Castillo-Anhänger feiern bereits ihren Präsidenten. Dabei hat der Wahlrat ihn noch gar nicht gekürt. (© Sondra Wentzel)

Buhlen um die Macht

Infos und Hintergründiges zur Wahl, deren Sieger bis heute nicht ausgerufen wurde.   

Die peruanischen Präsidentschaftswahlen sind entschieden

 

Pedro Castillo setzt sich mit einem knappen Vorsprung in der Stichwahl gegen Keiko Fujimori durch. Eine Woche nach dem Wahltag sind die Stimmen aus dem In- und Ausland gezählt:  Pedro Castillo hat 44 240  mehr Stimmen errungen als Keiko Fujimori, genannt Keiko. Er soll am 28. Juli, dem Nationalfeiertag, sein Amt antreten.

Der gesamte Wahlkampf schien von Anfang bis Ende chaotisch bis verrückt – und zeigte auch dank der Massen- und virtuellen Medien hässliche Fratzen von Häme, Rassismus, Verleumdung.

 

Nach vier Staatspräsidenten in rasanter Abfolge standen im April 2021 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. 23 Kandidat*innen warfen dafür ihren Hut in den Ring, fünf kamen schon amtlich oder juristisch nicht in Frage. Unter den 17 verbliebenen waren eine moderate linke Kandidatin, der Besitzer einer Privatuniversität, ein Ex-Fußballspieler und Bezirksbürgermeister, ein sich kasteiender Marienverehrer, und ein Wirtschaftsexperte. Letzterer rühmt sich, bereits den früheren Präsidenten Fujimori (Vater von Keiko) beraten zu haben. Dieser Fujimori verbüßt allerdings eine lange Haftstrafe.

Kurz und gut: Bei so vielen Kandidat*innen, sprich Konkurrent*innen, reichten die 18.92% für Pedro Castillo und die 13.07% für Keiko Fujimori aus, um in die Stichwahl zu kommen. Fast 70% der Wähler*innen wählten weder ihn noch sie.

 

Die Stichwahl

Keiko Fujimori: Man kennt sie bereits. Sie nahm unter ihrem Vater Alberto zu dessen Präsidentenzeit die Rolle der First Lady ein. Die eigentliche First Lady war von ihrem Mann verprügelt und eingesperrt worden. Sie verließ ihn. Seine derzeitige Haftstrafe hat allerdings damit nichts zu tun. Vater Fujimori sitzt wegen Menschenrechtsverbrechen im Gefängnis.

Keiko Fujimori ihrerseits saß bis zu den Wahlen wegen Geldwäscheverdacht (Stichwort Korruptionsaffäre im Fall Odebrecht) in Untersuchungshaft. Für sie wäre es wichtig gewesen, als Präsidentin Immunität zu erhalten. Nun muss sie mit Gerichtsverfahren und Haftstrafen rechnen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Partei als kriminelle Vereinigung bezeichnet und angeklagt. Keikos dritte Wahlniederlage in Folge könnte das Ende des sogenannten Fujimorismus bedeuten.

Unterstützung hatte Keiko von ihrer nicht geeinten, aber starken Partei sowie den Medienmogulen von Presse und Fernsehen, dem Großunternehmertum, der evangelikalen und Teilen der konservativen katholischen Kirche erhalten. Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa sprach sich eindeutig für Keiko Fujimori aus.

 

Programmatisch stand Keiko für eine Fortsetzung des extrem radikal neolibealen Kurses. Ansonsten war ihr Anliegen, ihren Vater aus dem Knast zu holen. Sie verteidigte auch dessen Zwangssterilisationspolitik als Geburtenkontrollmaßnahme.

Vom Gegenkandidaten Pedro Castillo grenzte sie sich als die Retterin Perus und Garantin für Sicherheit, Demokratie und wirtschaftlichen Fortschritt ab. Flankiert von Titelstories  denunzierte sie ihren Gegner als Marxisten, Leninisten, Chavisten, Kommunisten, Terroristen, etc.

 

Pedro Castillo: Der 51-jährige Lehrer aus der Provinz (Chota / Cajamarca) war kaum bekannt. Seine Familie betreibt ein kleines Baugeschäft. Er ist wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit in der Lehrergewerkschaft SUTEP freigestellt, die seit vielen Jahren von Parteikadern der Patria Roja (Rotes Vaterland) geführt wird. Castillo führte erfolglos einen landesweiten Streik seines innergewerkschaflichen Oppositionsflügels an. Die Eltern der Schüler*innen pochten auf ein Ende des Streiks, weil sonst die Kinder ein ganzes Schuljahr verloren hätten.

Castillo trat für die Liste von Perú Libre an, deren vorgesehener Kandidat Vladimir Cerrón von der Justiz verfolgt wurde. Anfangs sprach er einerseits unpräzise, aber radikal von Verstaatlichung und Enteignung, andererseits äußerte er sich teils reaktionär über Frauen oder Genderfragen.

Egal wie, ein (einflussreicher) Teil der Gesellschaft fiel mit ziemlich allen Mitteln und harten Bandagen über ihn her. Große Fernsehsender feuerten Mitarbeiter*innen, die zu freundlich berichteten, Wohlhabende drohten Hausangestellten mit Entlassung, falls sie Castillo wählen sollten. Die Landbevölkerung, sofern sie für Castillo stimmte, wurde als indianische Gefahr beschrieben. Der umstrittene venezolanische Oppositionspolitiker López (auf Einladung der FDP-nahen Naumann-Stiftung in Peru) erhielt große Presse mit seiner Warnung, mit Castillo könnten „venezolanische Verhältnisse“ eintreten.

Besonders heftig kam es aus den sogenannten sozialen Medien. Es sollten nur Menschen in den Städten wählen, die Bauern sollten sich um ihren Acker kümmern. Man müsse die Wahlkundgebungen von Castillo bombardieren, man solle diese Analphabeten, Esel und ekelhaften Kreaturen in Konzentrationslager stecken.

Im Lauf der Zeit wuchs die Unterstützung für Castillo. Die unterlegene, linke Präsidentschaftskandidatin Veronika Mendoza gab eine Wahlempfehlungen für ihn ab und vielen Menschen ging es vor allem darum, den Fujimori-Clan zu verhindern. Motto: Nie wieder Fujimori.

 

Der Wahlkrimi

Dem Endergebnis der Stichwahl ging ein unglaubliches Auf und Ab bei den  Stimmauszählungen voraus. Noch in der Wahlnacht verkündet die Oberste Wahlbehörde ONPE: Keiko Fujimori hat die Wahl mit 52% der Stimmen gewonnen. Soweit – so falsch.

Es sind lediglich erste Ergebnisse, hauptsächlich aus den Vierteln der Hauptstadt Lima. Schon rufen erste Stimmen „Betrug“. Und die Zahlen ändern sich laufend. Bald heißt es: Fujimori 50%, Castillo 50%, dann: Castillo 50.228%, Keiko Fujimori: 49.772% (genaue Informationen bei www.onpe.gob.pe). Als am 9.6. nach Auszählung fast aller Stimmzettel (99.395%) Castillo ca. 75.000 Stimmen Vorsprung hat (Castillo 50.241%, Keiko 49.750%), scheint es auf die Stimmen aus dem Ausland und den entlegensten ländlichen Gebieten anzukommen. Am selben Tag schmilzt Castillos Vorsprung und so weiter.

Inzwischen hat die ONPE alle Stimmen ausgezählt, auch diejenigen, die an den Wahltischen selbst angefochten wurden. Sieger ist Pedro Castillo.

Wahlberechtigt: 25.271.610 Personen, gewählt haben 18.845.598. Das sind 74,572%.

Pedro Castillo: 50.125%, 8.835.970 Stimmen. Keiko Fujimori: 49.875%, 8.791.730 Stimmen. Differenz. 44 240 Stimmen. Ungültig gewählt haben: 1.228.648 Personen = 6,5% der Stimmen. Die Ergebnisse hätten also anders oder klarer aussehen können.

 

Einige ausgewählte Ergebnisse

Die reicheren Stadtviertel San Isidro und Miraflores in Lima gingen haushoch (mit 88.1% bzw. 84.5%) an Fujimori, Castillo holte 11.8% bzw. 15.4%. Im ärmeren Villa El Salvador erhielt Fujimori 64.3%, Castillo 35.6%. Nirgends in der Hauptstadt Lima kam Castillo über 50%.

 

Anders lief es in den Anden. Den größten Stimmenunterschied weist die Region Puno auf: 89.2% für Castillo, 10.7% für  Fujimori. In seiner Heimatprovinz erhielt Castillo 85.917%, Fujimori 14.083%. In Cusco: Castillo 83.1%, Fujimori 16.8%. Diese Ergebnisse kann man sicher als Votum für eine andere als die aktuelle Bergbaupolitik werten.

In Deutschland waren 8.567 Personen stimmberechtigt. 33.6 % (2.882) haben gewählt; Fujimori mit 60.6% und Castillo mit 39.3% der Stimmen. Ähnlich sah es in Spanien aus. In den USA (mehr als 300.000 Berechtigte) wählten weniger als 30%: für Fujimori 81.146%.

 

Reaktionen nach den Stichwahlen

 

Reaktionen des Fujimori-Umfeldes:

* Aufrufe zu Demonstrationen und Aufforderung an Polizei und Militär den Frieden zu erhalten,

* Fujimoris Anwaltskollektive kassierten (im Gespräch sind 500.000 Dollar) an Gebühren für ihre Tätigkeit, Wahlfälschungen nach zu weisen. Die Partei muss ca. 200.000 Dollar an die ONPE zahlen für die von ihr beantragten 802 Nachprüfungen der Wahlakten obwohl diese von der ONPE geprüft wurden. Pro Nachprüfung ist die Gebühr 1.100 Soles. (ca. 300 €).

  • Keiko Fujimori will ihre Niederlage nicht eingestehen und bezichtigt des Wahlbetrugs; sie verzögert mit juristischen Tricks, dass der Wahlrat Pedro Castillo zum Präsidenten ausruft.

 

Reaktionen von Peru Libre:

* Castillo hat im laufe des Wahlkampfes seine radikale Sprache verändert. So erklärte er: Ich will keinen venezolanischen Kommunismus, keine Verstaatlichungen.

 

Exklusiv für InfoPeru: Kommentare aus dem Bekanntenkreis des Verfassers in Peru:

* Nach dem knappen Wahlsieg des linken Präsidenten – und einer rechten Mehrheit im Parlament – beginnt erst jetzt das Problem. Die Verlierer werden das Ergebnis nicht akzeptieren und mit allen legalen und illegalen Mitteln dagegen angehen. C.C.

* In Lima haben viele erfahren, dass sich Rassismus und Überheblichkeit gegen den „Rest des Landes” nicht auszahlt. Es hat sich gerächt, die Menschen als Cholos vom Land abzutun.

 

Einige Stimmen zum Wahlausgang:

* Ich möchte in den Kopf von Castillo schauen können. Präsident werden ohne irgendeine Vorbereitung. Wie geht er wirklich damit um? V.F.

* Das war eine Wahl die von der Angst vor einem neuen Terrorismus getrieben wurde, eine Wahl mit gekauften Medien, eine Wahl zwischen „Cholo-Peru“ und der kriminellen Organisation des Fujimori-Clans. J.M.

* Wenn man bedenkt, dass die Partei der „Sozialfaschisten“ (gemeint: Keiko) nur sehr knapp unterlag, wird uns eine schwierige antidemokratische Zerreißprobe bevorstehen. A.W.

* Die Rechnung ist nicht aufgegangen, alles als Kommunismus zu verteufeln, was nicht Fujimorismus ist. C.A.

* Besorgt bin ich wegen der Ankündigungen von Pedro Castillo, die Stelle des Ombudsmanns und das Verfassungsgericht abzuschaffen. Gut, er hat das dann zuletzt abgeschwächt. (…) Seine Aussagen, zumindest in der Anfangszeit des Wahlkampfs, entsprechen einem Marxismus aus der Zeit vor dem Berliner Mauerfall. Ich habe ihn als das kleinere Übel gewählt. H.C.

* Hier in Miraflores hingen viele handgeschriebene Plakate wie: Wer Castillo wählt ist ein Vaterlandsverräter!, oder: Ich will keinen venezolanischen Kommunismus. J.A.

 

Ausblick – Forderungen – Aussagen aus dem Umfeld von Castillo:

* Teile der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Mächtigen weisen schon darauf hin: Im aktuellen peruanischen Parlament gibt es 10 Parteien. Da hat Perú Libre 37 Sitze, in Zusammenarbeit mit Juntos por el Perú – 5 Sitze – sind es 41, bei einer Gesamtzahl von 130 Sitzen. So ist abzusehen, dass Gesetzesinitiativen von Perú Libre blockiert werden.

* Der Wahlsieg des „ländlichen Peru“ wird als wichtiges Ereignis zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit Perus gesehen.

 

* In den Tagen nach dem Wahlsieg stellte die Partei Perú Libre ihre Regierungsziele vor:

 

Umsetzung der Vorschriften der ILO-Konvention 169 – mit der Vorab-Konsultation,

– Wiederaufnahme des Prozesses zur Übernahme des Abkommens von Escazu, das für einen inklusiven Umgang mit der Natur und einem besseren Schutz von Umweltschützern steht,

– endlich effektiv und transparent die Corona-Pandemie bekämpfen,

– die zerstörerische und für die Mehrheit der peruanischen Bevölkerung ungerechte Rohstoffausbeutung verändern

– Kampf gegen Korruption und die organisierte Kriminalität,

– für eine Wiedergewinnung der Zuverlässigkeit staatlicher Strukturen inklusive der Vorarbeit zur Erarbeitung einer neue Verfassung,

– die große Herausforderung des Klimawandels muss endlich angegangen werden, Schutz von Wasser, Meer, Regenwald, und eine nachhaltigere Industrie aufbauen.

– Das Konzept ist die Politik des Buen Vivir – des guten Zusammenlebens – mit ganzheitlichen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und technischen  Standards im Bereich der Rohstoffausbeutung.

 

Das ist der Stand heute, 14.6.21 um 18.00 Uhr.

Stündlich kann sich noch etwas ändern. Der peruanischen Gesellschaft stehen – mal wieder – schwere Zeiten bevor.

Heinz Schulze

Quellen:Informationen aus ca.40 Zeitungsberichten und Kommentaren in sozialen Medien und ca. 20 Rückmeldungen von Personen aus dem persönlichen Umfeld aus Peru