© Jonathan Hurado CAAP

Amazonas-Sozialforum schließt mit Aufruf zum Widerstand

Vom 28. April bis am 1. Mai fand in Tarapoto, Peru, das achte Amazonas Sozialforum statt. Rund 1500 Menschen aus insgesamt 33 Ländern reisten an, um sich stärker zu vernetzen und gemeinsame Lösungen für die drängendsten Probleme im Amazonasgebiet zu formulieren.

Der angeregte Austausch unter den Teilnehmenden und die – trotz sehr unterschiedlichen Situationen und Positionen – Bestärkung des  Willens für ein gemeinsames Angehen der zahlreichen Herausforderungen, war denn auch eines der prägenden Merkmale der vier Tage.

Das Forum begann mit einem Ritual für Mutter Erde und einem Demonstrationsumzug vom Hauptplatz von Tarapoto auf das Gelände der Universität, auf welchem der Anlass stattfand. Dabei wurde die ganze Vielfalt der Teilnehmenden sichtbar: VertreterInnen von indigenen Völkern aus den  Anden und dem Amazonasgebiet, von Frauenbewegungen, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Universitäten, kirchlichen Institutionen und anderen Gruppierungen der Zivilgesellschaft. Insgesamt waren über 300 Organisationen aus Peru, Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador und anderen Ländern der Welt am Forum vertreten.

Zunehmende Gewalt und Militarisierung

Die Delegation aus Brasilien trug in verschiedenen Momenten mit Gesängen zu der guten Atmosphäre und der Stimmung von Gemeinschaft bei. Am letzten Tag mit einem Trauergesang, weil am Vortag im brasilianischen Bundesstaat Maranhão eine Gruppe von Gamela-Indigenen, die ihr Land verteidigen, von Grossgrundbesitzern brutal angegriffen worden waren. Mehr als zehn Menschen wurden verletzt, mehrere von ihnen schwer.
Die zunehmende Gewalt gegen Menschen, die ihre Rechte und die Umwelt verteidigen, sowie deren Kriminalisierung durch die Staaten kam in fast jeder der neun thematischen Arbeitsgruppen  des Forums zur Sprache. Unter den beiden Oberthemen „Territorium“ und „Schutz der Natur“ diskutierten die Teilnehmenden zu den Themen: Frauen, Jugend, Klimawandel, Ernährungssicherheit und –souveränität, Megaprojekte und Extraktivismus, Städte für das Leben, Selbstbestimmung und Dekolonialisierung, Interkulturelle und gemeinschaftliche Bildung sowie Kommunikation für das Leben.

„Buen Vivir“ statt Extraktivismus

Die Delegierten der indigenen Organisationen bekräftigten gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden des Forums die Forderungen, die sie schon im Rahmen der UN-Klimakonferenzen und an anderen Anlässen geäussert haben. Das vorherrschende auf Extraktivismus beruhende Energie- und Konsummodell muss abgelöst werden von Ansätzen für ein “Buen Vivir”. Eine zentrale Forderung ist die Anerkennung der Landrechte der indigenen Völker sowie ihres Rechts auf Selbstbestimmung. Falsche Lösungen gegen den Klimawandel wie „grüne Wirtschaft“ sollen gestoppt, familiäre Landwirtschaft und ökologische Ansätze wie Agroforstsysteme gefördert werden.

„Wir müssen den Kolonialismus und Konsumismus verlernen und altes Wissen wiedererlangen“ meinte Carlos Pérez von der indigenen Dachorganisation CAOI (Coordinadora Andina de Organizaciones Indígenas).

Auch andere Teilnehmende, wie die aus Uruguay angereiste Feministin Lilián Celiberti, betonten die Notwendigkeit von einem profunden Wandel der Denkweise: “Wir müssen aufhören, die Natur als etwas ausserhalb von unserem Körper zu denken. Wir sind umweltabhängig.“

Die neuen Generationen fordern Rechte für die Natur

Die Kinder und Jugendlichen, die zum ersten Mal in der Geschichte des Amazonasforums einen eigenen Themenbereich organisiert hatten, arbeiteten nicht auf dem Gelände der Universität, sondern im „Feld“. Am ersten Tag führte sie die sogenannte „Toxitour“ in indigene Dörfer, deren Trinkwasser durch das Abwasser der Stadt und eine Hühnerfarm verschmutzt ist. Am zweiten Tag debattierten sie zusammen mit Dorfgemeinschaften über Formen des „Buen Vivir“, des guten Zusammenlebens im Einklang mit der Natur. An den Plenarversammlungen des Forums traten die Kinder und Jugendlichen sehr stark auf. Ihre zentralen Forderungen: Rechte für die Natur sowie die Umsetzung ihres Rechts, in einem gesunden Umfeld aufzuwachsen. „Unsere Eltern haben uns gelehrt, dass der Fluss eine Abfallhalde ist. Wir werden sie lehren, dass das nicht so ist“ erklärte Raul vom Kinder und Jugendnetzwerk für ein „Buen Vivir“.

Das Frauentribunal

Eine Spezialveranstaltung innerhalb des Forums war das Tribunal für die Verteidigung der Rechte der Frauen. An der symbolischen Gerichtverhandlung wurden sechs Fälle von Gewalt gegen Frauen vorgetragen und beurteilt,  darunter der Fall des 2016 eingeweihten brasilianischen Megastaudamms Belo Monte, der die Vertreibung von tausenden Familien, die Zerstörung von Ökosytemen und traditionellen Lebensweisen und eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen zur Folge hat. Als RichterinfungierteGladys Acosta, Anwältin und Mitglied im UN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention zusammen mit vier weiteren profilierten Menschenrechtsexpertinnen. Ziel des Tribunals war es, die spezielle Situation der Frauen beim Schutz des Lebensraums Amazonas und die  Auswirkungen des kapitalistischen und patriarchalen Systems auf das Leben der Frauen sichtbar zu machen.

Gemeinsam für das Leben

Das  Forum schloss mit der sogenannten „Carta de Tarapoto“, einer gemeinsamen Schlusserklärung, welche die wichtigsten Vorschläge aus den Arbeitsgruppen auflistet. Die Schlusserklärung bekräftigt den Willen der Teilnehmenden, sich gemeinsam für das Leben und die Natur im Anden- und Amazonasgebiet einzusetzen und Widerstand zu leisten gegen das auf Ausbeutung beruhende Entwicklungsmodell: “Die Gesetzgeber der Amazonasländer verabschieden Gesetze, die die Spiritualität und die Rechte der Bevölkerung, im Speziellen des Rechts der Frauen auf Selbstbestimmung. Gegenüber dieser Realität werden wir Amazonas- und Andenvölker weiterhin Widerstand leisten und uns mobilisieren, um die Gesellschaften und Staaten zu verändern, indem wir neue Paradigmen suchen, die auf Vorschlägen wie dem Vida Plena, dem Buen Vivir und der territorialen Selbstbestimmung beruhen.“

Die eher allgemeingehaltenen Schlusserklärung wird ergänzt durch konkrete Initiativen.

Das nächste Amazonas Sozialforum wird 2020 in Kolumbien stattfinden.

Flurina Doppler

(Flurina Doppler arbeitet seit 2015 als Comundo-Fachperson bei Forum Solidaridad Perú in Lima und unterstützt dort die Arbeiten für das VIII Panamazonas-Sozialforum)

 

Was ist das Amazonas-Sozialforum und wer finanziert es ?

Das Amazonas-Sozialforum ist seit seiner ersten Ausgabe 2002 in Brasilien ein Ort, an dem sich zivilgesellschaftliche Akteure aus dem Amazonasgebiet und anderen Ländern der Welt gemeinsam für den Erhalt des Lebensraums Amazonas einszusetzen und für die Utopie eines Lebens im Einklang mit der Natur, einer solidarischen Welt, die ohne Ausbeutung und Unterdrückung auskommt. „Die Erde gehört uns nicht. Wir gehören ihr. Die Natur ist die Mutter, sie hat keinen Preis und kann nicht merkantilisiert werden“ heisst es in der Grundstatz-Charta des Forums.

Das peruanische Organisationskomitee – bestehend aus nationalen und lokalen Basisorganisationen, Netzwerken und NGOs – legte starken Wert darauf, das Amazonas-Sozialforum nicht einfach als viertägigen Anlass zu begreifen, wie das bisher der Fall war, sondern als Vernetzungs- und Kommunikationsprozess, der schon lange vor Tarapoto begonnen hat und nun weitergeht.  So gab es für diese achte Ausgabe des Forums – die erste in Peru – zum ersten Mal Vorbereitungsanlässe in fünf der beteiligten Amazonasländer und zum ersten Mal in der Geschichte des Forums wird es eine Übergabe geben an das Organisationskomitee des nächsten Forums. Dieses wird 2020 in Kolumbien stattfinden. Zudem wird das internationale Komitee (ein offenes, informelles Gremium), das sich für diese achte, peruanische Ausgabe konstituiert hat, weiter im Austausch bleiben und den Prozess begleiten – mit dem klaren Ziel, der oben erwähnten Utopie mit einer makroregionalen politischen Agenda ein konkretes Gesicht zu geben.  

Finanziert wurde das diesjährige Forum durch die Eigenleistungen aller involvierten Organisationen sowie durch Projektgelder verschiedener europäischen Hilfswerke, hauptsächlich durch Misereor, Secours Catholique, CCFD, 11.11.11 und Oxfam. Die lokale Regierung von Tarapoto sowie das lokale Kulturministerium leisteten – eine anteilsmässig eher kleine – Unterstützung in Form der Úbernahme von Druck- und anderen Materialkosten. Ein Teil der Kosten wurde zudem über die Einschreibgebühren gedeckt.

Detaillierte Informationen (auf Spanisch) finden Sie unter www.forosocialpanamazonico.com