Wahlen in einem exotischen Land namens Peru

Peru ist ein Land einige Kilometer südlich der Grenze der Vereinigten Staaten von Amerika (viel tiefer als Mexiko). Bevölkert von freundlichen und grosszügigen Menschen, die spanisch sprechen, viel lachen und tanzen und sehr gut essen (1).  Zu  seinen Kuriositäten zählt Peru die Inka-Festung Machu Picchu, den Titicaca-See und die seltsame Tradition, alle 5 Jahre eine überaus umstrittene Person zum Präsidenten zu wählen. 2016 waren die Peruaner darin noch ein wenig kreativer als sonst, denn sie wählten im ersten Wahlgang die Tochter desselben Diktators, den sie vor 15 Jahren gestürzt hatten.

Diese Karikatur der peruanischen Wirklichkeit, verspürte ich als ich die Schlagzeile in Spiegel online las: Peru vor Stichwahl: Diktatoren-Tochter Fujimori gewinnt erste Runde.

Einerseits ist es richtig, wenn uns der Artikel auf das Niveau einer Bananenrepublik attestiert, den Titel haben wir uns redlich verdient. Andererseits, ist es eine sehr bequeme Schlagzeile für die dominante deutsche Kultur, für die Selbstgefälligkeit, die sich selbst bestätigt sieht angesichts unserer „defekten Demokratie.

Bananrepublik Peru ?

Aber kommen wir zuerst zur Bananenrepublik. Es ist eine Schande, dass 38% der gültigen Stimmen zugunsten von Keiko Fujimori ausfielen, der First Lady während der Regierung ihres Vaters Alberto Fujimori.  Der stand ander Spitze einer anti-demokratischen, korrupten und menschenrechtsverachtenden Regierung von 1990 bis 2001. Als seine Regierung kriselte, floh er nach Japan, um einer Anklage zu entgehen. Dennoch wurde er zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Dennoch, die Leute sind nicht dumm und es gibt Gründe, die die Stimmen für die Fujimori-Partei erklären. Da ist erstens die Geringschätzung der Demokratie in der peruanischen Gesellschaft zu nennen: nur 24% der Befragten gaben 2015 an, dass sie mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden seien (Quelle: Latinobarómetro 2015). An zweiter Stelle kommt, dass die Peruaner und Peruanerinnen Menschenrechte nicht für wichtig erachten. In einer Befragung des Justizministeriums im Jahr 2013, gaben 40% an, dass sie die Menschenrechte zugunsten von mehr Sicherheit opfern würden.

Wenn wir beim Thema Sicherheit sind: Alberto Fujimori wird zugeschrieben, dass er dem Terrorismus ein Ende gesetzt habe. Dies ist die vielleicht am meisten geglaubte offizielle Lüge in meinem Land.  Dennoch, wird dieser falsche „gewonnene Krieg“ nun auf die Tochter projiziert, so dass viele meinen, dass Keiko Fujimori am ehesten der Kriminalität Herr werden würde. Das ist einiges wert,denn die Unsicherheit (angesichts der Kriminalität) erachten die Bürger seit Jahren für das wichtigste Problem Perus.

Wie auch immer, diese und andere Gründe befreien uns nicht von der Schande. In der zweiten Wahlrunde müssen wir uns entscheiden zwischen einer Kandidatin der populistischen Rechten, die  für die tiefsten Niederungen unserer Gesellschaft steht (Keiko Fujimori) und einem Vertreter der Elite-Rechten, der sich als Technokrat gibt (Pedro Pablo Kuczynski). Dennoch: letzterer war nicht Teil einer Regierung, die die paramilitärische Mörder-Gruppe „Colina“ unterstützte oder den Mafioso Vladimiri Montesinos als Berater hatte, noch hat er die Gerichtsbarkeit oder die Staatsanwaltschaft kooptiert.  Ausserdem hätte ein Präsident Pedro Pablo Kuczynski keine absolute Mehrheit im Parlament. Wohingegen die Partei Keiko Fujimoris 73 Sitze in enem Einkammer-Parlament mit 130 Sitzen erlangte.

Keiko Fujimoris Rivale Pedro Pablo Kuczynski – der wegen seines für Peruaner unaussprechlichen Nachnamens sich intelligenterweise den Rufnamen PPK zulegte – hat bisher keine grossen Anstalten gemacht, sich die Stimmen derer zu sichern, die gegen Keiko Fujimori sind. In der ersten Wahlrunde erlangte er 21% der Stimmen, in der jüngsten Umfrage kommt er auf rund 40%, obwohl er bisher den Wahlkampf noch gar nicht begonnen hat. Fast eine Woche lang hielt er sich in den USA auf. Die grosse Fraktion derer, die nie für Keiko Fujimori stimmen würden (ca. 50% der Wähler), kommen PPK zu gute.

Aber nun zur Überschrift, mit der Spiegel online die peruanischen Wahlen betitelte: es ist eine sehr bequeme Sicht für bestimmte Sektoren in Deutschland, vor allem jene, die sie überlegen fühlen (sei es politisch, sozial, wirtschaftlich oder sogar moralisch), wenn sie Nachrichten über den Rest der „unzivilisierten“ Welt lesen.

Gibt es “defekte Demokratien” ?

Die Theorie von der Einteilung der Welt in Länder mit funktionierender und Länder mit unvollkommener Demokratie, bestätigt bestimmte Personen (und Gesellschaften) in der Idee, dass sie besser seien als der Rest: dass ihr “entwickeltes” Land höherstehend sei als die „nicht entwickelten“ Länder oder diejenigen „auf dem Weg zur Entwicklung“. Höherstehender als Peru, das im ersten Wahlgang die Tochter eines Diktators wählt.

Dieser Diskurs ist in mehreren Teilen der deutschen Gesellschaft sehr präsent und spiegelt sich in der Überschrift von Spiegel online wider. Der Diskurs ist auch an den Universitäten präsent. Zum Beispiel in der Theorie der „Defekten Demokratie“ des Berliner Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel . Die Vorstellung, dass es unvollkommene Demokratien gibt, geht davon aus, dass es ein Ideal an Demokratie gibt, eine perfekte Demokratie. Die deutsche Demokratie kommt darin dieser perfekten Demokratie sehr nahe, während die Demokratie in anderen Ländern, vor allem den Ländern des Südens, viele derjenigen Indikatoren aufweist, die ihre Unvollkommenheit bestätigen.

Ich will damit nicht die Probleme in der peruanischen Gesellschaft leugnen, die ich vorher klar dargestellt habe. Ich möchte nur sagen, dass es Theorien gibt, die – vieleicht ohne Argwohn – die Vorstellung einer Superiorität bestimmter Gesellschaften in der Welt untermauern, und damit einen gefährlichen und selbstgefälligen Diskurs hervorbringen.

Soweit meine Gedanken aus dem exotischen Land tief im Süden, in dem ich lebe.

César Bazán Seminario

(1) Natürlich nur, wenn wir genügend Geld haben, um Essen zu kaufen, oder auf die Jagd gehen können

 

 

Ein Gedanke zu “Wahlen in einem exotischen Land namens Peru”

Kommentare sind geschlossen.