© Alex Luna/Germanwatch

„Es braucht Anstoß aus den Anden, um bei uns Denken zu verändern“

Am 23.9.2018 erhielt der peruanische Kleinbauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya im vollbesetzten Opernhaus der Stadt den Kasseler Bürgerpreis „Glas der Vernunft“, der seit 1991 jährlich verliehen wird.

 In der Einladung zum Festakt steht auch, wofür ihn Saúl Lliuya erhält. Nämlich „für seinen Einsatz, die Folgen des Klimawandels in individuelle Verantwortung zu stellen. Er bringt dessen Kosten in ein zivilrechtliches Verfahren ein und führt zugleich jedem Einzelnen vor Augen, dass lokale Handlungen weltweit Klimaveränderungen verursachen. Sie sind unumkehrbar, der Mensch wird zum erdgeschichtlichen Akteur. Saúl Luciano Lliuya hat den Mut, die globale Dimension individueller, politischer und ökonomischer Handlungsweisen mit Mitteln des Rechts und der Vernunft auszuhandeln.“

Der Hintergrund

In der Tat, Saúls Waffe im Kampf gegen den Energieriesen RWE aus Essen ist nicht die Steinschleuder des kleinen David gegen Goliath, sondern Recht und Gesetz. Und er kämpft nicht ganz allein. Unterstützt wird er von der Organisation Germanwatch, seiner engagierten Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen (Hamburg), von der Stiftung Zukunftsfähigkeit und anderen, darunter auch die Informationsstelle Peru (Red Solidaridad Alemania-Perú). Und last but not least, gab es da am Oberlandesgericht Hamm einen weisen und weitsichtigen Gerichtssenat, der entschied, dass nun § 1004 des BGB zur Anwendung komme und in die Beweisaufnahme gegangen werden könne. Die Klage war schon vorher zugelassen worden.

Saúl Luciano Lliuya lebt mit seiner Familie in Huaraz (ca. 120.000 Einwohner) in der weißen Kordillere unterhalb des Gletschers und des Palcacocha-Sees. Unter anderem bedingt durch die Erderwärmung, kommt es in den letzten Jahren auch dort zu einer verstärkten Gletscherschmelze. Das Wasser ergießt sich in den See, wo das Wasservolumen seit 1970 um das 34-fache angestiegen ist, und damit hohes Flutrisiko für die Stadt besteht. Eine Computersimulation der Universität Texas ergab, dass durch eine solche Flutwelle Teile der Stadt bis zu 10 Meter unter Wasser gesetzt werden könnten.

Weil RWE als Braunkohle- und Energiekonzern weltweit zu den großen CO-2-Emittenten gehört, sei das Unternehmen für die Erderwärmung mit verantwortlich, urteilt Lliuya, und zwar zu 0,47 % – und diesen Anteil müsse RWE in die erforderlichen Schutzmaßnahmen vor Ort investieren. 2015 forderte er dafür 17.000,- € vor einem deutschen Gericht. Ein Klacks für RWE, aber der Konzern befürchtet – wohl zu Recht – die Schaffung eines Präzedenzfalls nach dem Verursacherprinzip.

Die Rechtsgrundlage für diesen juristischen Gang nach Deutschland beruht auf der sog. Störerhaftung und der Rom-II-Verordnung: wodurch die durch die Ressource Wasser Geschädigten zwischen dem Ort des Schadens (Peru) und dem Handlungsort (Deutschland) wählen können.

Das Oberlandesgericht Hamm ließ am 30.11.2017 die Klage zu.

Die Preisverleihung

Vernunft ist, wenn man dafür einstehen muss, wenn unter den Folgen des eigenen Handelns andere leiden. Vernünftig ist es auch, wenn man für solche Fälle geschaffene Rechtsgarantien in Anspruch nimmt“, so der Vorsitzende des Bürgerpreises in seiner Eröffnungsrede bei der Preisverleihung. In ihrer Laudatio betonte Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass das Verfahren Lliuya gegen RWE ein Stück moderner Rechtsgeschichte sei und es uns im westlichen Wohlstandkosmos die Schamröte ins Gesicht treiben müsse, dass es eines Saúl Lliuya bedürfe, um in der Justiz einen Anstoß zum Umdenken zu geben. Sie befürchtete, dass die Juristen von RWE bis zum Bundesverfassungsgericht gingen, um einen Präzedenzfall zu verhindern.

Professor Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimaforschung verdeutlichte in seiner Festrede, dass es beim Klimaproblem um ein Menschheitsproblem geht. Auch deshalb sei es höchste Zeit, dass die Zivilgesellschaft sich intensiv um ihre eigene Zukunft kümmert, denn die politischen Beschlüsse taugten nichts, wenn sie nicht umgesetzt würden und von vornherein zu kurz griffen. In diesem Sinne habe Saúl Lliuya gewissermaßen Entwicklungshilfe von außen gegeben. Die Bewältigung der menschengemachten Klimakrise sei nicht allein ein technisches, sondern ein zutiefst moralisches Problem. Schellnhuber erklärte u.a. die Bedeutung des amazonischen Regenwaldes für den sog. Klima-Kipp-Punkt und berichtete sehr positiv über seine Mitarbeit in der Klima-Experten-Kommission des Vatikans. In den aktuellen Ansätzen, wie dem Konzept „Bewahrung der Schöpfung“ und in der Enzyklika Laudato Si sieht er wichtige Ansätze zur Rettung der Welt.

Für uns persönlich war die Teilnahme an dieser Preisverleihung ein Gewinn.

Für die Informationsstelle Peru wird die Weiterarbeit an Bereichen wie Regenwaldschutz, alternative und saubere Energie, Umweltschutz durch Verhinderung von Raubbau an Rohstoffen (Gold, Kupfer, Uran, Erdöl) unabdingbar sein und die entsprechend engagierten Partnerorganisationen in Peru sind zu unterstützen. In der BRD gilt es, vom Konsumenten bis zum Unternehmen das Umdenken und Umhandeln zu unterstützen.

Denn Huaraz ist überall.

Ausblick:

Das Europaparlament hat am 4.10.18 seine Haltung zu Verhandlungen über ein verbindliches UN-Instrument zur Einhaltung von Menschenrechten durch transnationale Unternehmen festgelegt und sich mit 301 gegen 288 Stimmen (von Christdemokraten und Liberalen) positiv für die Verfolgung dieses Ziels ausgesprochen. Das ist eine gute Nachricht für Menschenrechte und einen faireren Welthandel. Wenn EU-Rat und EU-Kommission ihre Blockadepolitik aufgeben und ein solches UN-Instrument beschlossen würde, hätten Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Konzerne ein Klagerecht und könnten ihr Recht durchsetzen. Dann müssten Konzerne sich nicht mehr beschweren, wenn man ihnen Umweltverschmutzung und soziale Verwerfungen in anderen Ländern vorwirft und sie hätten einen Grund weniger, ihre Produktionsstätten in Länder mit den niedrigsten Sozial- und Umweltauflagen zu verlagern.

Trudi und Heinz Schulze