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Bürgermeister von Megantoni: „Wir geben das Gas. Was haben wir davon?“

Daniel Rios Sebastian ist Repräsentant des indigenen Volkes der Machiguenge und steht dem Distrikt mit den wichtigsten Energievorkommen Perus vor. Der Bürgermeister bekräftigt die Bedeutung des Gasvorkommens Camisea, weist aber darauf hin, dass in den 15 Jahren der Gasgewinnung die Lebensqualität der Einwohner*innen gelitten hat: „Die Gemeinden haben keinen Reis, dafür aber Bier. Das ist traurig.“Der erste auf vier Jahre gewählte Bürgermeister von Megantoni, Daniel Ríos Sebastián, sprach mit dem peruanischen Recherche-Portal Ojo-Publico.com über die Auswirkungen der Extraktivwirtschaft in seinem Gebiet und über die Hauptprobleme des Distriktes im Amazonasgebiet von Cusco, der mehrheitlich vom Volk der Machiguenge bewohnt wird.

Vier Monate nach Beginn seiner Amtszeit und wenige Wochen vor dem 3. Jahrestag der Gründung des Distriktes weist Ríos auf den hohen Anteil von Kindern, die an Unterernährung oder Anämie leiden, auf den starken Alkoholkonsum und die sozialen Auswirkungen des Gasprojektes Camisea hin.

Im Juni 2016 beschloss der Nationalkongress einen neuen Distrikt Megantoni zu schaffen, als Teil der Provinz La Convención in der Region Cusco. Seither liegt in diesem Distrikt die Hauptenergiequelle Perus. Und dennoch haben die indigenen Gemeinden im Gebiet keine Versorgungssicherheit mit Strom.

In Megantoni, das vorher zum Distrikt Echarate gehörte, liegen die Gasfelder 56, 57, 58 und 88 des Gasprojektes Camisea, an dem die Unternehmen Pluspetrol, Repsol und CNPC Perú beteiligt sind. Dank der Steuerabgaben auf Gas (Canon gasífero) erhielt der Distrikt 2018 mehr als 294 Mio. Soles Steuereinnahmen (80 Mio. Euro). „Das Gesetz legt fest, dass wir die Steuereinnahmen für Infrastruktur, wie z.B. Straßenbau, ausgeben müssen. Aber was mache ich mit den Krankheiten und den unterernährten Kindern?“, fragt Ríos Sebastián.

Sie waren in den politischen Organisationen „Patria Arriba Perú Adelante“ und „Movimiento Nueva Izquierda“ aktiv. Wie fing Ihr politisches Engagement an?

Zunächst arbeitete ich fünf Jahre lang als Kommunikationsbeauftragter von Repsol im Gasfeld 56. Ich war Präsident des Verwaltungskomitees von Bajo Urubamba und Vizepräsident meiner Gemeinde. Letztes Jahr habe ich für die Partei Integración Social Avanza País (Soziale Integration – Land vorwärts) kandidiert. Außerdem war ich Delegierter im Gründungsprozess des Distriktes Megantoni. Das war ein langer Kampf im Kongress. Ich habe das totale Schweigen der Regierung hier im Gebiet erlebt. Sie sahen uns als das letzte Rad am Wagen an. Um alles mussten wir den Bürgermeister von Echarate auf Knien bitten.

Wie war das Verhältnis zur Polizei und den Streitkräften während des Ausnahmezustands im Gebiet, aufgrund seiner Nähe zu VRAEM1?

Es gibt Dinge, die muss die Bevölkerung einfach verstehen. Die Militärpräsenz war zur Befriedung und zur Kontrolle von Personen mit schlechten Absichten und engen Verbindungen zum Drogenhandel und Terrorismus nötig. Aber die Militärs müssen auch die Bräuche und die Identität der Völker respektieren und sich an die Gemeindeordnung halten. Umfassende Koordination und gegenseitiger Respekt sind nötig.

Das Verhältnis zwischen den indigenen Völkern und den Unternehmen ist in der Regel angespannt. Wie ist das Verhältnis von Megantoni zu Pluspetrol und Repsol?

Wir sind nicht die „zweite Kategorie“, wie es Ex-Präsident Alan García formuliert hat. Wir respektieren die nationale Gesetzgebung, aber wir fordern Respekt vor der Umwelt und der Identität der Völker in den Gebieten, in denen diese Firmen operieren. Es herrscht Misstrauen aus Angst vor Umweltverschmutzung. Der Fluss ist nicht mehr wie früher, als es dort noch Fische gab. Als die Unternehmen hierher kamen, hatte das Auswirkungen auf den Fluss Urubamba. Wir sagen nicht, dass die Unternehmen hier nicht arbeiten sollen. Aber sie müssen Sozialprogramme und Projekte zur (landwirtschaftlichen) Produktion ankurbeln.

Trotz dieser Umwelt- und sozialen Auswirkungen sind Sie einverstanden mit der Gasgewinnung in diesem Gebiet?

Natürlich, weil wir uns entwickeln wollen. Aber bisher hat niemand die Beteiligung der indigenen Völker bei der Gasförderung im Blick. Wir geben den Unternehmen das Gas, sie leiten es nach Lima und exportieren es. Und was haben wir davon? Wo ist die Beteiligung der direkt betroffenen Gemeinden? Das Unternehmen argumentiert, es könne nicht den Staat ersetzen. Aber es muss Gesundheits- und Bildungsprojekte in allen Gemeinden ins Leben rufen.

Das Gebiet versorgt große Teile des Landes mit Energie. Haben denn momentan auch alle Gemeinden hier Strom?

Es gibt keine Sicherheit in der Stromversorgung rund um die Uhr. An manchen Tagen haben wir Strom, aber an 15 bis 20 Tagen bricht bei starken Regenfällen die Versorgung zusammen.

Megantoni grenzt an das Schutzgebiet für indigene Völker, die in freiwilliger Isolation leben und deren Territorien durch Holzeinschlag, Drogenhandel und illegal Minenwirtschaft bedroht sind.

Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem sich diese Völker integrieren müssen. Diese “nicht kontaktierten” Völker sind seit Jahren kontaktiert. Das Kulturministerium muss die Verbote aufheben, die – so habe ich es verstanden – zu ihrem Schutz bestehen. Wir müssen Programme auflegen, um Entwicklung anzustoßen und gleichzeitig die Traditionen zu wahren. Die Initiative dazu muss von ihnen selbst kommen.

Haben Sie regelmäßig Kontakt zu den Gemeinden mit Erstkontakt, wie Montetoni und andere, die sich innerhalb des Schutzgebietes befinden?

Die Menschen gehen nach Camisea (die größte Gemeinde im Gebiet Bajo Urubamba), sie haben Handys. Als Lokalregierung muss ich die Anerkennung dieser Völker fördern und dabei ihre traditionelle Lebensweise und ihre Autonomie respektieren und ihre Identität stärken.

Welche Rolle wird die Regierung von Megantoni spielen, wenn diese isoliert lebenden Völker die Anerkennung und Landtitel für den Gemeindebesitz einfordern?

Wir werden das bewerten und entsprechend handeln. Dort, wo es gerechtfertigt ist, müssen wir Landtitel vergeben. Diese Gemeinden haben es verdient zu wachsen. Der peruanische Staat bzw. das Kulturministerium darf sie nicht mehr wie Gemeinden behandeln, die noch in den Windeln liegen. Die Beamten leben gut und erlassen Gesetze an ihren Schreibtischen in Lima, während diese Völker Aufmerksamkeit brauchen. Wir haben dem Nationalregister Reniec grünes Licht gegeben, in dieses Gebiet zu kommen. Und wir haben das Kulturministerium darum gebeten, dass diese Völker Personalausweise bekommen. Mein Ziel ist es, dass dieses Jahr alle Einwohner*innen Megantonis ausnahmslos einen Personalausweis besitzen.

Verschiedene NGO’s sagen, dass das Ausstellen von Personalausweisen und Landtiteln den Schutz dieser Völker schwächen und die Ausweitung der Gasfelder begünstigen könnte.

Die NGO’s verfolgen ihre eigenen Interessen. Sie wollen die Einwohner*innen nicht verteidigen, sondern sie wie in einem Zoo erhalten. Diese Organisationen sind in Megantoni willkommen, aber nicht, um irgendwelche Dinge zu erfinden. Wir haben das Recht auf Wachstum, auf Angehörtwerden und auf ein würdiges Leben.

Was war die größte Auswirkung in den 15 Jahren der Gasgewinnung in Bajo Urubamba?

Die Dorfgemeinschaften verändern sich sozial. Ihre Traditionen und Identität verlieren an Bedeutung. Dazu kommen die Gaslecks im Fluss. Aber es gibt auch erhaltenswerte Entwicklungen in diesen 15 Jahren: eine bessere Kontrolle und besserer Umweltschutz. Außerdem gibt es Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Hauptbeschäftigung in den Gemeinden ist die Landwirtschaft. Aber es gibt auch viele, die bei der Distriktverwaltung von Megantoni und bei den Unternehmen arbeiten, z.B. bei Pluspetrol und Repsol.

Es gibt Berichte, dass Fischfang und Jagd nicht mehr die wichtigsten Ernährungsquellen sind und dass Anämie und Unterernährung zugenommen haben.

Das Hauptproblem ist das fehlende Wasser- und Abwassersystem. Es gibt nicht einmal Trinkwasser. Wir haben hohe Raten an chronischer Unterernährung, Anämie, Tuberkulose, Müttersterblichkeit. Das ist ein latentes Problem. Und wir haben weder Krankenhäuser noch Gesundheitsposten, um die Bewohner*innen von Megantoni zu behandeln. Außerdem gibt es Krankheiten, die wir nicht identifizieren können und die vor allem die Kinder betreffen.

Welche anderen sozialen Probleme gibt es in Megantoni?

Der Alkoholismus ist weit verbreitet. Ab 14 Jahren haben die Kinder Zugang zu Alkohol. Wir arbeiten daran, das Eindringen des Alkohols in unser Gebiet zurückzudrängen. Die Dörfer haben keine Reis, dafür aber Bier. Das ist traurig. Die Lieferfirmen müssen mit uns zusammenarbeiten. Die Firma Backus zum Beispiel muss Gebäude errichten, in denen die Jugendlichen lernen können, statt sich dem Alkohol hinzugeben. So hätten sie zum Abschluss der weiterführenden Schule eine technische Ausbildung.

Eine Ihrer Hauptforderungen im Wahlkampf waren Steuererhöhungen.

Die Unternehmen, die ihre Gasfelder und Niederlassungen ausweiten, zahlen keine Steuern dafür. Hier müssen wir ansetzen. Und die Steuermittel müssen für die Anstellung von Lehrer*innen und Ärtz*innen verwendet werden. Das Gesetz zum Canon schreibt vor, dass Infrastruktur gebaut werden muss, z.B. Straßen. Aber was mache ich mit den Krankheiten und den unterernährten Kindern? Ich kann ein Luxusgebäude erstellen, aber niemand schaut auf die Rechte der Kinder und der alten Menschen.

Das derzeitige Finanzierungsmodell erlaubt es nicht, mit dem Geld aus dem Canon Ärzt*innen anzustellen oder direkte Unterstützung zu finanzieren.

Der Canon muss hinterfragt werden, sonst werden wir die Problem des Volkes nie lösen. Außerdem fordere ich die Einrichtung eines Internen Kontrollbüros (OCI). Wir wollen Kontrolle über die Steuergelder, und wir wollen den Canon für Gesundheits- und Bildungsprojekte verwenden können. Im Kongress streiten sie unter sich, und ihre Gesetze werden für die Bewohner*innen von Lima, für die „Schickimickis“ gemacht. Die Gesetzgebung hilft den ärmsten Menschen nicht.

Welche wichtigen Baumaßnahmen wurden während Ihrer Regierungszeit ausgeschrieben?

Wir haben noch keine Ausschreibungen für große Infrastrukturmaßnahmen gemacht. Wir arbeiten gerade große Projekte aus, wie Straßenverbindungen und den Bau von Krankenhäusern und von Brücken sowie ein Trinkwasserprojekt.

Gibt es Privatfirmen, die schon Interesse an diesen Projekten gezeigt haben?

Ja, wir werden starke und große Unternehmen auswählen, um Nachhaltigkeit zu garantieren.

Sie waren selbst auch Unternehmer.

Ich habe in meiner Gemeinde gearbeitet, aber keine Aufträge vom Staat erhalten.

Sie haben mit Ihrer Frau die Firma Nia Sankari Osarite geführt. Gibt es die noch?

Nein, wir haben sie aufgegeben, als ich zum Bürgermeister gewählt wurde.

Diese Firma hat sehr wohl staatliche Aufträge angenommen, oder?

Ja, ein einziges Mal. Als ich zum Bürgermeister gewählt wurde, wurde mir gesagt, dass ich kein Unternehmen besitzen und keine Verträge mit dem Staat abschließen soll, um Probleme zu vermeiden. Wenn ein Bürgermeister ins Gefängnis will, dann sucht er sich das selber.

Drei Bürgermeister von Echarate in Folge wurden wegen Korruption angeklagt.

Die Bürgermeister stürzen, weil sie Diebe sind. Sie möchten Profit machen und lassen sich von den Unternehmern bezahlen, um sie dann mit Bauaufträgen zu belohnen. Hier wird es nicht so laufen. Regieren ist schwierig. Die Entwicklung ist darauf ausgerichtet, dass das Volk seine Ziele selbst entwickelt. Wir werden den Gemeinden das Fischen lehren – kein Assistenzialismus und Konformismus mehr. Wir müssen stolz sein auf unsere traditionelle Identität als Ursprungsnation.

 

Das Interview fuehrten Nelly Luna Amancio und Ernesto Cabral (Ojo-Publico.com)

Spanisches Original: https://ojo-publico.com/1178/alcalde-de-megantoni-damos-el-gas-de-camisea-lo-exportan-pero-en-que-nos-beneficia-a-nosotros

Uebersetzung: Annette Brox

1Quellgebiet in der Grenzregion von Ayacucho, Huancavelica, Cuzco und Junin, gilt als das wichtigste Kokaanbaugebiet Perus.