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Die Koalition der Macht und Spuren von Hoffnung

Pilar Arroyo vom Instituto Bartolomé de las Casas veröffentlicht monatlich einen Artikel zur politischen Konjunktur in Peru. In ihrer aktuellen Analyse schaut sie vor allem auf Reaktionen der Bevölkerung, die leisen Anlass zur Hoffnung geben.

In der letzten Einschätzung zur politischen Lage haben wir die „Koalition der Macht“ beschrieben, die aus Regierung, Kongress, Verfassungsgericht, Ombudsstelle für Menschenrechte (Defensoría del Pueblo), monopolisierten Medien, Streitkräften und Polizei besteht. Zunächst war auch die Generalstaatsanwaltschaft Teil dieser Koalition. Nach Vorwürfen wegen verschiedener Straftaten wurde jedoch die damalige Generalstaatsanwältin Patricia Benavides entlassen. Seither ist diese wichtige Institution nicht mehr Teil der Koalition. Ebenso distanzieren sich immer mehr Wirtschaftsunternehmen, insbesondere wegen der Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit.

Zunächst sei noch einmal kurz an die Ziele der Koalition erinnert (näher haben wir diese im letzten Artikel erläutert): Ultrakonservatives religiöses und ideologisches Denken soll in allen Bereichen der peruanischen Gesellschaft durchgesetzt werden. Die Nichtregierungsorganisationen sind nach wie vor im Visier. Täglich werden sie mit verschiedenen und lästigen Verwaltungsverfahren schikaniert. Es werden merkantilistische Gruppen begünstigt, deren vorrangiges Ziel ist, sich zu bereichern, außerdem wird die illegale Wirtschaft unterstützt. Für eine noch stärkere Machtkonzentration wurden zahlreiche Verfassungsänderungen vorgenommen – und dabei die in der Verfassung vorgesehenen Verfahren nicht eingehalten. Fast 60 Artikel wurden bereits geändert, etwa 40 weitere Änderungen sind in Planung. Die gültige Verfassung von 1993 hat insgesamt 206 Artikel. Faktisch gibt es also bald eine neue Verfassung.

Zur Festigung der Macht soll die Nationale Justizbehörde abgeschafft, die Generalstaatsanwaltschaft umstrukturiert und wichtige Befugnisse auf die Nationalpolizei übertragen werden. Auch die Justiz – bisher nicht vollständig unter Kontrolle – soll Befugnisse abgeben. Genauso werden die Wahlbehörden ONPE und JNE kontrolliert, um so die eigene Macht über die nächsten Wahlen hinaus zu sichern.

Um Kriminelle vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen, wurden 59 Straftatbestände von der Einstufung als kriminelle Organisation ausgenommen. Verbrechen wie Erpressung, Auftragsmord und Korruption können deshalb weniger effektiv verfolgt werden. Die Folge ist schon spürbar: Die Kriminalitätsrate steigt.

Unfähig, das Land zu regieren

Dieselbe Koalition, die mit allen Mitteln an ihrem Machterhalt arbeitet, ist nicht fähig, die alltäglichen Probleme der Bevölkerung zu lösen. Einige Beispiele:

Thema Ernährung: Die FAO hat die Zahlen zur Ernährungssicherheit 2023 veröffentlicht. Danach leben 51,7 Prozent der peruanischen Bevölkerung in einer Situation der Ernährungsunsicherheit. Das ist der mit Abstand höchste Wert in ganz Südamerika. Der Landwirtschaftsminister erklärte, dies könne nicht sein, da man überall in Peru gut esse.

Thema Gesundheit: Es mangelt nicht nur an notwendigen Medikamenten. Der Umgang mit der Dengue-Epidemie ist mangelhaft, was im Vergleich mit anderen Ländern zu einer sehr hohen Sterblichkeitsrate führt.

Thema Sicherheit: Die Nationalpolizei PNP, eine staatliche Einrichtung, die im Dienst der Nation stehen sollte, wurde in eine politische Polizei der derzeitigen Regierung verwandelt. Statt die zunehmende Kriminalität im öffentlichen Raum zu bekämpfen, wird sie eingesetzt, um die Bevölkerung zu kontrollieren, die an vielen Orten ihren Unmut über öffentliche Auftritte von Regierungsmitgliedern zum Ausdruck bringt.

Die Zivilgesellschaft reagiert

Nach der Ermordung von 49 Bürger*innen zwischen Dezember 2022 und Februar 2023 wurde der Bevölkerung klar, dass die Ausübung des Rechts auf friedlichen Protest heute bedeutet, das eigene Leben zu riskieren. Aus diesem Grund haben viele – trotz der breiten Ablehnung und historisch niedriger Zustimmungsraten für Kongress und Regierung – diesen Weg vorerst ausgeschlossen.

Die Menschen haben sich jedoch nicht mit der Situation abgefunden und verschaffen sich mit anderen Mitteln Gehör. Wir nennen hier einige Beispiele. Es sind Samen der Hoffnung, dass es möglich ist, die gegenwärtige Situation zu ändern.

Kultureller Widerstand: Die Menschen nutzen Karneval, religiöse Feste, bürgerliche und folkloristische Gedenkfeiern, um ihren Protest gegen das Verhalten der Koalition zum Ausdruck zu bringen und um Gerechtigkeit zu fordern.

Kommuniqués: Sehr oft werden Kommuniqués von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen veröffentlicht, etwa von Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen und Berufsverbänden. Manche denken, dass solche Erklärungen wenig nützen, weil sie von der Koalition ignoriert werden. Sie schaffen jedoch einen Gemeinsinn:  dass die Forderungen gerechtfertigt sind und nicht das Werk von Aufwiegler*innen und Terrorist*innen.

Katholische Kirche: Die peruanische Bischofskonferenz sowie einige Bischöfe und christliche Gemeinschaften melden sich ebenfalls zu Wort und hinterfragen viele der oben genannten Ziele der Koalition.

Neue Zusammenschlüsse: Ein Teil der Stärke der Koalition liegt in der organisatorischen Schwäche der Opposition. Es ist daher ermutigend zu sehen, dass frühere Versuche wie die Bürger-Koalition (Coalición Ciudadana, 2022) und die Demokratische Plattform (Plataforma Democrática, 2023) reaktiviert werden und dass neue Zusammenschlüsse wie die Demokratische Initiative (Iniciativa Democrática, 2024), der Einheitspakt (Pacto de Unidad, 2024) und verschiedene regionale Runde Tische entstehen.

Juristischer Kampf: Wichtige Teile der Justiz, der Staatsanwaltschaft, der Nationalen Justizbehörde und unabhängige Anwält*innen haben der Koalition einige bedeutsame Niederlagen zugefügt, etwa die Gerichtsentscheidung, das Gesetz, das die organisierte Kriminalität begünstigt, für nicht anwendbar zu erklären.

Alternative Medien: Angesichts der offensichtlichen Manipulation von Informationen durch die offiziellen Medien, die Teil der Regierungskoalition sind, werden wichtige alternative Medien stärker, z.B. El Diario de Curwen (moderiert von Víctor Caballero), La Encerrona (moderiert von Marco Sifuentes), die beiden Programme von Rosa María Palacios (Radio Santa Rosa und La República) sowie regionale Radioprogramme.

Verstärkter internationaler Druck: Zahlreiche wichtige Regierungen (USA, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Europäische Union), internationale Nichtregierungsorganisationen, verschiedene Gremien der Vereinten Nationen und überregionale Einrichtungen wie die Interamerikanische Kommission und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben wiederholt ihre Ablehnung der Regierungsentscheidungen zum Ausdruck gebracht.

Öffentliche Meinung: Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Regierungskoalition ablehnt.

Reaktivierung sozialer Organisationen: Initiativen engagieren sich gegen die Verschärfung alltäglicher Probleme wie etwa die Gemeinschaftsküchen gegen den Hunger oder Initiativen für Wasserschutz nach Verschmutzung durch Bergbau und Erdölgewinnung.

Die wachsende Ablehnung der Bürger*innen: Im vergangenen Monat kam es zu spontanen Demonstrationen gegen öffentliche Auftritte von Regierungsmitgliedern. In Lima waren es Teile der Mittelschicht, die in Barranco gegen die Anwesenheit der Kongressabgeordneten Chirinos und Aragón und im Nationaltheater gegen die Anwesenheit des Kulturministers protestierten. In Junín gab es Proteste gegen die Teilnahme von Präsidentin Boluarte an den Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Schlacht von Junín. In Huanta (Ayacucho) zwang die Bevölkerung den Regionalgouverneur Oscorima, in einem Hubschrauber zu fliehen. In Arequipa protestierte die Bevölkerung gegen die Anwesenheit von Dina Boluarte und der Kongressabgeordneten Agüero. Die spontanen Protestbekundungen können nicht die Schwäche der organisierten Protestbewegung aufwiegen, aber sind immerhin zusätzliche Proteste und ermöglichen neue Formen und Wege, so die Einschätzung der NRO Desco.

Die Suche nach Wahlalternativen:  In einer Umfrage zu den möglichen Kandidat*innen für die Wahlen 2026 im August lehnte eine Mehrheit von 73,7 Prozent die Fujimori-Partei Fuerza Popular und ihre mögliche Kandidatin Keiko Fujimori ab, ebenso Alianza para el Progreso (César Acuña), Renovación Popular (Rafael López Aliaga), Perú Libre (Vladimir und Valdemar Cerrón), Podemos Perú (Familia Luna), Somos Perú, Acción Popular und Avanza País.

Die verschiedenen Formen, in denen die Bevölkerung ihre Ablehnung gegenüber den Geschehnissen zum Ausdruck bringt, sind ein Grund zur Hoffnung, dass wir die schwierige Situation, in der wir uns befinden, ändern können.

„Angesichts der objektiven Grausamkeit der Probleme, die Peru heute heimsuchen, ist die Hoffnung eine Pflicht“, so Danilo Martucelli bei den Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen des Meinungsforschungsinstituts IEP.


Quelle: Pilar Arroyo, IBC Coyuntura August 2024
Zusammengefasst und übersetzt von Annette Brox

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