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Wahlüberraschung: Israelitas und FREPAP

Die Partei FREPAP gewann bei den Kongresswahlen im Januar 15 Sitze. Hinter der Partei steckt eine autochthon peruanische religiöse Gruppierung messianischen Zuschnitts.

 

Man kann sich dieser ultra-religösen Organisation und Partei soziologisch, wahltaktisch oder politisch nähern. Neu sind sie beide nicht. Wer aber weder in Limas Außenbezirken noch im amazonischen Regenwald, insbesondere den Grenzgebieten zu Kolumbien oder Brasilien, unterwegs ist, dem erscheinen die Israelitas eher exotisch als sonst etwas.

 

Die Partei FREPAP (Frente Popular Agricola del Perú / Landwirtschaftliche Volksfront Perus) hatten manche Analysten nicht auf dem Zettel als es um die außerordentlichen Parlamentswahlen am 26.1.2020 ging. Im Ergebnis gingen von 130 Sitzen 121 an traditionelle, populistische oder extreme rechte Parteien. Die Linke (Frente Amplio) kam auf 9 Sitze. Was die rechten Parteien (Fujimori- und Apra-Partei) verloren haben, haben andere Rechte gewonnen: Die FREPAP  ist mit 15 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament. Sie ist der politische Arm der in Peru als Israelitas (Congregación Israelita en Perú) bekannten Asociación Evangelizadora de la Misión Israelita del Nuevo Pacto Universal (Aeminpu). Eine Zuordnung zum „evangelikalen Sektor“ wäre ungenau. Ihr Gründer, Ezequiel Ataucusi Gamonal (Ezequiel) bezeichnete sich als Person, die Gott auserwählt hat, um das Ende der Welt zu verkünden und mittels dieser Person, Ezequiel, einen neuen Universellen Pakt mit der Menschheit einzugehen. Diesen neuen Pakt schloss Gott im Jahre 1968 via Ezequiel mit den Menschen.

Zu Lebzeiten des Gründers der Israelitas erzählte mir, in den frühen 70er Jahren, ein Gläubiger aus der Region Cajamarca (Nordanden) bei einer längeren Busfahrt von der Organisation und ihrem Führer. Für ihn war Ezequiel Ataucusi ein neuer Christ und der „wiedergeborene Heilige Geist“. Seine Anhänger richteten ihr Leben und ihr Äußeres strikt am Alten und Neuen Testament aus bzw. an Stellen darin, die Ezequiel ausgesucht hatte. Deshalb auch der Name Israelitas, weil sie ihr Leben so gestalten, wie es in der Bibel beschrieben ist. Deshalb lassen sich die Männer Haare und Bärte wachsen, die Frauen tragen Kopftücher und Männer und Frauen lange Gewänder, wie in biblischen Zeiten. Man könnte noch über weitere Facetten der Ideologie von Ezequiel sprechen, der ungeniert auch Anleihen bei den messianischen Vorstellungen von der Wiederkehr des Inka Atahualpa und einem neuen, starken Inkareich genommen hat. Wichtiger ist aber, was in der Praxis geschah:

 

Die Israelitas als Invasoren im amazonischen Regenwald

 

Die Israelitas kolonisierten Land indigener Völker. Zunächst predigte Ezequiel in „näher gelegenen“ Regenwaldregionen (von der Küste aus gesehen) wie in Chanchamayo und gründete 1962 im Distrikt Puerto Bermúdez (Provinz Oxapampa, Region Junin) seine erste „Kolonie“. In den frühen 1960er Jahren beklagte der damalige peruanische Präsident Fernando Belaúnde Terry zunehmend, dass der amazonische Regenwald leere Wildnis sei, die dringend besiedelt werden müsse. Ezequiels eigenen Vorstellungen kam dies gut zupass und er übersetzte die präsidialen Ambitionen in sein Programm der „Lebenden Grenzen“, nämlich durch Neusiedlungen die Grenzen Perus zu Kolumbien und Brasilien zu sichern: Grenzsicherung durch Ansiedlung als patriotischer Akt. So kam es dann im Laufe der Zeit zu weiteren Koloniegründungen in „weit abgelegenen“ Regionen wie Ucayali oder Loreto. Die Israelitas brannten tausende Hektar Regenwald ab, betrieben Intensivlandwirtschaft, Viehzucht und Handel (Verkauf von Tropenholz aus Loreto nach Kolumbien). Es kam zu zahlreichen Konflikten mit den dort lebenden Indigenen und schon ansässigen Neusiedlern, deren Lebensgrundlagen sie zerstörten, und es kam zu Problemen mit der Justiz. Ezequiel Ataucusi und seine engen Vertrauten sahen, dass sie eine legale Basis brauchten, um das gestohlene Land von der Politik bzw. von eigenen Leuten als Bürgermeister offiziell zugesprochen bekommen zu können. So wurde 1989 FREPAP gegründet. Heute leben die frommen Siedler in 42 sogenannten Kolonien im amazonischen Regenwald, einige mit 8.000 bis 9.000 Bewohner*innen.

Die Israelitas und Kokain

 

Die an der Grenze zu Kolumbien liegende Provinz Caballococha (Pferdesee) ist eine regionale Hochburg des Cocaanbaus. Nach Alvaro Arce (in: Somos) betrieben Israelitas in der Kolonie dort Cocapflanzungen und stellten auch die Kokain-Basispaste (pasta básica) her. Diese Provinz wurde 2014 zum Notstandsgebiet erklärt, damit der intensive Cocaanbau durch den Einsatz von Soldaten bekämpft werden konnte.

Noch heute wird gesagt, dass die Kolonien der Israelitas so etwas wie ein Staat im Staate seien, und dass dort nach den Regeln des Alten und Neuen Testaments gelebt werde. Was immer das heißen mag.

 

 

REPAP: Zuspruch und Ablehnung bei den Parlamentswahlen im Januar

 

In der Regenwaldregion Ucayali landete FREPAP mit 23,6 % der Stimmen auf dem ersten Platz. Die linke Partei Frente Amplio kam mit 1,1% auf Platz vierzehn. In der Regenwaldregion Loreto erreichte FREPAP den dritten Platz, Frente Amplio den siebten. In der Anden- und Regenwaldregion Junín erhielt FREPAP Platz drei, Frente Amplio Platz elf. In der Provinz Lima erreichte FREPAP Platz eins, Frente Amplio Platz dreizehn.

In den (Armen-)Vierteln in der Provinz von Lima sind die Israelitas stark. Ihr Zentrum an der Küste, ihr „Königliches Haus“, steht im Distrikt Cieneguilla, ca. 30 Kilometer von der Stadtmitte Limas (Richtung Landesinneres) entfernt. Hier und in anderen armen Distrikten des Großraums Lima ist die Präsenz der Israelitas viel stärker als in der Stadt Lima oder den andinen Bergbaugebieten.

Dort kamen z.B. in der Andenregion Cajamarca die Frente Amplio an die dritte, und FREPAP an die neunte Stelle; in der Bergbauregion Huancavelica war Frente Amplio auf Platz drei und FREPAP auf Platz sieben. Eine erste Interpretation zeigt, wo die Israelitas mit FREPAP zuhause sind und wo nicht  – und wo die linke Frente Amplio besser und schlechter dasteht.

 

FREPAP ist mit 15 Frauen und Männern ins peruanische Parlament eingezogen. Angetreten war die Partei der Israelitas mit durchaus populären Vorschlägen, darunter z.B. die Aufhebung der Immunität für Parlamentarier, die Einführung einer Vermögenssteuer, Kürzung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 44 Stunden ohne Lohnkürzung, Aufhebung der Wahlpflicht, Schaffung eines neuen Rechtsrahmens für  Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP‘s), Kontrolle und Förderung des Handels mit günstigen Generika-Produkten, Einführung des Unterrichtsfachs Ethik etc.

Zur Erinnerung: Die Wahlen wurden häufig als Protestwahlen charakterisiert. FREPAP als Partei wurde sicher auch als Organisation gesehen, die gegen Korruption eintritt, weil die Israelitas strikt nach den 10 Geboten leben – zumindest vordergründig. „Du darfst nicht stehlen“ ist eine klare Antikorruptionsaussage. Und das FREPAP-Versprechen, ein neues Paradies auf Erden zu schaffen – wobei sie sich darauf beruft, dafür von Gott auserwählt zu sein -, hat wohl auch Stimmen gebracht. Hilfreich war sicherlich auch ihr christliches Symbol, der (gut genährt aussehende) Fisch.

 

FREPAP kommt nicht aus dem Nichts, auch wenn in manchen Wahlanalysen von einer absoluten Überraschung die Rede ist. Als der Schriftsteller Mario Vargas Llosa 1990 für das Präsidentenamt kandidierte, traf er sich mit Ezequiel Ataucusi, um dessen Unterstützung zu erreichen. Der machte nicht mit und trat selbst an (beide erfolglos). Ezequiel starb im Jahr 2000 und “hinterließ” zwischen seinen beiden Söhnen Jonas und Juan großen Streit um die Nachfolge. Von Ezequiels Frau und der Tochter Raquel war so gut wie nie die Rede. Raquel beklagte und kritisierte aber in letzter Zeit, dass die Familie ihrer Mutter, die Molinas, in der FREPAP immer mehr Macht und Einfluss gewonnen hätten.

 

Die Zusammensetzung ihrer Abgeordneten im Parlament birgt jedoch mögliche Konflikte: Die Interessen der „Neureichen“ mit dicken Autos und beachtlichen Häusern in den armen Außenbezirken von Lima werden eher von der Molina-Familie vertreten und sind kaum identisch mit denen der bäuerlichen Siedler im Regenwald. Wie gehen die Abgeordneten jetzt damit um, wenn sie in einem rechten politischen Umfeld anders als „alttestamentarisch“ agieren müssen? Sie werden sicherlich Verbündete sein im Kampf rechter und evangelikaler Organisationen gegen die Gleichheit der Geschlechter, Durchsetzung von Frauenrechten, überhaupt der Emanzipation von Frauen. Und sie werden alles unterstützen, was die Ausbeutung des Regenwaldes fördert.

Wie weit jetzt die religiösen Werte ihr Handeln bestimmen, wird man sehen. Eine Spaltung würde mich nicht wundern.

 

(20.2.2020 Heinz Schulze, unter Auswertung vieler Beiträge in peruanischen Zeitschriften und sozialen Medien und besonders der Analyse von Mariella Villasante Cervello, Ethnologin, Sorbonne und Kath. Universität Lima)