Scholz in Lateinamerika: nur Rhetorik?

Ein Kommentar von Vanessa Schaeffer

“Eine Chance für die deutsche Wirtschaft sich in Sudamerika stärker zu engagieren”[1] (Handelsblatt) 

“Die Reise von Scholz hat aus wirtschaftspolitischer Sicht in Südamerika neue Türen geöffnet”[2] (DW)

Olaf Scholz sucht in Argentinien, Chile und Brasilien nach Rohstoffen und Verbündeten”[3] (Die Zeit). 

Über den Besuch von Olaf Scholz in Lateinamerika im Januar dieses Jahres wurde in den wichtigsten deutschen Zeitungen und Medien ausführlich berichtet. Analysten sind sich einig: Der Besuch war dringend notwendig, um die Handelsbeziehungen mit der Region zu stärken.

Lateinamerika spielt eine zentrale Rolle in der deutschen Strategie zur Sicherung der Lieferkette, die Deutschland zur Förderung seiner Industrie benötigt. Als “Speisekammer” für den deutschen Warenkorb an Exportgütern, von Kaffee, Kakao, Ingwer und Orangensaft bis hin zu Metallen wie Kupfer, Lithium und Zink, hat Lateinamerika seine Position als wichtiger Handelspartner für Deutschland konsolidiert. Ziel des Besuchs des Bundeskanzlers war es, diese Beziehungen zu stärken und den Zugang zu wichtigen Ressourcen für den wirtschaftlichen Wiederaufbauprozess nach der Covid-Pandemie und in einem schwierigen Kriegskontext in Europa zu sichern.

Trotz ihrer Bedeutung war die Region lange Zeit nicht im Blickfeld der deutschen Regierung. Vielleicht zu lange. Im globalen Wettlauf um den Zugang zu Bodenschätzen, die für eine künftige Energiewende unverzichtbar sind, ist Deutschland ein Spätstarter, anders als Konkurrenten wie China, die längst in der Region Fuß gefasst haben.

In diesem Zusammenhang und um mit der Konkurrenz gleichzuziehen, verfolgte  Bundeskanzlerin Merkel  die Strategie, den regionalen Handelspartnern die Mehrwerte Deutschlands aufzuzeigen. Während China und andere Länder einen wenig sozial- und umweltverträglichen Zugang zu wichtigen Mineralien wie Kupfer oder Lithium anbieten würden, würde Deutschland stattdessen ein System der Verantwortung, des Umweltschutzes und der Technologie anbieten.  “Freier und fairer” Zugang zu Rohstoffen, so lautet das Motto der deutschen Rohstoffstrategie 2020, die mit erheblichen Investitionen in die internationale Zusammenarbeit einhergeht. Ein weiterer Mehrwert, den nun Bundeskanzler Scholz erkennen lässt, wäre die klare Bereitschaft, sich für die Verteidigung demokratischer Werte in der Region einzusetzen. Der Bundeskanzler brachte nicht nur seine Unterstützung für Lula da Silva nachdrücklich zum Ausdruck, indem er die rechtsextremen Anschläge auf die Hauptstadt verurteilte, sondern besuchte auch die Gedenkstätten für die Opfer der Diktaturen in Argentinien und Chile. In Südamerika “flog Scholz wie ein Engel der Demokratie”[4], notiert die Tageszeitung Der Spiegel.

Zur gleichen Zeit, als er Argentinien, Chile und Brasilien besuchte, befand (und befindet) sich das benachbarte Peru inmitten sozialer Proteste und gewaltsamer Repressionen durch die Regierung von Präsidentin Dina Boluarte, die bisher mehr als 60 zivile Todesopfer gefordert haben. Hunderte von Menschen wurden verhaftet und mehr als tausend verletzt.  Verschiedene Menschenrechtsorganisationen und die internationale Presse haben die peruanische Regierung verurteilt, weil sie den illegalen Einsatz der Streitkräfte zur Unterdrückung der Bevölkerung legitimiert und gefördert hat[5].

Obwohl Peru nicht dem Mercosur angehört, sind seine Handelsbeziehungen mit Deutschland, insbesondere im Bereich der Rohstoffe, von besonderer Bedeutung. Peru ist nach Brasilien das zweite Land, aus dem Deutschland Kupfer zur Versorgung seiner Industrie einführt. Aurubis, ein deutsches Unternehmen, importiert 16 % seiner Kupferkonzentrate aus Peru, dem zweitgrößten Lieferanten nach Bulgarien[6]. Bei seinem Besuch in der Nachbarschaft erwähnte Scholz Peru jedoch nicht.

Dieses Schweigen scheint zu bestätigen, dass, wenn es um die Sicherung von Geschäftsbeziehungen geht, in Bezug auf Menschenrechte und Demokratie “bei Scholz geht die Schere sehr weit auseinander. Er sammelt Demokratiepunkte da, wo sie billig zu haben sind. Und in den Ländern, wo es weh täte, aber bitter nötig wäre, über demokratische Werte zu reden, schweigt er sich weitgehend aus”[7].

Mit dem in Deutschland bereits in Kraft getretenen Lieferkettengesetz und einem europaweiten Prozess hat Deutschland die Chance, über die Rhetorik hinaus zu zeigen, dass bessere soziale, ökologische und technologische Bedingungen einen Mehrwert auf dem Weltmarkt darstellen. Diese Bedingungen sind notwendig, um eine sichere und zuverlässige Rohstoffversorgung für die deutsche Industrie zu gewährleisten. Sie sind auch unverzichtbar für ein besseres Leben der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, Europa und der Welt.

Vanessa Schaeffer

[1] „Warum Südamerika dem Kanzler so wichtig ist“. Busch, Alexander. 30 Januar, 2023. https://www.handelsblatt.com/politik/international/argentinien-brasilien-chile-warum-suedamerika-dem-kanzler-so-wichtig-ist/28950754.html

[2] „Olaf Scholz auf Partnersuche in Südamerika“. Papier, Oliver. Deutsche Welle, 21 Januar 2023.   https://www.dw.com/de/olaf-scholz-auf-partnersuche-in-s%C3%BCdamerika/a-64498928

[3] „Der Versuch einer Zeitenwende“. Dausend, Peter. 29 Januar, 2023. https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-01/olaf-scholz-lateinamerika-reise-argentinien-brasilien-chile-rohstoffe-ukraine

[4]  „Der Kanzler und die bizarren Momente von Brasília“. Kurbjuweit, Dirk. 01 Februar, 2023. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kanzler-auf-suedamerika-tour-was-war-da-los-herr-scholz-a-57a30733-be77-43ec-b652-d3800a258afe

[5] “We Have to Come Here to Be Seen’: Protesters Descend on Lima“. The New York Times. https://www.nytimes.com/2023/01/27/world/americas/peru-protests-lima.html

[6] Aurubis Umweltbericht 2021 https://www.aurubis.com/en/dam/jcr:dd789d08-d68f-4785-87ba-f009aba77368/Umweltbericht_2021__EN_20210615.pdf

[7] Kurbjuweit, Dirk. 01 Februar, 2023. Die Spiegel.