© Norman Cordova/Andina

Düstere Aussichten für Präsidentschaftswahl

Ergänzend zur Wahlanalyse können Sie hier das Panorama, wie es sich vor den Wahlen darstellte, nachlesen.

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18 Präsidentschaftskandidat*innen. Keiner mit mehr als 12% der Stimmen. Wenig Programm und viel Improvisation. Die Peruaner*innen haben diesen Sonntag die Qual der Wahl

Am 11. April finden die Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt. Gewählt werden ebenfalls 5 Abgeordnete für das Andenparlament mit Sitz in Bogotá Kolumbien. Sollte kein Kandidat oder keine Kandidatin für die Präsidentschaft die absolute Mehrheit erringen, findet am 06. Juni ein zweiter Wahlgang mit einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten statt. 20 Parteien haben Listen mit Kandidat*innen für den Kongress aufgestellt, zwei von ihnen stellen keinen Präsidentschaftskandidaten und einigen wenigen gelang es nicht, alle Wahlbezirke auf nationaler Ebene abzudecken.

Dass so viele Parteien antreten, liegt u.a. auch an der Wahl- und Parteienreform. Wer diesmal nicht die 5%-Hürde schafft, verliert den Status einer eingeschriebenen Partei. So versuchen alle bisher eingeschriebenen Parteien, einige davon umbenannt und mit neuen Bündnissen am Start, noch ihr Glück. Nach den Wahlen nehmen am 27. Juli Regierung und neu gewählter Kongress am 26. Juli ihre Tätigkeit auf. Die reguläre Wahlperiode beträgt 5 Jahre, vom 27. Juli 2021 bis zum 26. Juli 2026.

 

Die Wahlen finden wegen der Corona-Pandemie unter erschwerten Bedingungen statt. Zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen sind vorgeschrieben und sollen vor und in den Wahllokalen eingehalten werden. César Bazán Seminario hat die Situation in seinem Artikel vom 16.02. dargestellt und auch auf die traditionell ausgesprochen große Bedeutung von Wahlkampfauftritten der Kandidat*innen vor Ort hingewiesen, die nun stark eingeschränkt sind.

Deshalb fanden und finden trotz aller Apelle und Warnungen immer wieder Kundgebungen, Autokorsos, Märsche und Veranstaltungen statt, auf denen die vorgeschriebenen Corona-Schutzmaßnahmen weitestgehend ignoriert werden. Viele formelle und informelle Kleinhändler*innen, deren Verkaufsstände rund um die Kundgebungsplätze aufgebaut sind, haben sich besorgt über diese Veranstaltungen geäußert und die Untätigkeit der Ordnungskräfte kritisiert.

 

Grosser Einfluß der Medien und sozialen Netzwerke

 

Die größte Rolle für die politische Einflussnahmen spielen nun Fernseh- und Radiodebatten sowie Artikel in den Printmedien. America TV, Canal N und TV Peru/JNE haben Debatten mit den Kandidat*innen für die Präsidentschaft und den Kongress ausgestrahlt. Die wichtigste Debatte, zwischen 18 Kandidat*innen, war auf 29. 30. und 31. März gelegt worden. Jeweils 6 Personen wurden zu denselben Themen befragt. Erst durch die nationale TV-Ausstrahlung konnte eine große Mehrheit der Bürger*innen diese Anwärter*innen auf die Präsidentschaft erstmals kennenlernen. Die Umfragen vor und nach dieser Debatte haben zu einigen deutlichen Verschiebungen der Wahlpräferenzen geführt.

 

Die Wahlgesetzgebung reguliert und schränkt die bezahlte Parteienwerbung in den allgemeinen Medien stark ein, um eine gewisse Chancengleichheit zu ermöglichen. Deshalb werden große Summen für TV-Auftritte von Organisationen wie Lampadia ausgegeben, die nicht speziell für eine Partei, sondern für neoliberale, ultrakonservative Denkrichtungen werben und massiv sozial-ökologische Vorstellungen angreifen. Das Internet dient eher jungen und politisch interessierten Menschen als Quelle für glaubwürdige und wissenschaftliche Informationen. Die Zugriffszahlen auf gute Reportagen, dokumentarische Videos, Interviews etc. sind gering. Andererseits spielt der Bereich der gezielten Desinformation und Diffamation in den Social Media eine nicht zu unterschätzende Rolle. Gefakte Videos, Fotos, Berichte und widerlichste Beleidigungen machen über WhatsApp, Facebook, Instagram und Twitter rasch die Runde und werden von der sensationalistischen Boulevardpresse, „Prensa Chicha“ oder „Prensa Amarilla“ genannt, gerne aufgegriffen. Zahlreiche Präsidentschafts- und Parlamentskandidat*innen nutzen diese „Informationen“, um ihre Gegner*innen anzugreifen und bloßzustellen.

 

Für die letzten Tage vor den Wahlen wird noch eine Steigerung an Schmutzkampagnen erwartet, insbesondere gegen linke Kandidat*innen, die immer wieder mit Terrorismus identifiziert und wahlweise als Marionetten von Venezuela, Bolivien, Nordkorea, China etc. dargestellt werden. Diese Art schmutziger Wahlkampf wird durch das ausgesprochen enge Rennen befördert und soll auf den letzten Metern den kleinen Vorteil bringen, der dann den entscheidenden Abstand für den Sieg ausmacht.

 

Kandidat*innen mit Leichen im Keller

 

Leider hat sich weder bei der Auswahl von Kandidat*innen noch bei den angewendeten Methoden etwas verbessert. Im Gegenteil scheint bei diesen Wahlen ein weiterer Tiefpunkt erreicht worden zu sein. Gegen zahlreiche Präsidentschafts-, Vizepräsidentschafts- und Kongresskandidat*innen sind Verfahren wegen Rechtsbeugung, Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, Bestechlichkeit, ehelicher Gewalt, Totschlag, verweigerte Unterhaltszahlungen u.a. anhängig. Ganz vorne mit dabei Keiko Fujimori, die eigentlich im Untersuchungsgefängnis sitzen müsste und der ehemalige Präsident Vizcarra, der nun die Kongressliste bei Somos Perú anführt. Er wird wegen „Vacunagate“ und Korruptionsfällen untersucht.

Da es keine soliden Parteien mit breiter organisierter Basis gibt, wurden Kandidat*innen „eingeladen“, eingekauft oder umgekehrt, gegen Vorkasse auf die Listen gesetzt. Familienclans verteilen sich über mehrere Parteien, um künftig ihren legalen und illegalen Geschäften aus einflussreicher Position heraus nachgehen zu können. Nur eine ausgesprochen kleine Minderheit der Kandidat*innen sind qualifiziert oder verfügen über fachlich kompetente Berater*innen-Teams. Hier bilden nur die linken und linksliberalen Kräfte die positive Ausnahme.

 

 

Letzte Umfrageergebnisse nach der TV-Debatte: Keiko Fujimori und de Soto liegen bei IEP vorn

 

Nach der auf drei Tage aufgeteilten Hauptdebatte gab es nach den letzten vor den Wahlen noch erlaubten Umfragen vom 04. April, einige bedeutsame Verschiebungen zu allen früheren Prognosen: IEP sieht Keiko Fujimori mit 9,8% und Hernando de Soto von Avanza Pais mit 9,8% auf dem ersten Platz!! De Soto rangierte bisher unter „Sonstige“ und hat nun einen Riesensprung hinlegt. An dritter Stelle steht Rafael López Aliaga mit 8,4 %. Es folgt Yonhy Lescano, der einige Wochen als aussichtsreichster Kandidat rangierte. An fünfter Stelle positioniert sich Verónika Mendoza mit 7,3%, gefolgt von Pedro Castillo mit 6,6%. Dann George Forsyth, monatelang Favorit, jetzt mit 5,7%. Es folgen César Acuña mit 4,1%, Daniel Urresti mit 3,5%, Julio Guzmán 2,3%, Alberto Beingolea 2,0% und Ollanta Humala 1,4%.

 

Umfrage-Ergebnisse IPSOS zeichnen ein etwas anderes Bild

Insgesamt sind die Abstände weiter geschrumpft und berücksichtigt man die statistischen Abweichungen, könnten mindestens 5 Kandidat*innen ins Stechen einer zweite Runde gehen. Und selbst dabei sind noch Überraschungen möglich. So zeigt die Umfrage des IPSOS-Instituts deutliche Unterschiede zu IEP. Hier sieht die Reihenfolge in den oberen Rängen anders aus: Yonhy Lescano (14.7%), Hernando de Soto (13.9%), Verónika Mendoza (12.4%), George Forsyth (11.9%), Keiko Fujimori (11.2%), Rafael López Aliaga (8.2%); Pedro Castillo (7.9%), Daniel Urresti (4.7%), César Acuña (4.2%), Alberto Beingolea (2.7%).

 

Abweichende Präferenzen bei den Kongresswahlen

Hinsichtlich der Kongresswahlen weichen die Präferenzen der Wähler*innen gegenüber denen der Präsidentschaftskandidat*innen teilweise deutlich in der Reihenfolge ab. Hier geht es um den Anteil an den 130 Sitzen im Kongress und somit der Stärke der Fraktionen. Die Parteien müsse 5% erreichen, bei Bündnissen 6% oder 7 gewählte Abgeordnete in mehr als einem Distrikt.

Stärkste Fraktion wäre nach Umfragen von Datum Acción Popular (Lescano) mit 13,5%. Es folgte Fuerza Popular (Fujimori) mit 10,4 %. Dann Juntos por el Perú (Mendoza) mit 10,3%, Renovación Popular (López) mit 7,8%, Victoria Nacional (Forsyth), Podemos Perú (Urresti) mit 6,9%, Somos Perú (Salaverry) , Partido Morado (Guzmán) mit 6,2%, Avanza País (De Soto) mit 5,9%, Alianza para el Progreso (Acuna), Perú Libre (Castillo) mit 4,2%).

 

 

Der neue Kongress wird noch zersplitterter sein als der jetzige

 

Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass das neue Parlament in zahlreiche Fraktionen zersplittert sein wird, und sich keine Regierung auf den Rückhalt einer eigenen starken Fraktion stützen kann. Die Fünf-Prozent- Hürde kann durchaus von 10 bis 12 Parteien übersprungen werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich die gewählten Fraktionen sehr schnell aufsplitten und noch weitere daraus entstehen. In der Periode 2016-2020 wurden aus 6 Fraktionen 13 Fraktionen und 2020-2021, innerhalb eines Jahres, aus 9 Fraktionen 12. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig es wird, bei mindestens 10 Fraktionen, diesmal weiter aufgesplittet in bis zu 15 oder 20, Gesetze zu debattieren und zu erlassen. Man kann auch argumentieren, dass damit eine hohe Repräsentativität der verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen gewährleistet wird und dass Gesetzesvorlagen an Vielfalt gewinnen und tiefgehender und umfassender debattiert werden müssen. Tatsächlich wurden auch trotz der turbulenten letzten Jahre einige nützliche Gesetze auf den Weg gebracht, auch gegen den Willen der Regierung, und zahlreich, auch sehr fortschrittliche, in den zuständigen Gremien debattiert. Im Großen und Ganzen war die Kongressarbeit jedoch unproduktiv und destruktiv und Abgeordnete stehen eher nicht für Parteien und Programme, sondern für sich selbst und ihre Interessengruppen. Darüber haben wir immer wieder berichtet.

 

Über jeder neuen Präsidentin oder jedem Präsidenten hängt das Damoklesschwert einer Amtsenthebung. Durch Nichtbefassung mit der Klage gegen die Absetzung Vizcarras durch das Parlament, hat das oberste Verfassungsgericht die Möglichkeit belassen, mit 87 von 130 Stimmen jede unliebsame Person an der Spitze hinwegzufegen. 5 Präsidenten in den letzten 5 Jahren sprechen eine deutliche Sprache. Neben der Anzahl an Fraktionen ist im Hinblick auf die Eignung und Qualität der künftigen Kongressabgeordneten ein weiterer Tiefpunkt erreicht. Wie schon häufiger berichtet, gibt es keine Parteien mehr, die über eine größere solide, gewachsene und kontinuierliche Mitgliedschaft verfügen, aus deren Mitte sich geeignete Kandidat*innen aufstellen ließen.

 

Große Ablehnung der politischen Sphäre

Alle Umfragen haben bisher ein starkes politisches Desinteresse oder eine starke Ablehnung de politischen Sphäre und der Wahlen verdeutlicht. Hinsichtlich der Präsidentschaft werden um die 24% Blankozettel abgeben oder ungültig stimmen. Doppelt so viele wie die bislang stärkste Fraktion. 44% bis 50% wissen noch immer nicht, für wen sie stimmen werden. Bei den Wahlen für die Kongressabgeordneten sieht es noch dramatischer aus: 13,5% wollen die Wahlzettel ungültig machen und 43,8% sie nicht ausgefüllt einwerfen. Ohne Wahlpflicht würde die Wahlbeteiligung sicherlich ausgesprochen niedrig ausfallen.

 

Politische Lager und Programmatik

Gewählt werden erfahrungsgemäß Personen und ideologische und lebensweltliche Richtungen, für die sie stehen. Die Programme rangieren zumeist an zweiter Stelle. Einige Kandidat*innen haben sich die Programme von Dritten gegen Geld schreiben lassen und kennen ihre eigenen Wahlprogramme nicht einmal.  Das haben die TV-Debatten verraten und ebenso deutlich gezeigt, dass zahlreiche Kandidat*innen Positionen vertraten, die entweder nicht in ihren Programmen vorkommen oder ihnen sogar entgegen stehen. Populismus und Demagogie pur. In der große Aufsplittung der politischen Lager kommen immer mehr die ausdifferenzierten Interessen und wachsenden identitären Trends innerhalb der Gesellschaft zum Ausdruck. Dieser Prozess entspricht, in Peru in extremer Ausprägung, den weltweiten Trends des traditionellen Parteienverfalls, der aufgrund der ökonomischen und ökologischen Krisenhaftigkeit und verschärften Konkurrenz auf allen gesellschaftlichen Ebenen der universell gewordenen kapitalistischen Reproduktionsweise voranschreitet.

 

Peru hat keine bedeutende indigene politische Kraft

 

Regionale und authentischere Ausdrucksformen der verschiedenen Kulturen in den Anden und im Amazonas sind in Peru, anders als z.B. in Bolivien und Ekuador, als eigenständige Bewegungen in der Parteienlandschaft unterrepräsentiert. Ihre Vorstellungen sind am ehesten in die Programme regional verankerten Parteien wie RUNA und Perú Libre, in religiös geprägten Parteien wie FREPAP und linke Parteien wie Juntos por el Perú und Frente Amplio und Perú Libre eingeflossen. Sie alle postulieren ein multikulturelles, plurinationales und regional geprägtes Peru.

 

Die große Mehrheit der vorne liegenden Parteien verortet sich ideologisch im rechten Lager. Das reicht vom Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus, Klerikalfaschismus, evangelikalem Fanatismus und Ethnofaschismus bis zum wankelmütigen Konservativismus.

 

Hier geht es zu den Präsidentschafts-Kandidat*innen

 

Foto: Andina Norman Cordova

Keiko Fujimori ist zu den „Errungenschaften“ ihres Vaters zurückgekehrt und möchte nun doch ihren Vater amnestieren. Sie will Peru mit „harter Hand“ regieren und gibt sich als erfahrene Politikerin mit einer langjährigen soliden Parteitradition. Sie vertritt weiterhin ein konservatives Wertebild von hierarchischer Ordnung und traditioneller Familie. Wie alle aus diesem Spektrum, bekämpft sie Genderpositionen, Homosexualität, Feminismus und liberale, freiheitliche Erziehungsvorstellungen. Anders als ihre Mitstreiter, ist sie allerdings nicht ausgeprägt rassistisch und hat eine starke Anhängerschaft in der ärmeren und jüngeren Bevölkerung. Hinter ihr steht der übriggebliebene zersplitterte Fujimorismo, den sie wieder versöhnen möchte, einige evangelikale Gemeinden und Anhänger*innen der untergegangenen APRA.

 

Foto: Andina

Hernando De Soto, von der Partei Avanza Pais, der wie ein Phönix aus der Asche emporgestiegen ist, zehrt von seinem technokratischen Image, seinem literarischen Erstlingswerk und Bestseller „El otro Sendero“ und weiteren polit-ökonomischen Publikationen, in denen er die Bürokratie, Korruption und informellen Sektor als größtes Hindernis für die Entwicklung Perus brandmarkt. Sein weltweit bekanntes Instituto de Libertad y Democracia berät Regierungschefs wie Macron, Putin und andere. De Soto blickt auf eine politische Karriere als Berater von Fujimori und Alan García zurück und bandelte zeitweise mit Ulises Humala an. Seine Verbindungen reichen vom rechtsradikalen Kollektiv „Con mis hijos no te metas“ bis zur den radikalen neoliberalen Wirtschaftsvertretern. Er wird von Andrés Hurtado Grados, alias Chibolin beraten, einem volkstümlichen Ex-Comedian, Tänzer und TV-Produzenten, der seit langem am ultrarechten Rand politisch engagiert ist. Dieser hat sich 2019 selbst als als „Hitlerianer“ bezeichnet. Er soll die Verbindung zu den Bevölkerungsteilen herstellen, zu denen de Soto als elitärer, rassistischer weißer Oberschichtsangehöriger, bisher keinen Zugang bekommen konnte.

De Soto ersetzt nun in der Gunst des mächtigen Unternehmerverbands CONFIEP den extrem launischen und unberechenbaren López Aliaga.

 

Foto : Andina Difusion

Rafael López Aliaga von der Partei Renovación Popular ist ein ultrakonservativer, klerikalfaschistischer und neoliberaler Großunternehmer, der u.a. das Monopol auf die Bahnstrecke Cuzco-Machu Picchu besitzt und zahlreiche Luxushotels betreibt. Ähnlichkeiten mit Trump sind rein zufällig. Aufgrund seiner vielen Off-Shore Unternehmen und mutmaßlichen Geldwäsche -Aktivitäten, wurde er in die Untersuchungen der Panama Papers einbezogen. Er schuldet dem peruanischen Fiskus ca. 30 Mio. Soles und bezieht gleichzeitig Millionen für seine Firmen aus dem Fonds zum Ausgleich der Pandemiemaßnahmen „Reactiva Perú“. Aliaga gehört dem katholischen, klerikalfaschistischen Opus Dei an und hat sich kürzlich als Flagellant mit 30jähriger Praxis und entsprechend vernarbtem Körper geoutet. Hinter ihm stehen der reaktionäre Katholizismus unter Führung des ehemaligen Erzbischofs von Lima, Kardinal Cipriani, Teile der CONFIEP, Anhänger*innen des alten Fujimorismo, einige evangelikale Gemeinden und Teile des Ethnocacerismus. Seine Polemik schwankt von ultrarechts bis hin zu Verständnis für manche linke Position. Seine Unberechenbarkeit hat ihm seine Favoritenrolle bei Teilen des neoliberalen Wirtschaftslagers gekostet.

 

Foto: Andina

Yonhy Lescano von Acción Popular verortet sich ökonomisch im liberalen Spektrum, hat aber im Lauf des Wahlkampfs einige linke Positionen aufgegriffen. So spricht er sich für die Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare aus und Genderpositionen in der Schulbildung. Darunter die Forderung nach Einstellung der großen Minenprojekte Conga und Tia Maria. Er fordert eine „verantwortliche“ Minenpolitik und will gegen die illegale Rohstoffförderung vorgehen. Ebenso hat er sich immer wieder für Verbraucherschutz stark gemacht. Abtreibung lehnt er hingegen ab, spricht sich aber für weitgehende Zivilrechte aus. Er möchte eine Strukturreform mit modernen, verlässlichen und korruptionsfreien Institutionen durchsetzen. Sich selbst verortet er in der politischen „Mitte“. Lescano hat sich lange Zeit durch Ignoranz und Empfehlungen von Hausmittelchen wie Zuckerrohrschnaps gegen das Coronavirus hervorgetan und neigt zu vollmundigen Versprechungen. Er war nicht die erste Wahl innerhalb seiner heillos zerstritten Partei, stellte sich aber letztlich, u.a. wegen seiner langjährigen parlamentarische Karriere und Parteimitgliedschaft, als einziger konsensfähiger Kandidat heraus. Es ist nicht absehbar, wie die Regierungspolitik am Ende aussehen wird. In vielen Bereichen wird auf parlamentarischer Ebene eine Kooperation mit linken und regionalen Fraktionen möglich sein.

 

Foto: Andina/Johnny Laurente

George Forsyth, von Victoria Nacional, mit peruanischer und deutscher Nationalität ausgestattet, ist ein ehemaliger Fußballer, und hat in den letzten Jahren als entschlossener Bekämpfer der Informalität als Distriktbürgermeister von La Victoria große Popularität erlangt. Die ersten Umfragen zur Präsidentschaftswahl haben ihn an erster Stelle gesehen. Inzwischen ist er deutlich abgefallen. Er setzt auf sein Image als junger Macher, der entschieden gegen die „Mismocracia“ ankämpft. Damit meint er die traditionelle politische Sphäre und deren Parteien, die immer auf dasselbe hinauslaufen. Allerdings ist er umringt von Beratern und Mitarbeiter*innen, die zu eben jener „Mismocracia“ zählen. Lebensweltlich gehört er zu denliberalen, offenen Kandidaten*innen, die die individuelle Entfaltung befürworten. Er ist einer der wenigen, die sich u.a. für homosexuelle Ehen ausgesprochen haben. Ökonomisch zählt er zum neoliberalen Spektrum. Insgesamt verortet er sich selbst in der politischen „Mitte“. Da seine Partei neu ist und in vielen Thematiken ein unbeschriebenes Blatt, wird sich erst zeigen, welche Schwerpunkte in der künftigen parlamentarischen Arbeit gesetzt werden. Eine parlamentarische Kooperation mit linken Fraktionen wird in einigen Fällen ist nicht auszuschließen.

 

Foto: Andina

Veronika Mendoza von Juntos por el Perú hat große Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Bei den Wahlen 2016 ist sie knapp an der Stichwahl vorbeigeschrammt. Keiko Fujimori trug sie mit Kuczynski aus. Diesmal besteht sogar eine entfernte Aussicht auf die Präsidentschaft, allerdings mit einer sehr kleinen Fraktion im Kongress. Als einzige von zwei weiblichen Präsidentschaftskandidatinnen und einem Panorama aus mehrheitlich rechten Parteien, repräsentiert sie ein breites linkes Spektrum. Mit ihrer Partei Nuevo Peru, die noch nicht eingeschrieben ist, kandidiert sie praktisch als Gast bei Juntos. (Wir haben das Bündnis hier schon beschrieben: Juntos por el Perú hat eine sozialdemokratische Programmatik und vermeidet die Nähe zu staatssozialistischen Vorstellungen, einschließlich denen des „Sozialismus des XI Jahrhunderts“ aus Venezuela, Bolivien oder Ekuador. Verstaatlichungen soll es nicht geben, sondern Steuererhöhungen für Reiche und eine effiziente, konsequente Steuererhebung. Durch die Formalisierung von Arbeitsverhältnissen und Geschäftstätigkeiten aller Art soll vermehrt Geld in die Staatskasse fließen. Mit einer deutlichen Umverteilung des Staatshaushalts zugunsten des Gesundheits- und Bildungssektors und dem Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm „Plan Chamba“ sollen zunächst einmal die dramatischen Folgen der Pandemie aufgefangen werden.  Programmatisch werden familiäre Landwirtschaft, Ökologie und die Interessen der indigenen Gemeinden im Rahmen einer neuen sozial-ökologischen Ökonomie eingebunden. Perspektivisch besteht die Absicht, die Reformen im Rahmen einer anti-neoliberalen neuen Verfassung zu verankern. Unterstützung findet Juntos por el Perú aus allen Bereichen der zivilgesellschaftlichen Bewegungen, in bessergestellten Kreisen in Lima und in kleinbäuerlichen Regionen der südlichen Anden. Nach dem Niedergang des einstmals so vielversprechenden linken Projekts „Frente Amplio“, wird Juntos den Großteil der ehemaligen Wählerschaft des Frente Amplio auf sich ziehen. Das Bündnis verfügt über viele erfahrene und fachlich kompetente Berater*innen und Kandidat*innen. Expert*innen aus zahlreichen NGOs haben am Programm mitgewirkt und werden die Arbeit im Kongress unterstützen. Veronika ist in Juntos wegen ihrer sozialdemokratischen Ausrichtung nicht unumstritten. Einige radikalere linke Kräfte sehen eine Anbiederung an den peruanischen Konservativismus. U.a. ruft die Humanistische Partei des einstmaligen Mitbegründer von Juntos, Yehude Simons, zur Wahl des radikaleren Pedro Castillo von Peru Libre auf.

 

Foto: Andina

Pedro Castillo Terrones von Perú Libre wird zum linken Spektrum gezählt und seine Partei hat gute Aussichten, in den Kongress gewählt zu werden. Perú Libre ist eine Regionalpartei, die vom Regionalpräsidenten von Junin, Vladimir Cerrón, gegründet wurde. Dieser verbüßt derzeit eine in Hausarrest umgewandelte Haftstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten wegen Korruption. Nun hat ihn Pedro Castillo aus Chota/Cajamarca, Grundschullehrer und Rondero, beerbt. Bekannt wurde er als einer der Anführer des großen Lehrer*innenstreiks 2017. Er deutet Vergesellschaftungen im Rahmen einer neuen Verfassung an, hält sich in Hinblick auf konkrete Aussagen zu Verstaatlichungen beispielsweise von Bergbau-Unternehmen, sehr bedeckt. Im Wesentlichen zielt die Programmatik wie bei Juntos por el Peru auf monetäre Umverteilung zugunsten des Gesundheits- und Bildungssektors und der Förderung der familiären Landwirtschaft und der kleinen und mittleren Unternehmungen. Castillo ist sehr polemisch, mit einem starken Hang zum Populismus und Autoritarismus. Es sieht Peru stark aus einer andinen Sicht und sucht die Unterstützung von Anhänger*innen von populistischen Regionalparteien und Bewegungen aus den andinen Regionen. Folgerichtig möchte er Antauro Humala, den Führer des Etnocacerismo begnadigen. Schon zu den Interims-Parlamentswahlen 2019 wollte Juntos por el Peru ein Bündnis mit Perú Libre eingehen. Das hatte zu einem Beben innerhalb von Nuevo Perú und dem Austritt der feministischen Gruppen und bekannter Abgeordneten wie Marisa Glave und Indira Huilca geführt. Veronika Mendoza hatte sich für das Bündnis ausgesprochen, das jedoch aus formalen Gründen nicht zustande kam. Wie alle populistisch-andinen Bewegungen, ist auch Perú Libre lebensweltlich konservativ und die Führungen fallen immer wieder durch homophobe, frauenfeindliche und antifeministische Aussagen auf.

 

Foto: Andina Norman Cordova

Marco Arana liegt mit dem linken Frente Amplio in den Umfragen bei „Sonstige“ unter 1%. Es ist die einzige Partei, die neben der linken Sozial- und Wirtschaftsprogrammatik einen ausgeprägten ökologischen Schwerpunkt setzt. Das einstmals vielversprechende Parteiaufbauprojekt von Tierra y Libertad/Frente Amplio unter der Führung von Veronika Mendoza und Marco Arana ist letztlich an der sektiererischen Haltung und dem Hang zum Caudillismo des letzteren gescheitert. Nachdem die Partei Frente Amplio 2016 den dritten Präsidentschaftsplatz errang und zweitstärkste parlamentarische Fraktion wurde, verschwindet sie nun aus dem parlamentarischen Betrieb .

 

Foto: Andina Melina Mejia

Julio Guzmán vom Partido Morado definiert sich als Vertreter einer „radikalen Mitte“. Themenspezifisch schlägt die Partei sowohl nach links als auch nach rechts aus. Ökonomisch setzt sie auf die Privatinitiative und repräsentiert kleinere und mittlere Unternehmen sowie junge, selbtändige Entrepreneure. Sie tritt für eine strukturelle Modernisierung Perus und den konsequenten Kampf gegen die Korruption ein. Lebensweltlich ist die Partei libertär ausgerichtet und weist hierbei viele Gemeinsamkeiten mit linken Positionen auf, so z.B. hinsichtlich der Frauenrechte, Genderstandpunkt, Abteibungsrecht und weitere. Die Morados gingen gemeinsam mit den Linken und Colectivos Ciudadanos gegen den parlamentarischen Putsch zum Sturz von Vizcarra auf die Straße. Guzmán war einer der deutlichen „Sieger“ bei den TV-Dabatten, da er zu den wichtigen Themen klare programmatische Aussagen präsentieren konnte. Dennoch ist er auf Grund eines Liebschaftsskandals und seiner vergangenen Regierungstätigkeit für Humala als Person nicht besonders beliebt.

 

Abschließender, getrübter Ausblick

Die Bekämpfung der Pandemie und die ökonomische Reaktivierung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen stehen im Mittelpunkt nahezu aller Absichtsbekundungen. Die Parteien setzten auf Impfungen und versprechen, die diesbezüglichen Versäumnisse der Vizcarra-Regierung auszubügeln und den Impfstoff schnellstens und in ausreichender Menge zu besorgen. Hier unterscheiden sich die Positionen besonders hinsichtlich der Beteiligung des privaten Sektors am Erwerb und der Anwendung der Impfstoffe. Die Bekämpfung der Banden- und Kleinkriminalität wird einhellig als dringliche Aufgabe angesehen. Hierbei setzt die Mehrheit der Parteien auf mehr Repression, mehr Gefängnisse, härtere Bestrafung von jungen Ersttäter*innen, mehr Polizei, dauerhaften Armeeeinsatz mit Ausnahmezustand und einige fordern sogar die Einführung der Todesstrafe. Einige Regionalparteien setzten vermehrt auf Rondas Campesinas und Rondas Urbanas. Nur die demokratische Mitte von Julio Guzmáns Morados und die Linken setzen nicht auf Repression, sondern präventive Maßnahmen und eine sinnvolle Einbindung der Nachbarschaft. Sie sehen die sozial-ökonomische Lage als wesentliche Ursache an und möchten entsprechend dort die Hebel ansetzen. Auch wenn viel von Verbesserung der Bildung die Rede ist, hat kaum eine Partei Lösungsvorschläge und Maßnahmen für die kinder- und jugendspezifischen Probleme anzubieten. Angesichts deren Lage ein Armutszeugnis sondersgleichen.

Gegen Korruption haben sich alle vehement ausgesprochen und wollen etliche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung durchführen. Es tut schon weh, eine Keiko Fujimori oder einen Aliaga gegen die Korruption wettern zu hören.

Sollte die radikalen Rechten so stark wie befürchtet werden, steht das Ende der bisherigen intensiven Korruptionsbekämpfung und der entsprechenden Reformen des Justizwesens bevor. Die Korruption wird dramatisch weiterwachsen. Ökonomisch ist eine massive Liberalisierung und die Durchsetzung aller bisher angehaltenen Minenprojekte zu erwarten, mit verheerenden ökologischen und sozialen Folgen. Dem peruanischen Amazonas blüht dann das gleiche Schicksal wie Brasilien unter Bolsonaro. Pläne für die drastische Ausweitung der Binnenschifffahrt und für gigantische Verkehrstrassen liegen schon in den Schubladen bereit. Die sozialen Auswirkungen würden zu noch härteren Repressionsmaßnahme als derzeit führen. Insgesamt wäre eine Verschärfung des Extraktivismus und die Zurückdrängung der andinen, familiären Landwirtschaft zu erwarten. Nicht zuletzt stünde ein Rückfall in Erziehungs- und Bildungskonzepte des vorletzten Jahrhunderts an.

Um das zu verhindern, müsste eine hohe Kooperationsbereitschaft unter den Kongressabgeordneten der anderen Parteien entstehen und die parlamentarische Linke konsequent die Mobilisierung und Vernetzung betroffener Bevölkerungsteile unterstützen, mitorganisieren und voranbringen. Damit wäre schon viel gewonnen. Sollte wider Erwarten Veronika Mendoza die Wahl gewinnen, dürfte ihr angesichts der zu erwartenden Mehrheitsverhälntisse im Kongress nur eine kurze Präsidentschaft bevorstehen. Einem Sturz könnte sie allenfalls durch eine Aufgabe zentraler linker Positionen vermeiden.

 

Andreas Baumgart, 05.04.2021

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