Missbrauchs-Skandal in peruanischer Kirche

Nach Mexiko und Chile hat nun auch die peruanische Kirche einen Pädophilie-Skandal. Der Gründer der einflussreichen religiösen Bewegung «Sodalitium Cristianae Vitae» wird des sexuellen Missbrauchs
bezichtigt.

Er sprach von einem auserwählten inneren Zirkel, von den Mysterien des spirituellen Weges, von den Yoga-Energiepunkten und vor allem vom Gehorsam gegenüber dem Meister. Der damals minderjährige Santiago, wie er sich nennt, erzählt heute, dass er sich bei der Begegnung mit diesem Meister ebenso geehrt wie befremdet gefühlt habe. Die Sitzung endete laut seinem Bericht mit einem Akt sexuellen Missbrauchs.

40 Jahre später berichtet das Opfer dem peruanischen Journalisten Pedro Salinas detailliert, was sich damals im Privatgemach von Luis Fernando Figari zugetragen habe. Figari ist in der katholischen Kirche Perus nicht irgendwer: Der Peruaner gründete 1971 in Lima die Laienbewegung “Sodalitium Cristianae Vitae”. Die “Sodalicio” genannte Gruppe stieg in der katholischen Kirche schnell auf. Sie rekrutierte Jugendliche vor allem in den Schulen der peruanischen Oberschicht mit sektenähnlichen Methoden und entfremdete sie ihren Elternhäusern.

Gegenbewegung zur Befreiungstheologie

Ziel des “Sodalicio” war es, der damals in Peru starken “Theologie der Befreiung” eine konservative Bewegung entgegenzustellen. Dies geschah mit Erfolg: 1997, rund ein Vierteljahrhundert nach seiner Gründung, wurde der “Sodalicio” unter Papst Johannes Paul II. (1978-2005) als Gemeinschaft apostolischen Lebens vom Vatikan
anerkannt. Die Gruppe war in Rom angesehen, weil linker Umtriebe unverdächtig. Vor allem aber füllten sie Kirchen und Seminare, die auch in Lateinamerika zunehmend leerer wurden.

Dass dies mit unlauteren Methoden geschah, war seit langem gemunkelt worden. Das ehemalige Mitglied des “Sodalicio”, Martin Scheuch, schreibt seit Jahren in seinem Blog über seine traumatischen
Erfahrungen mit der Gemeinschaft (www.laslineastorcidas.wordpress.com). Der Journalist Pedro Salinas, selbst einst Mitglied des “Sodalicio”, hatte vor 15 Jahren bereits einen Schlüsselroman veröffentlicht.

Exil in Rom

Dass es auch zu sexuellem Missbrauch gekommen war, wurde 2010 erstmals bekannt. Die Vorwürfe richteten sich gegen ein früh verstorbenes Mitglied. Figari, der heute 68 Jahre alte “Sodalicio”-Gründer, ging damals “aus gesundheitlichen Gründen” in den Ruhestand nach Rom. In dem nun veröffentlichten Buch “Mitad monjes, mitad soldados” (Zur Hälfte Mönche, zur Hälfte Soldaten) stellen die renommierten Journalisten Pedro Salinas und Paola Ugaz 30 Zeugenaussagen zusammen, die darauf hindeuten, dass auch der Gründer selbst Mitglieder zumindest in einem Fall sexuell missbraucht hat.

Der “Sodalicio” selbst hat in einer Presseerklärung vom Montag die Opfer um Entschuldigung gebeten und damit Missbrauch durch hochrangige Mitglieder eingestanden. Die im Buch erhobenen Vorwürfe seien glaubhaft.  Figari sei seit 2010 aller Ämter in der Gemeinschaft christlichen Lebens enthoben. Die Gruppe ist in der peruanischen Kirche dennoch weiter einflussreich. Sie stellt zwei Bischöfe, unterhält mehrere Schulen und eine Universität. Auch sind die Beziehungen zum lateinamerikanischen katholischen Pressedienst Aciprensa sehr eng.

Ob die Missbrauchsopfer je zu ihrem Recht kommen werden, ist zweifelhaft. Eine Klage beim Kirchentribunal des Erzbistums Lima sei seit Jahren folgenlos geblieben, berichtet Salinas.  Das Kirchentribunal hat angesichts des Medienrummels um das Enthüllungsbuch bekanntgegeben, die Anklagen seien nach Rom weitergeleitet worden. Wann dies geschah, ist nicht bekannt.  “Die Opfer wollen Gerechtigkeit vonseiten der Kirche erfahren”, kommentiert Salinas. “Da es sich meist um Mitglieder der Oberschicht handelt, haben sie Angst vor einem gesellschaftlichen Stigma”. Bis jetzt wolle daher keines der Opfer von sich aus Klage erheben.

Inzwischen hat die peruanische Staatsanwaltschaft von sich aus eine Untersuchung gegen Figari eingeleitet. Der lebt in  Rom, fernab des Arms peruanischer Strafgerichte; über seinen Anwalt in Lima liess er verlauten, dass er zwar einige disziplinäre Exzesse bedaure, dass er aber keinen sexuellen Missbrauch begangen habe. Eine Rückkehr nach Lima, um sich den Behörden zu stellen, würde er noch nicht in Betracht ziehen.

(Quelle: KNA, El Comercio)

Hildegard Willer