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Ein Bischof im Zentrum des Klein-Bergbaus

Bischof Reinhold Nann über ermordete Bergleute, warum er wenig Hoffnung in einen politischen Wechsel setzt und über Missbrauchsskandale in der peruanischen Kirche.

Reinhold Nann, geb. 1960 in Breisach (Erzdiözese Freiburg), ist seit 26 Jahren als katholischer Priester an verschiedenen Orten Perus tätig. Seit 2017 ist er Bischof der Apostolischen Prälatur Caraveli, die den südlichen Teil von Ayacucho und den nördlichen Teil von Arequipa umfasst.

InfoPeru: Ihre Prälatur liegt in einem der Hauptgebiete des informellen und formellen kleinen und mittleren  Goldbergbaus.  Im Juni dieses Jahres kamen beim gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Bergleuten 14 Menschen ums Leben. Was war geschehen?

Es ging um die Mine Calpa, zwischen Atico und Caraveli auf ca. 1000 Metern Höhe gelegen. Die Gegen dort ist sehr trocken und unfruchtbar, das Gold wird im Untertagebau abgebaut.  Eine peruanische Bergbaufirma namens „Intigold“ aus Lima besitzt die Konzession zum Goldabbau, musste 2016 aber wegen fehlender administrativer Voraussetzungen schließen. Die Firma machte daraufhin einen Deal mit der Vereinigung informeller Goldschürfer, der Asociación „Calpa Renace“. Die Bergleute durften in der Mine schürfen, mussten aber 10% des Gewinns an Intigold abtreten. Jedes Jahr forderte Intigold mehr Anteil am Gewinn, zuletzt 40%.  Die Bergleute von „Calpa Renace“ weigerten sich daraufhin zu bezahlen. Intigold schickte bezahlte Söldner ins Minencamp, um die Bergleute einzuschüchtern. Am 2. Juni überfielen sie das Camp der Bergleute, 14 Menschen starben dabei.  Der Konflikt war den Behörden bekannt, es waren 14 Polizisten anwesend, die aber nicht einschritten.

Wie sieht es heute aus in der Mine und wie wichtig ist der Bergbau für die Menschen in Caravali?

Offiziell ist die Mine von der Polizei besetzt und geschlossen, aber informell wird weiter gearbeitet. Seit der Goldpreis immer höher gestiegen ist, ist der Bergbau für die Menschen in Caraveli eine wichtige Einnahmequelle. Früher lebten die Leute vor allem von der Landwirtschaft. Heute, so schätze ich, leben 50% vom Bergbau – sei es als informelle oder formelle Bergleute. Der Ort Relave z.B. hatte vor 20 Jahren 500 Einwohner*innen – heute sind es 5000. Während der Pandemie stieg die Zahl sogar auf 9000 Personen an, weil Bergbau eine der wenigen erlaubten Tätigkeiten war.

Vor allem im Hauptort Chala an der Küste haben wir verschiedene Betriebe, die die Steine aus den vielen kleinen Bergwerken mahlen und das Gold herauslösen.

Bei Konflikten zwischen den Bergleuten und Konzessionsinhabern ist es von außen schwer zu sagen, wer Recht hat. Die meisten Menschen hier zeigen keinen Widerstand gegen den Bergbau, der ja ihre Einkommensquelle ist, sondern finden ihn gut.

Caraveli ist auch für seine Trauben und seinen Pisco bekannt. (© privat)

Kommen wir noch auf die Politik zu sprechen. Mit Ihrer langjährigen Erfahrung in Peru, wie erlebe Sie die aktuelle politische Situation im Land?

In den letzten 20 Jahren ist Peru wirtschaftlich gewachsen, vielen Menschen geht es wirtschaftlich besser. Auch das Justizwesen ist nicht mehr ganz so korrupt wie früher. Aber die Polarisierung in der Politik hat leider auch zugenommen. Vor allem die Menschen in der Provinz sehen die Politikercliquen in der Hauptstadt mit großem Vorbehalt. Die letzten Präsidenten sind alle wegen Korruption angeklagt gewesen.

Deswegen haben in Caraveli auch über 80% für Pedro Castillo gestimmt, also für einen Kandidaten, der sie als Landbevölkerung repräsentiert. Aber von ihm sind sie nun auch enttäuscht, weil er keine Ergebnisse vorzuweisen hat und es auch  gegen ihn Korruptionsklagen gibt.

Es ist sehr schwer, in Peru eine Regierung zu bilden, die die Interessen der großen Städte und des Landes zusammenbringt.

Die NGO Transparencia fordert Neuwahlen für Präsident und Parlament. Aber das Risiko ist groß, dass bei der jetzigen Situation dann zwei Kandidaten der Extreme übrigbleiben und wir letztlich dieselbe Situation haben wie vor einem Jahr.

Die Pandemie hat das Land zusätzlich polarisiert.  Ich denke, dass Pedro Castillo seine Amtszeit vorzeitig beenden wird, und hoffe, dass bis dann ein besserer Kandidat auftaucht.

Noch eine Frage zur katholischen Kirche. In Deutschland ist die Kirche wegen ihres Umgangs mit sexuellen Missbrauchsskandalen stark in der Kritik. Zuletzt hat das katholische Hilfswerk Adveniat offengelegt, dass  einige Priester nach Südamerika entsandt wurden, damit sie der Strafverfolgung in Deutschland entgehen. Hier in Peru haben Journalisten die Übergriffe der rechtskatholischen Sekte Sodalitium Vitae Donae aufgedeckt, die sich alle in der oberen Mittelschicht abspielten. Die Dunkelziffer an Missbrauchsfällen, gerade in ärmeren  Gemeinden, dürfte erheblich sein. Ist die Aufdeckung eventueller sexueller Missbräuche durch ihre Kleriker Thema in der peruanischen Bischofskonferenz?

Ich bin sehr betroffen von dem Adveniat-Bericht. Ich hätte nicht gedacht, dass der Missbrauch ein solches Ausmaß hat. Der sexuelle Missbrauch betrifft auch nicht nur konservative Gemeinschaften, sondern die gesamte Kirche und hat mit der nicht geklärten Sexualität einiger Kleriker zu tun.

Die Kirche hat wahrlich keinen Grund, sich als Moralapostel in Sachen Sexualität aufzuspielen.

Innerhalb der Bischofskonferenz wird das Thema sehr unter dem Deckel gehalten. Die Diözesen sind angehalten, nun sogenannte „Centros de Escucha“ einzurichten, also Melde- oder Beratungsstellen. Dies hängt von jeder Diözese ab und die Meldestellen sind auch nicht unabhängig, wenn der Bischof das Personal einsetzt. Ich hoffe dennoch, dass die präventiven Maßnahmen, die im Moment in meiner Prälatur und in vielen Diözesen eingeführt werden mit der Zeit greifen und Missbrauch in Zukunft wirksam verhindern können.

Noch ist der sexuelle Missbrauch durch Priester – außerhalb der kleinen Gruppe des Sodalicio – kein Thema in Peru. Doch wenn das Thema auf den Tisch kommt, könnte dies ein ähnliches Erdbeben wie in Chile auslösen. Dort hatte die gesamte Bischofskonferenz wegen ihres Umgangs mit Missbrauchsfällen ihren Rücktritt eingereicht. Das öffentliche Vertrauen in die katholische Kirche Chiles ist seitdem erheblich geschwunden.


Das Gespräch führte Hildegard Willer

Reinhold Nann schreibt einen lesenswerten Blog in deutscher Sprache: http://www.reinholdnann.blogspot.com/