Jennie Dador ist Generalseretärin des Dachverbands der peruanische Menschenrechtsgruppen Foto: ideeleradio

Die Welt muss auf Peru schauen

Im Rahmen einer Online-Veranstaltung am 28. Februar hat die Informationsstelle Peru ein Gespräch mit Jennie Dador, Geschäftsführerin der Coordinadora Nacional de Derechos Humanos (CNDDHH) geführt. Die Fragen stellte César Bazán Seminario, der dabei auch die Fragen der Teilnehmenden an der Veranstaltung aufgriff.

Warum sind die Proteste in den südlichen Anden besonders stark?

Jennie Dador: In den Südanden sind die zivilgesellschaftlichen Bewegungen schon immer besonders stark gewesen, vor allem die Proteste gegen die Bergbauprojekte. Und die Unterstützung für Castillo war in diesen Regionen besonders hoch. Im Amazonasgebiet organisieren sich die indigenen Gemeinden erst langsam und diskutieren noch eine gemeinsame Haltung zur aktuellen Krise. Das liegt daran, dass die Indigenen keine so lange Tradition der politischen Organisation haben und noch weiter entfernt von der Politik der Zentralregierung sind als die Organisationen in den südlichen Anden. Auch im Norden des Landes sind die Proteste weniger stark. Hier protestieren die Menschen vor allem in den Gebieten, in denen für den Agrarexport produziert wird. Ansonsten war im Norden die Unterstützung für den Fujimorismus schon immer relativ hoch.

Gewalt gegen indigene Protestierende ist nichts Neues in Peru. Seit 2001 gab es 167 Tote bei Protesten. Nur in einem einzigen Fall kam es zu einer Strafverfolgung.

Es ist nachgewiesen, dass die Polizei im Einsatz gegen Demonstrierende verbotene Waffen benutzt hat. Die Art der Verletzungen (Schusswunden im Kopf, Brustkorb und Nacken) lässt auf gezielte Tötung schließen.

Die Regierung bezeichnet die Demonstrierenden als „Terroristen“ und „Vandalen“. Es kam auch auf Seiten der Demonstrierenden zu Gewaltakten. Was ist von diesen Vorwürfen zu halten?

J.D.: Gewalt lässt sich bei Protestbewegungen nie ausschließen. Die Polizei hätte aber die Möglichkeit gehabt, Personen und Gruppen, die sich in die Proteste einschleichen, um Gewalt auszuüben, zu isolieren und festzunehmen und damit auch die übrigen Protestierenden zu schützen. Dies ist nicht geschehen. Die Polizei hat weder Demonstrierende noch Passant*innen geschützt. Viele der Verletzten und Getöteten waren unbeteiligte Passant*innen.

Wie ist die Haltung der Kirchen im gegenwärtigen Konflikt?

J.D.: Es gibt keine einheitliche Haltung der Kirchen. Die Führung der katholischen Kirche hat sich eher regierungsfreundlich und schweigsam verhalten. Aber einzelne Gemeinden, z.B. in Juliaca, haben eine sehr aktive Rolle gespielt, die Protestierenden begleitet und ihnen Räume zur Verfügung gestellt. Die lutheranische Kirche hat eine starke und regierungskritische Erklärung veröffentlicht. Es gibt auch Dialog-Initiativen von Seiten der Kirchen.

Die Proteste haben in den letzten Wochen an Stärke nachgelassen. Ist das nur eine Pause  oder ist es Ermüdung?

J.D.: Der Rückgang der Proteste ist auch dem Kalender der andinen Gemeinden geschuldet. Viele sind zur Ernte und zum Karneval in ihre Gemeinden zurückgekehrt. Danach kommen sie wieder nach Lima. Aber natürlich ist es auch schwierig, die Proteste über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. Die Solidarität der Menschen in Lima mit den Protestierenden hat aber in letzter Zeit deutlich zugenommen, vor allem nach den Festnahmen in der Universität San Marcos. In den neuesten Umfragen sind das Verständnis und die Unterstützung für die Protestierenden deutlich gestiegen.

Gleichzeitig konsolidiert sich aber das autoritäre Regime. Der Rechtsstaat funktioniert nicht mehr.

Welche Rolle spielen die Medien in dem Konflikt?

J.D.: Die Presse in Peru spielt eine traurige Rolle. Sie informiert nicht über die Menschenrechtsverletzungen und übernimmt die Erzählung der Regierenden von „Terroristen“, „Vandalen“ und „Indios, die nicht wissen, was sie wollen“. Manche Informationen erreichen uns in Peru erst, wenn sie im Ausland veröffentlicht wurden.

Dazu kommt, dass es starke Repressionen gegen die regierungskritische Presse gibt. Mittlerweile gab es laut dem peruanischen Journalistenverband 150 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten.

Wie wird es mit den Protesten weiter gehen?

J.D.: Die indigene Bewegung mit einem klaren ethnischen Selbstverständnis wird stärker. Peru ist in Lateinamerika das letzte Land, das aufwacht, aber jetzt beginnt auch hier die Diskussion über eine neue Verfassung.

Die Coordinadora Nacional wird die Prozesse in den Gemeinden weiter begleiten, um Sicherheit und Rechtsverteidigung zu ermöglichen. Dabei geht es zum Beispiel auch darum, wer sich um die Kinder der vielen Verletzten kümmern kann. Es entstehen auch neue Netzwerke der Solidarität, zum Beispiel von Anwälten und Gesundheitsfachkräften.

Was können wir von Deutschland aus tun?

J.D.: Internationale Aufmerksamkeit ist jetzt besonders wichtig. Die Welt muss auf Peru schauen. Deshalb sind öffentliche Erklärungen aus dem Ausland in regelmäßigen Abständen weiter sehr wichtig. Dabei ist es auch gut, Organisationen zu ermuntern, die bisher noch keine Erklärungen zur aktuellen Situation veröffentlicht haben. Besonders wirksam sind natürlich Erklärungen der Botschaft und der Regierung.

Wichtig war zum Beispiel auch eine Initiative von Amnesty international bezüglich Waffenlieferungen nach Peru. In der Folge hat jetzt Spanien erklärt, keine Waffen mehr nach Peru zu liefern.

Es gibt auch Beweise, dass in Juliaca Waffen des deutschen Unternehmens Sig Sauer eingesetzt wurden. Allerdings ist nicht klar, ob sie aus deutscher oder US-amerikanischer Produktion stammen.

J.D.: Ja, es ist wichtig, dies zu verfolgen.

Daneben ist es auch sehr wichtig, den Hass und die extreme Polarisierung in der Bevölkerung zu überwinden. Hier sind wir sehr interessiert an Erfahrungen aus anderen Ländern, wie das gelingen kann.

Die Deutsche Botschaft hat vor kurzem eine klare Stellungnahme abgegeben, als der ultrarechte Bürgermeister von Lima den Erinnerungsort LUM (Lugar de la Memoria) angegriffen hat, der die Gewalt im internen bewaffneten Konflikt aufarbeitet. Wäre eine Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Ereignisse, wie sie es damals gegeben hat, jetzt auch sinnvoll? Könnte Deutschland das unterstützen, wie damals auch?

J.D.: Wir diskutieren das intensiv. Aber wir sind noch mitten in dem Konflikt, da ist eine Aufarbeitung sehr schwierig. Die Wahrheitskommission hat sich erst nach Beendigung des bewaffneten Konfliktes gebildet. Was wir jetzt dringend brauchen, ist ein funktionierendes Justizsystem. Dazu braucht es die Unterstützung und Begleitung durch die UN, es fehlt an Personal und Sachverständigen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Das Gesundheitsgesetz muss geändert werden. Artikel 30 legt fest, dass das Fachpersonal in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen verpflichtet ist, Verletzungen an die Behörden zu melden. Aus der Art der Verletzungen wird dann geschlossen, dass es sich um Protestierende handelt. Diese Regelung dient der Abschreckung und hält Verletzte davon ab, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Wir wollen deshalb eine Kampagne zur Abschaffung dieses Gesetzesparagraphen starten. Auch dafür brauchen wir Unterstützung.

Vielen Dank an Jennie Dador, dass sie sich die Zeit für die Diskussion mit uns genommen hat!

Im Anschluss an die Veranstaltung haben die Mitglieder der Infostelle Peru noch weitere Möglichkeiten zur Unterstützung der Menschenrechtsorganisationen und der Familien der Opfer diskutiert.


Verschriftlichung und Übersetzung: Annette Brox