Nicht das Klima ändern, sondern das System

Eine Nachbetrachtung zur Weltklimakonferenz COP 20 von Heinz Schulze

Vorbemerkung

Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch, alle Facetten der COP 20, zu evaluieren. Er ist außerdem aus Sicht der Informationsstelle Peru e.V. – und dann noch subjektiv – geschrieben. „Subjektiv“ anhand von Rückmeldungen von der Zivilgesellschaft (Indigene, Umwelt- und Sozialorganisationen). Eine große Herausforderung war es, aus der Fülle der Beiträge (über 100 Seiten) eine kurze Nachbetrachtung zu erstellen.
Als Informationsstelle Peru hatten wir uns für die COP 20 folgende Schwerpunkte gesetzt:
Den Blick auf das Austragungsland Peru zu legen und dabei „Licht und Schatten“ im Reden und Tun zum Klimawandel unter die Lupe zu nehmen. Wir wollten den Blick auf die Situation der indigenen Völker im amazonischen Regenwald lenken (auch angesichts der Bedeutung des Regenwaldes für Peru), und wir wollten stärker unseren PartnerInnen eine Stimme und ein Gesicht geben.
Die von uns erstellte „Grundinformation zur COP 20“ wurde an TeilnehmerInnen und Interessierte verschickt. Eine Vorstandskollegin der ISP war als Repräsentantin des „Instituts für Ökologie und Aktions-Ethnologie e. V. – INFOE“ bei der COP 20 als Unterstützerin für indigene Organisationen tätig. Aktive, junge 14 KlimaReporteros, junge peruanische und deutsche Reporterinnen, die in Peru leben, informierten kenntnisreich direkt über umweltrelevante Themen.

Genörgel am Spielfeldrand?

Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks erklärte in der Aussprache zur COP 20 am 19.12.14 im Bundestag:
„Die Ergebnisse von Lima sind besser als das Genörgel von Leuten am Spielfeldrand“.
Stimmt das so, oder erinnert das eher an Kommentare von Fußballspielern, deren Mannschaft verloren hat, im Sinne von: „Wenn wir vorne mehr Tore gemacht hätten und hinten nicht soviel zugelassen hätten, hätten wir gewinnen können“ Hat hier jemand zu wenig nach vorne gearbeitet und jemand zu viel nach hinten – sprich: fehlende Zusagen – zugelassen?
In Gesprächen mit Menschen, die sich für das Thema Klimawandel interessieren, war oft zu hören: Hätte man nicht auf das Treffen von Tausenden von Verantwortlichen, Experten und Delegierten und den durch deren Anreisen erfolgten CO-2-Ausstoß verzichten und das ganze als Telefonkonferenz abwickeln können?

Kommentare vom „Spielfeldrand“

Die meisten Kommentare wichtiger Organisationen gingen in die Richtung: Enttäuschend und gescheitert. So die Bilanz des Climate Action Network Latin America (CAN-LA) :
„Die Delegierten der teilnehmenden Staaten machten keine Klimaverhandlungen sondern WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN; nicht, um das Leben zu schützen, sondern um die eigenen nationalen wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Das wurde sichtbar : Es gab keine verbindlichen Zahlen, sondern nur die Aufforderung an die Staaten, ihre freiwilligen Beiträge zum Klimaschutz bis Oktober 2015 zu melden, ohne feste Regeln, wie der ausgemachte Begriff „wichtige Maßnahmen“ dabei gefüllt werden soll. Die politische Kaste setzte sich erneut über die drängenden Forderungen der Klimawissenschaftler hinweg, sofort und intensiv zu handeln“. (Servindi, 16.12.2014).
Eduardo Gudynas (Lateinamerikanisches Zentrum für Soziale Ökologie – CLAES, Uruguay) stellt die unverbindliche Wortwahl im Abschlussdokument heraus: Die Staaten würden „eingeladen“ oder „ersucht“. Gudynas stellt sich auch dem Tenor der traditionellen Medien entgegen, dass die Schwierigkeit bei den Verhandlungen dem Konflikt Nord gegen Süd geschuldet sei. Das gehe an der Realität vorbei. Natürlich hätten die industrialisierten Länder eine enorme Verantwortung bei der Verringerung vom CO-2-Ausstoß. Unzulässig sei es, wenn diese Staaten darauf bestünden, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung ein Geschäft für ihre Unternehmen sein müsse. (Stichworte REDD+ und „Grüne Ökonomie“). Genau so unverantwortlich sei der Vorschlag der Regierung Chinas, als größter CO-2- Produzent, erst 2030 mit der Reduzierung zu beginnen. Länder wie China, Brasilien, Indien etc. Würden mal als „Entwicklungsland“, mal als wirtschaftliche Großmacht reden – und wollten keine finanziellen Ausgaben im Kampf gegen den Klimawandel machen. Auch erdölproduzierende Länder wie Saudi Arabien oder Venezuela müssten ihre Verantwortung übernehmen. Gudynas bemerkt, wie andere auch, dass es einen grundlegenden Unterschied gäbe zwischen dem, was ihre VertreterInnen auf solchen Foren reden und dem, was sie zu Hause machten oder zuliessen.
Eduardo Gudynas über die Länder Peru, Bolivien und Kolumbien:
„Peru redete schön, während in der Realität neue Gesetze erlassen wurden, um Umweltkontrolle und -schutz noch stärker einzuschränken. Kolumbiens Präsident Santos hielt eine flammende Rede, quasi als Umweltschützer, erzählte aber z.B. nichts davon, dass er die Mittel für das Umweltministerium kürzte und der extraktiven Industrie erneut Erleichterungen gewährte“. Bolivien, so Gudynas, würde sich ebenfalls schillernd darstellen.
Gudynas weist auf die „Sowohl (pro Mutter-Erde-Verfassung) als auch – Politik“ von Evo Morales hin: Kriminalisierung von Umweltschützern, Pläne zur Errichtung eines Atomkraftwerkes, Pläne für eine massive Erdölproduktion im tropischen Regenwald.(Servindi, 17.12.2014).

Ecuador: mit zweierlei Mass

Am Beispiel der Politik Ecuadors liesse sich besonders gut zeigen, wie Reden und Tun auseinander gingen:
Auf der Fahrt zur COP 20 nach Lima wollten deutsche Bundestagsabgeordnete in Ekuador Gespräche mit den Kritikern des Yasuni-Nationalparks gegen die dortige Erdölförderung führen. Sie erhielten keine Einreisegenehmigung, weil sie das Ansehen Ecuadors negativ darstellen könnten. Zur Zeit der COP 20 selbst, kündigte die Regierung Ecuadors dem Indigenen Dachverband CONAIE dessen Gebäude in Quito, mit der Begründung: Die Räume werden für ein Projekt mit drogenabhängigen Jugendlichen benötigt.
Dagegen gab es Proteste und es kam zur „Besetzung“ des Gebäudes durch die CONAIE. Am 6. Januar 2015 setzte die Regierung die Räumung vorerst aus. (Conaie Quito und Servindi, 7.1.15).

WenigeTage nach Ende der COP 20 beendete die Regierung Ecuadors die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Deutschland im Bereich des Umwelt-und Klimaschutzes, „weil deutsche Funktionsträger sich in die interne Politik eingemischt haben“. Ecuador will 7 Millionen € Entwicklungshilfe plus angefallene Zinsen zurückzahlen. Dabei ist die wirtschaftliche Situation Ecuadors, bedingt auch durch den fallenden Erdölpreis, nicht gut. Warum Ecuador auf die Deutschen verzichtete, wurde bald bekannt: Kurz nach dem Rauswurf der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurde bekannt: Ecuador unterschreibt mit dem russischen staatlichen Erdölkonzern Rosneft einen Vorvertrag über eine massive Erdölförderung im Regenwald.
Darauf passt ein ecuadorianisches Sprichwort: Man entkleidet eine Heiligenfigur, um eine andere damit einzukleiden.

Weitere Kommentare

Winnie Byanyima (Direktorin von Oxfam International) kommentiert das Scheitern des Klimagipfels so: „Die Verhandlungsführer sind quasi im Boot an der Küste von Lima herum geschippert, ohne unterzugehen, aber die große Fahrt über den Ozean war das nicht“. Sie bemängelt ebenfalls die totale Unverbindlichkeit, mit der Regierungen ihre Klimaschutz-Maßnahmen melden können. Sie betont als Erfolg die Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Ihr Schlusskommentar: „Die Menschen sind es leid, dass feige Politiker, Bürokraten und Führer der Wirtschaft immer Ausflüchte bringen, um ihr Tun zu entschuldigen“. (Servindi, Presseerklärung von Oxfam, Lima, 15.12.14).

Die Einschätzung von Germanwatch:
Sönke Kreft und Lutz Weischer (Teamleader Internationale Klimapolitik bei Germanwatch) sehen eine Möglichkeit für die COP 21 in einer Allianz zwischen der EU und „anderen progressiven Ländern“. Und später schreiben sie, dass Länder wie Peru, Mexico oder Chile im Moment positiv aufgestellt sind. (Klimagipfel in Lima mit Sicht auf Paris, in Forum Umwelt und Entwicklung, 4/2014). Chile „positiv aufgestellt“ – wo die letzten Wälder zerstört, die indigene Bevölkerung (Mapuche) vertrieben werden, zur „positiven Beispiel Peru“ später mehr – und Mexiko ist positiv aufgestellt? Muss man sich nicht etwas erkundigen, wie die Realität in diesen Ländern aussieht?
Für mich ist auch erstaunlich, dass mit keinem Wort die Forderungen der Indigenen und anderer Umweltgruppen während der COP 20 erwähnt werden. Es kann vorkommen, dass Lobbyisten der Zivilgesellschaft so sehr ins offizielle „Hamsterrad“ geraten, dass man von „außen“ nichts mitbekommt oder die lokalen NGOs für weniger wichtig erachtet als die Gespräche im offiziellen Teil.

Noch kurz erwähnt werden soll die Aktion von Greenpeace, in den Komplex der weltberühmten Linien von Nasca einzudringen und den Schriftzug Time for Change im dortigen Scharrbild des Kolibris anzubringen. Die Kritik des peruanischen Kulturministeriums ist verständlich. Diese Aktion wurde von den Medien in Peru ausgiebig kommentiert als Negativbeispiel für ein neo-kolonialistisches Gebahren der Umweltgruppen in Peru. Es wäre natürlich gut, wenn das Ministerium ebenso heftig reagieren würde, wenn illegale Goldsucher in der Wüste von Nasca tätig werden.

Eine Nachlese zum Gastgeberland Peru

Ein indigenes Sprichwort sagt „Auch die schönsten Worte nimmt der Wind mit“.
Aufgrund seiner schizophrenen Politik in Sachen Umweltschutz („ nach außen hui, nach innen pfui“) erhielt Peru vom Climate Action Network (CAN) den Negativpreis während der COP 20.
Das muss genauer erklärt werden: Verantwortlich für die Verschlechterung im Umgang mit Mensch und Natur sind die „Pakete zur Ankurbelung der Wirtschaft“.
Noch während der COP 20, ging die negative Arbeitsteilung in Perus Regierung weiter. Während der Umweltminister mit seinem Arbeitsstab sich freundlich und zuvorkommend für die Umwelt und nachhaltige Entwicklung einsetzte, arbeiteten seine Ministerkollegen und Präsident Humala an „harten Fakten“.
Neben den Gesetzen zugunsten der Investitionstätigkeit von Konzernen wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Beispielhaft:
Die staatliche Erdölfirma PETROPERU schrieb für sieben Regionen im Regenwald Angebote spez. für Erdölförderung aus. Sie haben mit der Veröffentlichung dieser Ausschreibung gewartet, bis die COP 20-TeilnehmerInnen das Land verlassen haben. Am 15.12.14 war es offiziell: Sieben größere „lotes“ (Erdölfelder) wurden zur Erkundung und späteren möglichen Ausbeutung ausgeschrieben in den Regionen Loreto, Ucayali, Huancuco, Pasco, Junin und Madre de Dios.
Es geht dabei um viel Geld: 450 Millionen Dollar pro „lote“, insgesamt um über 3 Milliarden Dollar. Großes Interesse meldeten Konzerne aus den USA, Kanada, Russland, auch aus Lateinamerika und Asien an. Petroperu liess verkünden, dass in allen Vorabgesprächen die dazu eingeladenen Indigenen großes Interesse an der Durchführung zeigten. Das darf aber angesichts der Proteste indigener Organisationen (aktuell in der Region Loreto) bezweifelt werden. (Inforegion, 16.12.14).

Grosse Defizite im Waldschutz

Auf vielen Veranstaltungen haben indigene VertreterInnen, wie die damalige Vizepräsidentin von AIDESEP, Daisy Zapata, immer wieder auf die schlimme Situation im Regenwald hingewiesen. Sie verwies u.a. auf eine Studie des Instituto del Buen Comun vom 75.282.100 Hektar Regenwald inzwischen 1.445.500 Hektar abgeholzt sind. (La voz de los indígenas, Lima, 15.12.14). Sie betonen, auch für die Zeit nach dem Klimagipfel in Peru, dass die indigenen Völker die beste Garantie für den Erhalt des Regenwaldes sind.
Das sieht Präsident Humala ganz anders. In einer Pressekonferenz erklärte er: „Ich bin nicht einverstanden, dass sie (die indigene Bevölkerung) – als Wächter der Wälder bezeichnet werden. Zum Schutz der Wälder ist das staatliche Büro SERFOR (Servicio Forestal) mit seinem Rangern zuständig“.
Gut, die angestellten Ranger fehlen, das SERFOR-Büro gibt es erst seit kurzer Zeit und in dieser Zeit hat die Abholzung zugenommen.
Wie schlecht es um den Umweltschutz steht und um die Gefährdungen durch den Klimawandel, das weiß auch Präsident Humala. In einer erneuten Studie von der peruanischen Regierung mit CEPAL (Comisión Económica para America Latina y Caribe) und der Interamerikanischen Entwicklungsbank wurde nochmals festgehalten: Fischerei, Viehzucht in den Hochanden und die Landwirtschaft werden die größten Verlierer des Klimawandels in Peru sein.
(InfoRegion, 14.12.14)

Fromme Lügen

„Politiker lügen nicht. Es handelt sich meist um eine der Verschleierung dienende, nicht absolut authentische Aussage“ (aus dem Oberbayern-Krimi: Rosen für eine Leichte).
In diese Kategorie fällt sicherlich auch folgende Aussage von Präsident Humala: Peru erzeuge fast 100% seiner Energie aus sauberer Energie. Seine Aufzählung beinhaltet: Windkraft, Solarenergie, Wasserenergie (ohne die entstehenden Treibhausgase bei großflächiger Überschwemmung z.B. vom Regenwald zu erwähnen) und aus sauberer Energie aus Erdgasvorkommen aus dem südlichen Regenwald.
Nebenbei bemerkt: Als großes Umweltprojekt betont er das Vorhaben „Recycling von, PET-Plastikflaschen“ ohne ein effektives Konzept für eine vernünftige Abfallbeseitigung zu präsentieren. (El Comercio, 16.12.14).
Erwähnt werden soll auch kurz, dass Peru wegen der guten Durchführung der COP 20 die Vizepräsidentschaft der wohl weltweit größten Agentur für nachwachsende Energie (IRENA) übertragen wurde. Das geschah bei deren Generalversammlung 2015 in den Vereinten Arabischen Emiraten. Dort berichtete der peruanische Vizeminister für Energie, Edwin Quintanilla, über die Erfolge Perus im Bereich der zukunftsfähigen,, nachhaltigen Energie in Peru. Er berichtete auch von dem Vorhaben, 500.000 Einheiten für Solarenergie kaufen zu wollen. (Inforegion 21.1.2015).

Ausblick auf die COP 21 im Dezember 2015 in Paris

Auch das Internationale Forum der Indigenen Völker blickte auf den Klimagipfel 2015 in Paris.
Dort, so die erste Forderung, müssten die indigenen Völker voll und effektiv teilnehmen können. In Paris gehe es weiter um die Themen: Sicherung indigenen Territoriums und die volle Anerkennung, dass die indigene Lebensweise den Regenwald und das Klima schützen (COICA, 14.12.14).
Insgesamt muss es 2015 in Paris um grundsätzliche Fragen zum Lebensstil, zur Abkehr vom Diktat des Wachstums und dem Versprechen – gerade armen Ländern gegenüber auf „Entwicklung“ – unter diesen Vorzeichen gehen.
Natürlich kosten Maßnahmen gegen den Klimawandel Geld. Dennoch ist die Einschätzung von z.B. Germanwatch, dass die Auffüllung des Grünen Klimafonds auf 10 Milliarden Dollar einen Erfolg darstelle, nicht unedingt nachvollziehbar.
Oilchange International und das Overseas Development Institut haben dazu folgende Zahlen errechnet: Die Länder, die Geld in den Grünen Klimafond einzahlen wollen, zahlen dreimal so viel an Subventionen an Konzerne für die Suche nach fossilen Rohstoffvorkommen als für die Klimafinanzierung. (priceofoil, exploration – finance, greenhouse, Dezember 2014). Indigene Organisationen fordern weiterhin, dass Mittel aus diesem Klimafond nur für solche Vorhaben ausgegeben werden dürfen, die zerstörte Umwelt wieder in Stand setzen; die den Waldschutz stärken und nicht einfach auf Wachstum setzen.

Warnung vor Bioökonomie

. Umweltschützer warnen vor der Lobby, die jetzt auf BIOÖKONOMIE setzt, darauf, dass die gleiche Menge an Verbrauch jetzt anstatt aus Erdöl aus nachwachsenden Rohstoffen möglich ist. Wenn jetzt Millionen „Plastikflaschen“ aus Zuckerrohr oder Winterreifen aus der „Milch“ vom Löwenzahl produziert werden soll, ist das keine Lösung.
Mike Hume sagt richtig: Der Klimawandel ist in erster Linie eine kulturelle Herausforderung. Rein technische Lösungen (und das Geschachere um finanzielle Beiträge, H. Schulze) greifen zu kurz und deshalb scheitern die großen Klimakonferenzen.
Deshalb gilt – natürlich nicht nur für die Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015
„Nicht das Klima ist zu ändern sondern das System“.

Heinz Schulze