© Daniela Zambrano

“Ich bin nur die Vermittlerin”

Die peruanische Künstlerin Daniela Zambrano setzt sich für die Rückgabe von Raubkunst in deutschen Museen nach Peru ein.

Daniela, möchtest Du Dich kurz unseren Leser*innen vorstellen?

Hallo, ich heiße Daniela Zambrano Almidón. Ich komme aus dem Norden Limas und zurzeit lebe ich in Berlin. Ich bin Künstlerin, Forscherin und Aktivistin.

Seit wann bist Du in Deutschland und wieso hast Du Dich dazu entschieden Deine erste Heimat hinter Dir zulassen?

Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, war ich als Au Pair in Österreich. Ich habe mich dazu entschlossen in Berlin meinen Master in ‚Kunst im Kontext‘ zu machen, weil es nicht so viele Kunststudiengänge in Peru gibt bzw. die zu teuer sind. Außerdem habe ich Verwandtschaft in Deutschland. In der Kunst redet man viel von Europa und viel ist Richtung ‚Westen‘ ausgerichtet, also dachte ich mir, warum nicht mal dahin, wovon mir so viele immer erzählt haben!

Deine Kunstprojekte sind politisch, z.B. die Performance über die Zwangssterilisation von peruanischen indigenen Frauen unter Diktator Alberto Fujimori. Welche Message möchtest Du mit Deiner Kunst an die Menschen bringen? Und welche Rolle spielt dabei Deine Herkunft, Familie und Erfahrungen?

Eigentlich sind es sehr viele miteinander verbundene Themen, die mich beschäftigen. Ich versuche diese mit der Realität, aus der ich komme, zu verbinden. Natürlich spielt meine Familiengeschichte hierbei eine große Rolle. Ich hatte zwar das Glück beschützende und liebende Eltern und Großeltern zu haben, aber trotzdem war mein Umfeld kein privilegiertes. Gerade die Zwangssterilisationen sind ein sensibles Thema. Die Zwangssterilisationen wurden auch in dem Dorf meiner Oma durchgeführt und in gewisser Weise war auch meine Oma ein Opfer. Leider ist dieses Thema und generell die Gewalt unter Fujimori noch immer ein Tabuthema, in den Schulen wird kaum dazu unterrichtet. Auch mir hätte das passieren können und trotzdem gibt es eine große gesellschaftliche Distanz zu dem Thema. Zwar gibt es jetzt mehr wissenschaftliche Diskurse und Forschungen dazu, aber in diesen sind wir Forschungsobjekte. Dabei ist es ein gesamtgesellschaftliches und persönliches Thema, mit dem wir uns kollektiv auseinandersetzen müssen.

Daniela Zambrano Almidon ©Daniela Zambrano

In den Performances ist es mir besonders wichtig, nicht die Protagonistin zu sein und mich nicht in den Vordergrund zu drängen. Die Gemeinden und Gemeinschaften sollen wirken, ich bin nur die Vermittlerin. Künstler*innen, die sich dieser Themen annehmen, tragen auch eine Verantwortung. Kunst ist für mich ein Medium. Man darf nicht wieder Rassismus und Sexismus reproduzieren. Die Unterdrückungsdimensionen race, sex und class wirken hier intersektional und verstärkend. Es ist schon schwer genug eine Frau zu sein! Stell Dir mal vor, wie es ist eine indigene Frau zu sein, die ökonomisch arm ist! Im Endeffekt war Fujimoris Politik auch kolonial – er wollte nicht nur die absolute Kontrolle über Territorien haben, sondern auch über die Körper und Reproduktion der Bevölkerung.

Du hast viel über Restitution, also die Rückgabe von Kunst- und Kulturgütern, die in der Kolonialzeit gestohlen wurden, geforscht. Besonders eine peruanische Mumie hat Dich beschäftigt – die ‚Mallqui‘ wurde in der Kolonialzeit gestohlen und soll jetzt im Humboldt-Museum in Berlin ausgestellt werden. Eine Gemeinde in Chuquitanta (Lima) erhebt Anspruch auf die Rückführung dieser Mumie. Wie bist Du auf das Thema gekommen?

Die „Mallqui“ ist ein 1000 Jahre altes prähispanisches Begräbnisbündel aus zwei menschlichen Körpern, eines Erwachsenen und eines Kindes, das vor 150 Jahren aus Peru geplündert wurde. Die Mumie selbst wurde demnach im heutigen Lima, in San Martín de Porres, gefunden, hat aber andine Attribute und Federschmuck aus dem Amazonasgebiet bei sich. Selbst die Mumie war also wohl schon interkulturell.

Auch hier müssen wir die Sachen im Zusammenhang sehen, denn auch hier gibt es diesen „choque de mundos“, also den Zusammenprall zweier Welten. Einerseits hat der Raub von heute peruanischen Gütern den Kolonialist*innen viel Geld gebracht. Gleichzeitig wurde die indigene Bevölkerung ausgebeutet. Was für die einen Ruhm und Reichtum war, hieß für die anderen Versklavung und Schmerz. Nicht nur die Kunst- und Kulturgüter wurden kapitalisiert, sondern auch die indigenen Körper, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen. Das Wissen der indigenen Menschen wurde ausgenutzt, wobei bereits benannte Orte, Phänomene und Gegenstände neu vom ‚weißen Mann‘ benannt wurden.

Also wurden nicht nur physische Gegenstände wie Gold, Mumien und Gewänder extrahiert, privatisiert und nach Deutschland (oder andere Kolonialländer und ihre Verbündete) gebracht, sondern auch das angesammelte Wissen, die Geschichte und die Identität der indigenen Gemeinschaften. Die Kolonialist*innen herrschten mit körperlicher und kultureller Dominanz. Die Machtstrukturen, die Eliten bevorzugen, wirken damals wie heute. Auch heute gibt es noch viele ‚Humboldts‘, die das Ganze romantisieren.

Wie viele peruanische Kulturgüter gibt es in Deutschland? Wie sind sie hier hergekommen?

Genau weiß man das nicht, aber allein in der ethnographischen Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gibt es 56.199 Objekte aus dem heutigen Peru! Weitere große Sammlungen sind in Leipzig und München. Die größte Sammlung ist von einem einzigen Sammler, Christian Theodor Wilhelm Gretzer, in den Jahren 1872 bis 1904 zusammengetragen worden. Durch zwei Ankäufe 1899 und 1907 kamen 44.600 Objekte der 70.000 Artefakte, überwiegend Grabfunde von der Küste Perus, nach Berlin.

Du bist in Berlin in einer Initiative namens DecolonizeM21, die versucht, die peruanischen Güter wieder nach Peru zu bekommen. Wie versucht Ihr das? Habt Ihr peruanische Unterstützung – wenn ja, von wem?

DecolonizeM21 wurde initiiert durch den Besuch des Moduls 21 der oben genannten ethnographischen Sammlung. Modul 21 ist die sogenannte südamerikanische Sammlung. Aus dem Besuch wurde im Rahmen der Uni eine Kooperation, bei der viele kritische Projekte gemacht wurden. Eines der Ziele war aber auch Zugang zu den riesigen Wissensarchiven zu bekommen, die fälschlicherweise in Deutschland sind und somit Peruaner*innen zum Kennenlernen ihrer Geschichte und zur Identitätsbildung fehlen.

Unterstützung seitens Peru gibt es von Gemeinden und nicht-staatlichen Organisationen. Der peruanische Staat ist sehr fragmentiert und interessengeleitet von politischen und wirtschaftlichen Eliten. Anfragen an die peruanische Botschaft in Berlin blieben ohne Ergebnis.

Was soll mit den Objekten passieren, wenn sie wieder in Peru sind?

Hier müssen das Kulturministerium Perus und die Gemeinde, aus denen die Güter stammen, eine gemeinsame Lösung finden. Das Hauptentscheidungsrecht liegt aber bei den Gemeinden. Die Gegenstände sollen nicht wieder in Museen, weil wir sonst ein ähnliches Problem haben – nur an anderer Stelle. Die Gemeinden haben schon gegen so viel Neokolonialismus, Rassismus und so weitergekämpft, wir Menschen in der Diaspora haben nur die Aufgabe auf diesen Kampf aufmerksam zu machen und ihn zu unterstützen, wo wir können.

Warum glaubst Du, dass die Restitution so wichtig ist und wie glaubst Du, kann sie vonstattengehen?

Die Restitution ist eben nicht nur die simple Rückgabe der geklauten Gegenstände, sondern auch eine Wiedergutmachung auf psychologischer Ebene. Der Kolonialismus hat nicht nur die Mumie gestohlen, sondern auch Lebensweisen, Wissen, Kulturen und Sprachen unterdrückt und ausgerottet. Auch die Umwelt, in der die Menschen vor der Eroberung gelebt haben, wurde zerstört. Kolonialismus ist auch die Grundlage für Neokolonialismus heute, der wieder Natur und Menschen ausbeutet. Bei einer Restitution auf allen Ebenen müssen wieder lebendige Räume geschaffen werden und dafür muss z.B. der Fluss wieder sauber und gesund werden und die Bildung verändert werden. So ein Ort hätte dann großes Potential die Art und Weise, wie wir Geschichte sehen, zu revolutionieren, zu dekolonialisieren. Restitution ist die Rückgabe der Kulturobjekte und damit auch die Rückgabe von Respekt dem lange Unterdrückten.

Hast Du abschließend noch etwas, was Du mit uns teilen möchtest?

Nur, dass ich mich verleugnen würde, würde ich die Augen vor solchen Sachen verschließen. Ich würde meine Herkunft, meine Familie, meine Nachbar*innen und meine Freund*innen verleugnen. Meine Mama hat mir beigebracht, mich einzumischen und anderen zu helfen. Würde ich das nicht tun, würde ich auch die Prinzipien meiner Mama leugnen. Also dekolonialisiert die Bildung und die Diskurse und schafft eine auf allen Ebenen vollständige Restitution!

Wer mehr über Daniela Zambrano Almidón und ihre künstlerische Arbeit erfahren möchte, kann sich auf ihrer Website informieren:  https://danielazambranoalmidon.wordpress.com/.

Eine Petition von DecolonizeM21 zur Rückgabe der „Mallqui“ findet sich hier.

Das Interview hat Elisa Bemmerl geführt und übersetzt.