Drei junge indigene Aktivist*innen erzählen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen.
Ruth Sánchez, Shipibo-Konibo, leitet die indigene Jugendorganisation ACITCJIA in Pucallpa, Ucayali. Jhakemil Kashiri ist Machigenka und Mitgründerin der indigenen Jugendorganisation AJICAM in Megantoni, in der Selva von Cusco. Und Henrry López ist Asháninka und Leiter der indigenen Gemeinde Tsiriari in Satipo, Junín.
Die Infostelle Peru hatte die drei jungen Aktivist*innen eingeladen zu einer Podiumsdiskussion.
Wir wollten wissen: Was halten sie von einem Entwicklungsmodell, für das die indigenen Territorien nicht Lebensraum, sondern vor allem Ressource zum Abbau von Rohstoffen ist? Welche Zukunftsvisionen haben sie?
Zunächst berichteten die drei, welche Umweltprobleme das westliche Entwicklungsmodell in ihren Gemeinden mit sich bringt: In Satipo sind die Flüsse so verschmutzt, dass es kaum noch Fische gibt – eine wichtige Lebensgrundlage für die Asháninka. Auch die Klimaerwärmung sei schon real. Auch in Megantoni sind Wasser, Luft und Erde verschmutzt. Hier ist es vor allem die Gasförderung, die die Umweltschäden verursacht. Ein weiteres Problem sei das große Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung, das u.a. einen enormen Plastikkonsum nach sich zieht. In Satipo sorgt der großflächige illegale Cocaanbau für Entwaldung und Artensterben.
Jhakemil Kashiri beschrieb, dass auch die jungen Indigenen sich dem von außen kommendem Modell von „Entwicklung“ oft anpassen. Das traditionelle Wissen gehe dadurch immer mehr verloren. „Meine Großmutter konnte so viel über Heilpflanzen oder Mondphasen erzählen. Wenn Du heute einen Jugendlichen fragst, antwortet er nicht mit seinem eigenen Wissen, sondern sucht im Handy.“ So würden die indigenen Gemeinschaften neu kolonisiert, mit der modernen Technik. „Das ist ein langsamer Genozid.“ Auch durch die Einwanderung von Mestizen in die indigenen Territorien gehe die eigene Kultur und Identität verloren. Ruth Sanchez beschreibt, dass viele junge Indigene aus den Gemeinden auswandern, weil sie studieren wollen oder Arbeit suchen. Zunächst erhalten sie dabei noch ihre Identität und Sprache, erfahren aber oft Diskriminierung. Wer aber in der Stadt geboren werde, verliere seine Identität und spreche oftmals nur noch Spanisch. Henrry López betont, die Asháninka seien gegen das kapitalistische Modell. Er beklagt, dass die peruanische Regierung Jugendlichen keine Perspektive biete. Das zwinge sie dazu, sich mit illegalen Geschäften z.B. im Drogenhandel Geld zu verdienen.
Welche Visionen haben junge Indigene angesichts dieser schwierigen Situation in ihren Gemeinden?
Ruth Sanchez findet es wichtig, sich auf die Werte, die die Großeltern den Jungen vermittelt haben, rückzubesinnen. Außerdem seien die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und ein Leben in Harmonie in den Gemeinden wichtige Werte. Und ja, dies gelinge auch. Immer mehr Frauen beteiligen sich und übernehmen entscheidende Positionen oder werden Kleinunternehmerinnen, vor allem im Kunsthandwerk. Junge Indigene werden in Projekten aktiv, die die neuen Technologien nützen. Sie machen Filme, um der Welt ihre Realität zu zeigen. Oder lernen den Umgang mit Drohnen, um ihre Territorien vor Eindringlingen zu schützen. Auch Henrry López betont, dass es in den indigenen Gemeinden einen ungemeinen Reichtum gebe, den es wertzuschätzen gelte. „Wir Jungen müssen unsere eigene Zukunft zeichnen“. Aber „die Politik hört uns nicht“, sondern im Gegenteil würden junge Indigene oft diskriminiert. Für Jhakemil Kashiri geht es darum, die eigene Kultur wieder aufzuwerten. „Wir müssen groß denken und unsere eigene Kosmovision entwickeln“. Dazu brauche es mehr Bildung und mehr Räume und Möglichkeiten, in denen junge Indigene ausdrücken können, was sie denken und fühlen – so wie in dieser Veranstaltung der Infostelle Peru. Das geschehe viel zu wenig. So würden zu den wichtigen Weltklimagipfeln Jugendliche nicht eingeladen, obwohl dort über ihre Zukunft verhandelt wird.
Die Landwirtschaft könnte eine wichtige Rolle spielen, um ein gutes Leben in den Gemeinden zu erhalten. Meist würden sie ihre Produkte nur selbst konsumieren, meint Ruth Sanchez. „Wir sollten sie aber auch verkaufen.“ „Die Städter brauchen uns Landbevölkerung“, bestätigt Jhakemil Kashiri. „Aber die Landwirte verdienen nicht genug, um von ihren Produkten zu leben. Es fehlt die Wertschätzung. Wir ernähren die Menschen in den Städten.“ Henrry López ergänzt, dass in seiner Gemeinde seit ca. fünf Jahren der Anbau diversifiziert und qualitativ verbessert werde. Es werden jetzt Kakao, Kaffee und Zitrusfrüchte angebaut.
Und wo engagieren sich die drei jungen Aktivist*innen konkret? Mit welchem Erfolg?
Henrry López berichtet vom Einstieg junger Gemeindemitglieder in die Schokoladenproduktion. Sie sollen eine Schulung für eine qualitätsvolle Produktion und eine bessere Vermarktung erhalten. Dann gäbe es eine Alternative zu illegalen Beschäftigungen, zu denen sich viele gezwungen sehen. Doch hier fehle die Unterstützung der Regierung.
Jahkemil Kashiri erzählt, dass ihre Organisation AJICAM sich zusammengeschlossen und dafür eingesetzt hat, dass die Distriktverwaltung mehr junge Menschen aus der Gemeinde einstellt statt Personal von außen zu suchen. Das war erfolgreich, viele Junge haben Arbeit in der Verwaltung gefunden. AJICAM engagiert sich außerdem in der Umweltbildung. Die Organisation veranstaltet Workshops mit Kindern und Frauen zum Plastikrecycling. Gemeinsam stellen sie Schmuck oder Spielzeug her, veranstalten Wettbewerbe und Fortbildungen. Das Umweltbewusstsein in der Gemeinde sei dadurch schon besser geworden. Darüber hinaus bietet AJICAM eine Fortbildung für junge Indigene an, mit dem Ziel, dass diese wirtschaftlich erfolgreich arbeiten können. Dafür werden Kurse in Management, Informatik, Grafikdesign u.a. angeboten. Für diese Arbeit sei aber Unterstützung nötig.
Auch Ruth Sánchez und ihre Organisation ACITCJIA führen Umwelt- und Weiterbildungsprojekte durch. Hier geht es um den Umgang mit Drohnen und die Überwachung der eigenen Territorien, um das Eindringen und die Zerstörung von außen zu bekämpfen. Ausgebildet wird eine Gruppe von jungen Indigenen aus verschiedenen Gemeinden, die das erworbene Wissen dann innerhalb ihrer Gemeinde weitergeben. Außerdem sendet ACITCJIA Radioprogramme in der Sprache der Shipibo-Konibo.
Und welche Erwartungen haben die jungen Aktivist*innen an uns und die Menschen in Europa?
Ruth Sanchez betont, dass der Kampf der Gemeinden um ihr Territorium und den Erhalt der Wälder nicht das Problem einer einzelnen Gemeinde sei, und auch nicht eines einzelnen Landes. Es gehe alle an. Wir in Deutschland könnten dazu beitragen, dass das mehr Menschen verstehen. Wir sollten jugendliche Stimmen in unsere Aktivitäten einbeziehen und hörbar machen. Henrry López macht noch einmal auf das Problem in Satipo aufmerksam, dass Jugendliche ohne eigene Schuld in den Drogenhandel verwickelt werden, weil sie keine Alternative sehen. Junge Asháninka bräuchten deshalb vor allem angemessene Arbeitsplätze. Dazu sei ein Empowerment der jungen Aktivist*innen nötig, damit diese junge Indigene besser weiterbilden, organisieren und einbinden können. Jhakemil Kashiri erzählt als positives Beispiel, dass ihr eine europäische NGO die Teilnahme an der COP 25 in Glasgow ermöglicht habe. Wir in Europa hätten die besseren Möglichkeiten, jungen aktivistischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Wir sollten ihnen Gelegenheit geben, ihre Situation öffentlich zu machen – nicht über Stellvertreter*innen, sondern indem sie selbst eingeladen werden.
Am Ende der Veranstaltung stand die gemeinsame Überzeugung, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, in denen junge Indigene sich äußern können. Ein nächster Schritt könnte die Vernetzung mit jungen Aktivist*innen in Deutschland sein. Die Infostelle Peru wird dranbleiben!
Annette Brox