Juana Mamani aus Capachica schützt den Titicaca-See ©Yda Ponce

Umweltheldinnen: Die Hüterinnen des Sees

Juana Mamani und Elvira Chicani schützen den Titicaca-See: jede auf ihre Art.

Es ist einer der schönsten Orte am Titicaca-See. Die Halbinsel Capachica ragt wie ein Finger in den größten See Südamerikas hinaus und erinnert an die Karibik. Das Wasser schillert von türkis bis himmelblau. Feiner weißer Sand bedeckt den Strand, die Sonne strahlt vom Himmel. Nur die Menschen in Anorak und Mütze passen nicht recht zum Karibik-Feeling. In Capachica, auf 3800 Meter Höhe, mitten in den Anden, weht das ganze Jahr ein kalter Wind, nachts können die Temperaturen unter null sinken. 

Juana Mamani ist an und mit dem See aufgewachsen: „Eine Quelle des Lebens, ein Wunder“ sei der See, sagt die 51-jährige Bäuerin aus Capachica. Der See gab ihnen Fische, die Kühe labten sich am Laichkraut der Ufer, das Schilfrohr diente zum Bauen von Booten, und das Wasser aus dem See konnte man trinken.

Juana Mamani schöpft mit der hohlen Hand Wasser aus dem See und betrachtet es besorgt. Wohl schimmert das Wasser vor der Halbinsel immer noch blau, aber von den drei Arten von Laichkraut, die früher am Ufer wuchsen gibt es nur noch eines. Die Milch der Kühe sei dünner und weniger geworden, sagt Juana Mamani. 

Juana Mamani beim Müll-Sammeln am Titicaca-See in Puno. ©Yda Ponce

Zu Hause in ihrem Dorf auf der Halbinsel wohnt die Mutter eines erwachsenen Sohnes alleine. Sie hält ein paar Schweine und baut auf 2,5 Hektar Kartoffeln, Gerste, Bohnen, Mais und Quinoa an. Das meiste ist für den Eigenkonsum, zweimal jährlich verkauft sie Überschüsse auf dem Markt. 

Für den Rückgang der Pflanzen und die niedrige Milchleistung der Kühe macht Juana Mamani das schmutzige Wasser des Coata-Flusses verantwortlich. Es fließt bei Capachica in den See. Die gut 50 Kilometer entfernte Großstadt Juliaca ist in den letzten Jahren auf 250 000 Menschen angewachsen. Die für die Menge an Menschen nötigen Kläranlagen sind aber nicht gebaut worden. Die Abwässer von Juliaca werden nur notdürftig gefiltert in den Coata-Fluß eingeleitet. Der nimmt auf seinem 60 Kilometer langen Weg weitere Abwässer und Müll aus anliegenden Gemeinden auf, bevor er bei Capachica in den Titicaca-See mündet. 

Der Dreck der Stadt landet im See

Was haben die Bewohner*innen von Coata nicht schon alles versucht, um die Städter von Juliaca davon abzuhalten, ihren Dreck flussabwärts zu schicken: den Fluss gestaut haben sie; Protestmärsche organisiert; bei der Stadt und der Regionalregierung vorgesprochen. Schon längst hat das Wohnungsbauministerium den Ortschaften am Titicaca-See neue Kläranlagen versprochen – doch bis heute ist keine davon im Bau. Zuviel Bürokratie, Korruption, viele Wechsel in den Ministerien. Die Gründe für die fehlende Umsetzung sind mannigfaltig – und nicht immer ist es der Mangel an Geld. 

Ein anderes Gift im Titicaca-See ist fast unsichtbar aber mindestens genauso gefährlich wie das stinkend Dreckwasser aus Juliaca. Die Goldgräberstädte Rinconada und Ananea leiten Abraum, Schlamm und Quecksilber in die Bergbäche, die dann hundert Kilometer weiter unten ebenfalls in den See münden. „Im See finden wir praktisch keine Andenkärpflinge mehr“ bestätigt Juana Mamani und wenn sie doch einen fangen, dann müssen sie befürchten, dass der Fisch zu viel Quecksilber oder andere Schwermetalle enthält.

Die Frauen in Capachica sammeln Müll ein ©Yda Ponce

Umweltschutz ist eine Sache der Frauen

Angesichts der vielen Umweltprobleme würden andere resignieren. Doch Resignation ist Juana Mamanis Sache nicht. Schon als junge Frau hat sie, die gerne schreibt, aber als Mädchen gerade mal die Primarschule besuchen durfte, die Protokolle bei den Versammlungen ihres Vaters geführt. „Ich habe gesehen, welch ein schweres Leben meine Eltern hatten, und dass jemand fehlte, der sich für die Rechte der Gemeinschaft einsetzt“. Über die Mitarbeit in der katholischen Pfarrei kam sie zuerst zur Frauenarbeit und später zum Umweltschutz. Juana wurde Vorsitzende der indigenen Umweltschützer*innen des staatlichen Naturschutzgebietes am Titicaca-See. Heute ist sie Mitglied einer Gruppe von Frauen aus allen Orten entlang der Ufer des Titicaca-Sees, die sich zusammengetan haben, um den See zu schützen. Wie die Hausarbeit, ist auch Umweltschutz in Capachica vor allem eine Sache der Frauen. „Die Männer sind tagsüber bei der Arbeit. Wir Frauen waschen und kochen mit dem Wasser zu Hause und merken als erste, wenn etwas nicht mehr stimmt.“

Die Frauen wollen politisch Einfluss nehmen und machen den Behörden Druck, damit sie endlich moderne Müllhalden und Kläranlagen bauen. Aber auch das Verhalten der einzelnen Personen trägt zum Umweltschutz bei. „Vor rund 30 Jahren kamen die ersten Plastikflaschen ins Dorf“, erinnert sich Juana Mamani. Seitdem ist der Plastikberg auch in ihrer Gemeinde angewachsen: Plastikflaschen, Plastikverpackungen, die unvermeidlichen Plastiktüten, die man in jedem Krämerladen in ganz Peru angeboten bekommt, auch wenn man nur eine Packung Nudeln kauft. Oder das Plastik-Wegwerfgeschirr, das bei den großen Festen benutzt wird. Aber auch die Konservendosen mit Thunfisch, die von den staatlichen Sozialprogrammen an den Schulen verteilt werden – all das lässt die Müllberge selbst in abgelegenen Dörfern wie Capachica anwachsen.

Juana ruft deswegen zu Müllsammel-Kampagnen auf. Wer mitmacht, bekommt Plastik!-Säcke, um den Müll einzusammeln, der dann auf eine Müllhalde gefahren wird. 

Juana Mamani scheut sich auch nicht, sich politisch zu engagieren. Bei den letzten Kommunalwahlen hat sie für das Bürgermeisteramt kandidiert – bisher erfolglos. Eines ist sicher: Um ihren See wieder sauberer zu machen, wird sie nicht lockerlassen. 

Von Capachica nach Chucuito

Hat die Halbinsel Capachica die Form eines Fingers, so ragt die Halbinsel Chucuito wie ein Tintenklecks in den Titicaca-See hinaus. Vom Ufer des Dorfes Perka Norte sieht die Halbinsel Capachica am anderen Ende des Sees zum Greifen nahe aus. Man könnte meinen, Elvira Chicani könnte vom Ufer vor ihrem Haus bis zu Juana Mamani hinüberrufen. Doch die klare Luft täuscht.  Gut 20 Kilometer liegen zwischen den beiden Halbinseln. Und da keine Boote verkehren, muss der Bus die ganze Uferstraße abfahren und braucht gut drei Stunden von einer Halbinsel zur anderen. Auch sonst würden sich Juana Mamani und Elvira Chicani womöglich nicht verstehen: Juana spricht Quechua, Elvira dagegen ist Aymara. Und während Juana an einem Ort wohnt, der zwar wunderschön, aber dessen Wasser bereits verschmutzt ist, so lebt Elvira Chicani an einem Ort der noch sauberes, klares Wasser hat.

Doch beide eint die Sorge und der Schutz ihres Titicaca-Sees.

Geheimwaffe Frosch

Bis vor ein paar Jahren war es für Elvira und ihren Mann Feliciano selbstverständlich, dass sie sauberes Wasser, saubere Luft hatten, Fische im See, und Gras auf der Weide für ihre Schafe. Doch der Klimawandel macht selbst vor der Idylle auf der Halbinsel Chucuito nicht Halt. Es regnet weniger, und wenn, dann heftig.  Wenn der Regen gar nicht kommen will, dann haben die Menschen in Perka Norte eine Geheimwaffe: den Frosch aus dem Titicaca-See.

Nur im Titicaca-See lebt der Telmatobius Culeus, wie der Titicaca-Riesenfrosch bei den Biologen heißt. Er kann bis zu 20 Zentimeter lang werden, lebt ausschließlich im Wasser, hat lange kräftige Hinterschenkel und mehr Falten als eine steinalte Galapagos-Echse. Wenn er schwimmt, werden aus den Falten Schwimmhäute, mit denen der Frosch sich behende im Wasser bewegt.

Der Titicaca-Riesenfrosch lebt nur im Titicaca-See ©Roberto Elias

Elvira Chicani kennt den Frosch seit ihrer Kindheit. Angst habe sie nie gehabt vor ihm, sagt sie. Aber dass der Frosch besonderen Schutz benötigt, weiß sie erst, seit die Forscher der Zoologischen Gesellschaft Denver aus den USA nach Perka Norte kamen und begannen, die Frösche zu vermessen und den Menschen im Dorf erzählten, dass ihre Frösche etwas ganz Besonderes sind. Das Wasser vor Perka Norte ist recht sauber und deswegen leben hier noch viele Frösche. Wie die allermeisten Amphibien sind sie jedoch stark vom Aussterben gefährdet; da sie über die Haut den Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen, kommen sie in direkter Berührung mit den Giftstoffen, die im Wasser schwimmen.  

Doch noch eine andere Gefahr droht den Fröschen: In ganz Peru gilt Frosch-Saft als gesundheits- und potenzfördernd. Zwar ist der Verkauf von Fröschen inzwischen verboten, aber in den Märkten der Andendörfer und in den Vororten der Städte findet man noch viele Saft-Läden, die unter der Hand auch den „extracto de rana“, den Frosch-Extrakt anbieten. Dazu wird ein lebendiger Frosch totgeschlagen, und zusammen mit der Macawurzel, Ingwer und weiteren Zutaten im Mixer verquirlt. Der Potenztrunk sei ohne Frosch halt nicht wirksam – wissenschaftlich nicht belegt, aber im peruanischen Volksglauben fest verankert.

Elvira Chicani und die Frauen von Perka Norte sind deswegen besonders auf der Hut, wenn Unbekannte auftauchen und Frösche kaufen wollen. „Wir sagen dann Nein, ich habe auch schon mal jemanden verjagt“, sagt Elvira Chicani in ihrem ungeübten Spanisch. Dafür hat sie ihren ganzen Mut zusammengenommen. Sonst ist sie eher schüchtern, muss die Worte in Spanisch suchen, und lächelt, statt zu sprechen, lieber übers ganze Gesicht und lässt ihre weißen Zähne funkeln. 

Der Frosch auf dem Berg bringt den Regen

Schon immer haben die Frauen der Halbinsel Chucuito gestrickt und gewebt. Die handbestickten Blusen und Röcke ziehen sie jeden Tag an – und die Decken, Schals und Mützen verkaufen sie auch auf dem Markt. Seit kurzem stricken sie auch kleine Schlüsselanhänger in Froschform. Damit machen sie nicht nur auf die Frösche aufmerksam, sondern verdienen auch ein Zubrot.

Elvira Chicani zeigt, wie sie im Rock den Tonkrug mit dem Frosch trägt ©Yda Ponce

Dass die Frösche eine besondere Kraft haben, das wussten Elvira und die Menschen von Perka Norte schon lange bevor die Forscher aus Denver kamen. Denn die Frösche können Regen machen. Wenn der Regen im Oktober und November immer noch ausbleibt, dann fahren die Männer mit einem Yatiri, einem Schamanen, auf den See hinaus, bitten den See um einen Frosch und bringen ihn in einem Eimer an Land. Dann wird eine Frau aus dem Dorf ausgelost, die eine Tonschale mit dem Frosch in ihrem Rock auf den nächsthöchsten Berg trägt. Die ganze Gemeinde und der Yatiri begleiten sie dabei. Elvira breitet mit ihren Händen ihren weiten roten Rock aus und zeigt, wie dort die Tonschale mit dem Frosch getragen wird. Auf dem Berg hält der Yatiri einen Pago, ein Dankes- und Bittritual ab. Wenn nach einer Woche immer noch kein Regen fällt, wird das Ritual wiederholt. Wenn der ersehnte Regen kommt, wird der Frosch wieder dem See übergeben. 

Und wenn es immer noch nicht regnet? „Das Ritual funktioniert immer“, sagt Elvira Chicani sehr bestimmt, und ohne jede Spur von Verlegenheit.  

Elvira Chicani und ihr Mann Feliciano am Ufer ihres Grundstücks am Titicaca-See. ©Yda Ponce