Private Krankenhäuser in Lima. ©ANDINA archivo

Acht Unternehmen bestimmen das Geschäft mit der Gesundheit

Das peruanische Gesundheitssystem unterscheidet zwischen den staatlichen “Hospitales” und den privaten “Clinicas”. Letztere sind in der Hand von acht gewinnorientierten Unternehmen.

Die schlimme Situation während der Pandemie im letzten Jahr mit fehlenden Intensivbetten, Sauerstoffmangel und der weltweit höchsten Sterberate hat den schlechten Zustand des peruanischen Gesundheitssystems offengelegt. Im InfoPeru haben wir immer wieder darüber berichtet. Auch wenn die Impfkampagne äußerst erfolgreich läuft und die Lage derzeit deutlich entspannter ist, hat sich an den grundlegenden Problemen im Gesundheitssektor nichts geändet. Die Nachrichten-Plattfom OjoPúblico hat untersucht, wer den peruanischen Gesundheitsmarkt beherrscht, und was das für die Versorgung der breiten Bevölkerung bedeutet.

Immer wieder passiert es in Peru, dass eine Klinik die Aufnahme von Notfallpatient*innen verweigert, weil diese nicht bei einem Unternehmen versichtert sind, mit dem die Klinik kooperiert. Notfallsanitäter in Lima berichten, dass sie oft 20 Minuten bis eine Stunde mit der Suche nach einem Krankenhaus verbringen, weil viele Privatkliniken die bedingungslose Aufnahme von Notfallpatient*innen verweigern, wenn diese nicht entsprechend versichert sind oder sich schriftlich zur Zahlung der Kosten verpflichten. Es kam auch schon vor, dass Krankenhauspersonal von den Sanitäter*innen Kostenübernahmegarantien für Patient*innen verlangt hat, die nicht bei Bewusstsein waren.

Das Menschenrecht auf Gesundheit

Gesundheit ist ein Menschenrecht, und auch das peruanische Gesetz besagt, dass jeder Mensch das Recht hat, “eine angemessene und rechtzeitige medizinische Versorgung sowie eine Notfallversorgung ohne vorherigen Nachweis oder Bezahlung zu erhalten”. Die Pandemie hat jedoch gezeigt, wie schlecht es um das Recht auf Gesundheit steht, und die überhöhten Gebühren für die Versorgung in Privatkliniken offengelegt.

Die Regierung hat mit den Privatkliniken eine Vereinbarung geschlossen, dass diese schwerwiegend an Covid-19 erkrankte Patient*innen aufnehmen und der Staat ihnen die Kosten dafür erstattet. Zwischen Juli 2020 und Januar 2021 haben die Kliniken gerade einmal 43 Patient*innen aufgenommen. Es gab zahlreiche Beschwerden von Angehörigen, dass einige Privatkliniken die Aufnahme von Schwerkranken von der Zahlung bzw. der Unterzeichnung von Zahlungsverpflichtungen von bis zu einer Million Soles (220.000 Euro) abhängig machten.

Das Geschäft mit der Gesundheit

Kliniken sind nur ein Glied im System der privaten Gesundheitsfürsorge. Sie reicht von Versicherungsgesellschaften und Gesundheitsdienstleistern, die eine breite Palette von Produkten anbieten, von Lebens-, Mutterschafts- und Krankenversicherungen bis hin zu Unfallschutz und Bestattung. Dann gibt es Einrichtungen, die die vertraglich vereinbarten Dienste erbringen: Kliniken und Unternehmen, die Ambulanz-, Labor-, Diagnose-, Apotheken- und Bestattungsdienste anbieten.

In Peru konzentriert sich dieses System auf acht Wirtschaftsgruppen: Die Finanzholdings Credicorp, Intercorp und Breca, das führende spanische Versicherungsunternehmen Mapfre, die Komplementärdienste Fesalud und Vital sowie die Kliniknetzwerke San Pablo und Auna.

Einige dieser Gruppen praktizieren die so genannte vertikale Integration, ein Geschäftsmodell, bei dem der Geldgeber einer Dienstleistung gleichzeitig der Eigentümer des Unternehmens ist, das sie anbietet. Hinzu kommen Netzwerke von Kliniken, die entweder direkt oder über ihre Partner eigene Labors, Diagnostikunternehmen und sogar Lehrzentren gründen, um ihre Dienstleistungen auszuweiten und höhere Gewinne zu erzielen. In Ländern wie Chile und Kolumbien ist die vertikale Integration verboten, weil sie Gesundheitskonzernen ermöglicht, die medizinische Behandlung nach ihren Gewinnabsichten auszurichten.

Vier Beispiele für das Geschäftsmodell im peruanischen Gesundheitssektor:

Rimac Seguros y Reaseguros S.A. ist seit 16 Jahren mit einem Marktanteil von 36 Prozent Marktführer im Bereich der Schaden- und Unfallversicherung. Das Unternehmen ist eine Tochtergesellschaft der Breca-Gruppe, die in den Bereichen Bergbau, Fischerei, Zement und Tourismus investiert. Die Tochtergesellschaft Rímac S.A. hat Verträge mit 53 privaten Gesundheitseinrichtungen geschlossen, verfügt aber auch über die konzerneigene Clínica Internacional mit vier Niederlassungen. Im Jahr 2020 erwirtschafteten die von der Breca-Gruppe geführten Gesundheitsunternehmen einen Nettogewinn von 288 Mio. Soles (63 Mio. Euro).

Die zweite Holdinggesellschaft mit einer vertikalen Integration im Gesundheitssektor ist die Credicorp Ltd., die mit zwölf Tochtergesellschaften an der Gesundheitskette beteiligt ist und weitere Dienstleistungsunternehmen im Gesundheitsbereich unterhält. Seit 1994 ist Credicorp Ltd. auch Eigentümerin von Prosemedic S.A.C., einem Unternehmen, das medizinische Instrumente und persönliche Schutzausrüstung importiert. Prosemedic hat dem Staat im ersten Jahr der Pandemie Masken, Handschuhen und Sicherheitsausrüstung im Wert von 3,813 Mio. Soles (836.000 Euro) verkauft und 2021 einen zusätzlichen Umsatz von 1,308 Mrd. Soles (286 Mio. Euro) erzielt.

Eine weitere Wirtschaftsgruppe, die sowohl als Geldgeberin als auch als Anbieterin auftritt, ist Mapfre, ein spanisches Versicherungsunternehmen, das Tochtergesellschaften auf fünf Kontinenten unterhält. Das Unternehmen hat in Peru Verträge mit 79 Kliniken und Gesundheitseinrichtungen und besitzt selbst vier medizinische Zentren. Darüber hinaus verfügt Mapfre über einen eigenen Friedhof für die von ihm verkauften Lebens- und Sterbeversicherungen. Ende 2020 erwirtschaftete Mapfre mit dem Verkauf von Allgemein-, Kranken- und Kfz-Versicherungen Einnahmen in Höhe von 1,170 Mrd. Soles (257,4 Mio. Euro).

Die jüngste Finanzholding, die ihre Präsenz auf den Gesundheitssektor ausbaut, ist Intercorp, das Imperium von Carlos Rodríguez-Pastor, mit Banken, Supermärkten, Apotheken, Kaufhäusern, Kinoketten, Hotels und Bildungseinrichtungen. Im Juni 2019 eröffnete der Konzern seine erste Gesundheitseinrichtung, die Aviva-Klinik in Los Olivos, wofür er mehr als 50 Mio. Soles (elf Mio. Euro) investierte. Intercorp ist auch in die Telemedizin eingestiegen: mit den Apps Alivia und Consultapp, die im ersten Jahr der Pandemie entwickelt wurden, um in Zusammenarbeit mit der neuen Klinik medizinische Beratung und Nachsorge per Videoanruf anzubieten. Beide Apps sind auch mit der kürzlich eingeführten Plattform “Receta Médica” verknüpft, die vom Facharzt verschriebene Rezepte elektronisch erstellt und den Kauf von Medikamenten ermöglicht, ohne das Haus zu verlassen. Seine Lieferanten sind die Apotheken derselben Unternehmensgruppe: Inkafarma, Mifarma und Arcángel. Gegen sie  läuft derzeit eine Unterlassungsklage wegen eines möglichen Verstoßes gegen den freien Wettbewerb.

Von der Geburt bis zum Tod bei demselben Konzern

Der ehemalige Gesundheitsminister Víctor Zamora erinnert daran, dass die Weltbank in den 1990er Jahren in ihrer globalen Gesundheitsreformagenda empfahl, Anbieter und Finanzierer medizinischer Leistungen zu trennen, um Markt und Wettbewerb zu fördern. Peru widersetzte sich jedoch diesen Bestimmungen.  Die Finanzkonzerne begannen – mit Duldung des Staates -ihre Geschäfte im Gesundheitssektor auszuweiten. “Von Ihrer Geburt bis zu Ihrem Tod gehören Sie wahrscheinlich zu ein und derselben Finanzgruppe. Diese Unternehmen kaufen und gründen Unternehmen, bis sich Ihr Leben um einen einzigen Fonds dreht: Sie zahlen für die vorgeburtliche Betreuung, die Geburt, einen Schulunfall, die Gesundheitsversorgung im Erwachsenenalter und sogar die Beerdigung. Alle Dienstleistungen rund um Leben und Gesundheit. Hier wird die marktbeherrschende Stellung missbraucht, obwohl die Gesundheit ein öffentliches Gut ist”, so der Ex-Gesundheitsminister. Diese Verknüpfung schaffe einen perversen Anreiz, da der Versicherer daran interessiert ist, monatliche Beiträge zu kassieren, aber so wenig wie möglich auszugeben.

Eduardo Morón Pastor, Präsident des peruanischen Verbandes der Versicherungsgesellschaften, sieht  die vertikale Integration dagegen positiv, da sie den privaten Krankenversicherungen ermögliche, “einen qualitativ hochwertigen Service anzubieten, der jedoch einem bestimmten Budget unterliegt”.

Frank García Ascencios, Dozent an der Universität von Lima, Jurist und Gesundheitsexperte warnt: “Die Unternehmenskonzentration im Gesundheitssektor schadet den Patient*innen, weil es keine echte Marktfreiheit gibt. Bei einem Krankenhausaufenthalt haben Sie nicht die Möglichkeit, Medikamente zu einem anderen Preis zu kaufen, sondern Sie unterliegen den Vorschriften der Klinik und der mit ihr verbundenen Unternehmen, seien es Apotheken, Labors oder Diagnosedienste. Das bedeutet, dass diese untereinander die Kosten für die Untersuchungen festlegen können, die den Patient*innen in Rechnung gestellt werden.“

Insgesamt erbringt der private Sektor Leistungen für 5,3 Prozent der versicherten Bevölkerung. Etwa 1,7 Millionen Menschen zahlen für die Inanspruchnahme ihrer Dienste monatliche Beiträge zwischen 112 und 3.588 Soles (25 und 790 Euro), je nach gewähltem Tarif. Dies entbindet sie nicht von Zuzahlungen für Arztbesuche, Krankenhaustage, diagnostische Leistungen und Apotheken. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Total Market Solutions (TMS) machten diese drei letztgenannten Posten fast die Hälfte der von Privatkliniken im Jahr 2018 in Rechnung gestellten 1,826 Mrd. Soles (401,7 Mio. Euro) aus.

Die Schwäche des öffentlichen Gesundheitssystems

Obwohl fast 90 Prozent der Peruaner*innen im Sistema Integral de Salud (SIS) oder im Seguro Social de Salud (Essalud) gesetzlich versichert sind, suchen die Menschen deren Gesundheitseinrichtungen oft nicht auf. Laut einer vom Nationalen Statistik-Institut INEI durchgeführten Umfrage haben 58 von 100 Personen, die zwischen Oktober und Dezember 2019 an chronischen Krankheiten oder Beschwerden litten, keinen Arzt aufgesucht. Einer der Gründe ist die lange Wartezeit. Angesichts der Überlastung der beiden Einrichtungen mit den meisten Versicherten scheinen Privatkliniken die bessere Alternative zu sein.

Der ehemalige Gesundheitsminister Víctor Zamora fordert deshalb eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems. Der private Sektor solle dessen Dienstleistungen ergänzen, nicht ersetzen.


Annette Brox

Quelle: https://ojo-publico.com/3225/los-ocho-grupos-economicos-detras-del-negocio-de-la-salud