Foto: ANDINA/Andres Valle

Verfassungsgericht: umstrittene Entscheidungen

Pilar Arroyo skizziert Gründe für und mögliche Auswege aus der politischen Krise

Normalerweise besteht das peruanische Verfassungsgericht aus sieben Richter*innen, die vom Kongress mehrheitlich für einen Zeitraum von fünf Jahren ernannt werden. Nach dem Tod von Richter Ramos hat das Gericht derzeit jedoch nur sechs Mitglieder, wobei Präsident Augusto Ferrero Costa bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme hat. Mit dem Tod von Ramos konsolidierte sich eine konservative Mehrheit im Verfassungsgericht, die in letzter Zeit beunruhigende Entscheidungen getroffen hat. Einige Beispiele:

  1. Vor sechs Jahren hat die Gemeinde Santa Clara de Uchunya eine Klage eingereicht. Die Gemeinde beantragte, dass Konzessionen für ein Gebiet, das sie als ihr Territorium beansprucht, zurückgenommen werden. Jetzt entschied das Gericht, über die Klage nicht entscheiden zu können. In dem Gebiet ist die Gruppe Ocho Sur tätig, ein Unternehmen mit der größten Palmölverarbeitungsanlage in der Region Ucayali.
  2. Im Februar dieses Jahres erklärte das Verfassungsgericht eine Klage der Exekutive für unbegründet – entgegen seiner eigenen früheren Rechtsprechung. Die Regierung klagte gegen ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das die Möglichkeiten der Regierung, die Vertrauensfrage zu stellen, einschränkt. Das Verfassungsgericht entschied, dass der Kongress die Anwendung der Vertrauensfrage durchaus einschränken kann. Dies hatte er 2018 getan. Damals erklärte das Verfassungsgericht diese Maßnahme für verfassungswidrig, da die Verfassung die Ausübung der Vertrauensfrage durch die Exekutive keine Grenzen setzt.
  3. Das Gericht erklärte die Klage der Aymara-Gemeinden Chila Chambilla und Chila Pucara in Juli (Puno) für unzulässig, mit der die Nichtigkeit von Bergbaukonzessionen gefordert wurde, die ohne vorherige Konsultation in ihren Gebieten erteilt worden waren. Damit widersprach es seinen eigenen Urteilen der letzten zehn Jahren zur Gültigkeit und Durchsetzbarkeit der ILO-Konvention 169. Diese Entscheidung stieß bei indigenen Organisationen und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen auf große Ablehnung. Sogar die Ombudsstelle Densoría del Pueblo wies darauf hin, dass diese Entscheidung “einen ernsthaften Rückschritt in Bezug auf den Schutz der Rechte indigener Völker darstellt. (…) Sie steht im Widerspruch zur politischen Verfassung, zu internationalen Verträgen und entfernt sich ohne Rechtfertigung von den Standards, die zuvor in ihrer Rechtsprechung festgelegt wurden”.
  4. Am 17. März beschloss der Gerichtshof, die irreguläre Begnadigung, die der damalige Präsident Pedro Pablo Kucyznski 2017 dem Ex-Präsidenten Alberto Fujimori gewährt hatte, wieder in Kraft zu setzen. Fujimori wurde wegen der Fällen von Mord und Entführung zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Begnadigung war 2017 Teil einer Vereinbarung zwischen dem damaligen Kongressabgeordneten Kenyi Fujimori und Kucyznski, um dessen Amtsenthebung zu verhindern. Es wurde hinreichend nachgewiesen, dass sie das Ergebnis eines politischen Deals war und nicht die Voraussetzungen für eine humanitäre Begnadigung erfüllte.

Ein möglicher Ausweg aus der politischen Krise?

“Die Regierung ist darauf bedacht, auf Biegen und Brechen zu überleben, während ihr Korruption, Unfähigkeit und Ineffizienz beim Regieren vorgeworfen werden. (…) Daneben will der Kongress nur eine neuerliche Amtsenthebung, um den Staat so weiterzuführen wie in den letzten 30 Jahren. Diese Politik hat zu mafiösen Strukturen, Korruption wie im Skandal „Lava Jato“ (…) geführt, und zu den schlechtesten Werten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Infrastruktur (…) Die Bedürfnisse von Millionen von Peruaner*innen stehen nicht auf der Agenda der Tyrannen und Trojaner der politischen Klasse”.

In dieser von Humberto Campodónico treffend beschriebenen Situation stecken wir nun schon seit acht Monaten fest, ohne dass sich eine Lösung abzeichnet. Deshalb ist der Vorschlag des ehemaligen Präsidenten Francisco Sagasti ermutigend, denn er könnte eine Debatte in Gang setzen, die uns aus der gegenwärtigen Sackgasse heraushelfen könnte. So müssten wir und nicht damit abfinden, die derzeitige Situation bis Juli 2026 zu ertragen.

Sagasti schlägt Minimalkompromisse vor:

Erstens: Die Regierung verpflichtet sich, den Ministerrat und die öffentliche Verwaltung mit kompetenten, integeren und ethisch einwandfreien Persönlichkeiten neu zu besetzen und ein Kabinett des Konsens‘ zu bilden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, denn die parteipolitische Übernahme der Institutionen führt bereits zum Zusammenbruch der öffentlichen Verwaltung, wie wir in den letzten Tagen im Extremfall von PetroPerú, aber auch im Gesundheitsministerium gesehen haben.

Zweitens: Der Kongress verpflichtet sich, keine Verfassungs- oder Gesetzesänderungen vorzunehmen, die das Gleichgewicht zwischen den Staatsgewalten beeinträchtigen, und keine Gesetze zu verabschieden, die die öffentlichen Institutionen schwächen. Dieser letzte Punkt ist sehr wichtig, denn seit Juli 2016 hat der Fujimorismus Regeln und Institutionen zerstört, die die Regierung stärken. Das ist die Hauptursache für die politische Instabilität, neben der unverantwortlichen Weigerung des Verfassungsgerichts, den Artikel 117 der Verfassung über die Amtsenthebung aufgrund moralischer Unfähigkeit auszulegen. Als dieser Artikel 1838 in unsere Verfassung aufgenommen wurde, hatte er eine andere Bedeutung. Wie der Politikwissenschaftler Fernando Tuesta Soldevilla zu Recht feststellt, ist dieser Artikel “zu einem Amtsenthebungsverfahren mutiert, das es in unserer Verfassung nicht gibt, aber ohne die garantierten Verfahren der Länder, in denen diese Regelung existiert”.

Drittens: Beide (Regierung und Kongress) verpflichten sich, sich nicht in die Staatsanwaltschaft und die Justiz einzumischen und politische und Wahlreformen zu genehmigen, um die Demokratie zu stärken und die Qualität der politischen Vertretung zu verbessern.

Sollten sich Regierung und Parlament nicht auf diesen Kompromiss einigen können, schlägt Sagasti als letzte Möglichkeit vor, dass sich die Bürger organisieren, um eine Verfassungsreform zur Verkürzung der Amtszeiten von Präsident und Kongress vorzulegen. Das Initiativrecht für Verfassungsreformen erfordert die Unterstützung von 0,3% der Wahlbevölkerung, d. h. etwa 75.900 Bürger*innen müssten mit ihrer Unterschriften den Text von Reforminitiativen unterstützen. Laut Verfassung könnte eine solche Initiative durch die Zustimmung einer absoluten Mehrheit von 66 Abgeordneten und durch ein Ratifizierungsreferendum umgesetzt werden.                                          

Pilar Arroyo

übersetzt und bearbeitet von Annette Brox