Editorial InfoPeru 89

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute hat Peru weltweit Schlagzeilen gemacht: Das peruanische Nobelrestaurant „Central“ wurde zum besten Restaurant der Welt gekürt. Das mag wohl eine Ehre sein für das Land mit der vielfältigsten und besten Küche Südamerikas. Doch die allermeisten Peruanerinnen und Peruaner werden nie in ihrem Leben ein 500-Euro-Menü im Restaurant „Central“ probieren.

Wie angespannt die wirtschaftliche Situation für viele Menschen weiterhin ist, habe ich bei einem Besuch in Gemeinschaftsküchen am Rande des Distrikts San Juan de Lurigancho vor einer Woche erlebt. Aus eigener Initiative haben Frauen während der Corona-Pandemie damit begonnen, gemeinsam für ihre Familien und für Bedürftige in ihrem Viertel zu kochen. Viele dieser „Ollas comunes“ existieren weiterhin und versorgen die Familien am Rande der Gesellschaft Limas mit billigem und gesundem Essen. Umgerechnet 80 Cent habe ich dort bezahlt für eine deftige Nudelsuppe als Vorspeise, und ein Hauptgericht bestehend aus Quinoabrei mit Reis, gebackener Süßkartoffel und kleinen Thunfischpfannkuchen.  In diesem Spannungsfeld – dort die 500-Euro-Küche, hier die 80-Cent-Volksküche – lebt man in Peru.

Die peruanische Regierung unter Präsidentin Dina Boluarte, im Zusammenspiel mit dem Kongress, leugnet diese Gräben in der Gesellschaft weiterhin. Dina Boluarte sieht sich als Retterin vor dem Chaos, das ausgebrochen wäre, wenn sie den Protesten im Dezember und Januar nicht Einhalt geboten hätte. Dass ihre Polizisten und Militär dabei 49 Menschen erschossen haben, erwähnt sie nicht.

Für Juli haben die sozialen Bewegungen aus dem Süden einen weiteren Protestmarsch nach Lima geplant. Boluartes Warnung: „Habt ihr nicht genug mit 49 Toten? Wollt ihr noch mehr Tote?“ sagte sie im peruanischen Fernsehen an die Demonstrierenden gerichtet. Ihr Subtext: Wenn die Polizei wieder töten muss, dann ist das eure Schuld, weil ihr nicht zu Hause geblieben seid.

Obwohl fast 80 % der Bevölkerung bei Umfragen die Regierung ablehnt, sitzt diese fest im Sattel. Bisher regt sich in Lima kaum spürbarer Widerstand gegen die Regierung und die von Exekutive und Regierung betriebene schleichende Aushöhlung der demokratischen Institutionen. Ich bin sehr gespannt, ob die unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger Limas und aus anderen Landesteilen die angekündigten Proteste im Juli unterstützen und die Straßen füllen werden, und damit einen Politikwechsel in Peru herbeiführen können.

Ihre Hildegard Willer

(Redakteurin InfoPeru)