Mutter mit ihrem Kind beim Home-Schooling. Nur auf dem Hügel hat das Handy Empfang. ©Walter Silvera

Das war Peru 2021

Ein Jahresrückblick in 10 Ereignissen

1. Corona I: Sterberekord

Die zweite Corona-Welle hat Peru mit noch größerer Wucht getroffen als die erste. Zwischen Februar und Juni 2021 starben sehr viele Menschen, weil sie keinen Sauerstoff oder kein Intensivbett bekamen. Jeder in Peru hatte Angehörige, Freunde oder zumindest Bekannte, die an Corona verstorben sind. Deswegen war es für die meisten keine Überraschung, als eine unabhängige Expertenkommission die tatsächlichen Zahlen der an Corona Verstorbenen bekannt gab: 180 000 Corona-Tote zählte die Kommission. Sie nahmen damit auch Verstorbene in die Zählung auf, die alle Symptome hatten, aber kein Testergebnis vorliegen hatten.  Bis heute steht Peru weltweit an der Spitze der Länder mit den meisten Corona-Toten. Dieser traurige Rekord liegt aber auch daran, dass andere Länder ihre Corona-Zahlen nicht berichtigt haben.


2. Wahlkrimi: ein Dorfschullehrer wird Präsident

Anfang 2021 kannte kaum jemand den Lehrer und Lehrergewerkschafter Pedro Castillo aus dem Dorf Tacabamba in der Region Cajamarca. Am 29. Juli desselben Jahres wurde er als peruanischer Präsident vereidigt.  Damit zog erstmal ein genuiner Vertreter der Bauern aus der Andenregion mit einem explizit linken Programm in den Präsidentenpalast nach Lima ein. Die zweitplatzierte Keiko Fujimori gestand erst Wochen nach dem 2. Wahlgang ihre Niederlage ein. Gründe für den  Überraschungssieg Castillos sind: ein zersplittertes Parteiensystem, mit dem es möglich wurde mit weniger als 20% der Stimmen in den 2. Wahlgang zu kommen; die mediale Schmutzkampagne gegen die bekanntere linke Kandidatin Veronica Mendoza, deren Platz dann Castillo bei den Wählern einnahm; der große Rückhalt der  politisch und medial unterrepräsentierten  Andenbewohner für einen Kandidaten „der so ist wie wir“; die Stimmen derer, die nie für seine Kontrahentin Keiko Fujimori stimmen würden.


3. Corona II: Zwei Jahre ohne Präsenzunterricht

In Peru beginnt das Schuljahr Mitte März und endet Anfang Dezember. Der Corona-Lockdown begann Mitte März 2020.  Seitdem, also seit zwei Schuljahren haben peruanische Kinder und Jugendliche ihre Freund*innen und Lehrer*innen nur am PC oder am Handy gesehen. Peru gehört damit zu den Ländern mit den längsten Schulschliessungen weltweit. Erst Ende 2021 haben einige Schulen erste Versuche mit Präsenzunterricht durchgeführt.

Da nur 70% der Peruaner Zugang zu Internet haben – und davon die meisten in der Stadt – kann man leicht abschätzen, welche Wissenslücken die Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie davongetragen haben. Und dies in einem Land, dessen Bildungssystem auch ohne Corona schon sehr prekär ist.


4. Fluss Marañon soll Rechtssubjekt werden

In mehreren Ländern weltweit stehen Berge und Flüsse bereits unter besonderem Schutz, weil die Natur eigenes Rechtssubjekt wird. So ist in Kolumbien der Atrato-Fluss  Rechtssubjekt, in der ecuadorianischen Verfassung ist das Recht der Natur ebenfalls verankert. Das soll nun auch in Peru geschehen. Die Vereinigung der Kukama-Frauen aus Loreto hat am 8. September beim peruanischen Verfassungsgericht Klage erhoben, dass der Fluss Marañon, ein Quellfluss des Amazonas, eigene Rechte erhält und damit besonders geschützt wird.


5. Abimael Guzman gestorben

Am 11. September 2021 starb der gefürchtetste Terrorist Lateinamerikas in seiner Zelle in der Marinebasis von Callao eines natürlichen Todes (nicht Covid). Abimael Guzman wurde 86 Jahre und verbüßte eine lebenslange Haftstrafe.

Der Gründer und Anführer des „Leuchtenden Pfades“ ist verantwortlich für zehntausende von Morden, meist an Bauern des Hochlandes. Der „Leuchtende Pfad“ war streng hierarchisch aufgebaut, so dass nach der Gefangennahme Abimael Guzmans im Jahr 1992, die Terrororganisation rasch auseinanderfiel.

Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Tod Guzmans waren gemischt:  vor allem rechte Kreise schürten die Befürchtung, dass ein eventuelles  Grab Guzmans zu einer Pilgerstätte werden könnte. Guzmans Leiche wurde schließlich verbrannt und an einem nicht bekannten Ort verstreut.


6. Kultur: Perus junge Filmindustrie 

Trotz Corona hat es in den letzten beiden Jahren Jahr mehrere sehenswerte Filmproduktionen aus Peru gegeben.  2020 erschien der Film „Cancion sin nombre“ der jungen Filmemacherin Melina Leon.  Der Film ist ebenso wie der 2017, vollständig in Aymara gedrehte Spielfilm  Wiñaypacha auf Netflix zu sehen.

2021 kam die Verfilmung des Literaturklassikers „Un mundo para Julius“ des peruanischen Schriftstellers Alfredo Bryce Echenique in die Kinos. Ein Überraschungserfolg wurde „Manco Capac“, ein Erstlingswerk eines bis dato unbekannten Filmemachers aus Puno, Henry Vallejo.

Zugleich hat Perus junge Filmindustrie einen herben Verlust erlitten: Oscar Catacora, der Regisseur des preisgekrönten Films „Wiñaypacha“, starb mit nur 34 Jahren im November diesen Jahres. Er war auf dem Land in Puno zum Drehen, zu weit weg vom nächsten Krankenhaus. Er starb an einem geplatzten Blinddarm.


7. Illegaler Bergbau und Kokaproduktion nehmen zu

Während viele Geschäfte während der Pandemie schliessen mussten, hatten Bergbau – der legale wie der illegale – sowie der illegale Drogenhandel kaum Einbußen zu verzeichnen. Da während der Pandemie die Behörden (noch) weniger kontrollierten als sonst, und andererseits die Preise für Mineralien und vor allem Gold weltweit stiegen, haben auch illegale Aktivitäten zugelegt. Drogenhändler und illegale Goldgräber bedrohen indigene Umweltschützer, die sich gegen den Kokaanbau oder Goldabbau auf ihrem Land wehren.  Auch im Jahr 2021 gingen die Drohungen und Morde an indigenen Umweltschützern weiter.  Selbst in „La Pampa“, dem illegalen Goldabbaugebiet in Madre de Dios, verwüsten Goldgräber wieder den Regenwald. 2019 noch hatte das Militär in einer medial inszenierten Aktion Goldgräber von  „La Pampa“ vertrieben und ihre Gerätschaften zerstört.


8. Corona III: Über 70% geimpft!

Die Impfung gegen Corona begann in Peru mit einem Skandal und endete mit einem Rekord an verabreichten Impfungen.  Im Februar diesen Jahres kam raus, dass Ex-Präsident Vizcarra, Minister und hohe Beamte samt Angehörigen  im Geheimen geimpft worden waren. Die chinesische Sinopharm hatte Extra-Impfdosen für „Entscheidungsträger“ geliefert – geheim und als eine Art Werbegeschenk.

Danach, und unter der Übergangsregierung von Francisco Sagasti, lief die Impfkampagne zügig und sehr geordnet an. Auch unter der Regierung Castillo läuft die Impfaktion erfolgreich weiter. Geimpft wurde und wird mit Sinopharm, Pfizer und  Astra Zeneca. Bis an Weihnachten waren 74,% der Peruaner zweifach geimpft, 22% haben die dritte Impfung erhalten.

Gegen Ende des Jahres steigt die Zahl der Infektionen leicht, noch macht sich das aber nicht in einer stärkeren Belastung der Krankenhäuser bemerkbar.


9. Misstrauensvotum gegen Präsident Castillo abgeschmettert

Pedro Castillo regiert nun seit einem halben Jahr – gegen eine ultrarechte Opposition im Kongress, gegen Widerstände innerhalb seiner eigenen Fraktion, ohne Unterstützung durch die Hauptstadtmedien – und mit großen eigenen Unzulänglichkeiten.

Deshalb war es nicht überraschend, dass dieuUltrarechte Opposition im Kongress – bestehend aus der Fujimori-Partei, der Partei des Ökonomen Hernando de Soto, und dem Opus-Dei-Rechten Lopez Aliaga, im November einen Antrag auf Absetzung gestellt hatten. Der Kongress ist schließlich nicht darauf eingegangen, aber es ist zu befürchten, dass dies nicht der letzte Versuch bleiben wird,  Castillo abzusetzen.

Laut einer Umfrage vom Dezember 2021 wird die Regierungsführung Castillos von 60% der Befragten abgelehnt. Der Kongress kommt auf eine noch hoehere Ablehnung: 70%.


10. Mit sehr viel Glück nach Katar!

Wenn es in der Politik nur düster aussieht, ist es umso wichtiger, dass es wenigstens im Fussball klappt. Nachdem es bereits schien, dass Peru bei den Ausscheidungsspielen die Fahrkarte zur WM nach Katar verpasst hatte, haben die letzten beiden Siege gegen Venezuela und Bolivien wieder ein Türchen geöffnet. Falls Peru nun gegen Kolumbien, Ecuador, Paraguay und Uruguay gewinnt, könnten sie doch noch an der WM in Katar teilnehmen.


Hildegard Willer

Homeschooling in den Anden. Nur auf dem Huegel hat das Handy Empfang. ©Walter Silvera