Mit langem Atem. 40 Jahre Peru-Solidarität

Mit folgendem Beitrag über die Geschichte der Peru-Solidarität möchten wir einladen zu einer Diskussion darüber, wie Solidarität zwischen Peru und Deutschland heute aussehen kann. Bitte benutzen Sie rege die Kommentarfunktion am Ende des Textes.

 Die Anfänge der Peru-Solidarität in der damaligen BRD liegen zu Beginn der 2. Hälfte der 1970er Jahre, als in Deutschland gesellschaftlicher Aufbruch und Radikalenerlass angesagt war, in Peru eine Militärregierung des gesellschaftlichen “Dritten Wegs” abgelöst wurde, in mehreren Ländern Lateinamerikas brutale Militärdiktaturen die Macht übernahmen bzw. absehbar bald übernehmen sollten und sich gleichzeitig Widerstand und Guerilla formierten.

Politisch denkende Menschen, die in Peru gelebt und gearbeitet hatten oder von dort stammten, Peru-Fans und Entwicklungszusammenarbeit-Rückkehrer aus München, Tübingen, Frankfurt, Stuttgart, Berlin usw. trafen sich mehrmals im Jahr um die Entwicklungen in Deutschland und in Peru zu besprechen. Dem Freundeskreis war ausnahmslos klar, dass Veränderungen zum Besseren dort auf Dauer nur erreicht werden können, wenn sich strukturell hier die Dinge ändern, und dass von Vornherein eine deutschland- und europaweite Vernetzung mitgedacht und angesprochen war. Der Einsatz speziell für Peru erfolgte, neben der emotionalen Bindung, weil die Akteure hier ihre jeweils ganz besonderen persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Menschen und die Sache einbringen konnten. Das war eine politische Entscheidung, sich – trotz der Kenntnis der Vorgänge in den Nachbarländern – auf Peru zu konzentrieren.

Sie gründeten in deutschen Städten Gruppen, um Peru ins deutsche Bewusstsein zu rücken, dortige Debatten und Phänomene (Revolution á la Moskau oder Mao, Kuba, Gewerkschaftskämpfe, Educación Popular, Theologie der Befreiung, US-Einmischung in Lateinamerika) einzubringen bzw. offizielle Informationen durch eigene Artikel, Publikationen (z.B. Peru-Report, Peru-Informationen) und Vorträge zurechtzurücken

Als aus bereits mehr als 20 Städten (Hamburg, Bielefeld, Osnabrück, Oldenburg, Freiburg, Giessen, Bremen, Essen, Heidelberg, Göttingen und andere waren dazu gekommen) Aktive zu den Perugruppentreffen kamen, wurde 1991 in Bonn die Informationsstelle Peru e.V. als Netzwerk gegründet, um rechtsfähig zu sein und die Arbeit durch Zuschüsse, Verträge und eine halbe Stelle abzusichern und gleichzeitig auf eine breitere Basis stellen zu können. Später war der Sitz der Infostelle in Hamburg und seit 1996 in Freiburg. Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt.

Obwohl Anhänger politischer Parteien Perus in den Solidaritätsreihen waren, einigte man sich darauf, die Infostelle nicht zur Repräsentantin von Parteien werden zu lassen. Man wollte in Deutschland nicht die Spaltungen und Streitigkeiten der damaligen Linken Perus reproduzieren, sondern parteiisch mit der Bevölkerung und Sprachrohr für deren Anliegen, Kämpfe und Forderungen sein.

Eine deutliche Krise und Zäsur erfuhr die gemeinsame Arbeit der Perugruppen dadurch, dass einerseits Sendero Luminoso und später MRTA die deutsche Perusolidarität durch Abgesandte vereinnahmen wollten und andererseits bei hier lebenden Peruan@s und perubegeisterten Deutschen die Verlockung groß war, die Revolution in Peru herannahen zu sehen und zu glorifizieren. Letztlich blieben diejenigen weg, die alle anderen dazu bringen wollten, SL oder MRTA zu folgen.

Bildeten zu Beginn die Gruppen die Infostelle, lösten sich später Gruppen auf und verschwanden. Dass hier die Peru-Arbeit weitergehen konnte, hat mit der Infostelle zu tun. Die Solidaritätsarbeit wurde die Angelegenheit der Infostelle, sie bildete für die verbliebenen Gruppen und viele engagierte Einzelpersonen ein Netzwerk. Das jährliche Peru-Seminar in Köln ist für viele Aktive und Interessierte eine wichtige Möglichkeit, sich zu treffen, auszutauschen und zu informieren. Dass die Infostelle noch existiert und gute Dienste leistet, wird jährlich mit viel Aufwand erstritten.

Themen, erforderliche Kampagnen und Unterstützungsbedarf drängten sich seit den Anfängen förmlich auf: Gegen deutsche Waffenexporte, für Fairen Handel, für den Regenwald und die Menschen dort; Kampagne Koka ist kein Kokain, Unterstützung der Bauerngewerkschaft (CCP) und der Lehrergewerkschaft (SUTEP) sowie anderer Gewerkschaften, solang diese sich nicht durch internen Streit oder Korruption selbst lahmlegten und in der (inhaltlichen) Bedeutungslosigkeit verschwanden.

Angesichts des bewaffneten Konflikts  zwischen der Armee und der Guerillaorganisation „Leuchtender Pfad“ musste die Menschenrechtsarbeit massiv ausgebaut werden und war jahrelang zentraler Punkt der Soli- und Infostellenarbeit: Rundreisen von VertreterInnen der Coordinadora Nacional de Derechos Humanos, von APRODEH, CEAPAZ und anderen wurden organisiert, Postkartenaktionen z.B. bei Kirchentagen durchgeführt, 1992 die Europäische Menschenrechtskoordination Plataforma Europa-Peru mitgegründet und 14 Jahre später eine Europäische Resolution zur Auslieferung Fujimoris nach Peru erreicht. Die Infostelle brachte sich intensiv ein, Mechanismen der Aufdeckung und Aufarbeitung der Verbrechen im Schmutzigen Krieg zu fördern (Comisión de la Verdad y Reconciliación, Lugar de la Memoria), Informations-, Bildungs- und Lobbyarbeit für diesen Bereich zu machen und den Bericht der Wahrheitskommission 2008 in Deutsch zu veröffentlichen. Die Menschenrechtsarbeit hat sich verändert, sie umfasst heute verstärkt auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte.Mitte der 90er Jahre kam die Kampagne für die Entschuldung Perus mit intensivem grenzüberschreitendem Einsatz bis zur erfolgreichen Einrichtung des Gegenwertfonds in Peru dazu. Die Überschuldung Perus hatte zu massiven Kürzungen der Ausgaben im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich und zum Ausbau des Exports von Bodenschätzen und Agrarprodukten geführt.

Das Thema Bergbau und Gold war schon immer ein Thema der Arbeit. Als die Ressourcen in Peru durch in- und ausländische Konzerne immer stärker geplündert wurden, beteiligte sich die Infostelle 2004 an der Gründung der Kampagne „Bergbau Peru – Reichtum geht, Armut bleibt“ und ist seither juristischer Träger dieser Kampagne. Neben der Infostelle wird sie von Peru-Partnerschaftsgruppen, Hilfswerken und den Referaten Weltkirche einiger Diözesen getragen. Sie arbeitet mit einer ebenso prekär bemessenen Personalstelle und viel Ehrenamtlichkeit wie die Infostelle und hat die Bergbaupolitik in Peru im Fokus. Durch Veranstaltungen, Rundreisen von Vertreter*innen bergbaukritischer Organisationen, Filme und Ausstellungen macht sie auf die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen des Bergbaus und die Verantwortung aufmerksam, die wir durch unsere Wirtschafts- und Lebensweise für diese Probleme haben.

Immer wieder thematisierte die Infostelle die Politik deutscher Firmen in Peru und organisierte Aktionen, um Proteste (wie gegen BAYER) zu unterstützen.

Auch Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurden kritisch beleuchtet.

Gegen den Freihandelsvertrag der EU mit Peru und Kolumbien wurden zunächst Briefe an Europa-Parlamentarier, schließlich zusammen mit 45 Organisationen offene Briefe an Europaparlament, Bundestag und Bundesrat geschrieben. Fehlende verbindliche Regelungen für die Wahrung der Menschenrechte, die Festigung der Rolle Kolumbiens und Perus als Rohstoffexporteure, die Bedrohung kleinbäuerlicher Betriebe und der Ernährungs-Souveränität durch die Abschaffung von Einfuhrzöllen, die Erleichterung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung, das Verbot von Saatgut-Tausch und Generika-Produktion waren der Grund, die Abgeordneten zur Ablehnung der Ratifizierung aufzufordern. Die Ablehnung der Ratifizierung scheiterte an der sozialdemokratischen Landesregierung von Hamburg.

Immer größere Bedeutung bekam in den letzten Jahren der Schutz des amazonischen Regenwaldes und die Verteidigung der (Land-)Rechte seiner Bewohner. Durch die Auseinandersetzungen um den Klimawandel ergaben sich hier auch neue Kooperationsmöglichkeiten mit Umweltorganisationen.

Über die Infostelle gelang es immer wieder,Persönlichkeiten aus sozialen Bewegungen und Politik in Peru zu den bundesweiten Treffen der Perugruppen und den späteren Peru-Seminaren einzuladen und mit ihnen über Schwerpunkte und grundsätzliche Ausrichtung der Solidaritätsarbeit zu reden. Die Struktur auf Bundesebene ermöglichte es ihnen, sich in der BRD zu präsentieren und das in die peruanischen Medien zu bringen, was Prestige und gleichzeitig Schutz bedeutete. Ob Kulturschaffende (Theatergruppe Yuyachkani, Susana Baca), Politiker wie Javier Diez Canseco, Alfonso Barrantes, Hugo Blanco, Bauern- und Lehrergewerkschafter, VertreterInnen der arbeitenden Kinder; Soziologen, Klimatologen, Landwirte und Landwirtschaftswissenschaftler, BasisvertreterInnen aus Elendsvierteln, bergbaukritische Organisationen, Kirchenvertreter – bei den Treffen kamen sie zu Wort und reisten anschließend bundesweit zu Veranstaltungen.

Unterschiedlich gut gedieh die erstrebte inhaltliche Vernetzung der Gruppen in ihrer Kommune und mit deutschen Basisbewegungen. In einigen Städten konnten Städte- oder Klima-Partnerschaften aufgebaut werden, die längerfristige Beziehungen sicherstellen.

Im Lauf der Jahrzehnte haben sich im zwischen katholischen Gemeinden hier und peruanischen Kirchengemeinden Partnerschaften gebildet, schwerpunktmäßig in der Erzdiözese Freiburg durch deren Partnerschaft mit der peruanischen Kirche. Kirchenpolitik und politische Entwicklung in Peru trugen zur Politisierung der Partnerschaftsgruppen bei, die teils ihre fortschrittlichen Partner in Peru  verloren.  Die Annäherung und Kooperation zwischen den kirchlichen Partnerschafts- und den Solidaritätsgruppen wuchs. Heute hat die Infostelle gute Kontakte zu vielen Partnerschaftsgruppen und wird von ihnen unterstützt.

Trudi Schulze

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Einen Einblick in die Anfänge der Solidaritätsarbeit in den 68-ern gibt auch folgendes Interview mit Jimi Merk und Christian Neven du Mont 
http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/ueber-1968-reden-mit-solidaritaet-gibt-es-heute-noch–150241514.html