Sandy El Berr: „Ich habe mich in die Selva verliebt“

Hautnah hat die deutsche Ethnologin Sandy El Berr miterlebt,  wie  sich indigene Völker gegen die Ausbeutung und Zerstörung ihrer Heimat im Amazonas-Regenwald wehren.  Sie erzählt, was sie in sechs Jahren als Fachkraft  von Brot für die Welt beim Instituto de Defensa Legal und bei den Awajún und Wampis im nördlichen Regenwald gelernt hat.

Infostelle Peru: Dein Arbeitsplatz lag ja nicht gerade um die Ecke, schon die Anreise bis zur Provinz Condorcanqui an die ecuadorianische Grenze war abenteuerlich….

Sandy El Berr:  Ja, das war eine Anreise von mehreren Tagen, zuerst von Lima nach Chiclayo mit dem Flugzeug, dann mit dem Bus nach Jaén, von dort aus mit dem Auto nach Bagua und dann nach Imacita, einem kleinen Dorf mit Hafen, das am Marañon-Fluss liegt.  Dann geht es mit dem Schnellboot weiter, so 3 – 4 Stunden bis zum Sitz einer der großen Awajun-Basisorganisationen, mit denen wir sehr eng zusammen gearbeitet haben. Und wenn wir die Awajun- und Wampis-Gemeinden besucht haben, dann weitere 3 Stunden mit dem Schnellboot, und bis zum ersten Dorf sind es dann nochmals 5 – 7 Stunden zu Fuß auf schmalen Pfaden durch den bergigen Regenwald. Von dort aus heißt es ebenfalls Fußmarsch zu den anderen Dörfern.  Die Flüsse, wo sie befahrbar sind, und die schmalen, mit der Machete eingehauenen Waldpfade bilden die einzige Verkehrsinfrastruktur der Region. Und die Mehrheit der Gemeinden möchte dies auch so belassen. Denn der schwere Zugang hat es ihnen erleichtert, sich erfolgreich gegen Drogenhandel, Besiedlung durch Mestizen und Goldsucher zu wehren.

Infostelle Peru:  Wie sah Deine Arbeit denn aus?

Sandy El Berr:  Zusammen mit dem Team vom IDL habe ich die lokalen Indigenen-Gemeinschaften  und Basisorganisationen in ihrem Organisationsprozess begleitet.  Ganz besonders wichtig war die Weiterbildung zu indigenen und verfassungsmäßig garantierten Rechten, die Beratung im Widerstand gegen geplante Bergbauprojekte, die Erdölförderung und dem Straßenbau ohne vorherige Konsultation und akzeptable Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien Aber auch die Öffentlichkeits- und Solidaritätsarbeit sowie Advocacy bei peruanischen Regierungsvertretern, in Deutschland, Brüssel und internationalen Organisationen. Gemeinsam haben wir eine Doku-Reportage zum Thema Nationalpark vs. Goldabbau in der Cordillera del Condor gedreht, Artikel veröffentlicht und Radiointerviews in nationalen und regionalen Radiostationen ausgesendet. Und auf der Grundlage der gemeinsamen Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen vor Ort haben wir Verfassungsklagen in einem interdisziplinären Team erarbeitet und eingereicht.  Wichtig war, dass die indigene Sichtweise über die Auswirkungen, die die extraktiven Projekte auf ihr Leben als indigene Gemeinden haben, ein wesentlicher Teil der Klageschriften war. Und der Protagonist der Klagen war nicht etwa der Anwalt, sondern die Indigenen selbst, die wir vorbereitet haben, damit sie vor Gericht ihr Rederecht („informe de hechos“) wahrnehmen konnten, was in Peru bislang unüblich ist.

Zurück zum Goldabbau in der Cordillera del Condor: Die Regierung hatte die Gegend im nördlichen Department Amazonas, an der Grenze zu Ecuador, das Awajun und Wampis-Territorium ist, eigentlich als Nationalpark vorgesehen. Dafür hatte der Staat eine vorbildliche, zwei Jahre andauernde vorherige Befragung mit den Indigenen durchgeführt und ihr Einverständnis zur Errichtung und dem genauen Verlauf des Parks erhalten. Als dann aber der Park 3 Jahre später gegründet wurde, hatte  er nur die Hälfte des vorgesehenen Gebietes.  Für die andere Hälfte wurden  Schürfkonzession für den Goldabbau vergeben. Zeitweise waren es mehr als 100 Konzessionen,  und zwar ohne, dass die dort lebenden indigenen Völker vorher konsultiert wurden, wie es das Gesetz vorschreibt.

Auch aus anderen Gründen hätte die Abbaugenehmigung nie vergeben werden dürfen: Zum einen  ist die Cordillera del Condor Quellgebiet der Flüsse des Maranhón. 12 000 – 14 000 Menschen der Völker der Wampis und Awajun leben in diesem Hot Spot der Biodversität, deren Lebensgrundlagen und Wasserversorgung vom   Goldabbau bedroht werden. Zum anderen hat das peruanische Unternehmen namens Afrodita, das aktuell das Gold ausbeuten will, keine Genehmigung zur Nutzung des Oberflächenlandes.

Infostelle Peru:  Wie habt Ihr erreicht, dass das Projekt gestoppt wurde?

Sandy El Berr:  Zuerst mal haben wir geschafft, dass die verschiedenen lokalen Vertretungen der Indigenen zusammengearbeitet und gemeinsam juristisch gegen das Bergbauprojekt vorgegangen sind. Mittels verschiedener Klagen und juristischer Eingaben, unzähliger Versammlungen mit Regierungsvertretern und der Ombudsstelle für Menschenrechte sowie Presseartikeln und Radiointerviews haben wir erreicht, dass die zuständige Regionalregierung von Amazonas das Abbauprojekt „Afrodita“ im September 2016 ausgesetzt hat, weil es keine Vorabkonsultation gegeben hat.

© Marco Melgar

Allerdings ist das Projekt damit noch nicht ganz vom Tisch: die Regionalregierung will jetzt neue Leute aus anderen Regionen, die der Mine freundlich gesinnt sind, in den Bergbaukonzessionen ansiedeln. Dies im Hinblick auf eine künftige Befragung bzw. Vorabkonsultation, um damit eine  Zustimmung für das Bergbauprojekt zu erhalten.

Denn die anderen Gemeinden, die sich dagegen wehren, leben bislang am Fuß der Bergkette der Cordillera del Condor und würden von der zukünftigen Konsultation ausgeschlossen werden.  Das liegt daran, dass der Staat nur diejenigen Gemeinden konsultieren will, die innerhalb der Konzessionen liegen, aber nicht alle Gemeinden, die mittelbar oder unmittelbar von den Auswirkungen des Bergbauprojekts betroffen sind. Und besiedeln wollen die widerständigen Gemeinden die Cordillera del Condor nicht, denn diese Region ist für sie Schutzgebiet; seit knapp 10 Jahren fordern sie, dass der Staat den Nationalpark in diese Region ausweitet, so wie es im Konsultationsprozess vereinbart wurde.

Infostelle Peru: welche Prognose siehst Du für den Schutz des Regenwaldes und der indigenen Völker unter der neuen peruanischen Regierung?

Zum einen ist es positiv, dass die Frente Amplio  den Vorsitz im  parlamentarischen Ausschuss für Indigene Völker hat.  Ansonsten  lassen aber die Mehrheit der Fujimoristas im Parlament sowie das auf Extraktivismus basierende Wirtschaftsmodell Perus wenig Optimismus zu. Da die Rohstoffeinnahmen zurückgehen, wird die Regierung weiter Umweltvorschriften lockern, um ausländische Investoren anzulocken.

Infostelle Peru: Was sind Deine wichtigsten Erkenntnisse aus 6 Jahren Arbeit im Regenwald?

Sandy El Berr:  Mir ist  die interdisziplinäre Arbeit sehr wichtig gewesen. Ich habe als Ethnologin ja mit Juristen und Journalisten zusammengearbeitet. Und von zentraler Bedeutung war die Arbeit in Netzwerken. So haben wir zum Beispiel das Amazonas-Kollektiv institutionalisiert, in dem verschiedene, zumeist peruanische Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet haben. Neben dem Instituto de Defensa Legal IDL handelt es sich um Cooperacción, CAAAP, Forum Solidaridad, ERI (Earth Rights International) und Perú Equidad, und im Amazonas um die von den Jesuiten betriebenen lokalen Bildungsradios Radio Marañon (Jaén) und Radio Kampagkis (Santa María de Nieva) sowie die Jesuitenorganisation SAIPE. Diese Zusammenarbeit im interdisziplinär ausgerichteten Kollektiv war sehr fruchtbar und effektiv. Nur so konnten wir die komplexen und arbeitsintensiven juristische Präzedenzfälle angemessen dokumentieren,  begleiten, verteidigen und sie öffentlich machen. Und es ist nicht zu vergessen, dass insbesondere die indigenen dirigentes wie Zebelio Kayap, aber auch wir als Organisationen der Zivilgesellschaft der Kriminalisierung und Diffamierung seitens des Staates und der extraktiven Unternehmen ausgesetzt waren. Eine gemeinsame Haltung und Verteidigungsstrategie war da sehr hilfreich.

Dann habe ich mich aber auch in die Selva, also den Amazonasregenwald mit seiner unglaublichen Biodiversität, seinen einmaligen Geräuschen und Gerüchen, seinen ruhigen Bächen und reißenden Strömen verliebt. Und der Kampf der Wampis und Awajun um ihre Identität und ihr Land hat mich tief beeindruckt.  Ich habe dort tolle Menschen kennengelernt und viele Freunde gewonnen, die mir von ihrer Kultur,  Lebensweise und ihren Strategien zur Verteidigung ihres Territoriums und der Ressourcen beigebracht haben. Sehr beeindruckt hat mich der organische Gartenbau mit einer großen Anzahl nahrhafter Anbaukulturen, den die Frauen betreiben, oder  wie man sich in der Selva bewegt, oder die Schöpfungsmythen, oder die Legenden, die immer wieder neu erzählt oder gesungen wurden, um die Jüngeren zur Verteidigung ihres Landes zu motivieren.

Infostelle Peru: wo haben wir als Zivilgesellschaft in Deutschland Hebel, um auf die peruanische Politik einzuwirken?

Sandy El Berr:  Deutschland importiert aus Peru Gold und Kupfer, und es hat eine Rohstoffpartnerschaft mit Peru.  Da könnte man die Bundesregierung stärker drängen, dass sie nachvollziehbar die  Einhaltung von Menschenrechten, insbesondere der Vorabkonsultation und der Landrechte Indigener, und von Umweltstandards in der gesamten Lieferkette verlangt. Und dann gibt Deutschland eine Menge Entwicklungshilfegelder an den Waldschutz in Peru. Wie kann es aber dann sein, dass die peruanische Regierung Projekte zur Goldförderung in hochsensiblen, für den Naturschutz ausgewiesenen Zonen des Regenwaldes vergibt? Da könnte Deutschland die Waldschutzgelder an entsprechende Bedingungen knüpfen.

Infostelle Peru: Vielen Dank, Sandy für das Interview und alles Gute für Deine neue Aufgabe ab April 2017 als Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko.

Sandy und das Team von IDL haben eine Doku-Reportage über das Leben der Awajún in der Provinz Condorcanqu gedreht, die man hier abrufen und frei weiterleiten darf.

Doku-Reportage YUmi – Agua es Vida, mit dt. Untertiteln: https://vimeo.com/187405927

clave: Yumi237peX

Interview: Hildegard Willer