„Wie kann ich von hier aus helfen?“

Deutsche weltwärts-Freiwillige wurden aus Peru nach Deutschland zurückgeholt. Peruanische weltwärts-Freiwillige dagegen erleben die Corona-Krise in Freiburg, weit weg von ihren Familien.

Für internationale Freiwilligendienstprogramme ist aktuell eine sehr bewegte Zeit. Es wurden wichtige Entscheidungen getroffen, die sich auf die persönliche und berufliche Entwicklung vieler Menschen auswirken. Die deutschen Entsendeorganisationen wurden von den staatlichen Förderprogrammen aufgefordert, die Freiwilligen aus dem Ausland zurück in die Bundesrepublik zu holen. Die weltwärts-Freiwilligen aus dem Globalen Süden[1], die sich zur Zeit in Deutschland befinden, können ihren Freiwilligendienst (FWD) beenden und in ihre Heimatländer zurückkehren. Ihre Aufnahmeorganisationen sollten sie bei der Rückkehr, wenn gewünscht, unterstützen.

Wie viele Süd-Nord-Freiwillige haben dieses Angebot angenommen und sind in ihre Länder zurückgekehrt? Es ist noch nicht bekannt. Aber sicher ist, .dass die aktuellen zehn peruanischen Freiwilligen des VAMOS!-Programms der Erzdiözese Freiburg und Color Esperanza e.V. nicht zurückkehren wollen.

Sie berichten, wie sie die aktuelle Situation erleben.

Plötzlich änderte sich der Alltag der Freiwilligen.

“Ich habe ganz gewiss nicht vermutet, dass mich in meinem Jahr hier in Deutschland etwas Derartiges erwartet und ich habe mir Sorgen darübergemacht, dass sie uns vielleicht zurückschicken würden, denn das möchte ich nicht. Ich muss auch zugeben, dass ich den egoistischen Gedanken hatte, dass man mir meine Osterferien ruiniert, weil ich nirgends hinkann. Aber ich weiß, dass es das Beste ist, nicht nur für mich, sondern für alle, dass wir so wenig wie möglich aus dem Haus gehen, um Kontakte zu vermeiden. So hoffen wir das Beste und ich wünsche auch allen Menschen in Risikogebieten das Beste. Behalten wir die Entwicklung im Auge und hoffen darauf, dass bald alles vorbeigeht.” Camila, sie macht ihren Dienst im Kindergarten St. Peter und Paul in Lahr und sie hat frei bis der KiGa wieder öffnet.

“So wie in anderen Ländern, hat auch Deutschland das Virus erreicht und damit änderten sich vielen Dinge. Angefangen mit Vorsichtsmaßnahmen, über Quarantäneverordnungen, bis hin zu Verunsicherungen, Zweifel, Angst und vielen Fragen – wirklich vielen Fragen. Was heißt das für unseren Freiwilligendienst? Wie lange wird alles dauern? Wird man uns bitten, zurück nach Peru zu gehen? Was wäre, wenn wir uns anstecken würden? Oder wenn jemand aus unserer Familie in Peru erkranken würde? Wie würde es uns emotional gehen? Ich glaube, das sind einige der Fragen, die sich auch Menschen in anderen Ländern wohl gestellt haben.“ Jamileth, trotz der aktuellen Situation kann sie im Kindergarten St. Erentrudis in Munzingen weiter basteln und zuhause bereitet sie eine Präsentation über Peru und ihre Heimatstadt Huari vor.

„Als ich gerade glaubte, einen Alltag gefunden zu haben, der bis zu meiner Rückkehr nach Peru nur noch schwer zu verändern wäre, trat ein beispielloses und unvorstellbares Ereignis ein: Das Coronavirus löste eine weltweite Epidemie aus. Von einem auf den anderen Tag wurden die Grenzen geschlossen, das war sehr beeindruckend für mich. Da ich in einer Grenzstadt lebe, konnte ich eines Tages die Straße nicht mehr überqueren, um in dem Park zu joggen, in dem ich es gewohnt war.“ Soledad, sie arbeitet im Kinderhaus Heilige Dreifaltigkeit in Konstanz und geht noch jeden Tag zur Arbeit, weil Kinder von Ärzt*innen und Pflegekräften Betreuung brauchen.

„Bis jetzt reagiert die Bevölkerung vorwiegend ruhig, manche treffen mehr Vorkehrungen als andere. Teil der Bevölkerung, vor allem Jugendliche nehmen es noch nicht sehr ernst oder scheinen alles eher als Spiel sehen. Ich fand es ärgerlich, große Gruppen auf dem Platz der Alten Synagoge zu sehen, die sich sonnten und Alkohol tranken – obwohl einen Tag zuvor die Kontaktsperren verkündet worden waren. Empathie, Privilegien, (soziales) Bewusstsein – alles Themen, die mal wieder wichtig sind.“ Arlim, sie ist tätig im Mehrgenerationenhaus in Weingarten, das hinter verschlossenen Türen weiterarbeitet. Aktuell arbeiten sie daran, wie sie gemeinsam mit anderen Akteur*innen im Stadtteil notwendige Unterstützung für die Bewohner*innen des Stadtteils anbieten können.

“Während einige junge Praktikanten sich freuten, nicht arbeiten zu müssen und laut ihnen nun Partys feiern oder reisen könnten, wusste ich, dass man das nicht können würde. (…) Jetzt arbeite ich nur an zwei Tagen die Woche für jeweils vier Stunden. Für mich ist das sehr traurig, da ich es vermisse, Zeit mit meinen Kollegen und auch mit den Kindern zu verbringen. Ich sprach immer viel mit ihnen und wir hatten viel Spaß. Aber ich weiß, dass es besser ist, zu Hause zu bleiben.“ Oscar, er arbeitet im Kinder- und Jugendzentrum Weingarten. Er unterstützt gerade beim Aufräumen der Einrichtung und dreht witzige Beschäftigungsvideos mit einem Mitarbeiter des Zentrums für die Homepage für die Kinder.

 „In meiner Arbeit am Donnerstag (dem 12. März) haben die Kinder mehr über das Thema geredet. Obwohl ich nicht viel verstanden habe wegen der Sprache, am Tag danach, wie an jedem anderen Tag, habe ich meine Arbeit gemacht und mein Kollege Raul hat uns informiert, dass die Fälle sich verdoppelt hatten und dass der Staat die Entscheidung getroffen hat, alle Veranstaltungen, Treffen und anderes abzusagen. Also haben sie mir gesagt, dass ich ab dem nächsten Dienstag zuhause bleiben müsste wegen der Zunahme der Infizierten. Seitdem bin ich zuhause. Währenddessen helfe ich meiner Gastmutter im kleinen Garten, den wir haben, und habe auch mit meiner Familie in Peru gesprochen, wo es wenigstens allen gut geht.“ Romulo, er macht seinen Dienst im Haus der Begegnung in Landwasser. Sie schließen ihre Türe bis Ende April und deshalb muss Romulo nun mehr Zeit bei der Gastfamilie verbringen.

Was bedeutet es für die Freiwillige, mehr Zeit bei der Gastfamilie zu verbringen? Oder im Wohnheim?

“Jetzt, wo ich viel Zeit zu Hause verbringe, rede ich mit meinen Mitbewohnern, wir kochen oder essen zusammen und spielen viel. Jedoch sind nur ein paar wenige da, da die Mehrheit nach Hause zu ihren Eltern gefahren ist. So ist die WG fast leer, und ich verstehe ihre Entscheidung, das würde ich auch machen, wenn meine Familie in der Nähe wäre. Ich würde auch die Quarantäne mit ihnen verbringen. Aber egal, ich fühle mich gut, es ist sehr lustig, Zeit mit meinen Mitbewohnern hier zu verbringen.“ Oscar

„Für mich persönlich hat die Situation mich näher zu meiner Gastfamilie gebracht hat. Wir haben jetzt viel mehr Zeit uns zu unterhalten, gemeinsam zu spielen und Familienaktivitäten zu machen.“ Jamileth

„Ich muss zugeben, dass ich anfangs meine Gastmama mit all dem sehr übertrieben fand, sie ließ mich weder rausgehen, noch empfing sie Besucher*innen zu Hause, und jeden Tag war es normal, ihren typischen Satz “Hände waschen!” zu hören. Ich habe versucht, sie zu verstehen und mich an ihre Maßnahmen zur Vorbeugung dieser Krankheit in der Familie anzupassen (obwohl es mir oft ungerecht und sogar übertrieben erschien), aber heute verstehe ich sie vollkommen, sie liebt nur ihre Familie und will sie voll und ganz schützen, und mich auch. Nun habe ich mich an ihre Regeln gewöhnt und genieße jetzt sehr die Zeit, die wir als Familie verbringen, während wir zu Hause bleiben, in der Hoffnung, dass sich diese Situation bald bessert.“ Katia, sie hat im Februar Einsatzort gewechselt. Sie arbeitet jetzt im Kindergarten Benedikt Kreutz in St. Peter und erwartet bald wieder zur Arbeit gehen zu können:

„Das Einzige, was ich mir jetzt wünsche, ist, dass diese ganze Situation bald endet, ich möchte mein soziales Freiwilligenjahr hier wirklich ganz normal beenden. Ich möchte noch so viel mit den Kindern in meinem Kindergarten, mit meiner Gastfamilie, mit meinen Freunden teilen, ich möchte noch viele Orte kennen lernen, ich habe noch viel zu tun und zu lernen!“

Die Sorge um die Familie in Peru

Dies variiert je nach den Möglichkeiten der einzelnen Familien, je nach ihren sozialen Realitäten. Einige Freiwillige sorgen sich nur um die Gesundheit ihrer Familien, während andere sich um die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Situation Gedanken machen müssen.

„Und ich sorge mich auch um meine Familie, Freunde und um die generelle Situation in Peru. Das erste was ich morgens nach dem Aufstehen tue, ist beten. Vielleicht hilft das nicht so viel, wie es eine Impfung tun würde, aber wenigstens fühle ich mich dadurch ein wenig besser. Wie kann ich von hier aus helfen? Vieles lässt mich nachdenklich werden in diesen Momenten.“ Jamileth

„Nicht alle meine Geschwister sind angestellt, vor allem die älteren sind selbstständig und sie sind betroffen. Ich und meine Schwester unterstützen sie, damit sie etwas weniger Sorgen haben und genug zu essen da ist – wir alle schätzen nun noch mehr die Ratschläge meiner Mutter (Nichts vergeuden, immer eine kleine Reserve haben etc. … und vor allem: Helft euch immer gegenseitig, das ist das Wichtigste!) – und so rücken wir als Familie noch näher zusammen (und ich habe viele Geschwister, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte). Im Moment bin ich recht ruhig, dass wir alles gut hinbekommen.“ Arlim

 „Trotz der engen Kommunikation (mit ihrer Familie in Peru), die wir haben, ist es unvermeidlich, sich Sorgen zu machen, nicht so sehr wegen der Krankheit, sondern mehr wegen der Tatsache, dass, wie 70% der Arbeiter in Peru, meine Familienmitglieder informelle Jobs ohne jegliche soziale Absicherung haben.“ Soledad

Die Freiwilligen, Corona und die Welt

 „Diese Tage zuhause machen mich jedoch auch nachdenklich, da ich sehe wie die Quarantäne der Welt hilft, wie die Umwelt eine Verschnaufpause bekommt und wie z.B. die Verschmutzung zurückgegangen ist.“ Zeyda, sie arbeitet im Kindertagestätte Käppele. Bis die KiTa wieder öffnet, hat sie frei.

 „Dieser Virus hat eine Sterblichkeitsrate von 4,5%, welche von Egoismus, Gleichgültigkeit und sozialem Unbewusstsein geprägt ist und dadurch die Personen, die einer Risikogruppe angehören noch mehr gefährdet. Diese Situation spiegelt das Übel unserer Gesellschaften wider, das Übel, mit dem wir immer leben, das Übel, welches uns nicht erlaubt, uns als Zivilisation zu verbessern. Wir können deutlich sehen, in welchen Ländern Regierungen Entscheidungen treffen, bei denen die Wirtschaft Vorrang vor Menschenleben hat, welche Länder bereit sind, anderen zu helfen, ohne geopolitische Strategien zu berücksichtigen, wie Gesellschaften auf die Quarantänemaßnahmen ihrer Regierungen reagieren, wie die Medien ihre Aufmerksamkeit auf Themen lenken, die sie für wichtiger halten und die mit Informationen gesättigt sind, um eine kollektive Hysterie zu erzeugen.“ Cristofer, er ist Freiwilliger der Abteilung Jugendpastoral der Erzdiözese Freiburg. Derzeit macht er Homeoffice.

„Aus einem allgemeinen Kontext heraus hat dieser Virus die verwundbarsten Punkte in der sozialen Struktur jedes Landes der Welt aufgedeckt und bei seinen Bewohnenden Unsicherheit hervorgerufen, begleitet von der Hoffnung auf eine Lösung des Problems. Wenn mich jemand fragt, wie ich zu diesem Thema stehe, müsste ich einen Artikel darüber schreiben, was ich denke. Aber ich schließe damit, dass ich die gleiche Hoffnung vieler Menschen teile, die heute auf eine Lösung des Problems hoffen, unabhängig davon, ob sie gläubig sind oder nicht. Ich hoffe auf eine gute Rückkehr zu meiner Familie.“  Arturo, er leistet seinen FWD im Eine Welt Forum Freiburg. Normalerweise ist er beteiligt an Lernworkshops, die sich an verschiedene soziale Gruppen (Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene unterschiedlichen Alters) richten. Derzeit muss er aber von Zuhause aus arbeiten mit wöchentlichen TELKOs mit seinem Team.

„In Peru herrscht zurzeit eine komplette Ausgangssperre. Was geschieht mit Personen, die unter häuslicher Gewalt leiden? Mit alten Menschen in besonders gefährdeten Umfeldern? Mit den Tieren auf der Straße? Mit Tagelöhner*innen, die nun keine Einkommensmöglichkeiten haben? Und viele Fragen mehr… Kein Land war darauf vorbereitet. Und das einzige, was ich von hier aus machen kann, ist Hilfsaktionen von Organisationen, Familien u.v.m. im Internet zu teilen, damit noch mehr Menschen helfen und dadurch vielleicht begreifen, wie wichtig doch die Empathie ist.“ Jamileth

 

Die weltweite Herausforderung durch das Coronavirus bringt viele soziale Ungleichheiten ans Licht. In den Berichten der Freiwilligen ist zu lesen, dass sie sich nicht nur Sorgen um ihre Freiwilligenarbeit machen oder weil sie nicht reisen können und nicht sicher wissen, was in ihrem FWD noch möglich sein wird, sondern dass sie über soziale Ungleichheiten und die Umwelt nachdenken. Das hat dem VAMOS!-Team in dieser Zeit die Kraft gegeben, die Arbeit mit dem gleichen Enthusiasmus und trotz der Einschränkungen fortzusetzen.

Das VAMOS!-Programm ist eine Kooperation zwischen dem Verein Color Esperanza und der Erzdiözese Freiburg aus Deutschland, Voluntades und Yanapachikun aus Peru und Seprojoven aus Costa Rica. VAMOS! ermöglicht seit 2009 den FWD für junge Erwachsene aus Peru für ein Jahr in Deutschland. Ab diesem Jahr werden auch drei weitere junge Menschen aus Nicaragua zum Freiwilligendienst einreisen. Der Dienst beginnt normalerweise im September, und die Einsatzstellen sind auf verschiedene Gebiete der Erzdiözese Freiburg verteilt. Für den Jahrgang 20/21 wird dies wahrscheinlich anders. Ein späterer Anfang des FWDs ist zu erwarten. Ab wann genau, kann gerade noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.

 

Dania Farfan (Bildungsreferentin VAMOS!-Programm)

 

Die Berichte sind Abschnitte des zweiten Rundbriefes der Freiwillige. Wenn Sie die vollständigen Briefe lesen möchten, finden Sie sie unter folgendem Link:

https://fif.kja-freiburg.de/html/jhg_2019_20202482.html

Haben Sie Interesse an weitere Informationen über das Programm VAMOS! und wie Sie einen Beitrag dazu leisten können? Sind Sie daran interessiert, Einsatzstelle für den Jahrgang 21/22 zu werden? Kennen Sie Leute, die Unterkunft für eine*n Freiwillige*n in Lahr, Freiburg und Konstanz und/oder in der Umgebung anbieten könnten? Sie studieren Deutsch als Fremdsprache und möchten Ihre pädagogischen Fähigkeiten in die Praxis umsetzen? (in Lahr, Konstanz oder Freiburg, von September bis Dezember)? Schreiben Sie uns an oder besuchen Sie https://fif.kja-freiburg.de/html/sued_nord_vamos.html

[1] Der Begriff „Globaler Süden“ stammt aus den Postkolonialstudien. Gemeint sind es damit Länder, die vom Kolonialismus betroffen wurden oder immer noch von neokolonialen Strukturen betroffen sind.