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Gesundheitswesen in Peru: fragmentiert, unterfinanziert, ineffizient

Die Gesundheitsjournalistin Fabiola Torres übt fundierte Kritik am peruanischen Gesundheitswesen

Beim Online-Seminar “Peru: Die Corona-Krise und ihre Folgen“, am 23.-24. April 2021 hat  Fabiola Torres (Salud con lupa)ein Referat zum Thema „Das peruanische Gesundheitssystem in der Corona-Pandemie“ gehalten. Fabiola Torres ist auf Gesundheit spezialisierte Journalistin in Peru. Sie ist Gründerin und Direktorin des Gesundheitsportals “Salud con Lupa”.

Der folgende Artikel fasst ihre Ausführungen zusammen.

 

Kein Ereignis in der peruanischen Geschichte hat den prekären Zustand des peruanischen Gesundheitswesens so deutlich herausgestellt wie die Corona-Pandemie.  Diese Krise hat die Ineffizienz des peruanischen Gesundheitswesens gezeigt.

 

Fragmentierung

Das peruanische Gesundheitswesen ist stark fragmentiert. Es gibt viele Institutionen und Verantwortliche, aber keine gesundheitspolitische Strategie und keine geordnete Ausgabenpolitik. Es gibt viele Parallelsysteme und keine Koordination. Daraus resultieren organisatorische Probleme, hohe Ausgaben und ungleiche Behandlung.

Konkret sieht das so aus: 51,1% der Peruaner*innen sind auf die staatlichen Krankenhäuser des Gesundheitsministeriums angewiesen. Diese sind – auch wenn es inzwischen eine Minimalversicherung gibt – überfüllt und schlecht ausgestattet.  28,8% sind über die staatliche Essalud versichert. Essalud ist dem Arbeitsministerium unterstellt und hat Krankenhäuser im ganzen Land für seine Versicherten: die fest angestellten Peruaner*innen. 4,1% der Bevölkerung hat eine private Krankenversicherung, dazu kommen die Polizisten und Militärs, die je ein eigenes Versorgungssystem haben. 14% haben gar keine Versicherung und werden bei Krankheit wohl aus eigener Tasche eine private Klinik bezahlen.

 

Einige konkrete Folgen fehlender gesundheitspolitischer Strategie und fehlender Koordination kann man während der Pandemie beobachten: es fehlt an Sauerstoff, der vorhandene Sauerstoff kommt in vielen Krankenhäusern nicht an. Die medizinischen Fachkräfte sind in der Pandemie schlecht geschützt, werden krank und sterben: Es sind bereits 350 Ärzt*innen durch COVID 19 gestorben.

 

Korruption

EsSalud (Seguridad social en Salud, also das Gesundheitswesen für die Festangestellten) hat während der Pandemie fast 600 „Notfall-Kauf-Verträge“ ohne Ausschreibung und sehr kurzfristig abgeschlossen, bei denen der Verdacht auf Korruption besteht.

Auch in der Impfkampagne gab es  Korruption: So wurden hohe Beamte, Wissenschaftler und politisch Verantwortliche  samt Familien bereits vorzeitig geimpft.

 

Unterfinanzierung

Es werden nur 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ins  öffentliche Gesundheitssystem investiert. Peru befindet sich in diesem Bereich auf Platz 23 der 35 Staaten Lateinamerikas. Peru war deshalb schlecht auf die Corona-Pandemie vorbereitet: es gab nur neun Anlagen zur Sauerstoff-Herstellung, 276 Intensiv-Betten (es wären sechsmal mehr am Beginn der Pandemie nötig gewesen) und einen großen Mangel an Intensiv-Ärzt*innen und – Pflegekräften in den Kliniken. Heute gibt es 2.500 Intensivbetten, es wären aber 5.000 nötig. Medizinisches Personal wurde aus anderen Bereichen abgezogen.

Das Gesundheitsministerium stellte 2019 fest, dass 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen der Erstversorgung eine Erneuerung ihrer Infrastruktur nötig hätten und dass dort 24.000 Pflegekräfte fehlten. Die Mehrheit dieser Einrichtungen blieb während der Pandemie monatelang  geschlossen, sodass es keine Erstversorgung für die Bevölkerung gab.

Die verschiedenen Regierungsdekrete zur Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen konnten das Problem nicht lösen. Peru konnte diesem neuen Virus mit einem Gesundheitssystem aus dem letzten Jahrhundert nicht standhalten. Die Gesundheitsausgaben für 2021 wurden zwar gesteigert und machen jetzt 13,2 Prozent des Staatshaushaltes aus, das reicht aber nicht aus.

 

Medizinisches Personal: schlechte Bezahlung, defizitäre Ausbildung

Das Pflegepersonal ist schlecht bezahlt und erschöpft. Immerhin gibt es inzwischen endlich einen Mindestlohn. Die medizinische Ausbildung ist defizitär, es fehlen Spezial-Ausbildungen (nur im Ausland), die Ausbildung bereitet nicht auf die reale Situation vor.

 

Strukturelle Probleme als Ursache von Krankheiten

 

Der Staat kann keine medizinische Grundversorgung für alle garantieren. In Peru sind auch Wasserprobleme und Unterernährung (keine Schulspeisungen wegen Schulschließungen) Ursache von Krankheiten. Die Menschen bekommen keine Informationen über ihre Rechte auf eine Gesundheitsversorgung.

 

Kein Versicherungsschutz

 

Laut Statistiken des SIS (Seguro Integral de Salud, die Basisversicherung des Gesundheitsministeriums) sind inzwischen 73 Prozent der Bevölkerung  versichert, das steht aber nur auf dem Papier:  Der Haushalt des SIS wurde von 2015 bis 2020 nicht erhöht, obwohl sich die Zahl der Versicherten stark erhöht hat.  Wegen der Corona-Pandemie wurde der Etat erhöht, dazu wurden Mittel in anderen Bereichen (z. B. Kampf gegen Gewalt in der Familie, gegen TBC, Aids..) gekürzt. Während der Pandemie bekamen viele SIS-Versicherte kein Intensiv-Bett in den öffentlichen Krankenhäusern. Sie wurden an Privatkliniken weiterverwiesen, dort mussten sie für eine Zulassung hohe Zahlungen leisten. Dafür mussten sich viele Familien verschulden.

Die grossen Privatkliniken gehören inzwischen Versicherungsgesellschaften, und diese wiederum sind oft Teil einer Bankenholding. Dieses Modell nennt sich vertikale Integration.

 

Pandemie macht Konsequenzen sichtbar

Peru hat – gemessen an der Bevölkerungszahl – eine der höchsten Covid-19-Todesraten.

Es bestand schon vor der Pandemie ein großer Mangel an Ärzt*innen und  Pflegepersonal: Peru hatte vor der Pandemie ca. 13,6 Ärzt*innen pro 10.000 Menschen, das sind 9,4 weniger als die WHO empfiehlt. Peru hat  15 Pflegekräfte pro 10.000 Menschen, die USA 111 und Canada  106.

Die ungleichen Lebensverhältnisse in Peru zeigen sich auch hier: Die regionale Verteilung des medizinischen Personals ist sehr verschieden. Es wurde bisher vor allem in Lima geimpft, in den Regionen ist die  Impf-Quote niedriger.

 

Welche Reformen des Gesundheitssystems fordert Fabiola Torres?

  • Die Fragmentierung des Gesundheitssystems muss aufgehoben werden.
  • Die staatliche Basisversicherung SIS muss unabhängiger vom Gesundheitsministerium werden.
  • EsSalud muss Transparenz bei seinen Vertragsabschlüssen herstellen.
  • Die Aufsichtsbehörde Susalud muss gestärkt werden.
  • Der Staat muss in Anlagen zur Herstellung von Sauerstoff investieren, um die Abhängigkeit von den zwei privaten Versorgern zu reduzieren und um Sauerstoff für alle bereitzustellen.
  • Die Impfpolitik des Staates muss auf den Schutz der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sein, dazu gehören auch Migranten und Flüchtlinge.
  • Die Impfungen müssen gratis sein.

 

 

Jimi Merk