Anke Kaulard in einem Workshop in einer Gemeinde in San Martin ©Anke Kaulard privat

“Wir müssen Schokolade als Kunstwerk sehen”

Ein Gespräch mit Anke Kaulard darüber, wie eine nachhaltige lokale Entwicklung im Amazonasgebiet aussehen kann.

Anke Kaulard forscht seit vielen Jahren zu Wertschöpfungsketten in der Region San Martin im nördlichen Amazonasgebiet Perus. Die promovierte Soziologin ist zudem eine tatkräftige Förderin der Herstellung und des Vertriebs einheimischer Schokolade.

Das Departement San Martin galt früher als die „grüne Region“ Perus. Wie kommt San Martin zu dieser Bezeichnung und ist dies heute immer noch so?

Der Titel der „grünen Region“ stammt aus der Zeit, als Cesar Villanueva Regionalpräsident war (2007 – 2013). Villanueva war sehr gut vernetzt mit großen Umwelt-NROs und hat ein fittes junges Team in seine Regierung geholt. Mit seiner Gruppierung „Nueva Amazonía“ hat er verschiedene Instrumente des Umweltschutzes eingeführt, wie z.B. die regionalen Naturschutzgebiete. Er war erfolgreich: San Martin hat den Grad der fortschreitenden Entwaldung verringern können.  Villanueva hat auch die Anti-Drogen-Politik von USAID in die Schranken gewiesen und auf nachhaltige Anbaumethoden gepocht. Heute ist San Martin Peru weltweit einer der größten Produzenten von organischem Kakao und Kaffee.

Villanuevas Nachfolger in der Regionalregierung haben die umweltpolitischen Maßnahmen nur eingeschränkt fortgeführt.

(Cesar Villanueva wurde wegen seiner erfolgreichen Amtszeit in San Martin zweimal als Premierminister nach Lima geholt: 2013-2014 unter Ollanta Humala und 2018-2019 unter Martin Vizcarra. 2019 wurde er wegen der Annahme von Wahlkampfgeldern vom Bauunternehmen Odebrecht zu 18 Monaten Untersuchungshaft verurteilt, d.Red.)

 

Du hast in Deiner Dissertation die lokale Entwicklung von zwei Gemeinden in San Martin untersucht. Welche Unterschiede konntest Du feststellen?

 Die eine Gemeinde, Chazuta, war sehr geschickt, ihre lokalen Vorteile auszubauen und zu potenzieren. Selbst der Nachteil der schlechten Straßenanbindung nach Tarapoto, geriet zum Vorteil: dadurch, dass sie den Kakao schlecht transportieren konnten, haben sie ihn im Ort selbst weiterverarbeitet. Sei es zu Schokolade oder zu kosmetischen Produkten. Die andere Gemeinde – Picota – lag dagegen an einer Hauptstrasse nach Tarapoto. Sie schickten ihren Kakao wie immer über Zwischenhändler nach Tarapoto und verarbeiteten ihn nicht selbst weiter. Nur die Leute des weiter abgelegenen Chazuta nutzten die Kurse zur Schokoladenherstellung, die die peruanische Antidrogenbehörde DEVIDA mit Unterstützung von USAID in beiden Dörfern abhielt.

 

Wie kann eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung im peruanischen Amazonasgebiet aussehen?

In Chazuta setzen die Bewohner auf Nischenmärkte, für den sie keine Bäume fällen müssen: Schmuck aus Samen aus dem Regenwald; Taschen aus Rohkautschuk oder Tinkturen aus heimischen Heilpflanzen. Mit ihren kunsthandwerklichen Produkten zielen die Leute von Chazuta auf den peruanischen fairen Markt ab, z.B. über sogenannte Öko-Messen oder Öko-Läden in Lima.  Die Produkte aus dem Agroforstsystem wie Kakao oder Kaffee sind skalierbar. Aber bisher verkaufen die Leute aus Chazuta ihre Waren in Nischenmärkten in Peru.

Am 31. Dezember 2024 tritt die neue Entwaldungsnorm der Europäischen Union in Kraft. Dann darf auch Peru nur noch Kaffee, Kakao, Palmöl, Kautschuk und Holz in die EU exportieren, für deren Produktion nachweislich kein neuer Wald geschlagen wurde. Wie diskutieren die Kaffee- und Kakaobauern in San Martin diese neue Norm?

 Ich habe mit vielen Kakaoproduzentinnen gesprochen. Die meisten fühlen sich überrumpelt: eine Auflage mehr, die ihnen das Leben schwer macht.

Die Norm ist an sich gut, aber es ist erstaunlich, wie wenig die EU die Kleinbauern im vornherein konsultiert hat. Damit hat sie auch die Initiativen nicht einbezogen, die es vor Ort schon seit Jahren gibt, um die Entwaldung zu stoppen. Zum Teil werden diese Initiativen von der EU selbst finanziert.

Ein Problem ist, wie die Bauern technisch – mittels GPS-Koordinaten – nachweisen können, woher ihr Produkt genau stammt. Die großen Kooperativen sind diesbezüglich gut ausgerüstet, aber kleine Kooperativen sind noch nicht so weit.

Anke Kaulard präsentiert Schokolade aus San Martin in Deutschland ©Anke Kaulard privat

Wie soll sich der deutsche Konsument oder die Konsumentin nun verhalten?

 Weniger Fleisch und mehr Schokolade essen! Und wenn Schokolade, dann eine, mit einer möglichst direkten Lieferkette, ohne Zwischenhändler. Das bedeutet dann aber auch, dass man fünf Euro für eine Tafel Schokolade zahlt, die bei Aldi 50 Cent kostet.

Schokolade darf kein Massenprodukt mehr sein, sondern der Konsument sollte sie als Kunstwerk sehen, für das er dann auch mehr ausgibt. Der Kakao-Anteil in der Schokolade ist dann so hoch, dass man nur wenig davon isst. Und für den Produzenten bedeuten diese fünf Euro Einkommen sehr viel!

Das Interview führte Hildegard Willer