Bilder der Santa Colonia, einer vom Vatikan nicht anerkannten aber in Lima sehr beliebten “Heiligen”. ©Adveniat/Martin Steffen

Sarita Colonia – die Heilige der Busfahrer und Gauner

Busfahrer in der peruanischen Hauptstadt Lima brauchen Nerven wie Drahtseile, viel Geduld und gesunde Lungen, um den chaotischen und lauten Verkehr und die Abgase viel zu alter Vehikel zu überleben. Dabei hilft ihnen ein besonderer Schutzengel: Sarita Colonia, die Heilige der Armen in Peru.

Das Bildchen der jungen Frau mit einem ausdruckslosen weißen Gesicht und schwarzen glatten Haaren baumelt an so manchem Rückspiegel. Oft befindet Sarita Colonia sich in Gesellschaft anderer Heiliger wie der Jungfrau Maria oder einem Jesus mit kitschig-offenem Herzen. Wie bei Medikamenten ist auch hier die Devise: Lieber ein bisschen zu viel als zu wenig.

Von Lima aus regierten die Spanier einst ganz Südamerika. Die erste katholische Heilige Amerikas war die Tochter eines spanischen Soldaten, die als Eremitin lebte, sich selber geißelte und mit ihren Gebeten angeblich Lima vor einem Piratenangriff rettete. Rosa von Lima starb 1617 mit 31 Jahren bereits im Ruf der Heiligkeit.

Ein unspektakuläres Leben mit Folgen

Auch Sarita Colonia starb jung. Aber damit enden auch die Ähnlichkeiten mit Rosa von Lima. Sarita Colonia kam 1914 als Tochter eines Schreiners in den Anden zur Welt. Die Familie zog in die Hafenstadt Callao, auf der Suche nach einem besseren Leben. Eigentlich wollte Sarita ins Kloster gehen.

Aber als die Mutter starb, musste sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern. Daneben arbeitete sie als Verkäuferin auf dem Markt, damit die Familie über die Runden kam. 1940, mit 26 Jahren, starb Sarita an Malaria. Die Familie begrub sie in einem Massengrab neben dem offiziellen Friedhof. Der Vater errichtete ein Kreuz für seine tote Tochter.

Dankesplakette am Grab der Santa Colonia, einer vom Vatikan nicht anerkannten aber in Lima sehr beliebten Heiligen. ©Adveniat/Martin Steffen

Von der Verkäuferin zur Volksheiligen der Ausgegrenzten

Ein unspektakuläres Schicksal, wie es viele Familien in jener Zeit erlebten. Doch genau deswegen wurde Sarita Colonia zur Projektionsfläche für die neuen Bewohnerïnnen Limas, die von der peruanischen guten Gesellschaft genauso wenig zur Kenntnis genommen wurden wie die lebende Sarita Colonia – und die, wie sie, im Alltag ums Überleben kämpfen musste.

Sarita Colonia war zwar wegen ihrer Güte und Großzügigkeit in der Nachbarschaft bekannt, hat aber zu Lebzeiten keine Wunder gewirkt. Warum gerade sie zur inoffiziellen Heiligen der kleinen Leute Limas wurde – darüber spekulieren bis heute Volkskundlerïnnen und Historikerïnnen. Vielleicht, weil die Sehnsucht der gesellschaftlichen „Nichtse” nach Transzendenz ein Gesicht und einen Namen brauchte, den sie in der offiziellen katholischen Kirche nicht fanden.

Grab der Santa Colonia, einer vom Vatikan nicht anerkannten aber in Lima sehr beliebten “Heiligen”. ©Adveniat/Martin Steffen

Mit den Migrantïnnen kam der Kult in Fahrt

Zuerst kamen die Hafenarbeiter zum Holzkreuz der Sarita Colonia mit ihren Bitten. Richtig los ging der Kult in den 1970er-Jahren. Peruanerïnnen aus allen Landesteilen zogen in die Hauptstadt, sie errichteten illegale Armenviertel, schlugen sich mit Hilfsjobs und als Straßenhändlerïnnen durch – und waren wegen ihrer meist indigenen Herkunft marginalisiert.

Sarita Colonia wurde zu ihrer Heiligen. In ihr erkannten sich die Ausgeschlossenen wieder, auf die niemand gewartet hatte und die sich ihren Platz in der Hauptstadt erkämpfen mussten.

Ein Mausoleum und tätowierte Mafiosi

Die Familie Sarita Colonias errichtete im hinteren Teil des Friedhofs von Callao ein einfaches Mausoleum für all die Bittstellerïnnen, und verkauft dort ihre Kerzen und die Votivbildchen mit dem blassen, ikonenhaften Antlitz der Sarita Colonia. Das Mausoleum ist im Stil eines einfachen Häuschens erbaut, ohne jeglichen Prunk. Das Innere schmücken zig Votivtafeln, die vom vielen Kerzenrauch längst schwarz sind.

Nicht nur die Armen, Hafenarbeiter und Busfahrer erkoren Sarita Colonia zu ihrer Heiligen, auch die Diebe und Gauner suchen bei ihr Hilfe. So mancher Mafioso ließ sich ein Porträt von Sarita auf ein Körperteil tätowieren, besonders gerne, um Narben von Messerstechereien oder Schüssen zu verdecken. Das Gefängnis von Callao ist nach ihr benannt. Im Innenhof befindet sich ein großes Wandgemälde von ihr.

Das Innere des Mausoleums der Sarita Colonia ©Adveniat/Martin Steffen

Migrantïnnen trugen ihren Kult in die Welt

Als gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer mehr Peruanerïnnen vor der Gewalt und der Inflation ins Ausland flohen, begleitete sie Sarita Colonia in alle Herren Länder.

Am 1. März, ihrem Geburtstag, und an ihrem Todestag, dem 20. Dezember, finden auf dem Friedhof von Callao Messen für Sarita Colonia statt. Längst ist sie Teil der Volkskultur. Doch für den offiziellen katholischen Heiligenkalender existiert Sarita Colonia nicht.

Ich trage übrigens auch mein Bildchen der Sarita Colonia im Portemonnaie. Wenn Sarita die Busfahrer in Lima schützt, dann hat sie sicher auch Erbarmen mit uns Fahrradfahrerinnen, damit wir im Verkehrsdschungel von Lima nicht unter die Räder kommen.

Hildegard Willer

Dieser Artikel erschien zuerst in https://www.riffreporter.de/de/international/starke-frauen-bewegen-lateinamerika-geschichte-und-aktivismus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert