Unter Beobachtung: 5 Jahre Freihandelsvertrag Peru mit der EU

Eine Delegation der Außenhandelskommission des Europaparlaments besuchte im Februar 2018 Peru, um Bilanz zu ziehen nach 5 Jahren Freihandelsvertrag zwischen der EU und Peru/Kolumbien. Die Meinung der Delegierten war dabei durchaus gespalten: während Delegationspräsident Bernd Lange von der SPD vor allem die für Peru positive Handelsbilanz betonte,und den wachsenden Anteil an Agrarprodukten (v.a. die andinen “Superfoods”), die Peru nach Europa exportiert, so sah der linke Abgeordnete Helmut Scholz vor allem die kritischen Seiten: Peru liefert, wie schon zur Kolonialzeit, Rohstoffe in die EU, die dort weiterverarbeitet werden und in Form von Maschinen oder Arzneimitteln wieder nach Peru zurückexportiert werden. Kritisch anzumerken sind auch die nicht erfüllten Arbeits- und Umweltnormen, die im Freihandelsvertrag festgelegt sind.

Erfüllt Peru seine rechtlichen Verpflichtungen?

Vor fünf Jahren trat der Freihandelsvertrag der EU mit Peru und Kolumbien provisorisch (er war noch nicht von allen EU-Staaten ratifiziert) in Kraft. Ursprünglich sollte er mit allen Staaten der Andengemeinschaft geschlossen werden, aber Bolivien und Ekuador waren nicht bereit, die Vertragsbedingungen zu akzeptieren, und stiegen aus den Verhandlungen aus. (Inzwischen hat Ekuador den Wunsch geäußert, dem Freihandelsvertrag beizutreten).

In ganz Europa hatten sich NGOs gegen diesen Vertrag gewehrt. In Deutschland wandten sich zuletzt 46 Organisationen, neben vielen Nord-Süd-Solidaritäts-Gruppen auch Hilfswerke, katholische Verbände, globalisierungskritische und Umwelt-Organisationen, an den Bundesrat mit der Forderung, den Vertrag nicht zu ratifizieren. Die Hauptargumente: Das Abkommen werde die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme in Peru und Kolumbien verschärfen und die politischen Handlungsspielräume der Parlamente beschneiden. Es enthalte keine verbindlichen Menschenrechts- und Umweltstandards und solle den europäischen Unternehmen freien Zugang zu den Rohstoffen in Kolumbien und Peru verschaffen. Die Existenz von Kleinbauern in diesen Ländern würde durch den freien Marktzugang für subventionierte Agrarprodukte aus der EU gefährdet. Durch den „Schutz geistigen Eigentums“ werden Patente von Konzernen geschützt, wird die Herstellung von Generika, günstigen Medikamenten, und der Tausch von Saatgut verboten.

Nach der Ratifizierung des Vertrags nahmen sich NGOs in Peru, Kolumbien und in Europa vor, die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag und die Folgen der Umsetzung des Vertrags zu beobachten.

Erfüllt Peru die Verpflichtungen des Vertrags?

Im Oktober 2017 präsentierten europäische und peruanische zivilgesellschaftliche Organisationen der Europäischen Kommission in Brüssel eine Beschwerde über die Nichterfüllung von Verpflichtungen des Freihandelsvertrags im Bereich der Arbeits- und Umweltstandards durch Peru.

In dem Papier werden Verpflichtungen aus dem Vertrag zitiert und durch verschiedene Beispiele belegt, dass Peru diese nicht erfüllt. Der peruanische Staat war und ist offenbar nicht in der Lage (und nicht willens?), die Beachtung seiner eigenen Gesetze und internationaler Arbeits- und Umwelt-Normen durchzusetzen.

1. Arbeitsrechtliche Normen

Im Artikel 269 des Vertrags verpflichten sich die Vertragsparteien, „die Entwicklung des internationalen Handels auf eine Art zu fördern, die zu produktiver Beschäftigung und würdiger Arbeit für alle beiträgt“. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat würdige Arbeit als Ziel und formuliert als Bedingungen: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Würde. Im Vertrag verpflichten sich die Parteien, die Normen der ILO in ihren Gesetzen und in der Praxis anzuwenden und diesen Schutz nicht zu reduzieren.

In der Beschwerde wird festgestellt, dass Peru permanent und systematisch gegen diese Normen verstößt. Dabei verweist sie zunächst auf die speziellen Arbeitsgesetze für Textil und Bekleidung sowie Landwirtschaft. Dort geht es um das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und die Möglichkeit, eine produktive und würdige Arbeit zu bekommen. Außerdem unternimmt die Regierung nichts gegen die Norm-Verstöße in Firmen, die am Handel mit Europa beteiligt sind: Auch hier geht es um die Gewerkschafts-Freiheit.

Das „Gesetz der nicht-traditionellen Exporte“ (DL Nr. 22342) von 1978 hatte zum Ziel, einen Anreiz für wachsende Investitionen im Bereich Textil und Bekleidung, beides für den Export, zu bieten. Die Unternehmen konnten temporäre Arbeitsverträge abschließen – einfacher als im normalen Arbeitsrecht, das hierfür einen berechtigten Grund fordert. Als Folge gibt es in diesem Bereich Arbeitskräfte, die über viele Jahre ununterbrochen mit immer neuen kurzfristigen Verträgen beschäftigt sind. So wird gewerkschaftliche Arbeit behindert, außerdem werden Verträge gewerkschaftlicher Aktivisten oft nicht erneuert.

Beispiele:

Topy Top, eine der wichtigsten Textil-Exportfirmen, beschäftigt 4.700 Arbeitskräfte. Die Firmenleitung versuchte die wegen niedriger Löhne und langer Arbeitszeiten 2007 gegründete Gewerkschaft des Betriebs zu schwächen und zu eliminieren, indem sie die Verträge von Gewerkschaftsmitgliedern nicht mehr erneuerte. Trotz Bestrafung setzte die Firma diese Praxis auch in den letzten Jahren fort.

Ähnliche antigewerkschaftliche Praktiken werden in der Beschwerde aus den Textil-Firmen Hilanderia de Algodón Peruano und Creditex berichtet.

Gegen Ende 2000 wurde das „Gesetz zur Förderung des Agrarsektors“ (Nr. 27360) verabschiedet. Im allgemeinen Arbeitsrecht sind 30 bezahlte Urlaubstage geregelt, für diesen Bereich sind es nur 15 Tage. Die Entschädigungszahlung bei Entlassung beträgt hier nur ein Drittel der Entschädigung in anderen Arbeitsbereichen. Da auch hier viele Arbeitskräfte nur temporär beschäftigt sind, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad niedrig. Nur 16,9 % der Arbeitskräfte haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag, in anderen Bereichen sind es 20 Prozentpunkte mehr. Während der durchschnittliche Monatslohn in anderen Bereichen 2016 bei 2.271 Soles lag, betrug er im Agrarsektor 1.317 Soles.

Beispiele:

Camposol ist eine der größten Agrarfirmen Perus und beschäftigte 2016 12.000 Arbeitskräfte. Seit der Gründung der Betriebsgewerkschaft 2007 setzte die Firma die Vorsitzenden und Mitglieder unter Druck. Auch hier wurde die Möglichkeit, befristete Arbeitsverträge nicht wieder zu erneuern, zur Einschränkung der gewerkschaftlichen Arbeit benutzt. 2013 benutzte sie die juristische Verfolgung von Arbeitskräften, die an Streiks beteiligt waren, um die gewerkschaftlichen Aktivitäten zu behindern: die Streikaktion hätte Firmeneigentum beschädigt. Streikbeteiligte und Gewerkschaftsmitglieder wurden entlassen (2014).

Auch in der Firma Sociedad Agricola Virú wurde die gewerkschaftliche Arbeit behindert. Nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte bekamen höhere Bonus-Zahlungen, auch hier wurden Gewerkschaftsmitglieder durch die Nicht-Erneuerung von Arbeitsverträgen diskriminiert.

Auch durch Bergbau-Firmen wurden arbeitsrechtliche Normen verletzt.

So weigerte sich die chinesische Bergbaufirma Shougang, kollektive Verhandlungen mit den Beschäftigten über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu führen. Des Weiteren wird der Firma vorgeworfen, sie habe irreguläre Verträge mit Arbeitskräften über Subunternehmen abgeschlossen, eine diskriminierende Lohnpolitik betrieben und Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften missachtet.

2. Umweltrechtliche Normen

Im Kapitel „Handel und nachhaltige Entwicklung“ des Handelsvertrags sind Umweltfragen geregelt, darunter Aspekte wie biologische Diversität, Klimawandel und Forstprodukte. Hier wird die Bedeutung geschützter Gebiete und des Wohlergehens der Bevölkerung dieser Gebiete anerkannt. Im Artikel 277 ist geregelt, dass keine Vertragspartei Anreize für Handel und Investitionen durch eine gesetzliche Reduzierung des Schutzes bietet.

Genau dies aber hat Peru getan: Zur Förderung von Investitionen wurden die Umweltstandards flexibilisiert und deutlich reduziert.

So war das Ziel des Decreto Supremo Nr. 054-2013-PCM vom Mai 2013 die Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften für Investitionsprojekte, das betraf auch die vorgeschriebenen Studien zu den Umweltauswirkungen (EIA) eines Projekts. So konnten bestimmte vorgesehene Prozess-Schritte (Abänderungen, Aktualisierung der technischen Machbarkeitsstudien, informierte Beteiligung der Bevölkerung…) umgangen werden. Es wurden durch eine offene und undefinierte Bestimmung einer „nicht signifikativen Umweltauswirkung“ die Regelungsinstrumente entwertet.

Ergänzt wurde das genannte Dekret durch das Decreto Supremo Nr. 60.2013-PCM (2013), das zur Förderung von Investitionen u.a. spezielle Regelungen für die Verwaltungsabläufe festlegte.

Durch das Gesetz Nr. 30230 (2014) wurde die Überwachung der Umweltauswirkungen eingeschränkt:

So wurde im Falle der Mine Las Bambas (Apurímac) unter Anwendung der Instrumente zur Vereinfachung des Verfahrens die Verlegung einer Molibden-Fabrik präsentiert und vom Ministerium für Energie und Minen genehmigt, die fehlende Kommunikation mit und Beteiligung der Bevölkerung brachte einen von Gewaltanwendung begleiteten Konflikt mit den Gemeinden in diesem Gebiet hervor. Der staatlichen Behörde zur Evaluierung und Überwachung von Umweltauswirkungen (OEFA) wurde die Möglichkeit genommen, Sanktionen zu verhängen. Das hat Anreize für die Firmen geschaffen, die Umweltnormen nicht einzuhalten. Die Zahl der Nichteinhaltung der Vorschriften durch Öl-, Fischerei- und Bergbau-Firmen stieg drastisch an. Die drastischsten Konsequenzen der eingeschränkten Möglichkeiten der OEFA kann man am Beispiel der leck geschlagenen Ölleitungen (2016: 12) und der Auswirkungen auf die Umwelt und die indigene Bevölkerung im Amazonas-Gebiet sehen.

Durch das Decreto Supremo Nr. 039-2014-EM wurden die Umweltstandards und die Vorschriften zur Beteiligung der Bevölkerung herabgesetzt.

Durch das Decreto Legislativo Nr. 1192 (2015) wurde der Erwerb und die Enteignung von Immobilien, die Übertragung von Immobilien des Staates und die Abschaffung von Einmischung für die Ausführung von Infrastrukturarbeiten geregelt. Die Enteignungen werden mit „öffentlichem Interesse“ (necesidad publica) begründet.

Das Decreto Legislativo Nr. 1333 (2015) erleichtert den Zugang zu Grundstücken für prioritäre Investitions-Projekte u. a. in den Bereichen Infrastruktur, Bergbau, Ölförderung, Transport, Elektrizität und Landwirtschaft.

Durch das Decreto Legislativo Nr. 1292 wurde die Ölleitung Nor Peruano zum nationalen Interesse erklärt, dadurch kann der Staat die zum Bau der Leitung notwendigen Flächen leichter erwerben. Das Land der Bauerngemeinschaften kann ohne vorherige Befragung (consulta previa) der Betroffenen enteignet werden.

Die Beschwerde führt an einigen Beispielen – Gasleitung Sur Peruano, Pluspetrol und Cerro Tamboraque (Nyrstar) – aus, welche Konsequenzen diese verschiedenen Dekrete für die Umwelt und die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung haben.

Was soll mit der Beschwerde erreicht werden?

Ziel der Präsentation der Beschwerde war, die Europäische Kommission aufzufordern, Peru an seine Zusagen im Freihandelsvertrag zu erinnern. Von den Befürwortern des Vertrags wurde ja immer auf diese Zusagen verwiesen.

Wie ernst es den Beteiligten mit diesen Zusagen war und ob es nicht doch bei dem Vertrag, wie von den Kritikern behauptet, lediglich um den Zugang zu den Rohstoffen Perus und seinen Absatzmärkten für europäische Produkte ging, wird sich an der Reaktion der Kommission (und des Europaparlaments) zeigen. Die Informationsstelle Peru wird sich im Rahmen ihrer Mitarbeit in der Plataforma Europa-Peru und in Kooperation mit interessierten Organisationen in Deutschland weiter mit dem Thema beschäftigen.


Jimi Merk

Hier kann die Beschwerde der europäischen NGOs zum Freihandelsvertrag eingesehen werden.