Empfangskomitee vor der Maloka ©Comunidad Nativa Maricidai

Encantad@s/ Besungen: Begegnungen im Putumayo

ISP-Vorstandsmitglied und Ethnologin Elke Falley-Rothkopf und ihr Mann Dominikus reisten für eine ganz spezielle Begegnung in den hintersten Winkel des peruanischen Regenwaldes.

Die Einladung der Comunidad Nativa de Mairidikai, gelegen am Río Putumayo, in unmittelbarer Nähe der Provinzhauptstadt San Antonio del Estrecho, Loreto, Peru, erhielten wir im April diesen Jahres. Zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen deutscher Institutionen und jungen Menschen sollten wir an einem Workshop und an den diesjährigen Feierlichkeiten im Haus der Gemeinschaft, der Maloka, teilnehmen. Wir, in diesem Fall INFOE e.V., sollten im Workshop die Rolle von Interkulturalität und Diversität angesichts der aktuellen Krisen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, verdeutlichen.

Und eigentlich wollten wir mit einigen Kolleginnen und Kollegen anderer Institutionen zusammen reisen. Insbesondere freute sich die Wissensträgerinnen und Wissensträger der Gemeinschaft auf die Teilnahme junger Menschen aus unserer „Hälfte“ der Welt. Doch so einfach ist es nicht, so etwas zu organisieren, wo die physischen Begegnungen im größeren Stil und unzählige unterbrochene Aktivitäten doch gerade erst wieder aufgenommen werden und so viele Krisen auf uns einwirken, so viele Lösungen gesucht werden.

Nun reisten wir also zu zweit und kamen sogar früher, damit aber auch deutlich angestrengter, an als geplant. Denn wegen der anstehenden Wahlen waren die Flüge für den Zeitpunkt des Workshops schon alle ausgebucht von Personen, die zu den Wahlen in ihre Region kamen. Wir landeten also bereits am Samstag, dem 24. September in Estrecho, übernächtigt nach drei Tagen Anreise und selbstverständlich bereits gegen 7 Uhr morgens deutlich überhitzt. Doch so konnten wir schon am Sonntag in der Maloka miterleben, wie die traditionellen Gesänge geübt wurden mit allen, die dies wünschen. In der Ecke der Maloka, die für den mambeadero[1] reserviert ist, saßen Pedro junior, der dueño de la maloka und sein Vater (ebenfalls Pedro), der aus La Chorrera in Kolumbien angereist war, um die Gesänge zu teilen. Wir kamen unangekündigt hinzu und wurden fröhlich begrüßt, denn so konnten wir für die Gemeinschaft(en) die Gesänge aufzeichnen. Denn es ist den Menschen wichtig, dass sie nicht verloren gehen.

Was ist eine Maloka?

 Die Maloka ist das Haus der Gemeinschaft in Amazonien. In ihr leben traditionell die Familien, in ihr wird das traditionelle Wissen und das Wissen der Vorfahren weitergegeben. Speziell bei der sog. Gente del Centro, zu denen sich z.B. die Uitoto / Murui, Ocaina und Bora zählen, die in der indigenen Gemeinschaft Mairidicai leben, ist die Maloka aber auch ein Ort des Zusammenkommens, des Austauschs und der Verständigung zwischen Angehörigen verschiedener Völker und Gemeinschaften. Sie ist also mehr als nur ein Wohnhaus oder Haus, in dem Wissen weitergegeben wird. Sie stellt ein eigenes Konzept des Geben und Nehmens, der Begegnung und Verständigung dar, welches die Menschen der Region vor etwa 200 Jahren ins Leben riefen, um den ständigen Kämpfen untereinander ein Ende zu bereiten. Die Maloka entsteht aus der Idee und wird Weiteres bewirken. Sie „wächst“ sozusagen und führt zum Bau weiterer Malokas. Die Maloka, die 2021 eingeweiht wurde, ist die erste vor Ort seit vielen Jahrzehnten. Es ist die Maloka der Murui mit Pedro junior als dueño. Gabriel Torres plant nun, die Maloka der Bora in der Nähe der bestehenden Maloka zu bauen. Und, wie wir erfahren haben, möchte auch das peruanische Ministerium für Kultur weitere Malokas bauen.

Die Maloka ist ein Ort der Reziprozität, der Gegenseitigkeit. Pedro junior bei den Geschenken, die alle BesucherInnen mitbringen und für die ihnen wiederum Lebensmittel von der Empore gereicht werden. © Comunidad Nativa de Mairidicai

 

 

Gäste von jenseits der Grenze

Viel wurde bereits von Ethnologen und Ethnologinnen zu den Ritualen und Gebräuchen der sog. Gente del centro geforscht, um sie für die Außenwelt zu erklären, bzw. zu erklären zu versuchen. Und somit natürlich auch, für die Außenwelt daraus Nutzen zu ziehen. „Doch“, fragt Pedro uns, „was ist den Menschen vor Ort davon geblieben?“ Aber es gibt noch WissensträgerInnen und die Menschen kommen in die Maloka, um mitzutanzen und in die Gesänge einzustimmen. Sie kommen auch von weither, aus La Chorrera und Puerto Arica in Kolumbien, wo es schon seit längerer Zeit Malokas gibt. Niemand wird dazu gezwungen die Gesänge zu lernen und mitzutanzen, denn der Wunsch muss aus dem Herzen und nicht von außen kommen. So sitzen denn auch junge Männer bei Junior und Pedro und lernen – zur großen Freude der sabios, der Wissenden – sehr gut, die Lieder zu singen, die in verschiedenen Sprachen – in Bora, Uitoto (Murui), Ocaina – gesungen werden. Diese Sprachen gehören verschiedenen Sprachfamilien an und werden wegen der gewaltsamen Unterdrückung des Gebrauchs der Muttersprachen in der Vergangenheit nicht mehr von vielen gesprochen. Unsere Fragen nach dem Inhalt der Gesänge erhalten daher häufig eine Antwort wie „no entiendo tampoco. Es en bora.“ („Ich weiß auch nicht, das ist auf Bora.“) von jemandem z.B., die oder der noch als Muttersprache Murui beherrscht. Singen die Frauen auch? Oh ja, sie hören die Männer und „antworten“ dann auf ihre Weise, was sich (in Murui) Aya+ra – die Stimme der Frauen – nennt[2].

Ein Haus für die Kunstwerke der Frauen

Aya+ra, die Stimme der Frauen, so ist auch die Casa artesanal benannt, die am Montag, den 26.09.2022 und vor dem Beginn der Feierlichkeiten in der Maloka, nach den letzten Arbeiten am Haus und dem eigens konstruierten baño (WC „moderner Art“) feierlich eingeweiht wird. In ihr werden die Frauen ihre Flechtereien, Körbe, Schmuck und weiteres Kunsthandwerk, aber auch traditionelles Essen  und Getränke, wie die caguana, anbieten. Mairidikai liegt nicht weit, in Fußweite, von El Estrecho und die Hoffnung besteht, dass die ansässige Bevölkerung und Reisende so auch den Weg in die Comunidad finden werden und die Frauen durch ihre Produkte Einnahmen generieren können. Anwesend bei der Eröffnung sind „von außerhalb“ Repräsentanten der Nichtregierungsorganisationen Instituto del Bien Común, welche im Juni / Juli diesen Jahres die Finanzierung des Projekts über Brot für die Welt sichern konnten, und von Internews aus Kalifornien, welche das solarbetriebene Radio der Gemeinschaft installieren geholfen haben. Die Einweihungsworte spricht die örtliche katholische Ordensschwester. Zur Einweihung der Casa Artesanal Aya+ra wurde auch die Bevölkerung im benachbarten El Estrecho bereits morgens um 6 Uhr über die örtlichen Lautsprecher eingeladen, welche jeden Tag die Neuigkeiten und Infos der Region über ca. eine Stunde im Ort verbreiten. Bereits gegen 12 Uhr sind die meisten der Produkte der Frauen verkauft und sie verlassen die Casa artesanal wieder.  Gegen 15 Uhr beginnen die Feierlichkeiten in der Maloka, die Fiesta de la Resistencia, gleichzeitig die Fiesta de los Idiomas. [3]Dueño und dueña de la Maloka – Pedro junior Firizateke Cudo und Astrid Percidia Chichaco Meicuaco – und die anderen Würdenträgerinnen und – träger erwarten die Besuchenden am Eingang der Maloka. Die Jugendlichen halten mit Baumwolle geschmückte Zweige senkrecht in die Luft. Dies, sagt Arlen Ribeira[4], symbolisiert, dass alles „süß“ ist. Den Tanz, mit dem sie später in der Maloka die Tänze eröffnen werden, haben die Jugendlichen am Sonntag mit viel Freude und unter fröhlichem Lachen geübt, als wir in der Maloka waren. Es ist jedoch die Gruppe der Bora, die aus Puerto Arica in Kolumbien angereist sind, die mit dem baile de las frutas (Tanz der Früchte) als erstes in die Maloka tanzen. (s. dazu https://www.youtube.com/watch?v=aCb-SgzUm2w)

Im Haus der Kunsthandwerkerinnen ©Comunidad Nativa Maricidai

Es ist auch ihr Anführer, der sabio der Bora aus Puerto Arica, den wir am nächsten Tag noch einmal in El Estrecho vor unserem hostal treffen, da sich die Rückfahrt mit dem Schiff nach Puerto Arica verschoben hat, welcher uns die Bedeutung vieler der Tänze der Bora bei diesen Feiern in der Maloka nochmals genauer erläutert: Es ging vor allem um reine Luft (aire fresco), um Fülle (abundancia), das Teilen miteinander (compartir) und den Frieden (paz). Damit werden mit den Tänzen alle große Themen und Krisen, die die Welt derzeit betreffen, berührt.

 

Wir treffen alte Bekannte

Nur am Anfang sind „von außen“ noch die Repräsentanten der beiden an der Casa artesanal beteiligten NROs dabei, dann „nur“ noch wir, bis mit einmal drei Frauen dazukommen, die für das peruanische MiniCul (Kulturministerium) statistische Erhebungen in der Region durchführen und eingeladen sind. Groß ist da die Überraschung, als wir eine der Teilnehmerinnen Katya Zevallos wiedererkennen, die  Mitarbeiterin bei AIDESEP während der Klimakonferenz (COP 20) 2014 war. So hören wir auch zum ersten Mal – und dies wird von den indigenen Kontakten aus Mairidicai später ebenso berichtet -, dass, angeregt durch die Maloka in Mairidikai, der peruanische Staat fünf Malokas finanzieren möchte. Ein Projekt, betont Katya Zevallos, welches eigens mit peruanischen Geldern finanziert werden soll. Wie im vorigen Jahr dauern die Tänze die gesamte Nacht an. Ebenso wie die Kolleginnen des peruanischen Kulturministeriums tanzen wir mit und versuchen schließlich auch, in der Gruppe mitzusingen. Vor allem von Arlen erfahren wir, dass die Schritte unterschiedlich schwer zu lernen und die Versuche aller immer wieder Anlass zu Belustigung sind. Auch ist es nicht bei allen Tänzen für die Männer einfach, den Rhythmus mit dem palo, einem Bambusstab, mitzuvollziehen. Am schwierigsten ist der Rhythmus, den die Ocaina vorgeben. Hier geschehen die meisten Fehler.

Am Dienstagabend sind wir dann mit bei den letzten Tänzen und dem offiziellen Ende der Feier ebenfalls mit dabei. Wichtig ist, erklärt uns junior, dass alle Reste an Essen und Getränken für die Feier verteilt und aufgebraucht werden. Es darf nichts mehr übrig sein von den Speisen, die von den Besucherinnen und Besuchern am Vortag feierlich in der Maloka überreicht wurde, wobei sie ihm Gegenzug die „juanes“ gefüllt mit der Masse aus yuka (Maniok) erhielten, welche die Frauen in den Tagen vor der Feier in der Maloka zubereitet haben, während die Männer die Gesänge übten. Auch die letzte caguana muss getrunken sein, die Maloka am Ende so aussehen, als hätte nie etwas stattgefunden. Und so fand der zweijährige Zyklus an Feierlichkeiten, die mit der Einweihung der Maloka im letzten Jahr begonnen hatte, seinen Abschluss.

Online-Austausch zwischen Maridikai und Köln

Nicht aber der Austausch mit der indigenen Gemeinschaft Mairidikai, der im Rahmen des von EPIB und Katholischem Fonds geförderten virtuellen interkulturellen Austauschprojektes von INFOE und Mairidikai in verschiedenen online und hybriden Begegnungen bis zum 20.12.2022 fortgesetzt wurde und weiter fortgesetzt werden wird. In einer der besagten Begegnungen, die am 29.10.2022 im hybriden Format, d.h. mit der online-Zuschaltung der Teilnehmenden aus Mairidikai, sogar aber auch von RepräsentantInnen der indigenen Gemeinschaft Maquehue der Mapuche in Chile (dem zweiten virtuellen Austauschprojekt!) und Besucherinnen und Besuchern im Bürgerzentrum Alte Feuerwache in Köln stattfand, erfuhren wir u.a. von Gabriel Torres (Bora) aus Mairidikai noch etwas Wesentliches zu der historischen Entwicklung des Konzeptes der Maloka als einem Ort der interkulturellen Begegnung: Ursprünglich wurde die Maloka von den Gemeinschaften vor ca. 200 Jahren ins Leben gerufen nach einer Zeit der heftigen Kriege unter den indigenen Gruppen der Bora, Ocaina, Uitoto usw.

Wir danken unseren indigenen Kolleginnen und Kollegen für die Erlebnisse und Erfahrungen, ihre Informationen und Ratschläge, insbesondere (aber nicht ausschließlich): Pedro junior Firizateke Cudo,   Pedros Vater Pedro Firizateke aus La Chorrera, Kolumbien, der die Übungen zu den Gesängen anleitete und erläuterte, Astrid Percidia Chichaco Meicuaco, Gabriel Torres Flores, Mario Coquinche Sanda, Anita Calderón und Arlen Ribeira Calderón.

An dem Thema der Maloka und speziell an dem interkulturellen Austauschprojekt Interessierte erhalten mehr Informationen unter www.infoe.de und https://www.infoe.de/blog/. Sie können sich auch gerne mit Fragen an und wenden. https://www.youtube.com/watch?v=UIQNyiO1T7Q

Elke Falley-Rothkopf

Zu den Personen und dem Projekt:

Dominikus und Elke Falley-Rothkopf sind beides Mitglieder der Infostelle Peru und von infoe e.V. Auf Einladung der indigenen Gemeinschaft Mairidikai reisten sie Ende September bis Anfang Oktober 2022 nach Mairidikai zu den diesjährigen Feierlichkeiten in der Maloka. Das Motiv für die Reise war die Einladung nach der Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten in der Maloka, die Vertiefung der Beziehungen, die letztlich zurückgehen auf die Aktivitäten mit indigenen Organisationen und Institutionen in Bezug auf Klimawandel und die UN-Klimaverhandlungen. Im Sommer begann auch das Projekt der interkulturellen Begegnungen im Rahmen der virtuellen SDG-Partnerschaften mit den beiden indigenen Pilotgemeinden Maquehue (Chile) und Mairidikai und INFOE e.V., wobei das Pilotprojekt mit Mairidikai von Elke betreut wird.

Fußnoten:

[1]     Über den mambeadero erfahren wir sogar in einem Wikipediaeintrag, dass es sich um einen rituellen Ort handelt, um zusammenzukommen, das Wort, die Wörter (vgl. Artikel InfoPeru Nr. 80)  auszutauschen und Entscheidungen zu treffen, während zu diesem rituellen Zweck mambe und ambil konsumiert werden. Siehe auch: https://es.wikipedia.org/wiki/Mambe
[2]     Erklärung entnommen aus einem Projektantrag zur Geschichte der Region, welche die Comunidad Mairidikai an infoe sendete.
[3]    Am besten lässt sich wohl Fiesta de la Resistencia mit Feier der Widerstandsfähigkeit übersetzen. Die Fiesta de los idiomas ist das Fest der Sprachen.
[4]     Kommentare und Erläuterungen von Arlen Ribeira Calderón Anfang Dezember 2022, anlässlich seiner Reise nach Deutschland zu verschiedenen Aktivitäten mit der Infostelle Peru und infoe e.V.