„Wir sind Überlebende vieler Gräueltaten“

 

Papst Franziskus traf in Puerto Maldonado die indigenen Völker Amazoniens. Hier die Forderungen der indigenen Organisationen und wie der Papst darauf einging.

Schon der Ort selbst war ein politisches Statement: Papst Franziskus´ erste Station war im südlichen amazonischen Regenwald Perus und nicht bei der sogenannten „politische Elite“.

Im Vorfeld konnten die kirchlichen Koordinatoren in der Region Madre de Dios ein engagiertes Programm erstellen und dem Papst die schreckliche Situation gerade in dieser Region deutlich machen. Wichtig war auch, dass die Sorgen und Bitten der indigenen Bevölkerung durch eigene Delegierte vorgetragen werden konnten.

Vor der Reise hatten die indigenen Organisationen FENAMAD (der regionale Zusammenschluss von acht indigenen Völkern im Gebiet des Rio Madre de Dios),  der peruweite Dachverband der indigenen Völker des Regenwaldes AIDESEP und der Dachverband der indigenen amazonischen Völker Lateinamerikas COICA ihre Forderungen vorgebracht. Die Forderungen richteten sich nicht an den Papst – der ja keine politischen Kompetenzen hat in Peru – sondern an  die politisch Verantwortlichen in Peru und internationale Organisationen. Im Vorfeld gab es große Erwartungen auf klare Worte des Papstes. Auch wir haben ihm als Informationsstelle Peru e.V. in einem persönlichen Brief  die Wünsche und Sorgen unserer peruanischen PartnerInnen mitgeteilt (https://www.infostelle-peru.de/web/die-infostelle-schreibt-an-papst-franziskus/)

Zu den Forderungen der indigenen Organisationen Perus gehörten u.a.

* Es müssen immer noch 200 Millionen Hektar Land den indigenen Dorfgemeinschaften als Gemeinschaftsland offiziell anerkannt werden. Diese Landtitel haben Vorrang vor der Einrichtung z.B. von Nationalparks, wenn diese nicht im Sinne der verpflichtenden Vorab-Konsultation (consulta previa) vor konkreter Planung und Einrichtung in einer gemeinsamen Übereinkunft entwickelt wurde.

* Es muss viel mehr für ein „volles Leben“ getan werden, d.h. für eine Wirtschaftsform im Regenwald, die den Wald stehen lässt.

* Die schlimme Situation  der Umweltschützer durch Kriminalisierung, Verfolgung und Ermordung muss beendet werden.

* Der Bau von Straßen in den Regenwald unter der Fahne des Fortschritts muss aufhören

* Besonderer Schutz der sog. Nicht-Kontaktierten Indigenen (die in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Gruppen).

* Zusammengefasst war die Forderung: Schluss mit den Aktivitäten wie Abholzung, Bergbautätigkeiten, Goldabbau, industrielle Landwirtschaft, Erdölproduktion etc.

* Direkt an den Papst und die katholischen Organisationen im amazonischen Regenwald gerichtet: Dort wo die Zusammenarbeit gut ist, soll sie weitergehen und dort, wo das nicht der Fall ist muss Vertrauen geschaffen werden.

Es sollen auch keine Missionare „für“ die indigene Bevölkerung sprechen.

Der neugewählte Präsident von AIDESEP ,  Lizardo Cauper , richtete die Forderung an die kirchlich Verantwortlichen, dass  Pater  Miguel Arcángel Piovesan aus Alto Purús versetzt werden muss. Dieser setzt sich vehement (zusammen mit dem Bürgermeister seiner Gemeinde) für den Bau einer Straße im  Regenwald Purús (Region Ucayali – von Puerto Esperanza nach Inapari) ein. Das Problem dabei: Diese Straße würde durch indigene Territorien und Schutzgebiete führen.

Besonders gravierend ist, dass diese Straße auch durch Gebiete führt, in denen nicht-kontaktierte Indigene leben. Gegen diese Straßenbaupläne haben sich auch das Kultusministerium und das Umweltministerium ausgesprochen.

Anmerkung: Pater Piovesan kam auch mit einer Delegation von 50 Personen zur Veranstaltung mit dem Papst, mit einem Militärflugzeug transportiert. Diese Personen fielen auf, weil sie nicht in ihrer Festkleidung kamen, sondern mit identischen T-Shirts mit dem Aufdruck: Papa Francisco – Voluntariado. Pater Piovesan nutzte seine Anwesenheit und betonte gegenüber den Medien die unbedingte Notwendigkeit des Straßenbaus.

Die Anwesenheit des Papstes war natürlich der Höhepunkt am 19. Januar.   Aber es gab auch ein „profanes Programm“. Die regionale Organisation der indigenen Bevölkerung feierte ihr 36-jähriges Bestehen und Engagement. Dazu fand eine eigene Pressekonferenz statt, ein Koordinierungstreffen indigener Organisationen, ein Fußballturnier (fulbito), eine Ausstellung mit Bildern und Zukunftsvorstellungen der Harakbut sowie eine Wahl „Miss Indígena“.

 

Beim offiziellen Treffen in Puerto Maldonado war die Erderwärmung zu spüren. Bei 32 Grad  (andere sprachen von 36 Grad) unter freiem Himmel wurde es einigen Besuchern zu heiß. Auf den Fotos der Schatten-Suchenden waren viele junge Menschen zu sehen – ohne Kopfbedeckung.

 

Worte der indigenen VertreterInnen:

 

Yésica Patiachi (Harkbut): „Wir Indigene aus dem amazonischen Regenwald sind die Überlebenden von vielen Gräueltaten und Ungerechtigkeiten. Wir leiden wegen der Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen… Wir bitte Sie, dass Sie uns verteidigen… Wir wünschen, dass unsere Kinder in die Schule gehen aber diese darf auf keinen Fall unsere Sprachen, Traditionen… unser überliefertes Wissen auslöschen…

Luis Miguel Toyori (FENAMAD) betonte u.a. in seiner kurzen Ansprache: „Wir Indigenen sagen der ganzen Welt, dass auch wir in großer Sorge sind, weil die Welt kaputt geht. Die Tiere sterben, das Wasser in unseren Flüssen wird weniger… All das ist eine Folge des Klimawandels…

 

 Auszüge aus der Rede von Papst Franziskus und die indigenen Völker

 

In seiner Rede am 19. Januar 2018 in Puerto Maldonado bedankte sich Papst Franziskus beim Ortsbischof Davíd Martínez de Aguirre Guinea, bei Héctor, Yésica und María Luzmilla für ihre Willkommensworte und Berichte. Dann begrüßt er die u.a. anwesenden Harakbut, Esse-ejas, Matsiguenkas, Yines, Shipibos, Asháninkas, Yaneshas, Kakintes, Nahuas, Yaminahuas, Juni Kuin, Madijá, Manchineris, Kukamas, Kandozi, Quichuas, Huitotos, Shawis, Achuar, Boras, Awajún und Wampís,  sowie die aus den Anden zugewanderten und nun eingesessenen Amazonassiedler. Sie alle spiegeln dieses Land wider: mit seinem vielfältigen und unendlich abwechslungsreichen Gesicht und seinem spirituellen, kulturellen und biologischen Reichtum. Diejenigen, die wir nicht hier leben, brauchen Eure Weisheit und Euer Wissen, ohne den Schatz dieser Region zu zerstören.

Die amazonischen Völker sind wahrscheinlich auf ihren Territoren  noch niemals so bedroht gewesen wie heute. Um Amazonien wird an mehreren Fronten gestritten: auf der einen Seite der neue Extraktivismus und der gewaltige Druck großer wirtschaftlicher Interessen mit ihrer Gier nach Erdöl, Gas, Holz, Gold und agroindustriellen Monokulturen. Auf der anderen kommt die Bedrohung auch durch die Perversion gewisser politischer Praktiken, die die „Erhaltung“ der Natur ohne Rücksicht auf Euch Amazonienbewohner  fördern. Wir wissen, dass im Namen des Regenwaldschutzes große Waldgebiete weggenommen und verhökert werden, so dass die indigenen Völker unterdrückt werden und ihr Land mit seinen Ressourcen für sie unerreichbar wird.

Ich halte Anstrengungen für unabdingbar, institutionelle Räume des Respekts, der Anerkennung und des Dialogs mit den indigenen Völkern zu schaffen, um deren Kultur, Sprachen, Traditionen, Rechte und eigene Spiritualität aufzugreifen und zu retten.

Es ist anzuerkennen, dass es hoffnungsvolle Initiativen aus Eurer Basis und Euren Organisationen gibt, die dazu beitragen, dass die indigenen Völker und Gemeinschaften selbst Hüter des Waldes sind, und dass der Nutzen, der sich daraus ergibt, Ressourcen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Familien und Gemeinden werden.

Erlaubt mir auch zu sagen, dass, wenngleich Ihr für einige als Hindernis und Störfaktor geltet, Ihr in Wirklichkeit mit Eurem Leben ein Ruf ans Gewissen für einen angemessenen Lebensstil seid.

Zu den großen Verwüstungen bei Euch zählt auch die Umweltzerstörung durch den illegalen Bergbau, wobei ich mich auch auf den Umgang mit Menschen beziehe: Sklavenarbeit und sexueller Missbrauch.

 

(…) Eure Anwesenheit führt uns vor Augen, dass wir über die Gemeingüter nicht im Takt von Gier und Konsum verfügen können. Es muss Grenzen geben, die uns von allen Zerstörungsversuchen unserer Umwelt abhalten, aus der wir sind.

Euer wesentlicher Beitrag für die Gesamtgesellschaft muss aufgegriffen werden, ohne Eure Kultur als Naturzustand zu idealisieren und ohne Euren Lebensstil als Museumsstück  zu betrachten. Von den Staaten erbitten wir, eine interkulturelle Gesundheitspolitik zu betreiben, die Realität und Kosmovision der Völker berücksichtigt und die in den verschiedenen Ethnien die Personen ausbildet, die Krankheiten aus der eigenen Kosmovision heraus zu begegnen wissen.

Wir müssen die internationalen Institutionen unterstützen, die Druck auf diejenigen Regierungen machen, die Sterilisationen insbesondere bei indigenen Frauen als Mittel der Geburtenkontrolle einsetzen, ohne dass die Betroffenen dies wüssten oder eingewilligt hätten. Die Kultur unserer Völker ist ein Zeichen des Lebens. Amazonien ist außer enormer biologischer Vielfalt auch ein kulturelles Reservoir, das vor neuen Formen von Kolonialismus bewahrt werden muss.

Die einzige Art, wie Kulturen nicht verlorengehen, ist ihre ständige Bewegung, ihre anhaltende Dynamik. Erziehung und Bildung helfen uns, Brücken zu bauen und eine Kultur der Begegnung zu schaffen. Erziehung und Schule der indigenen Völker sollten staatliche Priorität und Tatkraft genießen.

Beglückwünschen möchte ich alle die jungen indigenen Leute, die aus ihrer Sicht heraus eine neue Anthropologie entwickeln und die Geschichte ihrer Völker aus deren Perspektive neu lesen möchten.

Ich vertraue auf die Widerstandskraft der Völker und ihre Reaktionsfähigkeit angesichts der schwierigen Momente, die sie erleben.

 

(Die Ausschnitte aus der Rede von Papst Franziskus hat Trudi Schulze für die Informationsstelle Peru e.V. übersetzt)

 

Heinz Schulze

 

(Quellen:

– Lideres indígenas piden dialogo directo, Servindi, 18.1.18; – Organisaciones amazónicas entregan propuestas… Servindi 19.1.; – Papa Francisco: 7 temas cale in: Actualidadambiente, SPDA, 20.1.18; – Aidesep pide retiro de sacerdote de Purús, SPDA, 18.1.18; – Fuerte calor afectó a público… inforegion, 19.1.18; – Papa Francisco: Sigan impulsando espacios de educación intercultural, Servindi, 20.1.18; – Pobladores del Alto Perús presente… Inforegion, 19.1.18; – Weiter: Diverse Artikel und Kommentare in El Comercio, La Republica, Peru 21, Expreso, Roma-Vatikan… gekürzte Übersetzungen und Bearbeitung Heinz Schulze)