Einkaufen auf dem Markt in Lima während der Quarantäne (© Hildegard Willer)

Der wirtschaftliche Corona-Schock in Peru

Die Corona-Pandemie hat in Peru sehr viele Arbeitsplätze gekostet. Die Krise sei aber auch auch eine Chance, den Anteil der formellen (sozialversicherten und steuerpflichtigen) Arbeitsplätze zu erhöhen, so eine Studie des Thinktanks GRADE.

Um zu verstehen, was der drastische Stopp der Wirtschaft von heute auf morgen für Peru bedeutet, ist es nötig, sich mit der Situation der peruanischen Haushalte und der Arbeiter*innen auseinander zu setzten. Genau das taten Miguel Jaramillo und Hugo Ñopo des Thinktanks für Entwicklung Grade aus Lima in ihrer Studie “COVID-19 y shock externo – Impactos económicos y opciones de política en el Perú” (Covid-19 und externer Schock – Ökonomische Auswirkungen und politische Handlungsmöglichkeiten in Peru). Mit einer Analyse der Situation der Haushalte, der Unternehmen und der Maßnahmen der peruanischen Regierung werden grundlegende Empfehlungen für politisches und wirtschaftliches Handeln während der Coronakrise gegeben. Die Studie ist auf wirtschaftliche Effekte der Krise fokussiert, soziale oder psychologische Auswirkungen beispielsweise werden nicht betrachtet.

 

Zwei Schocks

In der Studie wird zwischen zwei “Schocks” unterschieden. Der erste ist der gesundheitliche “Schock”, der durch das Virus an sich entstanden ist. Die überdurchschnittlich vielen Erkrankungen und Todesfälle werden eingangs nur kurz erwähnt. Der zweite “Schock” bezieht sich auf die Preissteigerungen für Nahrungsmittel, während gleichzeitig die Löhne im Land um durchschnittlich 20% gesunken sind. Für die wichtigsten Exportgüter Kupfer und Öl sind Nachfrage und Preise gesunken.

Peru begann erst in den letzten Wochen, die bereits sechs Monate andauernde Quarantäne langsam zu lockern. Obwohl sie schon vor einigen Monaten, im Juni dieses Jahres, formuliert wurden, bieten die Erkenntnisse der Studie ein grundlegendes Verständnis der jetzigen Lage der Haushalte Perus, von denen viele nicht mehr in der Lage waren oder sind, ein Einkommen zu generieren. Die langfristigen Auswirkungen und Entwicklungen können die beiden Autoren aufgrund der globalen Unsicherheit noch nicht abschätzen. Zudem haben Jaramillo und Ñopo als Forscher des Thinktanks  Grade weitere Artikel in internationalen Zeitungen zum Thema Coronakrise in Peru veröffentlicht.

 

Ein Großteil ist selbständig oder angestellt

Die Autoren beschäftigen sich in ihrer Studie vor allem mit einer Frage: Wie gut waren die peruanischen Haushalte für den derzeitigen “Schock” gewappnet? Da sich die Einkommen der Peruaner*innen neben privaten Einnahmequellen durch informelle und/oder formelle Arbeit zusammensetzen, ist es wichtig zu verstehen, wie der peruanische Arbeitsmarkt funktioniert. Nach einer Charakterisierung der Arbeitsplätze und der Verteilung der Arbeitskräfte, können die Verfasser sehen, wen die Krise am stärksten betrifft. Nur vier Prozent der arbeitenden Peruaner*innen sind Arbeitgeber*innen; ein Großteil arbeitet also selbstständig oder ist angestellt. Die Hälfte der Angestellten im privaten Sektor hat einen Arbeitsvertrag, wovon wiederum nur weniger als ein Viertel unbefristet ist, was bedeutet, dass viele der Arbeitsverträge während der Zeit des Lockdowns abgelaufen sind. In Peru gibt es 17 Millionen Arbeitskräfte, von denen nur drei Millionen einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. 27% aller geschlossenen Verträge sind auf drei oder sechs Monate befristet. Arbeitende ohne Vertrag sind am stärksten von den Folgen der Pandemie betroffen, während diejenigen mit formellen Arbeitsplätzen öfter auf Ersparnisse zurückgreifen konnten.

In den unteren Einkommensschichten ermöglicht die informelle Arbeit die Hälfte des Einkommens, die andere Hälfte setzt sich aus Staatshilfen und Transfers mit anderen Haushalten zusammen. In der Studie wird deutlich, dass diejenigen Haushalte mit nur einem oder nur einer Einkommensempfänger*in in der Krise noch verwundbarer sind. Von den Selbstständigen arbeitet nur eine*r von zehn formal, ist also registriert, was sich mit den Selbstständigen mit höherem Abschluss deckt: ebenfalls eine*r von zehn. Die Schwierigkeiten des peruanischen Arbeitsmarkts, die durch die Krise noch einmal betont wurden, sind, dass von dem schon kleinen Teil formaler Arbeitskräfte ein Großteil unter sehr instabilen Konditionen arbeitet. In einem Artikel für El Comercio im September 2020 kann Jaramillo genau das bestätigen: Im Vergleich zum gleichen Trimester 2019 stieg die Arbeitslosigkeit um 39,6%, wovon die Selbstständigen und die informellen Arbeiter proportional stärker betroffen sind. Die zentrale Frage der beiden Peruaner ist folglich wie die Informalität der Arbeit in Peru verringert werden und ein Umfeld mit mehr formellen Arbeitsplätzen geschaffen werden kann. Die Unterscheidung in formelle und informelle Arbeit ist wichtig, da alle davon betroffen sind.

Die Studie legt einen Fokus auf die Situation der urbanen Arbeiter*innen. In den Städten sind knappe 80 Prozent der Arbeiter*innen beschäftigt sind und dort breitete sich das Virus am schnellsten aus. Im weiteren Verlauf der Krise ist aber nun auch die ländliche Bevölkerung stark betroffen und auch indigene Völker konnten der Pandemie nicht entkommen.

Ein gewaltiges Hilfspaket

Peru reagierte besonders im Vergleich mit europäischen Ländern und auch anderen südamerikanischen Ländern schnell auf die Krise und wollte sich neben der obligatorischen Quarantäne auch mit einer Stärkung des Wirtschaftssystems und einem Wirtschaftspaket für Haushalte und Unternehmen gegen die Pandemie rüsten. Bereits in der ersten 15-tägigen Quarantäne kündigte der Staat Unterstützung für die Haushalte an. Bedürftige sollten einen Bonus von 380 Soles bekommen, was 80% des Mindestgehalts entspricht und auch für viele Familien zumindest die Ernährung decken könnte. Der Staat stützte sich dabei auf bereits existierende Daten und Systeme, um zu entscheiden, welche Familien die Kriterien erfüllen. Offiziell waren es 2,7 der 6,4 Millionen Haushalte, die hier unterstützt werden sollten. Schnell wurde jedoch klar, dass die Systeme voll mit Datenfehlern sind und große Fehler bei der Inklusion entstanden. Zudem rechnete das Programm nur mit Familien, die bereits vorher als arm galten, obwohl durch den Lockdown einige unter diese Grenze fielen. Mit dem veralteten System war es dann auch nicht möglich, diese aufzuspüren. Dramatische Konsequenzen ergaben sich auch bei der Auszahlung der Gelder: Da viele arme Familien nicht über Online Bankkonten verfügen, mussten sie sich das Geld bei der Bank abholen, was zu langen Schlangen mit hohem Infektionsrisiko führte. Auch 700.000 Haushalte der Mittelschicht sollten unterstützt werden, womit das Programm den Staat im Monat 0,8% des BIPs kostete. Als weitere Maßnahme ermöglichte die Regierung den Bürger*innen bis zu einem bestimmten Betrag auf ihre Rentenkonten zuzugreifen. Seit der Veröffentlichung der Studie wurde dieser Betrag noch einmal erhöht, während das Programm für die Haushalte nicht fortgesetzt wurde.

 

Hilfen für formelle Unternehmen

Auch die Unternehmen erhielten nach Kriterien wie Verschuldung oder Korruption Unterstützung vom Staat mit einer Summe vom 30 000 Millionen Soles. Sichert man das Einkommen der Unternehmen, hilft das natürlich auch den Arbeitnehmer*innen, allerdings ermöglichte man Unternehmen, die sich gegen diese Hilfeleistung entschieden, durch ein Notstandsdekret, Arbeiter*innen unbezahlt zu suspendieren. Insgesamt wurden für das Konjunkturprogramm 12% des BIPs ausgegeben, da die Quarantäne jedoch den Zeitraum der Hilfeleistung überschritt, sind die meisten Peruaner*innen trotzdem gravierend mit den Arbeitseinschränkungen konfrontiert. Die Unterstützung von Unternehmen soll sich laut Regierung auf diejenigen konzentrieren, die jeden Monat aktuelle Informationen über ihre Arbeitnehmer*innen melden. 1% der peruanischen Unternehmen stellt die Hälfte aller formellen Arbeitsplätze zur Verfügung. Finanzielle Unterstützung dürfe also die großen Unternehmen nicht ausschließen, da man so auch Hilfe für einen Großteil der formellen Arbeitsplätze verhindern würde, betonen die Autoren, denen die Stärkung der formellen Arbeit ein wichtiges Anliegen ist.

 

Dringend: mehr formelle Arbeitsplätze!

Das letzte Kapitel der Studie fasst die Handlungsmöglichkeiten der peruanischen Regierung zusammen. Dabei werden zwei Phasen unterschieden. In der ersten Phase liegt der Fokus auf der Unterstützung der Haushalte. Dazu zählen Programme wie der „Bonus 380“, der oben beschrieben wurde. Die zweite Phase nennen Jaramillo und Ñopo „Reaktivierung“. Beschäftigungswachstum und Nachfrage sollen hier stimuliert und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, die Beschäftigten zu halten. Auch kleine Unternehmen sollen unterstützt werden. Die Priorität legen die Autoren auf eine Stärkung des Gesundheitssystems. Es müssten Systeme entwickelt werden, wie man Infektionen frühzeitig erkennt und effektiv reagiert. Der peruanische Staat sehe sich in dieser zweiten Phase mit einer hohen Arbeitslosigkeit konfrontiert, was das Problem wieder betont, dass informelle Arbeitsplätze keinen Mindestlohn haben. Trotzdem bekräftigen die beiden Peruaner, dass die Krise eine Chance sei, die Bedingungen zu verbessern und eine Gelegenheit zu erkennen, dass die „Formalität“ eines Arbeitsplatzes wichtige Vorteile hat, beispielsweise um alle Menschen mit Unterstützung zu erreichen. Möglichkeiten zur Arbeitssuche müssten verbessert, Ausbildung und Umschulung vereinfacht und Praktika für Jugendliche ermöglicht werden, fordern die Autoren. Jetzt müssten aber zuerst einmal alle mit finanziellen Hilfen erreicht werden, nach der Krise müsse die „Formalität“ der Arbeit im Land dann dringend erhöht werden!

Jaramillo und Ñopo geben einen weitläufigen Einblick in die wirtschaftliche Lage der Peruaner*innen. Die dramatische Situation auf dem Arbeitsmarkt wird ausführlich untersucht und mit vielen Zahlen in Statistiken belegt. Allerdings kann die Studie keine tiefe Analyse der Maßnahmen der Regierung bieten oder längerfristige Auswirkungen auf die Lage der Haushalte untersuchen. Das liegt daran, dass die Studie bereits im Juni veröffentlicht wurde. Allerdings waren auch schon die ersten 15 Tage Quarantäne für viele Familien dramatisch und die Maßnahmen waren weit unproduktiver und kurzlebiger als der Bericht erkennen lässt. Anfang Oktober wurde ein weiterer Bonus von der Regierung verabschiedet. Ob dieser die Menschen besser erreicht, wird sich zeigen. Allerdings geben auch die Lockerungen der Quarantäne in den letzten Wochen Hoffnungen für den Arbeitsmarkt, auch wenn erst einmal informell.

 

Clara Uhlemann und Theresa Nickles

 

 

Quellen:

  • Jaramillo, Miguel/ Nopo, Hugo: “COVID-19 y shock externo. Impactos economicos y opciones de politica en el Peru”, in: GRADE, Juni 2020.
  • Jaramillo, Miguel: “Anatomía de una debacle económica: el mercado laboral peruano en el 2020, por Miguel Jaramillo” in: El Comercio, 06.09.2020.