Die Diktatur der Infrastrukturprojekte
Gemeinsam für eine vielfältige und intakte Natur? Die peruanische Regierung spricht bei öffentlichen Auftritten davon, wie sie die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG`s) der Agenda 2030 nach und nach erfüllt. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Schauen wir uns das geplante Großprojekt an, wodurch die großen Zuflüsse des noch größeren Amazonasstroms quasi als Riesenkanäle ausgebaggert werden sollen. Das hat den Namen Hidrovía – Wasserstraße.
Eingebunden ist auch dieses Vorhaben in das große politisch-wirtschaftliche Programm „Integración de la Infraestructura Regional Sudamericana“, IIRSA genannt. Dieses mit dem Ziel, diese riesige Region intensiver in den Welthandel zu integrieren. Genauer gesagt, die vorhandenen Bodenschätze wie Erdöl, Erdgas, Erze und alles, was aus der biologischen Vielfalt des amazonischen Regenwaldes rauszuholen ist, besser zu verkaufen, besonders in Richtung Asien. China und Indien lassen grüßen.
Zu diesem IRSA-Vorhaben gehören auch die dafür gebauten Straßen von Brasilien durch den Regenwald Boliviens und Perus bis an die pazifische Küste.
Das Ziel dieses Wasserstraßenprojekts Hidrovía:
Der große Amazonasstrom wäre ohne seine großen Quellflüsse nichts. Diese sollen „in Wert gesetzt“, modernisiert, für große Schiffe schiffbar gemacht werden. Ein weiteres gigantisches geopolitisches Vorhaben.
Die betroffenen Flüsse und Regionen in Peru wären:
Die Regionen Loreto und Ucayali im amazonischen Regenwald mit ihren Flüssen Ucayali, Huallaga, Marañón und der (junge) Amazonas auf einer Gesamtlänge von ca. 2.600 Kilometern.
Die treibende Kraft dahinter:
ist in erster Linie der peruanische Staat (begonnen unter dem korrupten Ex-Präsidenten Kuczynski) mit einem Konsortium mit der chinesischen Staatsfirma Sinohydro-Cohidro und der niederländischen Firma Haskonnig. Hauptsächlich zuständig ist in Peru das Verkehrs- und Kommunikationsministerium (MTC), das in der Vergangenheit führend bei Bestechungen mit Straßenbauprojekten war.
Die Kostenplanung:
Bisher ist die Summe von ca. 100 Millionen Dollar im Gespräch.
Das soll in Form der Öffentlich-Privaten-Partnerschaft geschehen, wobei letztendlich die Steuerzahler*innen dafür bluten müssten. Diese Ausbaggerung soll sich 20 Jahre und mehr hinziehen.
Was soll praktisch geschehen?
Die Flüsse sollen so ausgebaggert werden, dass große (Fracht-)Schiffe zum Beispiel bis zum Amazonashafen Iquitos fahren können.
Das Projekt soll mit ungefähr 200 Arbeiter*innen auskommen.
Warum darf dieses Superprojekt nicht stattfinden?
Auf mehreren Treffen der indigenen Bevölkerung wurden die negativen Auswirkungen deutlich benannt:
- Es bewirkt starke wirtschaftliche und Ernährungsprobleme der dort lebenden indigenen Bevölkerung. Dieses Ausbaggern verändert unverantwortlich und für immer das Leben am und im Fluss.
- Große Umweltschäden: Flussbett und Flussströmung ändern sich. Die Inseln in den Flüssen (Lebensraum für viele Tiere) werden verschwinden, ebenso die je nach Wasserstand sich verändernden Uferböschungen mit ihren Sandbänken. Der Fluss wird „kanalisiert“. Damit wird die Fortpflanzung der Fische massiv erschwert, wenn die Jungfische keine Schutzgebiete im ufernahen seichten Wasser haben. Flora und Fauna und damit die Ernährungssicherheit vermindern sich stark. Der lokale Transport auf dem Wasser wird durch die Großkonkurrenz unrentabel und teurer.
- Eine sichere Folge wird eine weitere Verschuldung des peruanischen Staates sein.
- Ganz wichtig ist folgende Befürchtung der betroffenen indigenen Bevölkerung: „Das Projekt verstößt grundsätzlich gegen unsere religiösen Werte, den heiligen Flüssen und ihren Gaben gegenüber.“
Vorgeschlagene Forderungen, Alternativen und begonnene Maßnahmen:
- Verbesserung des Flussverkehrs ohne die angesagte Zerstörung.
- Aufforderung an alle Anti-Korruptionsstellen des Staates, sich gegen dieses neue Einfallstor für höchste Bestechungen zu stellen. Das Beispiel des Baus der Interozeanischen Straße, bei dem die Kosten sich letztendlich um 500% erhöhten, darf sich nicht wiederholen. Zudem dienen diese Straßen hauptsächlich als Transportweg für illegales Gold und Drogen.
- Die durch staatliche Stellen genehmigten Umweltverträglichkeitsstudien durch das Büro zur Sicherung des Regenwaldes (SENACE) dürfen nicht akzeptiert werden, da sie keinen seriösen Standards entsprechen. Es wird darauf hingewiesen, dass selbst das Verkehrsministerium von grundlegenden Fehlern im Genehmigungsantrag spricht. Selbst wirtschaftsnahe Zeitschriften wie El Comercio kritisierten den stümperhaften Beginn, nicht aus genereller Kritik heraus, sondern aus Sorge, dass das Projekt daran scheitern könnte.
- Rechtsanwalt Juan Ruíz Molledo von der Menschenrechtsorganisation IDL zerpflückt die vorgelegte Umweltverträglichkeitsstudie: Sie verletzt alle Vorgaben der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und der Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Costa Rica) und auch der peruanischen Verfassung selbst.
- Die peruanische Regierung spricht – wie oft beim Thema amazonischer Regenwald – mit gespaltener Zunge. Beim Weltklimagipfel 2019 in Paris lobte der peruanische Vize-Umweltminister die großen Anstrengungen seines Landes zum Regenwaldschutz; auch, dass die zeitweise überschwemmten Gebiete (tuberas) hundertmal mehr CO2 speichern als die Bäume selbst. Zwei Tage vorher erklärte der peruanische Präsident das Vorhaben Hidrovía, die „Modernisierung der peruanischen Zuflüsse zum Amazonas“, als eine Angelegenheit von nationalem Interesse (Dekret 018-2019-1831447-1).
- Die Europäische Union hat mit der peruanischen Regierung bereits im Jahr 1992 eine finanzstarke Kooperation zum Schutz und Erhalt der Natur und biologischen Vielfalt abgeschlossen. Das Projekt mit dem Namen „Life – real alternatives eur*pe“ sieht für den neuen Zeitraum 2021 bis 2027 die Summe von 5.540 Milliarden Euro vor. Wenn das Projekt Hidrovía durchgeführt würde, wäre zumindest diese ganze Region keine, die den CO2-Ausstoß verringern würde. Auch deshalb müsste die europäische Politik sich vehement gegen Hidrovía wenden.
- Die internationale Öffentlichkeit wird gebeten, gegen die mögliche Beteiligung von Firmen aus ihren Ländern zu protestieren, denn dieses ist ein Vorhaben mit zutiefst neokolonialer und technisch-rassistischer Einstellung.
Beim Weltklimagipfel in Paris kritisierte der Präsident der regionalen indigenen Föderation ORAU (Region Ucayali), Berlin Diques Rios, das Hidrovía-Projekt sehr deutlich als eine systematische Auslöschung der indigenen Bevölkerung. Das kann den damals in Paris vertretenen Politiker*innen nicht verborgen geblieben sein.
Die mit der Kooperation zum Schutz des amazonischen Regenwaldes Beauftragten deutscher Behörden und Stiftungen, so die indigenen Vertreter*innen, müssen von den negativen Erfahrungen, die mit der chinesischen Staatsfirma Sinohydro im Nachbarland Ecuador von 2012 bis 2018 gemacht wurden, bekannt sein. Die staatliche Finanzaufsicht Ecuadors bemängelte, dass diese Firma 60% ihrer Projekte an Subunternehmen weitergegeben hat, dass sie davon Provisionen kassierte und dass viele technische Unregelmäßigkeiten wie beim Bau von Brücken festgestellt wurden. Sie hat die Ausgangskosten um ein Vielfaches überzogen, wurde wegen ihrer Verfehlungen zu Strafen von insgesamt neun Millionen Dollar verurteilt, die aber der ecuadorianische Staat nicht einklagte.
Die deutsche Bundesregierung soll aufgefordert werden, dass sie angesichts ihrer finanziellen Kooperation zum Schutz des amazonischen Regenwaldes nicht akzeptiert, dass durch die Zerstörung der Zuflüsse des Amazonasstroms ihr Engagement null und nichtig wird.
Die Regierung der Niederlande wird aufgefordert, auf die Firma Royal Haskonning einzuwirken, dass sie keine Geräte und Ingenieure für dieses zerstörerische Projekt zur Verfügung stellt.
Die klimaaktiven Jugendlichen und alle Umweltorganisationen werden dringend gebeten, gegen dieses zerstörerische Projekt zu protestieren.
Noch ist es möglich, es gemeinsam zu verhindern.
Die beste Lösung, so der peruanische Regenwald-Experte A. Shirif, wäre, wenn einige Firmen zwar ihren Reibach beim Erstellen von Gutachten machen würden, aber dann das Projekt eingestampft würde.
überarbeitet und übersetzt von Heinz Schulze
Quelle: Pronunciamiento de la Organisación Aidesep sobre el Proyecto Hidrovia 2019, verabschiedet und unterschrieben am 20.7.2019 u.a. von Vertreter*innen von 40 indigenen Dorfgemeinschaften und ihrer Organisationen und bei einem Folgekongress – unterstützt durch die Regenwaldorganisation CAAAP am 23.11.19 in der Stadt Pucallpa, Region Ucayali. Besonders aktiv ist der Consejo Shipibo Coniba in diesem Kampf.
Weitere Quellen: diverse Beiträge in Servindi, DAR, CAAP aus 2019; Informe de la controlaría del Estado de Ecuador 2019; Comunicados del Pueblo Shipibo Conibo 2019, comunicado de Pueblos Indígenas ORPIO, Zeitschriften wie El Comercio, Peru 21, SERNAMP, und in sozialen Medien wie Hidrovía huele a Odebrecht, 27.9.19, Europa mantendrá programa LIFE más allá del 2020, Servindi, 21.12.2018);