Kartoffelgroßmarkt in Lima ©Luisenrrique Becerra

Wirtschaft in Rezession?

Zur wirtschaftlichen Lage Perus

Die öffentliche Meinung in Peru ist vor allem über zwei Angelegenheiten besorgt: die wirtschaftliche Situation und die sich verschlechternde Sicherheitslage. Diese zwei Themen stehen ganz oben auf der nationalen Agenda Perus.

Die wirtschaftlichen Ergebnisse des ersten Halbjahres 2023 sind entmutigend, denn die peruanische Wirtschaft hat aufgehört zu wachsen, mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um -0,5%, wie das Nationale Institut für Statistik und Informatik (INEI) mitteilt.

Laut Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Dornbush vom MIT (Massachusetts Institute of Technology), werden wirtschaftliche Entscheidungen je nach der sozialen Stärke der verschiedenen Sektoren eines Landes getroffen.

Es gibt verschiedene Expertenmeinungen dazu, ob eine Rezession stattfindet. Der Präsident der Zentralbank, Julio Velarde, behauptet, dass wir nicht von einer Rezession sprechen können. Der ehemalige Wirtschaftsminister Pedro Francke hingegen bekräftigt, dass wir uns in einer solchen befinden.

Die gegenwärtige Situation ist auf folgende Ursachen zurückzuführen: Zum einem die Auswirkungen klimatischer Phänomene, die im Norden und in der Mitte des Landes sintflutartige Regenfälle verursachten, sowie Fröste und Dürreperioden zwischen August und Dezember im südlichen Hochland. Das hat die Ernten beeinträchtigt und zu einem erheblichen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion geführt (4,6 %, so viel wie in den letzten 40 Jahren nicht). Es hat die Einkommen der Erzeuger und Erzeugerinnen beeinträchtigt und hat zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Während die Gesamtinflation bis Juli bei 5,88 % lag, beträgt die Inflation bei Nahrungsmitteln mehr als 10% und ist bei einigen Produkten noch viel höher.

Agrar- und Nahrungsmittelkrise bedingen sich gegenseitig

So gibt es zwei ernstzunehmende Krisen, die die peruanischen Haushalte direkt betreffen: eine Agrarkrise und Nahrungsmittelkrise. Bedauerlicherweise wusste die Regierung auf keine der beiden zu antworten und versteht die Dringlichkeit zu handeln nicht. Das Vorhandensein des globalen El-Niño-Phänomens wurde bereits bestätigt, und wird zwischen November 2023 und März 2024 im ganzen Land noch stärker zu spüren sein. In diesen Tagen ist das Land auch von zahlreichen Waldbränden in den Regionen Amazonas, Apurímac (wo bereits fünf Menschen starben und 11 schwer verletzt wurden), Cusco, Arequipa, Ayacucho, Áncash, Pasco, Madre de Dios, Huánuco, Loreto und Puno betroffen. Diese Brände haben Hunderte von Hektar verwüstet, was die Agrarkrise noch verschärft. Nach Angaben des Umweltministeriums (MINAM) sind 98% der Waldbrände im Land auf menschliches Handeln zurückzuführen, wobei die Hauptursache das Verbrennen von landwirtschaftlichen Abfällen zur Beseitigung des Unterholzes ist.

Politische Instabilität und Proteste

Ein weiterer Grund sind die sozialen Proteste, die verschiedene produktive Aktivitäten lahmlegten, haben den Zustrom in- und ausländischer Touristen erheblich reduziert und in- und ausländische Privatinvestitionen vertrieben. Dies wird vor allem von den Wirtschaftssektoren getragen, die ideologisch eher der Rechten und der extremen Rechten zuzuordnen sind.

Dazu kommt politische Instabilität, die nicht nur in- und ausländische Investitionen abschreckt, sondern vor allem die Verwaltung des Staatsapparats beeinträchtigt. Vor 2016 waren die Minister im Durchschnitt 18 Monate im Amt. Heute liegt der Durchschnitt bei drei Monaten. Diese politisch instabile Situation behindert auch die ordnungsgemäße Verwaltung der verschiedenen Sektoren wie Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft usw. und macht es unmöglich, angemessene Maßnahmen zur Bewältigung der verschiedenen Notlagen im Land zu ergreifen.

Rückgang der Nachfrage

Eine letzte Ursache, ist der Nachfragerückgang, d.h. die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, hat die Menschen dazu veranlasst, ihre Einkäufe nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch bei anderen Waren und Dienstleistungen zu reduzieren. Laut Ipsos haben 54% der Befragten im letzten Jahr einen Einkommensrückgang erlebt.

Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es nun? Bei den Lösungsansätzen, um die derzeitige Stagnation der peruanischen Wirtschaft umzukehren, gibt es Unstimmigkeiten.

Einige sind der Meinung, dass die Regierung angesichts der Tatsache, dass die derzeitige Situation zu einem Rückgang der staatlichen Steuereinnahmen geführt hat, ihre Ausgaben einschränken sollte, um das Haushaltsgleichgewicht aufrechtzuerhalten. Technisch wird dies als “konjunkturelle Maßnahmen” bezeichnet. Darüber hinaus müsste die Regierung private Investitionen fördern, indem sie ihnen alle möglichen Erleichterungen gewährt und so genannte bürokratische Hindernisse, einschließlich Umweltvorschriften, beseitigt.

Anreize setzen ohne Umweltbestimmungen zu lockern

In diesem Zusammenhang schlug die Nationale Gesellschaft für Bergbau, Erdöl und Energie (SNMPE) am 4. August “zur Ankurbelung der wirtschaftlichen Reaktivierung” die Zusammenlegung von SENACE (Nationale Umweltzertifizierungsbehörde) mit anderen Umweltinstitutionen wie der Nationalen Wasserbehörde (ANA), der Nationalen Behörde für Forstwirtschaft und Wildtiere (SERFOR) und der Nationalen Behörde für staatlich geschützte Naturgebiete (SERNANP) vor.  Diese Institutionen sind für die Abgabe verbindlicher technischer Gutachten für Umweltzertifizierungen von Investitionsprojekten zuständig. Nach ihrer Zusammenlegung schlägt die SNMPE vor, dass sie vom Umweltministerium (MINAM) zur Präsidentschaft des Ministerrats (PCM) wechseln.

Andere Stimmen vertreten, dass private Investitionen gefördert werden müssen, doch darf dies nicht um den Preis einer Verschlechterung des Umweltschutzes oder der Arbeitsbedingungen geschehen. Es müssen Anreize für die Nachfrage geschaffen werden, argumentiert Pedro Francke: “Eine wirksame Erhöhung der öffentlichen Investitionen, eine ernsthafte Sanierung des öffentlichen Gesundheitswesens, damit die Bewältigung dringender Probleme nicht die Taschen der Familien leert, und eine aktive Arbeitspolitik, die die Löhne und Gehälter verbessert, sind die wichtigsten Maßnahmen in dieser Hinsicht. Und die Kosten, die dadurch für den öffentlichen Haushalt entstehen, müssen durch eine Steuerreform und Maßnahmen zur Verringerung der Steuerhinterziehung durch große Steuerbetrüger gedeckt werden”.

Pedro Francke plädiert für eine starke Förderpolitik, die gerade in der Rezession, die Volkswirtschaft unterstützt. Diese Art von Vorschlägen wird als “antizyklische” Maßnahmen bezeichnet, deren Ziel es ist, der Wirtschaft Mittel zuzuführen, um die Nachfrage anzukurbeln.

Peru hat hohe Haushaltsreserven

Es scheint, dass die Regierung über die entsprechenden Instrumente verfügt, denn laut der Zentralbank “verfügt Peru über eine Wirtschaft mit soliden makroökonomischen Fundamenten, die zu den besten in der Region und in den Schwellenländern gehören (…) niedrige Finanzierungskosten und eine geordnete Haushaltsbilanz (…) Die internationalen Reserven Perus entsprechen 29% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und gehören damit zu den höchsten in der Region”.

Die Reaktivierung der Wirtschaft, um die Nöte der peruanischen Haushalte zu lindern, hängt also im Wesentlichen vom politischen Willen der derzeitigen Regierung ab.

Pilar Arroyo, Instituto Bartolomé de Las Casas, 27.08.2023

Übersetzung und Zusammenfassung: Mona Friedmann

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