Nur eine Strasse und ein Zaun trennen das Land von Elena Alvarez Capa, 40, vom Tagebau Antapaccay im Hintergrund. Der Staub weht über die Weiden, auf denen sie ihre Schafe hält. “Die Wasserquellen sind versiegt, meine Tiere sterben ständig, und jetzt bin ich selbst krank… aber wenn wir uns beschweren, schickt uns das Unternehmen die Polizei, um uns zu schikanieren”, fasst sie ihre Beschwerden zusammen. Vor kurzem hat ein Arzt bei ihr Leberkrebs  diagnostiziert. ©Jacob Balzani-Lööv

Da wo das Kupfer herkommt

Zwischen den Minen Antapaccay und Las Bambas liegen 255 Kilometer Anden, traditionelles Quechua-Gemeinschaftsland und potentielles Kupferabbaugebiet, um das sich nun Dorfgemeinschaften, Bergbaufirmen und der peruanische Staat streiten. Der Sozialanthropologe und Journalist Thomas Niederberger und der Fotograph Jacob Balzani-Lööv sind diesen „Bergbau-Korridor“ abgefahren.


Der Bergbaukorridor ist eine kurvenreiche Piste, die sich über 500 Kilometer durch die südperuanischen Regionen Apurimac, Cusco und Arequipa bis ans Meer schlängelt. Dabei durchquert die Straße rund 200 Gemeinden von Quechua-sprachigen, indigenen Bergbauern. Immer mehr von ihnen haben es satt, zuzuschauen, wie die Bodenschätze ihrer Region an ihren ärmlichen Lehmhäusern vorbei abgeführt werden, während sie mit Armut, Umweltverschmutzung und Wassermangel kämpfen. Um Verhandlungen zu erzwingen, blockieren sie immer wieder die Strasse.

Erster Stopp Espinar, eine Provinz von Cusco. Seit 40 Jahren wird hier schon Kupfer abgebaut. Die Mine gehört seit 2006 der schweizerischen Xstrata, heute Glencore. «Wenn wir weiter neben dieser Mine leben müssen, werden wir alle krank und sterben», sagt Genoveva Llabechilo, die mit einer Gruppe von Frauen auf der Zufahrt zur Mine Antapaccay sitzt. Mit Hüten und Sonnenschirmen schützen sie sich vor der gleißenden Sonne. Im Hintergrund haben sich Sicherheitsleute der Firma platziert. «Sollen sie halt weitermachen, aber wir wollen eine Entschädigung, damit wir woanders hinziehen können, wo wir unseren ­Frieden haben.»

Blockierte Lastwagen bei der Mine Antapaccay in Espinar, September 2022 © Jacob Balzani-Lööv

Vor zehn Jahren kam es in Espinar zu einem Aufstand gegen die Mine, seither gibt es immer wieder Proteste. Die elf Gemeinden im unmittelbaren Einflussbereich der Mine fordern Entschädigungen für Umweltschäden und ein wirksames Konsultationsverfahren für das Erweiterungsprojekt der Mine in Coroccohuayco, wo zurzeit Verhandlungen über den Landkauf laufen.

Llabechilo, die 54-jährige Vorsteherin eines Dorfes in der Nähe, weiß, dass es nicht realistisch ist, die Mine schließen zu wollen. Zu viel Geld fließt in die Staatskasse, zu viele Menschen in Espinar sind direkt oder indirekt von den Arbeitsstellen abhängig. Aber aufgeben sei keine Option, sagt sie, und zählt Verwandte und Bekannte auf, die dem Krebs erlegen sind.

Bis heute hat Espinar keine gesicherte Wasserversorgung. Die Bevölkerung ist mit bedrohlich hohen Arsen- und Schwermetallwerten belastet, wie zuletzt eine Studie von Amnesty International nachwies. Glencore macht dafür die natürliche Mineralisierung des Bodens in der Region verantwortlich. Eine Studie der staatlichen Umweltbehörde OEFA, die erstmals die Quelle der Schwermetallbelastung untersucht, ist gegenwärtig in Arbeit.

Der “Corredor Minero” reicht von Apurimac über Cusco und Arequipa bis an die Küste. ©CooperAccion

Eine Region wählt Castillo

Einige Stunden Autofahrt im Norden, in der Provinz Chumbivilcas, liegt die Mine Constancia der kanadischen Firma Hudbay. Der angrenzende Distrikthauptort Chamaca feiert Jubiläum, doch die Stimmung auf dem Dorfplatz ist gereizt. «Rück den Traktor raus! Und den Zuchtstier!», ruft die Menge dem Bürgermeister auf dem Podest zu. Er habe eine Spende der Minenfirma an die Bauern veruntreut, so die Anschuldigung.

Wir treffen Timoteo Castañeda, 29, Anthropologe und Lokalpolitiker. Er berichtet von den Veränderungen, welche der Bergbau in der bäuerlich geprägten Region mit sich brachte. «Anfangs waren die Menschen einfach mit ein paar Geschenken zufriedenzustellen. Aber unterdessen haben sie verstanden, was für gewaltige Reichtümer aus unserer Erde geholt werden, und sie fordern ihren Anteil ein.» Auch deshalb hätten manche in der Gegend angefangen, in handwerklichen Stollen selbst nach Kupfer zu graben.

Es sei bereits das sechste Schaf, das dieses Jahr wegen des Verkehrs gestorben sei, beklagt Alejandrina Ccopa Huamani. ©Jacob Balzani-Lööv

Bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 2021 hatte Pedro Castillo in Chumbivilcas 96 Prozent der Stimmen abgeräumt. Die Hoffnung, dass mit dem einstigen Dorflehrer und Gewerkschaftsführer ein Wandel komme, sei gewaltig gewesen, erzählt Castañeda. Leider habe sich danach kaum etwas verbessert, doch viele würden die Schuld daran nicht Castillo geben, sondern der rechten Parlamentsmehrheit und den Wirtschaftsinteressen, welche ihn nicht hätten regieren lassen. «Zumindest lässt Castillo die Leute in Ruhe, wenn sie protestieren und die Strasse blockieren.»

Die Kurven werden enger, die Hänge steiler. Dann, ein totes Schaf im Straßengraben. Es gehört Alejandrina Ccopa Huamaní. Die 50-Jährige ist aufgebracht. Es sei das sechste Schaf, das sie dieses Jahr wegen des Verkehrs verloren habe. «Nichts als Leid hat uns die Mine gebracht – Lärm, Staub, Vibrationen – die Häuser bekommen Risse und die Schafe sterben uns weg.» Über 400 schwere Camions, beladen mit Kupfererz, rollen täglich mitten durchs Dorf. Entschädigungen bekämen sie keine.

Pollada beim Bergbaukorridor in einem Dorf in Apurimac ©Jacob Balzani-Lööv

Ein paar Dörfer weiter stauen sich die Lastwagen. Einige Männer stoppen den Verkehr, am Straßenrand eine Gruppe Frauen, die Poulets braten. Es ist keine eigentliche Straßenblockade, sondern ein Benefizfrühstück – wer ein Poulet kauft, kann weiterfahren. «Wir brauchen das Geld dringend, um eine schwerkranke Frau ins Spital zu bringen», erklärt Nieves Contreras, 32. Sie wollen, dass die Minenfirma auch für ihre Fahrer Poulets kauft.

Doch der eilig herbeigerufene Verhandler, der seinen Namen nicht nennen möchte, stellt sich quer. «Das würde ein schlechtes Beispiel abgeben», sagt er, «die Leute sollen sich an die offiziellen Stellen wenden.» Der Staat sei verantwortlich für die Gesundheitsversorgung, aber leider lasse er die Menschen im Stich. Zwei Polizisten schauen zu und verziehen sich nach einer Weile, die Straße ist wieder freigegeben.

Von Bergbauern zu Aktionären?

Nach 250 Kilometern erreichen wir den Anfang des Bergbaukorridors. Die Mine Las Bambas gehört zu den Top 10 der größten Kupferminen weltweit und ist alleine für zwei Prozent der globalen Produktion verantwortlich. Doch die Tagebaugrube ist nahezu erschöpft. Die chinesische Eigentümerfirma MMG will deshalb zwei Milliarden Dollar für die Erweiterung investieren. Der Boden gehört ihr bereits, alle Bewilligungen sind erteilt, das Einzige, was ihr im Wege steht, sind die rund 400 Mitglieder der Gemeinde Huancuire.

Der Bergbauer Demetrio Ochoa bringt uns nach Chalcobamba, auf knapp 4700 Metern über Meer. Auf der einen Seite das riesige Rückhaltebecken, wo die giftige Schlacke abgelagert wird, die bei der Kupferextraktion zurückbleibt. Das ganze Tal ist darunter verschwunden. Auf der anderen Seite liegt ein hübsches Hochmoorgebiet mit grasenden Lamas. Darunter eines der wichtigsten Kupfervorkommen, welches in Peru demnächst erschlossen werden soll. Der 40-jährige Ochoa hält drei Kokablätter in die Sonne und richtet ein stummes Gebet an den Geist des Berges. «Wir haben die Verantwortung, für diese Berge zu sorgen. Wenn man ihnen keinen Respekt zollt, kann man in Schwierigkeiten geraten.»

Es stimme schon, sagt Ochoa, die Gemeinde Huancuire habe das Land 2013 an die Minenfirma verkauft. Doch es sei kein fairer Handel gewesen. Unterdessen würden sie besser verstehen, was die Erweiterung der Mine für sie bedeuten würde. «Wir verlieren nicht nur unsere Wasserquellen und Weiden, sondern auch die Berge, die unsere Identität ausmachen.»

Der Bergbaukorridor ist eine größtenteils unbefestigte Straße, die über 562 Kilometer von der Mine Las Bambas im Departement Apurimac über Cusco und Arequipa bis zum Hafen von Matarani führt.©Jacob Balzani-Lööv

Im April 2022 besetzten die Mitglieder von Huancuire das Gebiet von Chalcobamba. Die Bauarbeiten sind seither unterbrochen. Einen Räumungsversuch der Polizei Anfang Juni konnten sie mit ihren Steinschleudern erfolgreich abwehren, seither wird wieder verhandelt. Der Gemeindepräsident Romualdo Ochoa verkündete ihre Forderung in nationalen Medien: «Wir wollen Aktionäre der Mine werden, damit auch unsere Kinder eine Zukunft haben.»

Die Firma MMG-Las Bambas beklagt dagegen die wirtschaftlichen Verluste durch die ständigen Blockaden. Seit der Inbetriebnahme 2016 sei die Produktion während über 540 Tagen unterbrochen worden, davon allein 2022 über fünfzig. Trotzdem habe die Mine eine glänzende Zukunft, verkündete CEO Liangang Li. Die Verhandlungen mit Huancuire sollen bald abgeschlossen sein. «MMG hat bedeutende soziale Investitionen getätigt und ­fördert Unternehmen der lokalen ­Gemeinschaften.»

Ungewisse Zukunft

Neben den bestehenden Minen sind im Bereich des Bergbaukorridors über ein Dutzend weitere geplant. Der Kupferpreis ist mit über 9000 US-Dollar pro Tonne nahe an der Rekordhöhe, und mit der Nachfrage für die Energiewende dürfte er weiter steigen (siehe Kasten). Doch was wird dies für die Menschen bedeuten, die hier leben?

Auf der ganzen Reise haben wir niemanden getroffen, der den Bergbau grundsätzlich ablehnt. Doch die Wut über unfaire Deals, gebrochene Versprechen und verheimlichte Umweltfolgen macht es zunehmend fraglich, ob die Produktion auf dem aktuellen Niveau gehalten werden kann – geschweige denn, ob neue Minen gebaut werden können.

Ein Paar ruht sich auf dem Gelände der geplanten Tagebau-Grube Chalcobamba – Las Bambas aus ©Jacob Balzani-Lööv

In Peru ist der kollektive Landbesitz von indigenen Gemeinschaften rechtlich geschützt. Jeder Landverkauf bedarf der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der Gemeindemitglieder. Dazu kommt ein Konsultationsprozess. Dies gibt den Gemeinden, die das Land besitzen, zumindest in der Theorie eine relativ starke Verhandlungsposition. Doch ohne staatliche Garantien für transparente Information und geregelte Verhandlungsprozesse gibt es keine tragfähigen Entscheidungen. Die politische Dauerkrise der letzten Jahre hat dieses Problem weiter verschärft.

Wegen der Proteste, die auf den Putschversuch und die folgende Absetzung von Präsident Pedro Castillo ­Anfang Dezember folgten, stecken die Lastwagen im Bergbaukorridor wieder fest und die Minen mussten ihre Produktion herunterfahren. «Es geht jetzt nicht mehr um lokale Forderungen, sondern ums Ganze», berichtet der Anthropologe Castañeda per Telefon aus Chamaca. «Die Entscheidung der Leute hier ist klar: Solange die illegitime Präsidentin Dina Boluarte nicht zurücktritt, bleibt der Bergbaukorridor geschlossen.» Auch die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung sei zunehmend Konsens. «Ohne einen neuen Gesellschaftsvertrag ist es schwierig, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu sehen.»

Die Minengrube von Las Bambas liegt zwischen 3800 und 4600 Metern über Meer. Sie gehört dem chinesischen Unternehmen MMG und ist die achtgrößte Kupfermine der Welt ©Jacob Balzani-Lööv

Die Schweiz und Deutschland im peruanischen Kupfergeschäft

Die Konflikte im peruanischen Bergbaukorridor bedrohen die weltweite Versorgung mit Kupfer und damit die Energiewende. Peru ist nach Chile die Nummer zwei im Kupfermarkt, mit rund 11 Prozent der globalen Produktion. Etwa ein Drittel davon wird durch den Bergbaukorridor transportiert. Längere Produktionsunterbrüche können deshalb den Weltmarktpreis in die Höhe drücken. Der Kupferpreis liegt aktuell bei über 9000 US-Dollar pro Tonne, nahe an der Rekordhöhe.

Kupfer zählt zu den als «kritisch» eingestuften Metallen für die Energiewende. Keine Windturbine, keine Solarzelle, kein E-Auto-Motor kommt ohne Kupfer aus. Vor allem braucht es für die Elektrifizierung von bisher fossil erzeugter Energie große Mengen an Kupferkabeln. Entsprechend schätzt die Internationale Energieagentur, dass sich der Verbrauch bis zum Jahr 2040 mehr als verdoppeln könnte. Doch die besten Vorkommen sind bereits weitgehend ausgeschöpft. Über 70 Prozent des peruanischen Kupfers gehen nach China, gefolgt von Japan und Südkorea. Deutschland ist mit drei Prozent der wichtigste Markt in Europa, wovon ein guter Teil zur Raffinerie von Aurubis in Hamburg gehen dürfte.

Wie immer, wenn es um Rohstoffe geht, spielt die Schweiz eine wichtige Rolle, vor allem als Konzernsitz von Minenfirmen und Handelshäusern: Glencore ist weltweit einer der wichtigsten Händler und Produzent und besitzt in Peru neben Antapaccay weitere Kupferminen (Antamina, Los Quenuales und Volcan). Die großen Handelshäuser Louis Dreyfus und Trafigura haben Büros und Lagerhallen in Lima, von wo aus sie die Verschiffung in die Exportmärkte organisieren.

Im Rohstoffbericht des Schweizerischen Bundesrats von 2018 heißt es, 60 Prozent des weltweiten Kupferhandels würden über die Schweiz abgewickelt. Dies sei eine grobe Schätzung, die effektiven Zahlen würden schlicht nicht erfasst, meint Stefan Leins, Professor an der Universität Konstanz, der den Rohstoffhandelsplatz Schweiz erforscht: «Die Handelsfirmen haben eine Schlüsselposition in den globalen Lieferketten und werden sich dem zunehmenden Druck nach mehr Transparenz nicht ewig entziehen können.» Die Europäische Union berät zurzeit über eine Richtlinie für ein Lieferkettengesetz, welches für alle im EU-Markt tätigen Großfirmen eine Sorgfaltspflicht bezüglich Menschenrechten und Umweltstandards einführen würde.


Text: Thomas Niederberger

Fotos: Jacob Balzani – Lööv

Thomas Niederberger ist Sozialanthropologe und lebt in Peru, wo er für Comundo einen Einsatz der Entwicklungszusammenarbeit bei CooperAcción leistet.

Der Artikel erschien leicht abgewandelt zuerst in der «Schweiz am Wochenende» vom 28.01.2023