Jugendprotest: Das Sommermärchen von Lima

Limas Strassen erlebten im Dezember und Januar ein „Sommermärchen“ ohnegleichen. Nachdem seit Jahrzehnten die peruanische Arbeitsgesetzgebung ausgehebelt wurde, ohne auf wesentlichen Widerstand zu treffen, gelang das bei den Jugendlichen nicht mehr. Ein Gesetz zum Abbau von Arbeitsrechten für jugendliche Arbeitnehmer brachte Zehntausende von jungen Peruanern auf die Strassen Limas. Nicht einmal sondern viermal.

Der junge Journalist Hernán Floríndez war einer von ihnen. Hier sein Testimonio:

Ich packte  meine Kamara, mein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift: „Ich bin cholo, aber nicht billig“ , meinen Personalausweis, ein Taschentuch, eine kleine Flasche Essig und meinen Block und Bleistift. Ich sagte mir immer wieder, dass ich es nicht zulassen könne, dass dieses Gesetz uns Fesseln anlegt. Wir Jugendlichen sind keine Bürger zweiter Klasse, um einen Job zweiter Klasse zu bekommen.

Praktikum ohne Lohn

Im Sommer 2012 hatte ich meinen ersten Job, bei einem Fernsehsender. Der Vertrag war mündlich. Ich war Student und ich sollte  300 Soles (rund 90 Euro) bekommen  dafür, dass ich bei der Produktion des Programms „Guten Tag, Herr Doktor“ mithalf. Ich arbeitete fast zwei Monate lang; klar, ich war nicht fest angestellt. Ich hatte auch keine Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, keine festen Arbeitszeiten. Ich erhielt keine Ausbildung, keine Überstundenbezahlung…… und auch keinen Lohn. Ich arbeitete fast 30 Stunden wöchentlich gratis, um überhaupt bleiben zu dürfen. Als ich merkte, dass sie mich nicht bezahlen würden, nahm ich ein paar ihrer Kugelschreiber und ging.

Das konnte doch nicht rechtmässig sein , dachte ich. Es kann doch nicht sein, dass unser Parlament, nur weil wir jung sind, mir die Aussichten auf eine anständige Arbeit nimmt. Ich konnte nicht zulassen, dass sie uns dazu verdammen, ohne Rechte zu arbeiten, oder mit weniger Rechten. Niemand soll einen solchen Sommer verbringen.

Ein Gesetz wie ein Strassenköter

Das neue Gesetz kam frisch geschminkt daher, wie ein Strassenköter, dem man eine rosa Schleife in den Schwanz gebunden hatte. Man würde weiter gebildet, der Job würde später in eine Festanstellung übergehen. Dafür sollst Du auf Deiner CTS  (eine Art peruanischer Arbeitslosenversicherung, der Arbeitgeber muss einen Monatslohn für Dich jährlich zurückhalten, d.Red. ), auf die Familienzulage, auf die Lebensversicherung, zusätzlichen Monatslohn verzichten und mit 2 Wochen Ferien auskommen. Arbeitsrechte, für die Generationen unserer Eltern und Grosseltern gekämpft hatten, wurden so innerhalb von zwei Wochen Schall und Rauch. Innerhalb von zwei Wochen wurde per Dekret die Arbeisgesetzgebung für junge Arbeitnehmer für null und nichtig erklärt. Auf einmal hatten wir keine Rechte mehr, waren keine Bürger mehr, sondern nur noch ein Kostenfaktor.

Aber sie hatten nicht mit unserem Widerstand gerechnet. Zwei Tage nachdem das neue Jugendarbeitsgesetz im Amtsblatt bekannt gegeben wurde, waren wir schon auf der Strasse, wie einst unsere Eltern, im Zentrum Limas. Wir wollten unsere Botschaft spontan dem Arbeitgeberverband Confiep (Confederacion Nacional de Instituciones Empresariales Privadas) überbringen; dort schlägt das Herz der peruanischen Privatwirtschaft, das den Neoliberalismus ins Land pumpt, und die am meisten von dem neuen Gesetz profitieren würde.

Jugendliche organisieren sich

30.000 Jugendliche marschierten auf der Avenida Arequipa, die die historische Altstadt Limas mit dem modernen    Viertel Miraflores verbindet. Nie zuvor gab es hier Protestmärsche. Deswegen ging die Polizei auch hart gegen uns vor: Schlagstöcke, Tränengas und eingeschleuste V-Männer spalteten den Marsch in zwei Teile. Ein Teil der Protestanten wurde in der Avenida Arequipa zurückgehalten, der andere gelangte bis zum Parque Kennedy in Miraflores, wo die Polizei uns erwartete. 12 Personen wurden festgenommen. Dennoch fragten wir uns, was schief gelaufen war. Wir beschlossen, dass wir uns nun nach Distrikten organisieren würden. Es bildeten sich 14 unabhängige Jugendgruppen pro Distrikt, sogenannte „Zonas“, die die Route für den nächsten Protestmarsch festlegten.

Die Organisation funktionierte, um das Gesetz zu kippen. Wir organisierten Info-Abende in Schulen, künstlerische Strassenaktionen, Wandmalereien und riefen die politischen Parteien, Gewerkschaften und Studierendenverbände auf, mitzumachen. So kam es zu den nächsten vier Protestmärschen.

Seit mehr als 50 Jahren hatten nicht so viele junge Menschen in den Strassen Limas protestiert.

Endlich, am 26. Januar, mit 14 Zonen-Protestgruppen vor dem peruanischen Kongress, wurde das Gesetz gekippt. Was unsere Grosseltern sagten, stimmte: ohne Kampf, kein Sieg. Der 26. Januar wurde zu einem grossen Strassenfest. Wir nahmen uns an der Hand und tanzten auf der Plaza San Martín. Jede „Zona“ feierte mit ihrer Musik, ihren Slogans, ihren Rhythmen, aber immer mit einem Lächeln. Weder im Kampf noch im Sieg, darf man das Lächeln verlieren.

Wir haben das Gesetz gekippt. Die „Zonas“ haben ihren Zweck erfüllt. Es gibt nun Diskussionen darum, wie die Jugendorganisation weiterfahren kann: einige möchten aufhören; andere möchten sich nationale Reformen als neues Ziel vornehmen. Der Sommer geht zu Ende, das Semester beginnt. Aber unser Kampf kennt keine Ferien.


Hernán Padilla Floríndez studiert Journalismus im letzten Semester und war aktiver KLima-Reportero während der COP 20

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