Über die fürchterlichen Waldbrände im Amazonasgebiet wurde in den letzten Wochen viel berichtet – auch in deutschen Medien. Am 16. September zog Inforegión eine erste schreckliche Bilanz: 233 Waldbrände in 22 Regionen, 15 Todesopfer, 98 Verletzte und 2000 Hektar verbranntes Land allein in Peru. Die Fläche der durch Waldbrände zerstörten Wälder und Böden hat in Peru in vier Jahren um mehr als 60 Prozent zugenommen.
Die Brände haben im ganzen Land große Betroffenheit ausgelöst. Indigene Organisationen, Berufsverbände und akademische Einrichtungen kritisierten die Untätigkeit und Ineffizienz der Regierung scharf und forderten die Mobilisierung sämtlicher Ressourcen zur Bekämpfung des Feuers. Die Regierung spielte den Ernst der Lage jedoch herunter und sprach von einem saisonalen Phänomen, an dem die Bevölkerung selbst Schuld sei.
Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, verschiedener Regionalregierungen, des Amazonas-Regionalverbandes sowie weitere Institutionen und Gruppen forderten, dass in den betroffenen Regionen der Notstand ausgerufen werde. Die Regierung wiederholte jedoch mehrfach, dass dies nicht notwendig sei. Schließlich lenkte sie ein und erklärte den Notstand in den Regionen Amazonas, San Martin und Ucayali.
Wer die Verantwortung für die verheerenden Waldbrände trägt und was jetzt zu tun ist, darüber schreibt Paul E. Maquet in einem Kommentar auf der Webseite von CooperAcción, den wir hier mit freundlicher Genehmigung übersetzt veröffentlichen.
Text: Paul E. Maquet
Übersetzung: Annette Brox
Fotos: Miguel Gutierrez @Miraviento
Wie schmerzhaft ist es zu sehen, dass in 20 Regionen des Landes Tausende von Hektar Wald zerstört und Tausende von Bäumen verbrannt werden, und wie verzweifelte Tiere versuchen, vor dem Feuer zu fliehen, das ihren Lebensraum vernichtet! Doch wer trägt die Schuld? Und was müssen wir tun, um das zu verhindern?
Es gibt lokale und unmittelbare Ursachen. Wie schon oft geschrieben, ist die direkte Ursache der meisten Brände die Praxis des Brandrodens als Teil des landwirtschaftlichen Kreislaufs. Es handelt sich dabei um eine leider weit verbreitete Praxis: Zur Beseitigung von Unkraut und den Überresten der vorherigen Aussaat werden Feuer gelegt, um den Boden für eine neue Aussaat „vorzubereiten“.
Dieser Praxis muss ein Ende gesetzt werden, und dazu reichen Aufrufe wie die des Premierministers diese Woche nicht aus. Es bedarf eines ernsthaften und ehrgeizigen Programms, um den Landwirt*innen zu helfen. Praktiken aus der Agrarökologie und der nachhaltigen Landwirtschaft zielen darauf ab, einen gesunden Boden, organischen Reichtum und die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern, wiederherzustellen. Dazu sind aber umfangreiche Finanzmittel und Fortbildungsmaßnahmen erforderlich, nicht nur fromme Wünsche.
Auf der anderen Seite ist es nicht auszuschließen, dass einige Brände mit der Absicht gelegt wurden, die landwirtschaftlichen Flächen im Amazonasgebiet zu erweitern. Denn in einem durch Feuer zerstörten Primärwald ist es leichter, eine Landnutzungsänderung zu erreichen. In diesem Sinne ist die kürzliche Modifikation des Forstgesetzes zweifellos ein perverser Anreiz, denn in der Praxis ist es eine Amnestie für diejenigen, die in den vergangenen Jahren die Abholzung verursacht haben. Die Botschaft lautet: Zerstört einfach den Wald, niemand wird euch bestrafen.
Neben diesen unmittelbaren Ursachen gibt es noch eine weitere lokale Ursache, die dazu führt, dass die Brände außer Kontrolle geraten: Entwaldung, Abholzung und Fragmentierung der Waldflächen. Der Amazonaswald ist von Natur aus ein Regenwald, aber die wahllose Abholzung führt dazu, dass er seine Fähigkeit verliert, Feuchtigkeit zu speichern und zurückzuhalten. So entsteht eine zunehmend trockene Landschaft, der Wald wird anfälliger für Brände. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Bäume des Amazonasgebiets durch ihre chemische Wechselwirkung mit der Umwelt bis zu 50 Prozent des Regens, den sie abbekommen, selbst erzeugen. Ein einziger Shihuahuaco-Baum kann bis zu 3000 Liter Wasser pro Tag in Form von Wasserdampf an die Atmosphäre abgeben – in diesem Sinn ist er ein natürlicher Feuerwehrmann, der Trockenheit verhindert. Weniger Bäume bedeuten weniger Feuchtigkeit und mehr Brände, die außer Kontrolle geraten.
Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, muss das Amazonasgebiet stärker geschützt werden, die Abholzung gestoppt und alle perversen Anreize dafür aufgehoben werden, wie zum Beispiel das Anti-Wald-Gesetz und alle Vorschriften, die dazu dienen, den Schutz der indigenen Territorien und Naturschutzgebiete zu schwächen. Ebenso müssen Straßenbauprojekte gestoppt werden. Sie zerschneiden den Wald und erleichtern das Eindringen von illegalen Holzfäller*innen und Siedler*innen, die den Wald abholzen. Auch die agroindustriellen Monokulturen im Amazonasgebiet müssen gestoppt werden. Sie zerstören den organischen Reichtum des Bodens und damit seine Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern. Nebst dem Abholzungsstopp ist es dringend erforderlich, die bereits zerstörten Ökosysteme durch ein ehrgeiziges Programm zur Wiederaufforstung und Renaturierung wiederherzustellen.
All dies geschieht jedoch nicht im luftleeren Raum. Neben den erwähnten lokalen Ursachen gibt es einen globalen Trend. Jedes Jahr wird die „Waldbrandsaison“ (ein neuer Begriff, den es früher nicht gab und der jetzt normal zu werden scheint, als wenn es sich einfach um eine zusätzliche Jahreszeit handeln würde) in der ganzen Welt immer intensiver. Ungeheure Brände zerstören Jahr für Jahr Wälder in so unterschiedlichen Ländern wie Kanada, Australien, Portugal, Russland, Griechenland, Angola, Brasilien und Mexiko … Dies ist weit mehr als ein nationales oder regionales Problem.
Die Ursache? Ganz einfach: die Klimakrise. Jedes Jahr höhere Temperaturen und immer extremere Trockenzeiten sind eine tödliche Kombination. Jeder Funke, egal aus welcher Ursache, wird zu einer unkontrollierbaren Katastrophe. Und das wird zum Teufelskreis, denn die Klimakrise wird durch zu viel CO2 in der Atmosphäre verursacht, und die Brände erhöhen diese Emissionen noch weiter. Es ist ein Rückkopplungseffekt, der es immer schwieriger macht, diesen Prozess zu stoppen.
Um die Zerstörung unserer Wälder durch Waldbrände aufzuhalten, müssen wir also auch die heiße, trockene Umgebung verhindern, die diese Brände begünstigt. Lokale Maßnahmen allein werden wenig nützen, wenn die Thermometer jedes Jahr neue Rekorde anzeigen. Die Lösung ist bekannt, und die Wissenschaft hat sie bereits allen, die bereit sind, auf ihre Botschaft zu hören, glasklar vor Augen geführt: Schluss mit der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle. Besser heute als morgen. So schnell wie möglich. Wir haben keine Zeit zu verlieren.