeldeten EinwohnerInnen wurden.

Umfragen haben ergeben, dass 20% Prozent der über 500.000 ErstwählerInnen ihren Kinderausweis nicht in eine blaue DNI umschreiben lassen, eine nötige Voraussetzung, um überhaupt an Wahlen teilnehmen zu können. Vielen von ihnen ist noch nicht einmal bekannt, dass Wahlen stattfinden werden. Das kürzlich verabschiedete Gesetz zum Verbot von Veröffentlichungen durch staatliche Institutionen in privaten Medien, im Volksmund “Ley Mulder” genannt, verhindert nun, dass Wahlkommissionen und Regierungen Aufrufe zur Einschreibung und Wahlbeteiligung schalten.

In Hinblick auf die individuelle Situation, steht das Bedürfnis nach urbaner Sicherheit für ca. 75% der BewohnerInnen Limas im Vordergrund. Es folgen weit abgeschlagen Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen, Gesundheit und Wohnen. Aufgegliedert in soziale Schichten ergibt sich eine deutlich unterschiedliche Gewichtung. Während für die Gutsituierten (Sektoren A und B) die Unsicherheit die größte Sorge darstellt, haben Arbeitseinkommen und Arbeitslosigkeit für ca. 50% der BürgerInnen aus den Einkommensschwachen Sektoren C und D die höchste Priorität.

Bezogen auf allgemeine Probleme stehen in Lima und in vielen größeren Provinzstädten Verkehr, Transportpreise, Infrastruktur, Korruption, Umweltverschmutzung und Bildungssystem im Vordergrund.

Die hohe Bedeutung von urbaner Sicherheit gibt besonders in Lima solchen Parteien auftrieb, die diese zum zentralen Wahlkampfthema machen. Derzeit führt der Hardliner Renzo Reggiardo von Peru Patria Segura (Sicheres Vaterland Peru) die Umfragen an. Sein Wahlkampf scheint mehr aus dem Innenministerium als aus demokratischen Programmschmieden zu stammen.

Möchte man erfahren, wie sich der Wahlkampf in den verschiedenen Provinzen außerhalb Limas entwickelt, muss man schon dort wohnen, dort hinfahren oder die wenigen überregionalen Medien herausfinden, die zumindest ein wenig berichten. Es sind vor allem private lokale Radios, Fernsehstationen und Zeitungen, die dort interessiert informieren. Zahlreiche Provinzzeitungen sind zwar im Web präsent, werden aber kaum gelesen. In Hinblick auf politische Themen spielt das Internet nach wie vor eine marginale Rolle.

Wie eingangs schon erwähnt wurden zahlreiche regionale und lokale Bündnisse geschmiedet, die es auch KandidatInnen nicht eingeschriebener Parteien und Unabhängigen ermöglichen, sich zur Wahl zu stellen. In den meisten Regionen und Kommunen gibt es, anders als bei früheren Wahlen, keine Polarisierung zwischen links und rechts. Die politischen Lager sind extrem aufgesplittert und konkurrieren untereinander. Es ist nicht zu übersehen, dass zahlreiche Listen und Bündnisse ausschließlich zu dem Zweck ins Leben gerufen wurden, um sich dann als künftige Vertretung rasch die Taschen füllen zu können. Die große Anzahl an Parteien und Bündnissen und damit Aufsplittung der Wählerstimmen wird viele KandidatInnen ins Amt bringen, die nur über eine geringe Repräsentativität verfügen. Für RegionalpräsidentInnen reichen schon 30%, für Bürgermeisterämter eine relative Mehrheit.

Zersplitterung der Parteien

Während die Linke auf nationaler Ebene mit immerhin nur zwei großen Bündnissen (gegeneinander) antritt, sind die konservativen bis reaktionären Kräfte heillos zersplittert und die traditionellen Parteien vollkommen geschwächt. Selbst die im Parlament mit erdrückender Mehrheit vertretene Fuerza Popular von Keiko Fujimori musste in Lima einen völlig unbekannten Kandidaten aufstellen, der momentan bei Umfragen den letzten Platz belegt. Stark sind autoritäre Kräfte, die auf die Unterstützung reaktionärer katholischer und evangelikaler Kreise zählen können. Ihr Feindbild sind Linke, Liberale und aufgeklärte moderne Städter, gegen die sie seit einigen Jahren die Kampagne #ConMisHijosNoTeMetas führen. Eigentlich zählt Fuerza Popular von Keiko auch dazu, hat aber durch die Korruptionsvorwürfe gegen Keiko und zahlreiche ihrer Abgeordneten sowie die starken Verbindungen zur Mafia an Kraft und Popularität eingebüßt. Sie setzt mehr auf einen Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen.

Für die beiden großen linken Wahlbündnisse kandidieren landesweit engagierte Menschen aus den verschiedenen sozialen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen, Initiativen und Kollektiven, die maßgeblich an den Mobilisierungen und Kämpfen der letzten Jahre beteiligt waren. Allerdings in verschiedenen Parteien und regionalen Bündnissen. Die linke Partei Frente Amplio (mit neun Abgeordneten im Parlament vertreten), hat in Gemeinschaftslisten aus der sozial- und ökologisch kritischen Zivilgesellschaft 530 Wahllisten mit ca. 5.000 KandidatInnen eingereicht. 10% von diesen sind Mitglieder dieser Partei. Kandidat für Lima ist Enrique Fernandez Chacón, alias “Cochero”, der auf aussichtslosem Posten kandidiert. In Umfragen liegt er derzeit bei ca. 1%.

Die linke Partei Nuevo Peru ( mit zehn Abgeordneten im Parlament vertreten) konnte keine eigenen Listen einreichen, da die ersehnte Einschreibung in das Wahlregister bisher nicht erreicht wurde. Die Partei sammelt noch Unterschriften. Daher kandidieren ihre AnhängerInnen auf den Listen des linken Bündnisses Juntos por el Peru.

Juntos por el Peru wurde im Februar 2018 ins Leben gerufen und setzt sich vorwiegend aus sechs linken Parteien zusammen. Wie viele KandidatInnen insgesamt antreten, konnte ich nicht herausfinden. Wie im Frente Amplio, haben sie auch zahlreiche regionale Bündnisse gebildet und einige bekannte und beliebte zivilgesellschaftliche Aktivistinnen auf ihren Listen. Spitzenkandidat für Lima ist Gustavo Guerra Garcia, der schon in der Amtszeit von Susanna Villaran der Stadtverwaltung angehörte, allerdings bei Umfragen abgeschlagen bei 1% liegt. Obwohl er eine ausgesprochen integere und kompetente Person ist, haftet ihm der Makel an, dem Team der wegen Korruption angeklagten ehemaligen Bürgermeisterin Susana Villaran angehört zu haben.

In einigen Regionen haben linke Bündnisse bessere Chancen als in Lima. Dort treten sie mit weiteren lokalen linken Bündnissen an, so in Cajamarca, wo das Bündnis MAS des ehemaligen Regionalpräsidenten Santos mit dem Frente Amplio konkurriert. In Cuzco tritt ein linkes Bündnis von Nuevo Peru unter dem Label Autogobierno Ayllu an, das von der Spitzenkandidatin Ruth Alejandrina Baez Quispe angeführt wird, eine der ganz wenigen weiblichen Kandidatinnen landesweit.

Momentan ist es aussichtslos, die Wahlresultate vorauszusehen. Noch sind jederzeit größere Änderungen verglichen mit den aktuellen Umfragen möglich. Die allgemeine Aufmerksamkeit wird sich erst kurz vor dem Abstimmungstermin auf die KandidatInnen und Gruppierungen konzentrieren. Ein Drittel der Befragten gibt an, sich noch entscheiden zu können.

 

Andreas Baumgart

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