„Das Heilmittel ist schlimmer als die Krankheit“ – so kommentiert Salomon Lerner Febres, der ehemalige Leiter der peruanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission eine Kampagne, welche zuerst in der Region Huancayo entstanden ist , sich aber inzwischen (auch durch die Medien) schnell im ganzen Land verbreitet hat. Chapa tu Choro fordert die Menschen auf, Diebe, Einbrecher, und andere Verbrecher aller Art selbst zu fassen und eigenhändig zu bestrafen, und dabei („y dejalo paralítico“) durchaus körperliche Strafen bis hin zum Lynchmord in Kauf zu nehmen. Diese Racheakte werden dadurch begründet, dass die zuständigen staatlichen Stellen in der Polizei und der Justiz nur in ungenügendem Rahmen dazu beitragen, Verbrecher entsprechend zu finden und zu bestrafen und Sicherheit und Gerechtigkeit herzustellen.
Menschen fühlen sich unsicher
Das Gefühl von Unsicherheit und Angst vor Verbrechen und das Gefühl von unzulänglichem Schutz durch den Staat war schon bei den Wahlen im Jahr 2011 stark in der Bevölkerung präsent, und die sensationalistischen und populistischen Massenmedien bauschten diese Gefühle noch weiter auf und schürten sie mit diesen barbarischen Ruf nach „Gerechtigkeit mit den eigenen Händen.“ Ollanta Humala als Präsidentschaftskandidat gelang es damals als ehemaligem Militär, die Vorstellung vieler WählerInnen zu erwecken, dass nun die „Soldatenstiefel gegen Gewalt und Delinquenz in der Gesellschaft marschieren“ würden.
Die Realität sieht aber inzwischen anders aus: Humala hat nach fast fünf Jahren an der Spitze der Regierung wenig verändert an dem wachsenden Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung, und zu oft werden Delinquenten von der zum Teil korrupten Justiz nur geringfügig bestraft. Und das nährt das Gefühl der Menschen, die Justiz in die eigenen Hände nehmen zu müssen.
Dagegen verlautbaren aber z.B. die Rondas Campesinas (Bauernwehren) aus Cajamarca, dass diese Kampagne zur Selbstjustiz kontraproduktiv sei, die Gewalt noch mehr anheize und in keiner Weise resozialisierend oder „erzieherisch“ wirke. Und scharf setzt sich der Nationale Zentralverband der Rondas Campesinas davon ab, dass diese Selbstjustiz mit dem von der peruanischen Verfassung und auch der UNO legitimierten Anwendung des Gewohnheitsrechts („derecho consuetudinario“) vergleichbar sei. „Wir achten die fundamentalen Menschenrechte und wollen Verbrecher wieder in die Gesellschaft integrieren. Sie sollen als Bestrafung z.B. Gemeindearbeit leisten, und dies wird mit den lokalen Polizeibehörden abgesprochen,“ heißt es in einer von Noticiasser verbreiteten Verlautbarung.
Kriminalität ist wichtiges Wahlkampfthema
Dennoch steht das Thema der Gewalt- und Kriminalitätsbekämpfung -auch angesichts der 2016 anstehenden Neuwahlen – bei den Kandidaten oben an. Alejandro Toledo verspricht bereits, die entsprechenden Gesetze so zu verändern, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird und das Militär für Sicherheit im öffentlichen Raum eingesetzt werden soll. Das zivilgesellschaftliche Institut IDL rät den peruanischen BürgerInnen, die Pläne aller Präsidentschaftskandidaten danach zu analysieren, was sie vorgeben, dieses Problem anzugehen. Aber auf alle Fälle müsse klar sein, dass die Selbstjustiz die Demokratie und die legalen staatlichen Organe unterwandern und langfristig zerstören.
Dennoch werden in den „sozialen Medien“ auch humoristische Versionen zu dem destruktiven Kampagnenaufruf verbreitet. Dazu muss man wissen: „chapar“ bedeutet auch „küssen“. Und so kann man z.B. „chapa tu choro “ als Bildunterschrift eines Fotos finden, auf dem Eliane Toledo zu sehen ist, wie sie ihren Gatten und Ex-Präsidenten Toledo küsst, auf einem weiteren Foto knutscht das jetzige Präsidentenpaar sich gegenseitig ab !
Mechthild Ebeling