Ein Gespräch mit der Historikerin Cecilia Méndez aus Anlaß des Todes von Abimael Guzman.
Am 11. September starb der wohl berüchtigste Terrorist Lateinamerikas, Abimael Guzmán. Der 86-jährige starb eines natürlichen Todes im Hochsicherheitsgefängnis in der Marinebasis von Callao, wo der Gründer und Anführer der peruanischen Terrororganisation „Leuchtender Pfad“ seit seiner Gefangennahme am 12. September 1992 eine lebenslange Haftstrafe verbüsst hatte. Sein Tod löste eine nationale Debatte aus, was mit dem Leichnam geschehen solle. Nach Erlaß eines dementsprechenden Gesetzes, wurden die sterblichen Überreste von Abimael Guzmán schließlich verbrannt und seine Asche an einem unbekannten Ort verstreut.
Infoperu sprach mit der peruanischen Historikerin Cecilia Mendez darüber, warum der Tod Abimael Guzmáns so viele Gemüter erhitzte; warum Sendero Luminoso keine Guerrilla-Gruppe wie andere war, und wo der Prozess der Aufarbeitung des Bürgerkrieges heute steht.
Cecilia Méndez lehrt Geschichte an der University of California in den USA.
InfoPeru: Was bedeutet der Tod von Abimael Guzman für die Aufarbeitung des bewaffneten Konfliktes in Peru?
Sehr wenige Menschen stellen sich im Moment diese Frage, es gibt kein gesellschaftliches Klima dafür. Wir haben erstmals eine Regierung, die sich als links definiert, nach einer Wahlkampagne, in der die Kandidaten der Linken von der Opposition als Terroristen verunglimpft wurden, und in der jegliche Kritik am Status Quo als Terrorismus dargestellt wurde. Als nun Abimael Guzmán starb, kam von konservativer Seite gleich die Kritik, dass die Regierung sich nicht klar vom Leuchtenden Pfad distanzieren würde. Anstatt darüber nachzudenken, was dieser Tod bedeutet, ging der Streit darüber los, was man mit dem Leichnam machen solle.
Wenn wir tiefer analysieren, dann geht mit dem Tod von Abimael Guzmán ein Zyklus zu Ende, der 1980 begann und ein Blutbad in Gang setzte, das 18 Jahre lang währen sollte. Nie vorher gab es in Peru kriegerische Auseinandersetzungen, die so lange andauerten und so viele Opfer forderten. Diese Periode geht zu Ende, denn nun ist Amnestie kein Thema mehr. Zugleich haben wir ein gesellschaftliches Klima, in dem es nicht angesagt ist, darüber zu reden.
Was steckt hinter der Auseinandersetzung um den Leichnam von Abimael Guzmán?
Es ist die Angst, dass sich ein Grab zu einer Pilgerstätte, zu einem Mausoleum werden könnte, zu einer Kultstätte des Leuchtenden Pfades. Die Angst war so groß, dass man nicht einmal der Witwe, eine ebenfalls lebenslänglich einsitzende hohe Anführerin des Leuchtenden Pfades, gestattete, den Leichnam noch zu sehen.
Der Leuchtende Pfad ist immer noch eine offene Wunde in der peruanischen Gesellschaft. Er hat viele Spuren in vielen Menschen hinterlassen durch die Gewalt, die Massaker, den Schmerz. Erstaunlicherweise kommen in den Medien aber nicht die Menschen zur Sprache, die unter dem Leuchtenden Pfad am meisten gelitten haben, nämlich die ländliche Andenbevölkerung. Diese interessiert es weniger, was mit dem Leichnam von Abimael Guzmán geschieht. Sie warten immer noch Gerechtigkeit.
Die meisten bewaffneten Gruppen des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika werden als Guerrilla bezeichnet. Der Leuchtende Pfad dagegen wird meist als Terrorgruppe benannt. Was ist der Unterschied?
Das hängt davon ab, welche Definition von Terrorismus man anwendet. Der Leuchtende Pfad war eine politische Organisation, die terroristische Mittel anwendete. Insofern ist es richtig, sie als terroristische Organisation zu bezeichnen, genauso wie sie auch eine politische Organisation waren. In zweierlei unterscheidet sich der Leuchtende Pfad deutlich von den bewaffneten Bewegungen Lateinamerikas des 20. Jahrhunderts: zum einen war für den Leuchtenden Pfad (in Zukunft im Text SL abgekürzt) die Gewalt nie das letzte Mittel, sondern das erste. Als 1980 zum ersten Mal nach der Militärdiktatur Wahlen durchgeführt wurden, hat der Leuchtende Pfad die Wahlen boykottiert. Sein erster terroristischer Anschlag war das Verbrennen der Wahlurnen – Urnen mit Stimmzetteln von Menschen, die als Analphabeten zum ersten Mal in ihrem Leben zur Wahl gehen durften. Für den Leuchtenden Pfad war die Gewalt nicht das letzte Mittel, sondern das erste Mittel. Deswegen ist es so schwierig, diese Gewalt zu rechtfertigen. SL wollte in ganz Peru ein Blutbad provozieren, in der Absicht, dass die Regierung immer repressiver würde und das Volk keine andere Option sähe, als sich dem Leuchtenden Pfad anzuschliessen.
Die Entstehung von bewaffneten Gruppen in anderen Ländern war ganz anders. Viele von ihnen entstanden während einer Diktatur – mit Ausnahme von Kolumbien. Aber in Kolumbien ging es der Guerrilla immer darum, zu verhandeln: ein Entführter gegen einen freigelassenen Guerrillero etc. Der Leuchtende Pfad verhandelte nicht.
Der andere große Unterschied ist der Verzicht des SL auf nationale Symbolik oder den Appell an nationalistische Gefühle. Andere Guerrilla-Gruppen nannten sich „Nationale Befreiungsfront“ etc, oder sogar die MRTA-Guerrilleros hatten während der Besetzung der japanischen Botschaft Halstücher mit der peruanischen Flagge um den Mund gebunden. Bei SL gab es das nicht. SL benutzte Hammer und Sichel, die weltweiten Symbole des Kommunismus, aber nie nationale Symbole. Vor 1980 bezogen sie sich noch auf Mariategui. Aber danach gab es nur noch das „Pensamiento Gonzalo“, also das, was der Anführer Abimael Guzmán anordnete. SL bekam so den Charakter einer hierarchisch aufgebauten Sekte mit einem sehr ausgeprägten Personenkult.
In Ihrem neuesten Essay „Peru – The Paths of Terrorism“ beschreiben Sie, dass der Begriff Terrorismus in Peru schon längst vor dem Leuchtenden Pfad in Gebrauch war.
Der erste belegte Gebrauch des Begriffs „Terrorismus“ in Peru bezieht sich auf den vom Staat ausgeübten Terrorismus. Im Jahr 1867 kam es im Departament Puno zu Aufständen der indigenen Bevölkerung. Die dortigen Grossgrundbesitzer, die zugleich auch Abgeordnete im Kongress in Lima waren, forderten ein Gesetz, das die gewaltsame Unterdrückung und Verbannung der Aufständler erlauben sollte. Liberale Stimmen, die es in Peru damals auch gab, bezeichneten diesen Vorschlag als terroristische Praktiken. Das machte Sinn, denn die Grossgrundbesitzer wollten den Gebrauch der Gewalt legitimieren, um Angst zu schüren. Das Gesetz kam damals nicht durch. Der erste Gebrauch des Wortes „Terrorismus“ in Peru diente also dazu, bestimmte Praktiken der Mächtigen zu bezeichnen.
Erst 1949, unter der Herrschaft des Diktators Odria, kam es zu einem Gesetz, das Terrorismus als Straftat gegen die innere Sicherheit definierte. Dieses Gesetz richtete sich damals gegen die APRA und dessen Gründer Haya de la Torre.
Was ich damit sagen will: Terror kann von verschiedenen Seiten ausgeübt werden, es hängt vom jeweiligen historischen Moment ab, ob von Seiten des Staates oder gegen den Staat.
Es gibt auch Terrorismus im Gewand eines Zwangsarbeitssystems. Die Zeit des Kautschuk-Booms vor rund 100 Jahren ist dafür ein gutes Beispiel. Der Terror wurde als Waffe eingesetzt, damit die Indigenen Kautschuk lieferten. In dieser Epoche sind mehr indigene Gemeinschaften verschwunden als unter SL. Und niemand spricht hier von Opfern des Terrorismus. Dabei waren die Sklavencamps der Kautschuk-Barone und diejenigen, die Sendero Luminoso unterhielt, sehr ähnlich. Wenn ich sage, dass Sendero Luminoso nicht die einzige terroristische Organisation in unserer Geschichte ist, wird mir Relativismus vorgeworfen. Aber ich stelle die Dinge nur in ihrer historischen Perspektive dar. Ich sage nicht, dass SL keine terroristische Organisation war. Aber er war nicht die einzige. Eine Wahrheit schließt die andere nicht aus.
Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Wir haben heute eine gefährliche Situation, in der systematische Desinformation betrieben wird und keine Pluralität der Meinungen erlaubt ist. Dies könnte einem Faschismus den Weg bereiten. Jeglicher Faschismus basiert auf einer systematischen Lüge.
Die Menschen, die in den Anden für Castillo gestimmt haben, kommen in den nationalen Fernsehkanälen nicht vor. Bisher hat niemand eine Bäuerin aus den Anden öffentlich gefragt, was ihrer Meinung nach mit dem Leichnam von Abimael Guzmán geschehen soll.
In anderen lateinamerikanischen Ländern ist es inzwischen üblich, ehemalige Guerreros als respektierte Politiker sogar in hohen Wahlämtern zu sehen. Pepe Mujica in Uruguay oder Dilma Rousseff in Brasilien sind die bekanntesten Beispiele. Aber auch in Kolumbien stellen sich ehemalige Guerrilleros zur Wahl. Wird dies in Peru auch einst der Fall sein, dass der Leuchtende Pfad eine „normale“ Partei wird und ehemalige Sendero-Häftlinge sich um ein politisches Amt bewerben können?
Diese Debatte ist in Peru nie geführt worden. Movadef, der politische Arm des SL, ist nicht als Partei anerkannt. Der Wiedereingliederung wird erschwert durch die so grausamen Taten des Leuchtenden Pfades. Aber auch dadurch, dass weder Abimael Guzmán noch Alberto Fujimori jemals ihre Taten öffentlich bereut haben. Guzmán hat die Gräueltaten immer mit seiner sogenannten Revolution gerechtfertigt. Die Wahrheitskommission hat zwar rechtmäßige Verurteilungen sowohl gegen Abimael Guzmán wie auch Alberto Fujimori zur Folge gehabt; keiner von beiden hat jedoch jemals seine Verantwortung für die Gewalttaten eingestanden.
Wenn verurteilte Senderistas freikommen und auch ihre Taten bereuen, so werden sie in Peru heute erneut kriminalisiert. Sie dürfen zum Beispiel nicht an staatlichen Schulen unterrichten und werden vieler Arbeitsmöglichkeiten beraubt. Es gibt keinen Dialog darüber, wie freigelassene Senderistas, die ihre Haftstrafe verbüsst haben, sich in die Gesellschaft eingliedern können.
41 Jahre sind vergangen seit der ersten Gewalttat des Sendero Luminoso in Chuschi; 29 Jahre seit der Verhaftung des Anführers Abimael Guzmán und 18 Jahre seit Übergabe des Berichts der Wahrheitskommission: wo steht der Prozess der Aufarbeitung der jüngsten Gewaltgeschichte heute?
Leider befinden wir uns in einem geschichtlichen Moment, in dem die Versöhnung, der Konsens und das friedliche Zusammenleben kein Thema sind. Es dominieren die Verfolgung Andersdenkender und der politische Nutzen, der aus dem Trauma der Vergangenheit geschlagen wird. Die Referenz auf die Vergangenheit wird zur Waffe, um den Gegner auszuschalten. Das hat auch mit der schädlichen Rolle der Medien zu tun, die keine Dialogräume öffnen.
Vor rund 10 Jahren gab es eine kleine Öffnung: die Bücher von Lurgio Gavilan oder Juan Carlos Aguero, aber auch des ehemaligen Militärs Carlos Enrique Freyre haben die Dichotomie von Opfer und Täter aufgerissen und Gespräche ermöglicht. Heute ist davon wenig zu spüren.
Ein Problem ist, dass die Leute, die in Peru am meisten Macht haben, in Lima leben und nicht in den Dörfern in den Anden, wo ehemalige Opfer und ehemalige Täter zusammenleben und sich arrangieren müssen. Oft gibt es in derselben Familie Opfer wie Täter, oder sogar eine Person konnte sowohl Opfer wie Täter sein, wie die Geschichte von Lurgio Gavilan zeigt. Eine Versöhnung müsste von diesen Menschen kommen, aber niemand in Peru hört ihnen zu. Stattdessen gehen einige Limeños auf die Straße, um gegen Terrorismus zu protestieren. In Ayacucho, wo die meisten Opfer des Terrorismus leben, geht niemand deswegen auf die Straße.
Ich befürchte, dass uns das Thema der Vergangenheitsbewältigung noch lange umtreiben wird.
Interview: Hildegard Willer