LGBT-Aktivist Luis Castillo ©privat

10 Fragen an….

einen LGBT+ Aktivisten aus Peru

Peru ist eines der wenigen Länder Lateinamerikas, in denen gleichgeschlechtliche Paare nicht gesetzlich anerkannt sind. Transmenschen können sich an die Justiz wenden, um den Namen und die Geschlechtsmarkierung in ihrem Personalausweis zu ändern, aber die Verfahren sind kostspielig und kompliziert und können viele Jahre dauern. Transgender-Organisationen kämpfen seit 2016 für ein Gesetz zur Geschlechtsidentität, das diese Änderung auf administrativem Wege ermöglichen würde. Aufgrund der konservativen Mehrheiten in der peruanischen Legislative konnte es noch nicht verabschiedet werden. Seit 2017 gibt es in Peru ein explizites Gesetz gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, aber Gewalt und Diskriminierung gegen LGBTIQ-Personen gibt es nach wie vor, und Fälle von Hassverbrechen werden oft nicht geahndet. Im April 2023 bestätigte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch das Recht eines homosexuellen Mannes auf gerichtlichen Schutz und rechtliche Gleichstellung, nachdem er in einer Geschäftseinrichtung diskriminiert worden war.

Für InfoPeru haben wir uns mit Luis Castillo (23), Mitgründer und Vorstand von Diversidad Peru, unterhalten. Im Interview verrät Luis, was die größten Herausforderungen für die Organisation sind und was ihn bewegt. Er ist derzeit Freiwilliger des Programms „Vamos“ und macht in Freiburg bei dem Eine Welt Forum seinen Freiwilligendienst. In Peru studiert er Jura.

  1. Wie ist „Diversidad Peru“ entstanden?

Die Organisation gründete sich in den Anfängen im Jahr 2021, es ist eine sehr junge Initiative. Wir stellten sie mit Schulkollegen auf die Beine. Wie es das Schicksal wollte, so teilen wir die gleiche Sensibilität für die Verteidigung der Rechte der LGBT+-Gemeinschaft. Also taten wir uns zusammen und beschlossen, die Organisation zu gründen. Zunächst nur als Probe – wir begannen Informationen auf Instagram und in sozialen Netzwerken zu teilen. Wir arbeiten auf vier zentralen Gebieten, die alle Arbeiten, Kampagnen und Aktivitäten von Diversidad Peru inspirieren. Diese sind die Förderung und Verteidigung der Menschenrechte der LGBT+-Bevölkerung, reproduktive Gesundheit und Sexualität, psychische Gesundheit und politischer Aktivismus.

Das Team besteht aus Andrés Villafuerte als Geschäftsführer und Andrea Saavedra als Projektleiterin und mir als Generaldirektor. Wir koordinieren die Aktionen mit den Koordinationsstellen der beiden Regionen, in denen wir derzeit aktiv sind, d. h. in der Provinz Ancash und Lima. Und wir arbeiten an jeder Art von Initiative, um die Koordinationen zu unterstützen, wenn sie finanzielle Mittel oder Materialien benötigen.

2.Warum engagierst Du dich für LGBT+-Rechte?

Zuerst dachte ich, dass ich die Möglichkeit dazu hätte, weil ich mich als schwul identifiziere. Ich habe also einige persönliche Gründe und Rechtfertigungen, warum ich mich für diese Art von Aktivismus entscheide. Außerdem ist die Situation der LGBT+-Gemeinschaft in Peru sehr kompliziert: Wir leben in einem Kontext, in dem die Menschenrechte verletzt werden und in dem wir immer noch mit einem Staat konfrontiert sind, der nicht richtig auf die sozialen Forderungen reagiert.

3. Welchen sozialen Hintergrund hat das Publikum, das an euren Veranstaltungen teilnimmt?

Im Prinzip richten sich unsere Aktionen und unser Aktivismus an die gesamte LGBT+-Gemeinschaft sowie an die allgemeine Bevölkerung. Im Grunde geht es um die Situation aller Menschen, die den gleichen Kontext der Verwundbarkeit teilt. Mit unseren Aktionen versuchen wir, insbesondere LGBT+ Menschen zu helfen. Denn sie befinden sich in einer alles andere als gleichberechtigten und akzeptierten Situation. Um ein Beispiel für die ungleichen Bedingungen zu geben, mit denen zumindest Trans-Personen konfrontiert sind, und hierbei kann ich nicht im Namen der gesamten Trans-Gemeinschaft sprechen, sondern mit der Erlaubnis meiner Kollegen*innen, ihre Realität teilen. Ich kann sagen, dass das Erste, womit die Person sich auseinandersetzen muss, die Familie ist. Nach dem Coming-out kann dich dein familiäres Umfeld im besten Fall akzeptieren. Aber wenn nicht, ist die Person im schlimmsten Fall gezwungen, sein familiäres Umfeld zu verlassen, und das passiert meist während der Schulzeit. Trans-Personen werden oft in einen Beruf gezwungen, den die Gesellschaft ihnen auferlegt, wie z. B. Sexarbeit auf der Straße. Oder in anderen Fällen zu Berufen, die stereotypisch mit ihnen in Verbindung gebracht werden, wie z. B. die Arbeit als Dekorateur*in oder Friseur*in. Mit unseren Kampagnen versuchen wir, diese Situation zu ändern.

4.Woran arbeitet ihr gerade?

Ich erzähle von einem Projekt, das fast fertig ist, genau genommen fehlt nur noch ein Monat. Es handelt sich um ein Forum in der Region Lima, das sich mit der Frage befassen wird, wie die LGBT+-Gemeinschaft in die Verwaltung der öffentlichen Ressourcen einbezogen werden kann. Es ist wichtig zu diskutieren, wie die Gemeinschaft den öffentlichen Raum integriert werden kann, da  LGBT+-Aktivismus dort nicht sehr häufig vertreten ist. Schließlich sind wir Bürger und Bürgerinnen, wie alle anderen auch und erheben die eigene Stimme als Bürger. Das ist ein Ansatz, mit dem wir mehr oder weniger versuchen, das Projekt voranzubringen.

Derzeit tue ich mich täglich mit Andres und Andrea zusammen. Glücklicherweise hat die Pandemie uns den Vorteil verschafft, dass die Virtualität in allem präsenter ist, so dass die Virtualität fast alles lösen kann. Wir haben aktuell also Treffen, die Ancash, die Region Lima und Freiburg verbinden.

5.Was sind konkrete Herausforderungen, mit denen ihr konfrontiert werdet?

Eines der Hauptprobleme, mit denen wir als LGBT+-Gemeinschaft derzeit konfrontiert sind, ist die Verbreitung von Hassreden sowie die Vermehrung von Hassverbrechen. Mit der Organisation  Promsex hatten wir ein internationales Treffen in Peru, zu dem noch andere LGBT+-Organisationen in Lateinamerika eingeladen waren und bei dem wir diese Sorge teilen konnten. Wir können beobachten, dass in ganz Lateinamerika die Rechte, die in einigen Ländern errungen wurden, zur Diskussion stehen. Auch in Peru gibt keine staatliche Instanz, die die Untersuchung von Hassverbrechen verbessern könnte. Viele Experten und Expertinnen erwähnen, dass in Peru viele Hassverbrechen begangen werden. Es existiert eine Art Voreingenommenheit bei den Polizeibehörden, die es ihnen nicht erlaubt, zu erkennen, wann ein Hassverbrechen begangen wird. Es gibt keinen Gender-Fokus oder einen Fokus auf Diversität, um Verbrechen gegen die LGBT+-Gemeinschaft anzugehen, geschweige denn uns wissen lassen würde, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Hass und den vorkommenden Hassverbrechen gibt. Dies ist ein dringendes Problem, das uns als Organisationen Sorgen bereitet.  Die Tatsache, dass in Lateinamerika, mit Javier Milei in Argentinien, mit José Kast in Chile und in unserem eigenen Land mit Lopez Aliaga eine Zunahme von Reden zu verzeichnen ist, die nicht der Definition von Hassrede, Anti-LGBT+ oder Einschränkung der Rechte entsprechen, ist ein dringendes Problem, das wir angehen müssen.

6.Welche Unterschiede siehst Du zwischen Peru/LAT und Deutschland im Umgang mit marginalisierten Gruppen?

Ich denke, dass wir die gleichen Sorgen teilen und auf die ein oder andere Weise mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Bei der Eroberung von Rechten ist viel passiert, jetzt mehr denn je für die LGBT+-Gemeinschaft. Dennoch ist die Errungenschaft eines Rechts nichts Dauerhaftes, weil es immer vom politischen und sozialen Kontext abhängt. Diese Thematik wird sich nicht über Nacht ändern. In Lateinamerika kommen Parteien, die mit der Rechten und extremen Rechten verbunden sind an die Macht. Sie machen die kleinen Fortschritte, die wir in unserem Rahmen erreichen konnten, wieder rückgängig. Das ist etwas, das wir mit den Gruppen hier teilen. Auch hier in Europa ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch. Ich habe in der kurzen Zeit, die ich hier bin, noch keinen regelmäßigen Kontakt zu einer LGBT+-Organisation in Freiburg. Ich würde aber gerne versuchen Verbindungen zu ähnlichen Organisationen, wie der unseren, herzustellen. Die Unterstützung hier zu spüren, wäre sicherlich sehr gut.

7.Wie verwirklicht sich Eure Initiative in der Politik?

Die politische Situation in Peru ist sehr kompliziert. Auf der einen Seite gibt es die Makroebene, d.h. die diskursive und nationale Ebene, und die Mikroebene, die sich auf regionaler Ebene abspielt. Auf beiden Ebenen sind wir mit den gleichen schwierigen Situationen konfrontiert. Auf nationaler Ebene gibt es einen Diskurs, aber auf regionaler Ebene können wir die Situation umkehren, wenn wir ständig daran arbeiten, indem wir in einigen wenigen Behörden mögliche Verbündete finden, die uns unterstützen.

Es Parteien, die uns unterstützen. Für LGBT+ vor allem von den linken Parteien.

Ich habe das Gefühl, dass diese Parteien nach den jüngsten politischen Ereignissen in Peru nicht in der Lage waren, ihr Engagement für die Werte zu zeigen, die unsere Demokratie untermauern. Ich als LGBT-Person sehe mich in keiner politischen Plattform vertreten, es gibt zwar Ausnahmen, aber das sind Einzelfälle. Ich fühle einen tiefen Mangel an kohärenten Räumen, die es uns ermöglichen, als Akteure des Wandels teilzunehmen.

8.Ihr seid auch in der Sierra, in Ancash, aktiv. Wie Ist die Situation für LGBT+-Personen in kleineren Städten im Vergleich zu Lima, gibt es regionale Unterschiede?

Zurzeit sind wir in Chimbote, einer Küstenstadt in der Region Ancash, tätig, aber noch nicht in den Hochandenprovinzen. Ich glaube aber, dass die diskriminierenden und machohaften Wurzeln dort oft noch stärker ausgeprägt sind. Wenn sie schon in der Küstengemeinde einen starken Einfluss haben, so ist es im Hochland noch schlimmer. Dies ist auf die starken religiösen und traditionalistischen Wurzeln zurückzuführen, die tief in der andinen Weltanschauung verwurzelt sind. Homosexualität ist in den Anden immer noch ein Tabuthema. Die Organisationen, die sich mit diesem Thema befassen, haben noch einen langen Weg vor sich. Aber es stimmt auch, dass LGBT-Personen, die aus dem Hochland an die Küste migrieren, in doppelter Hinsicht gefährdet sind, da sie nicht nur mit einem homosexuellenfeindlichen, sondern auch mit einem rassistischen und klassenorientierten System konfrontiert sind.

9.Was sind Deine Pläne und Wünsche für die Zukunft? 

Letztendlich ist meine Vorstellung kein Zukunftsszenario mehr, denn es geschieht bereits. Immer mehr LGBT+-Organisationen sprechen miteinander, es kommt zu mehr und mehr Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Kollektiven.

Das steht im Widerspruch zu dem sehr düsteren Bild, das ich zuvor gezeichnet habe, aber es gibt auch ein bisschen Licht. Ich bin überzeugt, dass die Organisationen in Zukunft viel mehr zusammenarbeiten werden. Persönlich wünsche ich mir, dass Diversidad Peru so weit wachsen kann, dass wir einen positiven Einfluss zwischen den Generationen vermerken. In der Hauptstadt, in Lima, gibt viele Organisationen aller Art, aber die Situationen in den anderen Regionen ist ganz anders – es gibt kaum Räume, in denen man Aktivismus ausüben und Bewusstsein schaffen kann. Ich habe viel Glauben in Diversidad Peru.

10.Wie kann man Euch unterstützen? 

Man kann uns von überall aus unterstützen. Als Mitglied oder indem man sich einfach darüber informiert, warum es gut ist die Rechte anderer Menschen zu schützen. Ich denke, dass jede Person, die sich zur Unterstützung entscheidet, dies auf eine Vielzahl von Wegen tun kann.

Man findet Diversidad auf Instagram:   @diversidad.pe   @diversidadancash  @diversidad_lp

Die Fragen stellte Mona Friedmann

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