Bericht vom Peru-Seminar

„Größenwahn, Exportorientierung – gibt es machbare Alternativen? Wirtschaftsentwicklung und Umweltprobleme in Peru”

… war das herausfordernde Thema des diesjährigen Seminartreffens der Informationsstelle Peru in Köln vom 24.bis 26. April 2015, wo wir gleichzeitig auch das 25-jährige Bestehen unseres Vereins zurückblicken wollten. Dazu hatten wir einen peruanischen und auch einen deutschen externen Referenten eingeladen. Etwa 40 TeilnehmerInnen belebten die Diskussionen. Wir freuen uns sehr zu erleben, dass auch viele jüngere Menschen sich für die Problematik Perus interessieren und sich engagieren, und danken im Nachhinein allen, die dieses Treffen organisiert und möglich gemacht haben!

Unser erster Referent war Giancarlo Castiglione von der vor 25 Jahren gegründeten peruanischen NGO Forum Solidaridad Peru, die zum öffentlichen Finanzwesen und Entwicklung arbeitet und Teil des lateinamerikanischen Netzwerks LATINDADD (Red Latinoamericana sobre Deuda, Desarrollo y Derechos- www.latindadd.org) ist. Vor allem zum Thema „Entschuldung“ hat unser Verein seit vielen Jahren mit dem Forum Solidaridad Peru kooperiert. Giancarlo stellt klar heraus, dass das Wirtschaftswachstum in Peru allein auf dem immer weiter wachsenden Abbau und Raubbau von natürlichen nicht nachwachsenden Ressourcen beruht. Gold, Erdöl, Blei, Kupfer und Silber sind die Hauptquellen für das wachsende Bruttosozialprodukt Perus, aber die breite Masse der Bevölkerung hat nichts davon. Peru investiert z.B. um 50% weniger als die durchschnittlichen Aufwendungen der lateinamerikanischen Länder im öffentliches Gesundheits- und Bildungswesen sind. Die Löhne sind seit dem „Fuji-Schock“ in den 1990ger Jahren stetig gesunken und die übergroße Anzahl von erwerbstätigen PeruanerInnen lebt in informellen und prekären Arbeitsverhältnissen. Aber die Unternehmergewinne sind beträchtlich gestiegen. Die wachsende Energieproduktion durch Wasserkraftwerke etwa in der Region des Rio Maranón ist nicht für die lokale Bevölkerung und deren Entwicklung geplant, sondern soll den Bedarf der Bergbauindustrie abdecken, und der Überschuss wird nach Brasilien exportiert. Giancarlo spricht von der derzeitigen Herausentwicklung einer „Republica Empresarial“ in Peru, welche auch stark von der konzentrierten Medienmacht gestützt wird. Neue Gesetzespakete zur Einschränkung etwa von umweltschützerischen Kräften in der Gesellschaft sollen das Vertrauen ausländischer Investoren erhalten, die Zivilgesellschaft ist laut Giancarlo eher schwach und wird zudem zunehmend kriminalisiert. Einen offiziellen Plan zur nachhaltigen und diversifizierten Energieversorgung der Bevölkerung gibt es nicht. Die Handelsbilanz zwischen Deutschland und Peru ausgeglichen, es stehen Rohstoffe vs. Maschinen.

Ein weiterer Referent war Wolfgang Hees von der „Arbeitsgemeinschaft Kleinbäuerliche Landwirtschaft“ und von „Via Campesina“, er ist selbst Bio-Landwirt und langjähriger Kenner der Agrarproblematik in Lateinamerika. Er stellt erst einmal die provokante These in den Raum: „Hunger ist ländlich und weiblich!“ 80 % der hungernden (Welt-)Bevölkerung lebt auf dem Land, es sind die Frauen, die Landlosen, die Kleinbauern und oft auch die Fischer. Demgegenüber wächst der Weltagrarhandel ständig, beeinflusst durch die Welthandelsriesen und Preisspekulationen. Der größte Handelspartner Perus im Agrarsektor ist die EU. Es wird bereits von der „2. Grünen Revolution“ gesprochen, u.a. wegen der enormen Konzentration der Landbesitzrechte und der Industrialisierung von Saatgutproduktion und Verbreitung von Gentechnik. Agrobusiness betreibt, so Wolfgang Hees, weltweit am meisten Lobby. Für Via Campesina sind vor allem die traditionellen „Landsorten“ von Saatgut Gemeingut, das die Produktion und Ernährungssicherung lokaler (Klein-)Produzenten garantieren müssen und die biologische Vielfalt erhalten kann. Auch das internationale Geschäft mit Milch wächst, zum 1.4.2015 ist in Deutschland die “Milchquote“ aufgehoben worden, was sinkende Milchpreise u.a. in Peru und Unrentabilität für die lokalen Milchproduzenten zur Folge haben wird.

Aber unsere beiden Referenten wollen auch Wege und Ansätze für Veränderungen aufzeigen:
Um einen Ausweg aus dem reinen „Rohstofflieferantenland“ zu finden, verweist Giancarlo auf die Grundidee des „Buen Vivir“ , was einen Weg in den „Post-Extraktivismus“ aufzeigen muss; Solidarökonomie und auch eine „Feministische Ökonomie“ werden andiskutiert, der Konsumismus („comprar – tirar – comprar“) als post-politisches Ideal wird unter jungen Leuten in Peru bereits kritisch gesehen. Im vergangenen Jahr hat die peruanische Regierung einen Plan der wirtschaftlichen Diversifizierung vorgelegt, der unter anderem auch Produktivitätssteigerung und Eliminierung von bestimmten Abgaben und Reglementierungen vorsieht. Wichtig wäre aber auch, den internen Markt zu stärken und vor allem den lokalen und regionalen Agrarbereich zu fördern und Kooperativen und andere regionale Produzentenzusammenschlüsse zu stärken. Denn die Ernährungssouveränität des Landes können hauptsächlich die kleinbäuerlichen Arbeitskräfte, die in der Küstenregion 52%, in den Andenregion 92 % und in der Selva 83% ausmachen, erwirtschaften.
Konkret kann dazu z.B. auch die Förderung lokaler „Genbanken“ mit einheimischem Saatgut beitragen.
Insgesamt bedeutet für unsere beiden Referenten ein nachhaltiges Entwicklungskonzept für Peru vor allem die Schaffung von „Inteligencia Colectiva“, das bedeutet:

  • erfolgreiche Erfahrungen z.B. in der bäuerlichen Landwirtschaft aufzeichnen,
  • diese systematisch analysieren,
  • und verbreiten durch Netzwerkbildung.

Wirtschaftliche Entwicklung muss nachhaltig sein, die immense soziale Ungleichheit überwinden, die Biodiversität schützen und auch eine Energiewende bringen. Universitäten und neue öffentlich-zivilgesellschaftliche Allianzen müssen Akteure dieser Prozesse werden.-

Durch weitere Kurzbeiträge konnten sich die SeminarteilnehmerInnen zu aktuellen Fragen Perus informieren. Kerstin Kastenholz, derzeit ZFD-Fachkraft in Puno bei der Ombudsstelle (Defensoria del Pueblo) berichtet von den Versuchen der gewaltfreien Konflikttransformation in der Region. Insgesamt haben in Peru 66% der Konflikte sozio-ambientale Ursachen, 6% haben ihre Ursachen in Auseinandersetzungen bei Wahlen, dazu kommen Grenzkonflikte. Konfliktmanagement ist in Peru noch nicht verbreitet, deshalb sind auch die entsprechenden Methoden weitgehend unbekannt. In Puno gibt es z. Zt. vor allem Konflikte wegen der ungelösten Problematik der Wasserverschmutzung des Lago Titicaca.-

Heeder Soto, Ethnologe und Filmemacher aus Ayacucho, zeigt am Abend seinen bewegenden Film „Caminantes de la Memoria“ zur Aufarbeitungsproblematik nach dem Internen Krieg 1990 – 2000 (er ist selbst Sohn eines Opfers, seine Mutter war Mitbegründerin der Opferverbandes ANFASEP). Heeder prangert die „Elitisierung“ der Erinnerungsarbeit an, Filme z.B. zu den Schicksalen von Opfern werden nicht gezeigt, unterdrückt. Der „Lugar de la Memoria“ in Lima ist noch immer nur eine Fassade. – Norma Driever koordiniert für den Verein FOCUS in Bielefeld den Einsatz von Weltwärts-Freiwilligen in Peru, wichtig ist dabei vor allem der interkulturelle Austausch zwischen den beiden Ländern und Kulturen; durch das sog. Reverse- Programm sind z.Z.t auch 9 Freiwillige aus Peru hier in Deutschland.- Elke Rothkopf war bei der COP20 in Lima und hat aktiv in der Koordinierung der indigenen Gruppen als wichtige Akteure mitgearbeitet. Sie vermerkt positiv, dass das Klima- und Umweltbewusstsein in der Zivilgesellschaft Perus zugenommen hat und auch die indigenen Verbände sich vermehrt als wichtige Akteure erkennen und ihre Rechte und den Schutz ihrer Lebensräume einfordern. – Claudia Gottmann, im BMZ für Peru zuständig, berichtet, dass die Schwerpunktbereiche der Entwicklungszusammenarbeit derzeit „Modernisierung des Staates“ ist, was auch die politische Dezentralisierung und Kooperation / Einbeziehung von Zivilgesellschaft beinhaltet, sowie „ländliche Entwicklung“, „Umwelt“ und die „Wasser- und Abwasserproblematik“ . 47% der Mittel fließen in die bilaterale staatliche Kooperation, 12% in die private Kooperation über die Hilfswerke, und ein großer Anteil fließt in die internationalen Organismen wie die UNO-Entwicklungsorganisation (PNUD). Pro Jahr werden z. Zt. 200 Mio. Euro für Peru über die GIZ und auch die KFW investiert, davon etwa 30 Mio. für die technische Zusammenarbeit. – Wir als Verein begleiten kritisch diese staatlichen Maßnahmen und fordern vor allem, dass „von unten“ gewachsene zivilgesellschaftliche Maßnahmen im Land weiterhin gefördert werden, und nicht nur die in Regierungsverhandlungen vereinbarten Projekte.

Die Informationsstelle Peru besteht seit nunmehr 25 Jahren und hat sich in dieser historisch wichtigen Phase Perus eingemischt und engagiert informiert.

Wichtige Problemfelder und Arbeitsbereiche wurden noch einmal dargestellt:

  • die hohe Verschuldung Perus, was zur Gründung und intensiven Mitarbeit in der „Entschuldungskampagne“ führte. Der dadurch entstandene und bis heute in Lima existierende deutsch-peruanische Gegenwertfonds ist weltweit einmalig.
  • Seit über 10 Jahren arbeitet die Bergbau-Kampagne zu Fragen des überbordenden Extraktivismus in Peru, der nicht Halt macht von enormen Umweltschädigungen und sozialen Ungerechtigkeiten. Die von Regierungsseiten immer wieder versprochenen Arbeitsplätze und „Entwicklung“ vor allem ländlicher Regionen sind nicht erreicht worden. Die Kampagne, zu der etliche Hilfswerke und weitere Organisationen gehören, unterstützt unsere Partnerorganisationen bei der Förderung alternativer Entwicklungsmodelle und gibt denen eine Stimme, deren Lebensgrundlage durch den exzessiven Bergbau und Rohstoffausbeutung bedroht ist.
  • Die Menschenrechtsverletzungen während des internen Krieges in Peru waren schon seit dem Beginn der Gründung der Informationsstelle Peru ein wichtiger Arbeitsbereich. Eine Partnerorganisation war dabei immer die CNDDHH (die peruanische Koordinationsstelle für Menschenrechte), die Opferzahlen vor allem im andinen Raum und unter dem Volk der Asháninka waren immens und haben bis heute keine angemessene Würdigung und Entschädigung gefunden. Eine in Deutschland herausgegebene Publikation zum Bericht der Arbeit der CVR (Wahrheits- und Versöhnungskommission) hat das ganze Ausmaß der Menschenrechtsverbrechen und auch die historischen und sozialen Hintergründe für die hiesige Öffentlichkeit aufbereitet. – Heute sehen wir zunehmend auch die Verletzungen der WSK-Rechte (wirtschaftlich, sozial und kulturell), welche vor allem durch das wirtschaftlich geprägte Entwicklungsmodell Perus zu immer schärferen Ungleichheiten der Bevölkerung führen.

25 Jahre Informationsstelle Peru – das musste natürlich auch gefeiert werden: Dazu gab´s einen tollen Pisco Sour, und dazu war die peruanische „Botschafterin der Marinera“ anwesend, Teresa Soto de Schüler aus Hamburg, die mit viel Schwung und guter Laune in den Tanzabend führte. Danke, Teresa!
Und Dank an alle, die sich während dieses Vierteljahrhunderts gemeinsam für eine gerechtere Entwicklung in Peru und auch hier engagiert haben! Weiter so!

Mechthild Ebeling