Zwei Ashaninka-Frauen in München mit Gastgeber Heinz Schulz ©Jorge Rodriguez

Eine gemeinsame Sprache zwischen Bayern und Regenwald

Trudi und Heinz Schulze lassen 25 Jahre Partnerschaft der Stadt München mit den Ashaninka in Peru Revue passieren

Wer sind die Ashaninka ?

Das indigene Volk der Asháninka lebt heute vor allem in den peruanischen Regionen Junín und Cusco. Die Asháninka (bedeutet: die, die eine gemeinsame Sprache sprechen) gehören zur Sprachfamilie der Arawak und sind vor ca. 3.500 Jahren nach und nach aus dem heutigen Brasilien eingewandert. Mit mehr als 80.000 Menschen sind sie das größte indigene Volk im amazonischen Regenwald Perus. Traditionell lebten die Asháninka autark in kleineren Verwandtschaftsverbänden seminomadisch vom Wanderfeldbau. Untereinander und mit Anderen fand – meist über die Flusswege – ein reger Austausch statt. Die ersten Weißen auf ihrem Gebiet waren wohl Mitte des 16. Jahrhunderts katholische Missionare, die zweihundert Jahre später vorübergehend wieder vertrieben wurden, weil sie Krankheiten mitbrachten und Unfrieden stifteten. Im Gefolge richteten Militär und vor allem Großunternehmen, die an Holz und Kautschuk interessiert waren, enormen Schaden an. Deren Anwerbetrupps verschleppten viele Asháninka und ließen sie erbärmlich versklaven. Seit etwa hundert Jahren und erst recht seit den 1970er Jahren führte die Regierungspolitik dazu, dass immer mehr verarmte Kleinbauernfamilien aus den Anden im Regenwald und auf Asháninkagebiet siedelten. Die andine Landwirtschaft ist nicht an die Verhältnisse im fragilen Regenwald angepasst und die Vorstellungen von privatem Landeigentum sind es auch nicht. Ergebnis ist unter anderem, dass es Regionen gibt, in denen sie bereits eine  Minderheit darstellen.

Traumatisiert durch den Leuchtenden Pfad

Vor allem in den Jahren 1980 bis 1990, aber auch noch über die Jahrtausendwende hinaus, litten die Asháninka massiv unter den militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem peruanischen Militär und der Organisation des Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad / Partido Comunista del Perú – por el Sendero Luminoso de José Carlos Mariátegui). Terror und Repression vertrieben rund 10.000 Asháninka aus ihren Siedlungen in die Wälder und Städte, und etwa 6.000 Asháninka wurden – teils äußerst brutal – getötet.

Im Zug der einsetzenden Befriedung des Gebiets in den 1990er Jahren gründete sich die Notstandskommission der Asháninka, um die aus den Sendero-Lagern befreiten Asháninka (vor allem Frauen und Kinder) zu versorgen, Rückführungen in die zerstörten Siedlungen zu ermöglichen und zu organisieren, sowie im Wald verharrende Traumatisierte zu finden und in Dorfgemeinschaften unterzubringen. Damals, als das Leben der Asháninka völlig aus den Fugen geraten war, ging an uns die Bitte aus Peru, die Arbeit der Notstandskommission zu unterstützen. Niemand wusste, was sich daraus entwickeln würde. Aus dieser ging die Regionalorganisation der Asháninka im zentralen Regenwald Perus (ARPI) hervor, eine unserer Partner*innen.

Dass und wie sich die Asháninka nach den Schreckenserlebnissen organisierten, um ihr Weiterleben und ihr Land kämpften, grenzt an ein Wunder.

München wird klimafreundlich

München hatte unter Rot-Grün nach der UN-Konferenz von Rio 1992 begonnen, seine Klima- und Umwelt-Hausaufgaben, gemeinsam mit Gruppen der Stadtgesellschaft, anzugehen. Dazu gehörte der Beitritt zum KlimaBündnis der europäischen Städte mit den indigenen Völkern Amazoniens. Damit verbunden war (unter anderem) die Verpflichtung, den CO-2-Ausstoß zu verringern, kein Tropenholz zu verwenden, die eigene Bevölkerung über die Bedeutung der Regenwälder zu informieren und die indigenen Völker beim Waldschutz zu unterstützen. Angesichts der katastrophalen und dramatischen Lage, die bei den Asháninka herrschte, und andererseits den Klimaverpflichtungen der Landeshauptstadt war uns klar: Ein Novum, eine Art Klimapartnerschaft musste her, denn eine Städtepartnerschaft mit einem indigenen Volk kam nicht in Frage, aber auch keine mit einem kleinen Ort im zentralen peruanischen Regenwald.

Wir gingen von einigen grundsätzlichen Überlegungen und Statements aus

  • Global denken – lokal handeln. Das hieß, die neue Partnerschaft musste in der Kommune verankert werden und die Öffentlichkeit z.B. durch Informations- und Bildungsarbeit zu global verträglichem Handeln ermutigt werden.
  • Von München soll kein Schaden ausgehen. Das hieß und heißt in der Konsequenz: Nachhaltigkeit auf allen Ebenen, im Beschaffungswesen, im Verkehrswesen, etc.
  • Man kann sich nicht für andere, sondern nur mit anderen partnerschaftlich verhalten. Das heißt, da wir die jeweils konkrete Situation der Asháninka nicht gut genug kennen, und sie nicht unsere, müssen wir gemeinsam lernend aktiv sein.
  • Last, but not least: Wenn sich in den Industrieländern nichts grundsätzlich ändert, ändert sich letztlich auch nichts im Regenwald zum Guten. Denn dann wird er verschwunden sein und seine Völker ebenso, auf die eine oder andere Weise

Wie beginnt man eine Partnerschaft mit einem ganzen Volk

Die Indigenen und ihre Organisationen hatten bisher mit Leuten von außen keine guten Erfahrungen; die aktuelle Spezies ausländischer Vertreter*innen war an Ressourcen aus dem Wald oder der Durchführung von Modernisierungsprojekten interessiert, für die sie Geld im Entwicklungshilfe-Gepäck mitbrachte.

Die Anfänge der Zusammenarbeit waren sehr behutsam, denn wie sollte eine Kooperation auf Augenhöhe, ein Geben und Nehmen, bei der Ausgangssituation der Asháninka nach den Jahren von Terror und Angst und den bisherigen Erfahrungen mit Außenstehenden aussehen und möglich sein?

Dazu kam, dass es bei uns Aktiven durchaus brauchbare Expertise gab, aber nicht wirklich zum peruanischen Regenwald. Die Welt- und Wertevorstellungen, die Sozialstrukturen, Abhängigkeiten und Gepflogenheiten, spezifische gesetzliche Vorgaben und den Lebensalltag der Menschen kannten wir anfangs nicht.

Erster Besuch im Regenwald unter Polizeischutz

Bei unserem ersten Besuch bei den Asháninka waren zum Schutz unserer kleinen Delegation mit dem grünen Bürgermeister Münchens immer bewaffnete Soldaten mit auf dem Pick-Up, wenn wir zu den Ortschaften fuhren. Für uns beklemmend, für die Begleiter und Gastgeber*innen ein riesiger Schritt in normale Zeiten: Bis kurz zuvor wären wir als vermeintliche Terrorist*innen oder militärisches Zivilpersonal in der Schusslinie gewesen; je nachdem, in wessen Visier wir geraten wären. Das sagte einer der Soldaten, die uns bewachten.

In den 25 Jahren der Partnerschaft bekamen wir mit, dass die Kokainmafia und illegale Holzfäller mehr als 20 Menschen ermordeten, ein sehr engagierter Bürgermeister, der entschieden gegen illegale Abholzung eintrat, unter ungeklärten Umständen bei einem Verkehrsunfall starb, und dass immer wieder unschuldige Comuneros vor Gericht gezerrt und Dorfgemeinschaften mürbe gemacht wurden, um sie einzuschüchtern und Widerstand aus dem Weg zu räumen. Andererseits mussten sich zwei Bürgermeister im Distrikt und der Provinz Satipo wegen Korruption bzw. Drogengeschäften vor der Justiz verantworten.

Eine rege Besuchstätigkeit beginnt

Im Lauf der Zeit absolvierten fünf Studierende aus München ein Praktikum in Organisationen der Asháninka und eine Pädagogin arbeitete über den Senior Experten Service in der dortigen Lehrerfortbildung. Wir organisierten zwei Bildungsreisen mit Lehrer*innen bzw. Umweltaktivist*innen und zwei Besuchsreisen mit Münchens grünem Bürgermeister (alle selbst bezahlt) sowie drei Reisen des Koordinators (Arbeitskreis München Asháninka) zur unmittelbaren Koordination mit den Asháninka (einmal mit Flugkostenzuschuss).
Aus verschiedenen Organisationen und Wohnorten konnten wir 21 Asháninkavertreter*innen (mehr Frauen als Männer) für jeweils mehrere Wochen Besuchsprogramm nach München einladen und zahlreiche Bildungsveranstaltungen mit ihnen durchführen. Ihr extem intensives Programm führte sie an Schulen aller Gattungen; sie berichteten vor Studierenden und in der KiTa, führten Fach- und politische Gespräche mit Abgeordneten, gaben Workshops, waren Referent*innen bei öffentlichen Veranstaltungen.

Webkurs bei Ashaninka-Frauen ©Liz Munoz

Die persönlichen Begegnungen und Informationen aus erster Hand sind eine der Säulen der Partnerschaft.

Was uns und den Asháninka wichtig ist

Man kann  sagen, dass die Partnerschaft auf unserer Seite (des Arbeitskreises) drei Hauptsäulen hat.

  • Die Informations-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
  • Die politische Arbeit im Sinne von Einwirken auf politisches und wirtschaftliches Handeln – im Verbund mit anderen Organisationen.
  • Die direkte Unterstützung wichtiger Aktivitäten und Projekte indigener Organisationen.

Um den Rahmen hier nicht zu sprengen: Informations- und Bildungsarbeit braucht mannigfache Materialien – und so viele wie möglich davon authentisch. Im Fall unserer Partnerschaft reden wir von Anschauungsmaterialien in einem didaktischen Regenwaldkoffer ebenso von Broschüren, Fachaufsätzen, Radiobeiträgen, Kartenspielen für kleine oder größere Kinder, Fabeln und Geschichten, von Analysen und einem jährlich erscheinenden Fotokalender – bis hin zum selbst produzierten Video von Asháninkafrauen über sich und die Entwicklung ihrer Organisation.

Zur eher politischen Arbeit lassen sich folgende Beispiele nennen: Als nach Befragungen feststand, dass die Asháninka  den geplanten Mega-Staudamm Pakitzapango ablehnten und verhindern würden, leisteten wir politische (und geringfügig finanzielle) Unterstützung. Oder wir unterstützen die Forderung an die deutsche Regierung, endlich die ILO-Konvention 169 zu ratifizieren, die für die indigenen Völker sehr wichtig ist. Die Protestbriefe bei Ungerechtigkeiten und Übergriffen aller Art an die peruanische Regierung sind zahlreich. Im Gegenzug unterstützten uns die Asháninka bei Protesten gegen die hiesige, zögerliche Klimapolitik oder dem geplanten Donauausbau.

Was unsere (vor allem finanzielle) Unterstützung wichtiger Anliegen und Projekte der Asháninka betrifft, muss betont werden, dass die Definition von wichtig eine gemeinsame ist, die auf den Vereinbarungen mehrerer Kongresse verschiedener Asháninka-Organisationen beruht und durch von uns eingebrachte Präferenzen (Frauen als Akteur*innen, geringstmöglicher finanzieller Einsatz mit höchstmöglicher Wirkung, etc.) angereichert wurde: dem komprimierten Einmaleins der Entwicklungszusammenarbeit, könnte man sagen.

Die wichtigsten Anliegen der Ashaninka

Am wichtigsten für die Asháninka (und damit für Unterstützung durch uns) ist in den letzten Jahrzehnten:

  • Dass sie für ihr Territorium als (Dorf-)Gemeinschaft offizielle Landtitel erhalten, um sich als juristische Person gegen illegale Eingriffe aller Art überhaupt zur Wehr setzen zu können.
    Die Prozedur ist langwierig, erfordert Fahrten in die Stadt und Notargebühren werden fällig.
  • Dass weitere Abholzung und Entwaldung verhindert werden und dort, wo es schon zu spät ist, Wiederaufforstung mit heimischen Bäumen betrieben wird. Das mag harmlos klingen, aber im Kampf gegen die Waldvernichtung und ihre Handlanger stehen die Asháninka oft allein da, ohne Hilfe staatlicher Instanzen. In manchen ihrer Gebiete müssen sie sogar der Polizei tagesaktuelle Beweise (z.B. Fotoaufnahmen mit eingebauter Datum-Uhrzeit-Angabe) vorlegen, um überhaupt eine Anzeige gegen illegale Eindringlinge (z.B. Koka-Pflanzer) stellen zu können. Im Zusammenhang mit dem Regenwalderhalt benötigen die Dorfgemeinschaften oft juristischen Beistand, den sie nicht immer komplett selbst schultern können. Bei der Wiederaufforstung degradierter Waldgebiete zählt nicht die Anzahl der Setzlinge, sondern wie viele Bäume tatsächlich nach einigen Jahren angewachsen sind. Zahlreiche Projektträger verwenden die Zahl der Setzlinge für Erfolgsmeldungen.

Unsere Lieblingsprojekte

Aber die Arbeit in dieser Partnerschaft muss Spaß machen und so haben wir auch Lieblingsprojekte, auf die wir sehr stolz sind oder die uns besonders gut gefallen. Da wäre zum Beispiel der musterhafte und einfache Aufbau von „Standesämtern“ in abgelegenen Siedlungen, der mit einer kleinen Summe von uns stattfinden konnte: Wer nicht in die Stadt fahren konnte, um die Geburt seines Kindes anzumelden, erhielt für das Kind keine Geburtsurkunde. Ohne diese kein Schulbesuch, kein Personalausweis.

Bewundernswert finden wir auch die Frauen, die es mit einer kleinen Anschubfinanzierung aus dem Arbeitskreis geschafft haben, Naturschmuck herzustellen und sich beharrlich und gezielt so zu perfektionieren, dass heute mehr als hundert von ihnen mit dem Verkauf von Schmuck oder Textilien ihr Einkommen verdienen und ihre Produkte gefragt sind.  Andere Frauen verarbeiten inzwischen Bio-Kakao zu Schokolade und Pralinen hoher Qualität. Auch sie brauchen uns nicht mehr.

Andere schöne Projekte waren sinnvolle Fortbildungen, wie zum Beispiel die von Vertreter*innen aus elf Dorfgemeinschaften: Mit (der für uns sehr hohen) Summe von 6.000 Euro „unterrichtete“ unsere kleine Partnerorganisation die Dörfer über ihre Rechte und über staatliche Fördermittel im Rahmen des Bürgerhaushalts – und über die Voraussetzungen und das exakte Prozedere der Beantragung. Zehn der elf Dörfer konnten im darauffolgenden Jahr die Gesamtsumme von umgerechnet 200.000 US-Dollar Zuschuss vom Staat für ihre Infrastruktur erhalten.

Rückschläge fehlten nicht

Es gab und gibt Probleme und Enttäuschungen in der Partnerschaft.

Zwei der peruanischen Delegierten, die in München waren, haben sich auf die Seite der Waldzerstörer geschlagen: einer als informeller Mitarbeiter (Propagandist) einer Erdölfirma, einer als heimlicher Agent der Holzfirmen gegenüber Dorfgemeinschaften. Auch Projekte können scheitern. Einmal wurde übersehen, dass der Boden nicht für ein an sich sehr überzeugendes Projekt geeignet war, ein andermal konnte die geplante Unterkunft für Schüler*innen doch nicht gebaut werden, weil der Dorfchef das Grundstück in der Stadt zwar bezahlt hatte, er aber betrogen worden war: Auf der früheren Abwassergrube konnte nicht gebaut werden. Eine aus unseren Mitteln finanzierte Nähmaschine für eine Gruppe von Frauen wurde selbstherrlich von einer konfisziert und okkupiert.

Dass wir als Arbeitskreis überhaupt über Geldmittel verfügen können, verdanken wir Spenden, manchmal Zuschüssen öffentlicher Stellen, Stiftungen und Preisgeldern, und unserem eigenen Einsatz (indem wir etwas herstellen und verkaufen, zum Beispiel den Regenwaldkalender). Wir sind sicher keine leichten Partner*innen für die Asháninka, denn wir sind auch in einigen Punkten unerbittlich:

Kooperationsanfragen müssen von indigenen Organisationen kommen. Wir verlangen zwar keine Antragsprosa oder Spendenpoesie, aber so konkrete Informationen, dass wir uns vorstellen und einschätzen können, wie durch wen was und warum durchgeführt werden soll. Wir müssen das dort beschlossene Vorhaben verstehen, es muss uns plausibel werden, wir fragen nach und stellen dabei auch penetrante Fragen oder diskutieren Alternativen. Transparenz von A bis Z und eine absolut zuverlässige Abrechnung mit Vier-Augen-Prinzip ist ein Muss für uns und schützt letztlich auch die Projektverantwortlichen gegen Verdächtigungen, sich zu bereichern.

Auch eine Partnerschaft mit Indigenen und ihren Organisationen existiert nicht losgelöst von einem größeren Zusammenhang; sie hat zu tun mit der Gesamtsituation in den beiden Ländern und den bestehenden – vor allem zivilgesellschaftlichen – Beziehungen. Aber das wäre eine neue Geschichte.


München, Februar 2022

(AK München – Asháninka)